Das ist nicht pervers,sondern existenziell notwendig,auch wenn es Ihnen nicht gefällt, Herr Koch. Die Freibeträge für Ersparnisse zur Alterssicherung müssen erhöht werden, und Partnereinkommen dürfen nicht angerechnet werden. Schon im September haben wir beantragt, alle Sanktionen auszusetzen. Die Kosten für die Unterkunft müssen übernommen werden. Wir brauchen eine Grundsicherung für alle, die sich am tatsächlichen Bedarf der von Arbeitslosigkeit Betroffenen und ihrer Kinder ausrichtet. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Leben in Würde. Dazu zählt eine repressionsfreie existenzsichernde Grundsicherung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Herr Abg. Schäfer-Gümbel in der Suche nach Motiven vermutet, es sei darum gegangen, ein Thema in die prominente öffentliche Wahrnehmung zu bringen, dann will ich mich zunächst dafür bedanken, dass Sie dieses Thema zum Setzpunkt am Mittwochmorgen gemacht haben.
Herr Kollege Rudolph, ich glaube, dass Sie recht hatten, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen – jenseits der Polemik,die damit verbunden ist und die auch Sie hier betreiben. Wenn man die Debatte in den letzten zehn Tagen verfolgt hat, sieht man, dass wir allen Anlass haben, sehr ruhig und nüchtern darüber zu diskutieren, wie die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt aussieht. Da gibt es eine ganze Menge, worauf wir stolz sein sollten – ausgenommen die Linkspartei –, aber es gibt eben auch Dinge, die nach wie vor kritisch sind und die man hinterfragen muss.
Deshalb führen wir eine öffentliche Debatte über das,was sich hinter Hartz IV an neu strukturierter Arbeitslosenund Sozialhilfe in Deutschland verbirgt. Das wird von Ihnen und vor allem von der Linkspartei oft als eine „Absenkung des Sozialstandards“ diffamiert. Dabei ist aufgrund der geltenden Gesetze mehr Geld in die Unterstützung von Menschen geflossen, die arbeitslos – auch langfristig arbeitslos – sind, als es jemals in der Geschichte unseres Landes der Fall war. Das ist eben ein Teil des politischen Bestands, wo wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht ständig in eine Position reden, in der alle glauben,
hier werde per Gesetz ein sozialer Notstand herbeigeführt – obwohl erwiesen ist, dass der Steuerzahler, der jeden Cent dieser Unterstützung bezahlen muss, mehr in diese Form der Hilfe investiert, als er bei einer anderen Gesetzeslage jemals investiert hat.
Wenn das aber so ist, dann haben wir die Verpflichtung, über den Anlass zur Hilfe zu sprechen. Dann besteht gleichzeitig die Verpflichtung, darüber zu sprechen, ob es in ausreichendem und notwendigem Umfang gelingt, das zu erreichen, was wir als Ziel haben. Da wird es nicht nur eine Antwort geben – auch wenn es bequemer ist, aus einem Interview nur einen Teil zu zitieren, auch wenn Journalisten wie die der „Wirtschaftswoche“ das Interview für zu wenig spektakulär hielten und deshalb eine Überschrift gewählt haben, die ich so nie formuliert habe und die ich auch nicht freigeben würde.
Die Fragestellung, die dahinter steht, ob es denn so ist, dass alles Geld dort ankommt und ob die Effekte so sind, wie wir das haben wollen, kann man doch nicht zur Seite räumen. Man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass wir mit unserer Gesetzgebung in den letzten Jahren außerordentlich beachtliche Erfolge im Bereich kurzfristiger Arbeitslosigkeit erzielt haben. Die Bundesagentur ist in diesen Fragen inzwischen sehr gut. Das war sie nicht immer. Das kann man durchaus zur Kenntnis nehmen. Man kann auch sagen,in den letzten vier Jahren – das war unter RotGrün nicht immer so, das lassen wir aber als Anfangsschwierigkeiten so stehen – waren viele der neuen Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und nicht Teilzeit- oder Minijobs, wie es in den Jahren 2003, 2004 und 2005 der Fall war.Aber wir arbeiten jetzt daran, dass es so wird.
