Deswegen müssen wir die Instrumente nachschärfen. Das Beispiel Post ist doch im Moment ein besonders gutes.Vor den Verwaltungsgerichten wird der Mindestlohn der Post bekämpft, damit reguläre Beschäftigung und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch solche mit Niedriglöhnen ersetzt werden kann. Da müssen wir doch eine Haltelinie nach unten einführen. Denn die Spirale, die da beschrieben wird, schlägt nach unten durch. Das wollen wir verhindern.
Dazu haben Sie kein Wort gesagt. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Mit dem, was Sie wollen, würde das noch beschleunigt.
Deswegen sage ich es noch einmal:Wir orientieren uns an der Arbeitsgesellschaft und nicht an der Transfergesellschaft.
Ich komme damit zu der Frage: Worum geht es wirklich? – Es geht nicht darum, die Fachdebatte zu führen. Sie haben sich hierhin gestellt und sich zum Opfer gemacht: Das tut mir so unendlich leid, aber in der Überschrift stand etwas anderes, als was ich weiter hinten gesagt habe.
Sie hätten intensiv intervenieren und dagegen protestieren können, dass Sie in dieser Form falsch interpretiert werden.
Herr Koch, es ist aber nichts passiert. Ich sage Ihnen auch, warum nichts passiert ist. Es ist nichts passiert,weil Sie gemerkt haben, dass Sie damit wieder einmal polarisieren können. Es hilft, die Debatte zu entfachen. Das hilft, zu zündeln. Deswegen haben Sie das anschließend kalkuliert genutzt. Das ist es, was ich unanständig finde. Sie waren nicht bereit, die falsche Interpretation Ihres Interviews zurückzunehmen. Vielmehr haben Sie anschließend weiterhin kräftig gezündelt.
Sie nehmen die Zahlen aus Wiesbaden wie eine Selbstverständlichkeit. Die Zahlen aus Wiesbaden sagen Ihnen eigentlich eines. Sie sagen, dass Sie eine Debatte über ein
Problem führen, das es in der Tat in einzelnen Fällen gibt. Zu der Frage, wie hoch der Prozentsatz ist, gibt es Unterschiedliches.
Ich sage ausdrücklich:Wir werden uns mit dem Thema beschäftigen müssen. Aber Sie tun mit der Debatte, die Sie angezettelt haben, so, als sei das das Zentrale. Sie tun so, als ob die Ausweitung der Kosten etwas damit zu tun hätte, dass es ganz viele Menschen geben würde, die sich ihrer Verpflichtungen entziehen. Das Gegenteil ist der Fall.
Beim Thema Arbeitsmarktpolitik entstehen die Kostensteigerungen im Kern aus zwei Umständen,erstens aus einer deutlichen Ausweitung von Zuschüssen beispielsweise bei den Aufstockern,weil dieser Bereich dramatisch zugenommen hat, und zweitens, weil mit dem neuen Leistungsrecht – das ist in der Tat eines der Verdienste der Hartz-IV-Reform – Menschen aus der versteckten Armut herausgeholt wurden. Menschen, die vorher die Leistung aus Stigmatisierungsgründen nicht beantragt haben – das haben wir oft genug diskutiert – haben jetzt die Leistung beantragt. Deswegen sind viele zusätzlich in den Leistungsbezug gekommen.
Das ist auch richtig so. Aber das jetzt zum Anlass zu nehmen, aufzufordern, es müsse weniger geben – dann müssen Sie endlich sagen, an welcher Stelle Sie eigentlich die Leistungseinschränkung wollen. Diese Antwort sind Sie uns schuldig geblieben.
Letzter Punkt, und das ist die dritte Ebene: Warum nehmen wir ein Thema auf, das Ihre Truppen mobilisiert, das scheinbar so mit Ihnen läuft und wo Sie versuchen,mit der gesamten Debattenanlage ein bisschen den Druck zurückzunehmen, als gäbe es nur diese Fachebene? – Ich habe eben gesagt,das hat mit der Fachebene nichts zu tun. Sie wollten polarisieren. Sie wollen den Druck aus dem Kessel nehmen. Das ist eine Interpretation Ihres persönlichen Verhaltens.
Herr Hahn, deswegen war das Aufrufen am heutigen Tag nicht eine verantwortungslose Debatte bzw. ein Aufruf zu verantwortlicher Politik, sondern es war Ausdruck politischen Anstands, „Stopp!“ zu rufen, wenn jemand gegen Arbeitslose keilt. Das ist der entscheidende Punkt in dieser Debatte. – Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Großer Gott! – Weitere Zurufe von der CDU)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich möchte mich zu Beginn ausdrücklich für Ihre Unterstützung in der Auseinandersetzung bedanken, welche Höhe des Mindestlohns wir brauchen, damit man von Arbeit vernünftig und gut leben kann. Sie haben recht, es muss in der Größenordnung von 10,60 c liegen, und das geht offensichtlich in fast allen Ländern Europas, bloß Ihrer Meinung nach nicht in Deutschland. Danke für die Unterstützung an dieser Stelle.
