Mit der Wahrheit hat das nichts zu tun. Das ist eine Frage des statistischen Betrugs. Nein, nicht alle Leute, die aufstocken, bekommen das. Aber wir haben zu viele Leute, die keine Lust haben, mehr als 100 oder 200 c zu verdienen, weil wir sie an der Stelle mit dem System so schlecht behandelt haben, dass sie glauben, sie müssten zu viel abgeben, und deswegen kein Interesse daran haben. Es ist
Von den Sozialdemokraten wird dauernd gesagt, das gehe nur mit dem Mindestlohn. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn in Deutschland jemand, der eine Familie mit zwei Kindern hat, diese Frage des Opportunitätsnutzens stellt – also die Frage, wo es sich für ihn finanziell lohnt –, hat das mit Ihren 7,50 c nichts zu tun; dann braucht er 10,60 c oder 11,20 c, je nach der Debatte, damit er überhaupt in diese Ecke kommt.
Wenn Sie das machen wollen, dann können Sie auch noch 5 Millionen Beschäftigungsverhältnisse der öffentlichen Hand à la Linkspartei schaffen und sich das Geld irgendwo drucken lassen. Denn im realen Leben gibt es das alles nicht. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
Wer nicht daran glaubt, dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in der Arbeit zur Verfügung gestellt wird, am Ende Arbeit nachgefragt wird und wir dafür einen vernünftigen Preis bekommen, wer nicht daran glaubt, dass die Organisationen der Tarifparteien wirken, der wird eh verlieren. Mit den 7,50 c, die schon Hunderttausende Jobs kosten würden, hätten Sie in unserer theoretischen Debatte kein Problem.
Ich sage es Ihnen noch einmal: Mir ist es lieber, dass jemand Vollzeit arbeitet,auch wenn das zu einem relativ geringen Lohn erfolgt, weil der Markt es im Augenblick nicht anders hergibt.Wir können das dann aufstocken,damit er mehr hat, als wenn er nicht arbeitet. Das ist mir lieber, als dass wir für seine Mehrarbeit 100 % bezahlen, er damit am Ende weniger hat und dem Markt dauerhaft nicht mehr zur Verfügung steht. Die Diffamierung des Aufstockens kann ich absolut nicht akzeptieren.
Ich bleibe dabei. Herr Bocklet hat das angesprochen. Das ist richtig. Wir haben mit dem Existenzgrundlagengesetz die Grundlage für die ganze Debatte in Deutschland geschaffen.Wir ziehen uns nicht dahinter zurück.
Wir haben in Deutschland entschieden: Für jemanden, der zusätzlich etwas tut, sind die ersten 100 c die besten 100 c. – Nach meiner festen Überzeugung ist das ein grober Fehler. Wir haben das Gesetz so geschaffen, dass die geringfügige Beschäftigung für viele das Attraktivste ist, die sich in diesem Arbeitsmarkt bewegen.Wir müssen dafür sorgen, dass die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit, bei der man den Tag über überwiegend beschäftigt ist, die attraktivste Variante ist. Bei dieser Variante ziehen wir aber 80 % ab. Bei der anderen Variante lassen wir einen Verdienst zu 100 % zu.
Wir haben deshalb damals gesagt: Die geringfügige Beschäftigung ist vom Studenten über den beschäftigten Arbeitnehmer bis hin zum Rentner ein zusätzliches Ele
ment.Aber das ist nicht die regelmäßig vorzufindende Situation bei Arbeitnehmern, die wir haben wollen. Deswegen müsste gelten:Wer geringfügig beschäftigt ist, dem wird das auf den Unterhalt nach Hartz IV angerechnet, und zwar möglichst vollständig. Wer aber den ganzen Tag arbeitet und bei wem das Gehalt aufgestockt werden muss, der soll nicht 80 % abgezogen bezogen bekommen, sondern vielleicht nur 50,60 oder 70 %,jedenfalls deutlich weniger, als es bisher der Fall ist, damit nach Arbeitsplätzen in Vollzeit gesucht wird.
Wenn Sie das machen, wenn Sie konsequent sind, bei der Organisation und bei der Anwendung der Sanktionen, wenn Sie offen darüber reden, dass das ein Teil des Projektes ist und dass das nicht wieder weggenommen wird, und wenn Sie zugleich die Anreize so schaffen, dass jemand nicht auf Teilzeitarbeit oder auf Nebenjobs spekuliert, sondern eine Hauptarbeit haben möchte, weil das das Ertragreichste im staatlichen sozialen System ist,dann verringern Sie die Zahl der Hilfeempfänger. Damit bekommen Sie die Gelder frei, mit denen man dann das bezahlen kann, was wir z. B. für die Alleinerziehenden brauchen.