Gleichzeitig sehen wir, dass es bei den Langzeitarbeitslosen keine vergleichbare Entwicklung gibt. Also muss uns gemeinschaftlich – auf beiden Seiten – die Frage umtreiben:Was kann da sein?
Ich habe gesagt – und bleibe dabei –, dass es unter den Langzeitarbeitslosen ersichtlich verschiedene Gruppen gibt. Das sind – wenn man die Statistik insgesamt zugrunde legt – rund 4,9 Millionen Menschen.Wenn man bei denen wiederum darauf schaut, wer sich in einer Beschäftigungsmaßnahme befindet und wer Aufstocker ist – dazu sage ich gleich noch etwas –, wer also nicht Vollzeit arbeitslos ist, stellt man fest: Wir reden noch über etwas mehr als 2 Millionen Menschen – vielleicht 2,3 Millionen –, die sehr unterschiedliche Schicksale und Karrieren haben, Menschen, die in der Tat zum Teil daran verzweifelt sind, dass sie kein Arbeitsangebot bekommen.
Bei einer nennenswerten Gruppe davon handelt es sich um junge Frauen, die alleinerziehend sind. Über diese Frauen habe ich in dem Interview gesagt – das haben Sie selbstverständlich nicht zitiert; das würde Ihr Redemanuskript zerstören –, dass die Hilfe, die wir ihnen angedeihen lassen, aus meiner Sicht ungenügend ist.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Demonstrati- ver Beifall des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Herr Bocklet, ich muss zugeben, ich kann mich mit Ihnen in dieser Sache besser auseinandersetzen als mit Herrn Schäfer-Gümbel; denn Sie haben etwas dazu gesagt.Wir sind nicht in allem einer Meinung;aber es ist eine Position, über die sich streiten lässt.
Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie daraus zitieren, sagen Sie bitte auch, dass Hessen in den letzten vier Jahren das Bundesland unter den westlichen Flächenländern – mit anderen kann man das nicht vergleichen – mit dem größten Anstieg bei den Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren war.
Ich füge nur eines hinzu – darüber müssen wir in der Sache diskutieren; die Debatte kennt hier jeder seit den Jahren 2001/2002 –: Ich akzeptiere auf Dauer nicht, dass die Auskunft der Arbeitsvermittlung, es gebe kein Betreuungsangebot in einer kommunalen Krippe,nicht zur Folge hat, dass man für das Kind der betreffenden Frau ein individuelles Betreuungsangebot organisiert, damit sie arbeiten kann.Das gilt sogar für den Fall,dass die Kosten ihr Arbeitseinkommen übersteigen; denn das bedeutet, dass sie die nächsten ein oder zwei Jahre im Arbeitsmarkt integriert bleibt.Wenn man dagegen sagt: „Wir warten darauf, dass es ein Angebot in einer Krabbelstube gibt“, führt das möglicherweise dazu, dass sie lebenslang nicht mehr in den Arbeitsmarkt hineinkommt.
Es ist preiswerter, viel Geld zu bezahlen, um zu helfen. Aber die bürokratischen Regeln der Bundesagentur erlauben das nicht, und der Bund zahlt unseren Kommunen nicht das notwendige Geld, wenn sie freihändig Integrationsmaßnahmen entwickeln. Darüber muss man reden und streiten. Das ist einer der Punkte, und ich will, dass wir in den Gesetzgebungsverfahren, die zurzeit laufen, auch darüber reden.
Herr Schäfer-Gümbel, da Sie das gefordert haben, sage ich noch einmal ganz klar:Wir, die Landesregierung, prüfen im Augeblick sehr genau, ob es, bei zwei Bescheiden und gespaltenen Behörden, überhaupt eine theoretisch Möglichkeit gibt, diese Aufgabe zu erfüllen, gerade wenn es um Menschen in einer Situation geht, in der das Arbeitsentgelt einerseits und das Betreuungsangebot andererseits eine Rolle spielen. Ich verhehle Ihnen nicht, ich bin nach der Vorlage dieses Gesetzes und nach allem anderen, was ich bisher gesehen habe, außerordentlich skeptisch.
