Protokoll der Sitzung vom 22.12.2009

Das, was in der „FNP“ von Ihnen beschrieben wird, ist an verschiedenen Stellen schon sehr verräterisch. Am passendsten ist die Bewertung von Herrn Gall. Das ist kein Sozialdemokrat und auch kein Liberaler. Herr Gall hat auch ausführlich Stellung genommen und schreibt schlicht und einfach: Diese Politik versteht kein Mensch. – Recht hat Herr Gall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler und Her- mann Schaus (DIE LINKE))

Deswegen sage ich Ihnen: Steigen Sie von Ihrem hohen Juristenross ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat Ihnen beim Nachtflugverbot eine schwere Schlappe zugefügt. Spielen Sie sich also nicht länger als juristischer Oberlehrer auf.Sie sind mit Ihrer angeblich gerichtsfesten Position gescheitert. Sie können Ihr Wort halten, wenn Sie es noch wollen: Verzichten Sie auf die Revision. Gönnen Sie den Menschen in der Region ihre Nachtruhe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das auch aus folgendem Grund.Herr Koch,heute in der Einführung habe ich schon einmal gesagt: Was heute hier passiert, hat Konsequenzen für industrie- und infrastrukturpolitische Entscheidungen insgesamt. Es geht um den Ausgleich zwischen Be- und Entlastungen, es geht um die Zukunftsfähigkeit und um das Vertrauen darin, was wir noch erreichen können: ob wir eine Ausgleichsfunktion haben können, wenn es beispielsweise um chemische Anlagen oder anderes geht. Die Beispiele sind beliebig, deswegen ist das auch kein Problem von RheinMain, sondern geht ganz Hessen an. Denn als eine Partei, die insbesondere auch für die Themen Arbeit, Einkommen und soziale Sicherheit steht, wollen wir, dass Arbeit,

Beschäftigung und Einkommen entstehen und gesichert werden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man das will, muss man als Politik die Ausgleichsfunktion bewahren können.

(Beifall bei der SPD)

Das ist keine abstrakte, sondern eine sehr konkrete Frage.

Sehen Sie, ich kann dem Packer in der Cargo-Gesellschaft nach wie vor in die Augen schauen. Denn ich sage ihm: Mit dem Ausbauversprechen entstehen zwischen 40.000 und 50.000 neue Jobs.

Ich könnte vieles zu den Airlines sagen. In den vergangenen Wochen habe ich das ausdrücklich nicht getan.Ich bin gern bereit, zu ihnen in eine Betriebsversammlung zu kommen. Dann können wir vielleicht manches, was im Moment übereinander diskutiert wird,miteinander diskutieren. Aber ich bin in der Lage, auch dem Packer am Flughafen in die Augen zu schauen.

Ich kann aber auch den Erzieherinnen und Erziehern in den Kindertagesstätten rund um den Flughafen in die Augen schauen, trotz unserer Position zum Ausbau. Denn ich sage ihnen: Dafür, dass ihr mehr Lärm bekommt, werden die Kinder in Zukunft ruhig schlafen können. Denn wir bestehen auf dem Nachtflugverbot.

Ich kann den Bürgermeistern in die Augen schauen, die massive Planungseinschränkungen haben werden. Denn ich sage ihnen: Wir schaffen trotzdem Arbeit und Einkommen und damit auch Wohlstand und Sicherheit – und wir schaffen gleichzeitig Nachtruhe, wenn wir das Mediationsergebnis umsetzen.

Vor allem aber kann ich den Familien in die Augen schauen. Angesichts der Belastungen sichern wir denen zu, dass es Nachtruhe geben kann und wird.

Herr Koch, wem können eigentlich Sie in dieser Lage in die Augen schauen?

(Beifall bei der SPD)

Sie können das nur, wenn Sie das, was wir gemeinsam zehn Jahre lang versprochen haben, auch ernst meinen und bereit sind, die Auseinandersetzungen dort zu führen, wo sie zu führen sind, und das Mediationsergebnis umsetzen.

Herr Koch, am 4. Juni 2008 haben Sie in einem anderen Kontext einen sehr interessanten Satz gesagt. In einem großen Portrait haben Sie gesagt: „Gehen Sie davon aus: Ich kann immer schlafen.“

Diesen Satz finde ich bemerkenswert. Zum einen deswegen, weil es hier im Raum Menschen gibt, die das auch gerne sagen können möchten – und es liegt an uns, ob wir das schaffen.

Aber eigentlich war Ihr Satz anders gemeint. Eigentlich haben Sie gemeint:Sie lassen nichts an sich heran,Sie sind in der Lage, alles abzuschütteln. – Ich sage Ihnen: Das halte ich für einen Ausdruck von Gleichgültigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen fordere ich Sie heute auf, im Interesse der Region, der Menschen, der Arbeit, der Beschäftigung, des Flughafenausbaus, und sage: Das Vertrauen ist das Fundament der neuen Landebahn – nicht so sehr der Beton. Kehren Sie zu Ihrer Zusage zurück. Nehmen Sie Ihr Wort ernst. Das Gericht zwingt Sie nicht zur Revision. Das Ge

richt gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihr Wort beim Nachtflugverbot zu halten.

Ich sage Ihnen das auch vor dem Hintergrund der aktuellen Untersuchung, die der Bremer Mediziner und Epidemiologe Eberhard Greiser vorgelegt hat. Spätestens dadurch muss man es doch begreifen.