Nur wenn man das als Konzept im Gesamten sieht und sich nicht die schönen und bequemen Dinge und die Versprechungen herauspickt, wenn man auch über die unangenehmen Teile redet und sich der Debatte stellt, nur dann ist man nach meiner Überzeugung in der Lage, verantwortliche Politik in diesem Sinne zu machen. Das versuche ich zu tun. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Koch, vielen Dank. – Wir treten jetzt in die zweite Diskussionsrunde ein. Den Oppositionsfraktionen sind jeweils zwei Minuten zusätzliche Redezeit zugewachsen. Es sind also sieben Minuten Redezeit für die Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hahn, das hat mit einem zweiten Versuch nichts zu tun. Der entscheidende Punkt ist, dass man aus dieser Debatte nicht wegen arroganten Verhaltens und oberflächlicher Belehrungen entlassen wird.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zurufe von der CDU:Ach du lieber Gott!)
Herr Koch, deswegen will ich es noch einmal versuchen. In dieser Debatte gibt es drei Ebenen. Vielleicht sollten wir jetzt noch einmal versuchen, das ein bisschen zu sortieren.
Die Fachdebatte ist von einigem gekennzeichnet, worauf es sich in der Tat einzugehen lohnt. Nun will ich als Erstes darauf hinweisen – –
Herr Irmer und Herr Reif, muss ich wieder so laut werden, oder hören Sie vielleicht erst einmal zu? Das hilft vielleicht auch.
Zunächst möchte ich etwas zur Fachdebatte sagen. Ich habe zum Thema Organisationsreform in der Tat vorhin schon eine Bemerkung gemacht.Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam deutlichere Signale in Richtung Berlin geben – wir haben das im letzten Sommer schon versucht –, weil das, was da gerade passiert, Irrsinn ist. Die Grundgesetzänderung ist am Widerstand der CDU/CSUBundestagsfraktion gescheitert.
Andernfalls hätten wir eine Mischverwaltung organisieren können,mit der auf der einen Seite das Modell der Arbeitsgemeinschaft und auf der anderen Seite auch das Modell der Optionskommunen hätten abgesichert werden können. Denn wir müssen aus der einseitig geführten Debatte über die Organisation herauskommen. Wir müssen endlich dazu kommen, Fördern und Fordern konsequent umzusetzen. Das war mein erster Punkt.
Zweiter Punkt.Mit Verlaub,es lag nicht an uns,sondern es lag an Ihren Truppen in Berlin, dass wir bei diesem Thema zu keinem Ergebnis gekommen sind.
Mit Verlaub, das, was Frau von der Leyen gerade vorgelegt hat, ist sozusagen, organisationspolitisch gesehen, noch eine Prise mehr Unfug.
Ich komme zur dritten Bemerkung. Dabei geht es um die Sanktionen.Der Herr Ministerpräsident hat hier so getan, als hätten wir das Thema Sanktionen infrage gestellt. Das ist völliger Unfug. Das, was im Rahmen der Arbeitsmarktreform an Sanktionen eingeführt wurde, hat konsequenterweise zuvor schon immer im Sozialrecht existiert, und zwar auch in dieser Tiefe. Deswegen habe ich vorhin auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Herr Rock bar jeder Sachkenntnis ist. Denn das, was im Sozialhilferecht angelegt ist, wurde bei der Arbeitsmarktreform übertragen, und zwar mit unserer ausdrücklichen Zustimmung. Herr Rentsch, es wurde von der Sozialverwaltung im Übrigen konsequent angewendet. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Das wurde dann auf das gesamte System übertragen.Deswegen tun Sie nicht so, als würden wir bei dieser Debatte nur einen Teil herausgreifen.
Denn natürlich gibt es bei allen öffentlichen Leistungen, also bei der Subvention für Energie, bei Steuersubventionen und bei sozialen Subventionen, Missbrauch. Der ist entschieden zu bekämpfen. Das gilt von der Steuerhinterziehung über den Subventionsbetrug bis hin zum Missbrauch der Arbeitslosenhilfe. Das habe ich gesagt, damit das völlig klar ist.
Eine vierte Bemerkung muss dann auch gestattet sein. Herr Koch, mit Verlaub, bei der Fachdebatte, die Sie zum Thema Mindestlohn führen, ignorieren auch Sie die Lebenswirklichkeit. Es ist doch so, dass bestimmte Instrumente, die wir in guter Absicht eingeführt haben, dazu geführt haben – das müssen wir inzwischen doch zur Kenntnis nehmen –, dass tarifvertraglich geregelte und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung akut bedroht ist und abgebaut wird.