Jörg-Uwe Hahn hat im Bundesrat bereits darüber gesprochen.Vielleicht war mancher ein bisschen erstaunt, als wir beide gesagt haben, wir glauben nicht, dass die Arbeitsvermittlung ohne einen einheitlichen Bescheid eine vernünftige Zukunft hat. Darüber brauchen wir gar nicht zu streiten. Das betrifft z. B. solche Fragestellungen.
Aber wenn man das sagt, hat man auch das Recht und die Pflicht, über den anderen Teil zu reden. Es gibt nämlich beide Seiten. Leider Gottes gibt es im Rahmen der Gesetzgebung auch eine Debatte darüber, welche Anreize funktionieren bzw. wo sie funktionieren und wo nicht.
Es ist ein Teil der Wahrheit, dass sich jeder Mensch, der Arbeit sucht – Sie,ich,wer auch immer –,in Bezug auf den Arbeitseinsatz und das, was er dafür zurückbekommt, überlegt, ob die Relation von Arbeit und Entgelt angemessen ist. Das heißt, jede Entscheidung der Bundesagentur und jede Entscheidung des Gesetzgebers, ob es nun um Zuverdienstmöglichkeiten, Anrechnungsquoten
Das Menschenbild, das wir hatten, war vielleicht zu positiv. Es war zu optimistisch, anzunehmen, dass die Menschen das System nur in Anspruch nehmen, wenn sie es wirklich brauchen. – Das ist kein hetzerischer Satz irgendeines CDU-Politikers, sondern die Analyse von Peter Struck im Hinblick auf die Frage, was wir mit dem Gesetz machen.
Genau um diese Frage geht es. Wer mit Fallmanagern spricht, weiß doch, wie unterschiedlich die Fragen sind. Wenn ich mich in einer bestimmten südhessischen Großstadt umschaue – so viele gibt es da nicht –, stelle ich fest, dass es dort eine geringere Sanktionsquote gibt als woanders. Die haben dort z. B. entschieden, dass es kein sanktionswürdiger Tatbestand ist, Ein-Euro-Jobs nicht anzunehmen. Das deckt sich nicht unbedingt mit dem, was im Gesetz steht. Aber man kann in einem statistischen Vergleich mit dem Nachbarkreis nachweisen, dass dies unmittelbare Folgen dafür hat, wie das System funktioniert.
Wiesbaden, unsere Landeshauptstadt, hat eine Sanktionsquote von 4,5 %. Sie weist auch andere Zahlen auf, was die Beschäftigungsmöglichkeiten betrifft. Damit erzielt sie bessere Effekte bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen als andere Städte. Die Stadt Wiesbaden hatte als einzige den Mut, sich zur Optionskommune zu erklären und diese Rechte selbst wahrzunehmen.
Aber jetzt kann man doch nicht sagen: „Das interessiert mich nicht“, sondern man muss sich Folgendes vor Augen halten.Wenn es denn so ist, dass die Verpflichtung zur Arbeit Gegenstand der Hartz-IV-Gesetze ist, was folgt daraus? Dieser ganze Wirbel ist mit dem Begriff „künstliche Aufregung“ kaum mehr zu beschreiben. Ja, der Grundsatz, dass der, der vom Staat eine Leistung erhält, verpflichtet werden kann, eine Gegenleistung zu erbringen, ist Gegenstand des von Ihnen mit beschlossenen Gesetzes. Die Frage ist:Wer entzieht sich dem ohne angemessenen Grund,und wie lange schaut man zu,dass sich jemand dem entzieht?
Wissen Sie, an dieser Stelle wird es wieder sehr praktisch. Herr Bocklet, ich lasse mich darauf ein, hier darüber zu diskutieren. Ich persönlich glaube – auch dafür ist die Stadt, in der wir uns gerade befinden, ein ganz gutes Beispiel –, dass die gemeinnützige Beschäftigung ein Instrument ist, mit dem man darauf hinweisen kann, dass es die Verwaltung nicht toleriert, dass in Zeiten des Übergangs, aus welchen Gründen auch immer, eine totale Beschäftigungslosigkeit mit der Folge der Entrhythmisierung und allen anderen Folgen, über die wir in jedem der Berichte lesen, eintritt. Das ist aus meiner Sicht legitim.