Vor wenigen Tagen hat dieser Mediziner eine Studie vorgelegt, die aus einer Untersuchung rund um den Flughafen Köln-Bonn entstanden ist. Eine Million Personen wurden untersucht, Krankenkassendaten wurden ausgewertet.

Demnach haben z. B. über 40-jährige Frauen, die tagsüber einer Fluglärmbelastung von 60 dB(A) und mehr ausgesetzt werden, ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung in einer Klinik behandelt werden zu müssen, als Frauen aus Wohngebieten ohne Fluglärm. Bei Männern dieses Alters steigt das Erkrankungsrisiko um 69 %. Bei Frauen in Fluglärmgebieten wurden zudem höhere Risiken für Brustkrebs und Leukämie festgestellt. Diese Studie erlaubt Vorhersagen für andere Flughäfen.

Etwa zehn Jahre nach dem Ausbau von Berlin-Schönefeld, so das Ergebnis der Studie, müssten sich nach Greisers Berechnungen die umliegenden Krankenhäuser beispielsweise auf fast 5.000 zusätzliche Patienten mit HerzKreislauf-Krankheiten einstellen, darunter etwa 1.350 Männer und Frauen mit einem Schlaganfall. Durch umfangreichen Lärmschutz lasse sich die Zahl der Schlaganfallpatienten auf etwa 950 verringern.

Herr Koch, das meine ich, wenn ich über den Ausgleich zwischen Belastungen und Entlastungen rede. Das kann man nicht einfach gegeneinander schieben. Das ist die Verantwortung, für die wir auch heute im Hessischen Landtag die Hand heben und die Revision zurücknehmen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das Verfahren zum heutigen Tag ist im Kern unwürdig. Ich will das in aller Kürze sagen.Von wegen, es ist hier keine politische Entscheidung zu treffen. Herr Posch, Sie haben letzte Woche in einem aus meiner Sicht abenteuerlichen Verfahren zunächst die Koalitionsfraktionen darüber unterrichtet. Vorher haben Sie offensichtlich den Koalitionsausschuss informiert. Zumindest geht das aus Medienberichten hervor.

(Günter Rudolph (SPD): Ja, tolles Verfahren!)

Dann wollten Sie am Nachmittag ein paar ausgewählte Journalisten vorinformieren, um die Begleitberichterstattung für den nächsten Tag vorzubereiten. Das Treffen haben Sie wieder abgesagt.

Drei, vier Tage vorher gab es einen Kollegen, der uns im Hessischen Landtag ein ganzes Paket auf den Tisch gelegt und gesagt hat: Diese 417 Seiten müssen gründlich ausgewertet werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist dann wirklich turbomäßig – in drei Tagen – passiert. Wenn man sich nach diesem Verfahren, drei Tage nach der Parlamentssitzung, hierhin stellt und sagt: „Wir haben uns jetzt aber entschieden“, dann spricht das eher

dafür, dass Sie uns als Parlament nicht ernst nehmen wollten. Deswegen war diese Sondersitzung am heutigen Tag zwingend notwendig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Zweiter Punkt. Das Bundesinteresse wird im Moment gerne vorgeschoben. Da wird aus einem gewissen Herrn Mücke ein Elefant gemacht.

(Heiterkeit des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich sage Ihnen: Auch da gilt kein juristisches Argument. Wenn Sie es politisch entscheiden, dann stehen Sie bitte dazu.

Es gibt ein Schreiben aus dem Bundesverkehrsministerium. Ich habe das hier wiederholt zitiert. Ich will es heute wieder tun. Das Schreiben ist vom 12. Dezember 2007. Darin sagt der zuständige Referatsleiter klipp und klar:

Die Betriebsregelungen für den Frankfurter Flughafen werden zur Kenntnis genommen. Für die Geltendmachung eines diesbezüglichen Bundesinteresses gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 Luftverkehrsgesetz sehe ich keine Veranlassung.

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Im Übrigen hat die Bundesregierung nach Vorlage des Mediationsergebnisses dem Mediationsergebnis zugestimmt.

(Nancy Faeser (SPD): Hört, hört!)

Das heißt, der Bund ist Teil der Verabredungen dazu. Wenn Sie jetzt versuchen, über all Ihre Connections und Netzwerke etwas anderes zu inszenieren, dann sage ich Ihnen:Das können Sie gerne machen.Aber dann seien Sie bitte wenigstens so ehrlich und anständig, hier zu erklären:„Es ist eine politische Entscheidung.“ Damit kann zumindest ich umgehen und die Bürgerinnen und Bürger ganz sicherlich auch.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gesagt, ich werde Herrn Arnold an sein Wort erinnern. Das will ich an dieser Stelle tun.Denn alles juristische Theater, das in den letzten Tagen veranstaltet wurde, ist nur der Versuch, das politische Theater zu verkleistern. Das lasse ich aber nicht zu. Deswegen will ich an den Antrag Drucks. 15/1393 vom 13.06.2000 erinnern. Zu Beginn werden die fünf Punkte des Mediationsergebnisses beschrieben. Dann folgt:

Der Hessische Landtag macht sich ebenfalls die Forderung der Mediationsgruppe zu eigen, dass die fünf Komponenten des Mediationspaketes untrennbar miteinander verbunden sind.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört! – Günter Rudolph (SPD): Interessant!)