Man stellt sich die Frage: Ist sie dazu in der Lage? Dafür braucht man nicht jahrelang Jobs aufzubauen. Deshalb haben wir in Hessen gemeinsam mit den niederländischen Experten und unseren Optionskommunen das Konzept der Werkakademie übernommen. Das funktioniert gerade andersherum.
Wir sprechen nicht über Jahre.Wenn eine solche Situation eintritt, wollen wir acht Wochen lang täglich, kontinuierlich Präsenz, Arbeit und Diskussion sehen. Dabei geht es nicht um irgendeine Beschäftigung, sondern darum, zu trainieren, wie man einen Job bekommt, und darum, dass ein PC aufgestellt wird, dass eben ein solches Training an
geboten wird und dass andere Möglichkeiten gewählt werden können. In diesem Konzept heißt es noch nicht einmal, der Betreffende muss von morgens bis abends arbeiten. Er oder sie muss jeden Tag vier Stunden anwesend sein, und er oder sie kann selbst auswählen, zu welcher Zeit das stattfinden soll.
Darum geht es bei dem Konzept der Werkakademie, das wir jetzt im Main-Taunus-Kreis, im Kreis Bergstraße, in Marburg, im Rheingau-Taunus-Kreis, in Offenbach, im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, im Vogelsbergkreis, im Odenwaldkreis und in Fulda ausprobiert haben. Das heißt, wir wissen inzwischen einiges. Wir wissen, dass wir an zwei Elementen arbeiten müssen. Das eine Element ist: Wir haben eine Integrationsquote – wie es auf Neudeutsch heißt; das ist die Rückführung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis – von fast 50 %. Das ist die positive Seite.
Wir haben aber auch 10 bis 15 % – das ist zwischen den Landkreisen unterschiedlich –, die schon, nachdem sie den Hinweis erhalten haben, sie müssten zwei Monate lang täglich für vier Stunden kommen, lieber nicht daran teilnehmen. Sie melden sich krank, ziehen den Antrag zurück oder gehen sonst irgendwie in Deckung. Das ist ein Punkt, mit dem man sich ebenso sehr beschäftigen muss, wie man sich über die fast 50-prozentige Erfolgsquote freuen darf. Nur wenn man beides macht, kommt man zu einem vernünftigen Ergebnis und setzt eine Entwicklung in Gang.
Ich bedanke mich für den Hinweis. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. – Die Debatte über den Zusammenhang zwischen Mindestlohnaufstockern und Arbeitsanreizen hat teilweise skurrile Züge.
Sehr verehrte Frau Schott, Sie haben hier darüber gesprochen, wie Sie Arbeitsverhältnisse aufgespalten haben – völlig ordnungsgemäß, möglicherweise gesetzlich; darum geht es mir gar nicht –, statt ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitverhältnis zu schaffen, was Sie als Abgeordnete, wie ich Ihnen sagen kann, hätten machen dürfen.
Damit erreicht man Ende,dass von den 1,3 Millionen Aufstockern nur 300.000 volle sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben, während 1 Million genau mit solchen Arbeitsverhältnisstrukturen auskommen, weil sie die Anrechnungsquote ausnutzen, aber in dem System statistisch dann nur 3 oder 4 c Durchschnittslohn bekommen.
Mit der Wahrheit hat das nichts zu tun. Das ist eine Frage des statistischen Betrugs. Nein, nicht alle Leute, die aufstocken, bekommen das. Aber wir haben zu viele Leute, die keine Lust haben, mehr als 100 oder 200 c zu verdienen, weil wir sie an der Stelle mit dem System so schlecht behandelt haben, dass sie glauben, sie müssten zu viel abgeben, und deswegen kein Interesse daran haben. Es ist