Leider sind Sie uns eine Antwort schuldig geblieben, die Herr Rock eben auch nicht gegeben hat, wenn Sie sagen, es soll gearbeitet werden. Meinen Sie jetzt sozialversicherte, tarifvertraglich abgesicherte, reguläre Arbeit, oder meinen Sie Zwangsarbeit? Das ist eine Frage, die Sie uns nicht beantwortet haben.
Ich möchte sehr deutlich sagen, beim Lohnabstandsgebot gibt es zwei Richtungen, dieses einzuhalten. Es gibt die Richtung, durch einen gesetzlichen Mindestlohn denjenigen, die Vollzeit arbeiten, so viel Geld in der Tasche zu belassen, dass es einen deutlichen Abstand zu Hartz IV gibt. Und es gibt die andere Richtung – ich vermute, in die argumentieren Sie –, immer weniger Sozialleistungen zu zahlen, damit immer noch geringere Niedriglöhne bei Vollzeit gezahlt werden müssen. Letzterer Richtung können wir nicht zustimmen. Das schafft Armut in diesem Land.
Zweite Ebene. Herr Koch, Sie argumentieren zur Arbeitslosigkeit, das, was wir dafür zahlen, ist zu teuer. Darin würde ich Ihnen sogar zustimmen. Wir können uns nicht nur aus ethischen und moralischen, sondern auch aus finanziellen Gründen eine solch hohe Arbeitslosigkeit nicht leisten. Dann lassen Sie uns aber etwas gegen Arbeitslosigkeit tun und nicht gegen die Arbeitslosen kämpfen.
Sie haben vorgerechnet, dass es den Arbeitslosen besser geht, weil der Staat mehr für Arbeitslose ausgibt. Das ist natürlich eine vollkommene Milchmädchenrechnung. Wenn sich die Zahl der Bezieher in ihren Größenordnungen verdoppelt und verdreifacht, und Sie sagen, wir gäben 10 % mehr für die aus, dann bleibt für jede einzelne Person selbstverständlich weniger übrig.Das ist doch das,was die Betroffenen erleben. Kommen Sie also nicht mit solchen Milchmädchenrechnungen.
Wenn Sie sagen, der Staat brauche mehr Geld, wir könnten das so nicht finanzieren, dann setzen Sie sich doch für ein gerechtes Steuersystem ein, damit Geld im Staat vorhanden ist, um die dem Sozialstaat auferlegten Aufgaben auch vernünftig wahrzunehmen. Dazu vermisse ich Ihre eindeutige Unterstützung.
Dritte Argumentation.Sie sagen:Wir tun doch alles,damit diejenigen,die jetzt nicht sofort einen Arbeitsplatz finden, qualifiziert werden. – Herr Koch, wissen Sie, ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn mehr Menschen im Land Gabelstaplerführerscheine haben. Ich selbst habe auch einen.
Ich möchte auch bezweifeln, ob es Sinn macht, Menschen nach dem ersten oder zweiten Bewerbertraining, wenn es nicht zum Erfolg geführt hat, noch ein viertes oder fünftes Mal zum Bewerbertraining zu schicken, nur weil sie bei den Bewerbungen nicht erfolgreich waren bzw. zu keinem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind bzw. es keine ausgeschriebene Stelle gegeben hat, auf die sie sich hätten bewerben können. Da hilft auch das fünfte Bewerbertraining nicht weiter.
Letzte Bemerkung. Herr Koch, Sie sind von vielen Ihrer Parteikollegen inklusive der Bundeskanzlerin zusammengepfiffen – zurückgepfiffen worden.
Besonders hat mir die Bemerkung Ihres Parteikollegen Fuchs aus Berlin gefallen, der Sie als Systemveränderer zurückgepfiffen hat.
Ja, Herr Koch.Wenn ich nicht prinzipiell gegen den Verfassungsschutz wäre,würde ich ihn jetzt auffordern,Sie als Systemveränderer zu beobachten. – Vielen Dank.
Danke, Herr Dr.Wilken. – Als Nächster hat Herr Bocklet Gelegenheit, in noch sieben Minuten für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort an uns zu richten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, sehen Sie es uns GRÜNEN nach, dass sich unser Mitleid in Grenzen hält, wenn Sie Ihre Opferrolle in der Diskussion beschreiben und sagen, Sie seien ein bisschen missverstanden worden, die Überschriften seien unfair gesetzt.Das Mitleid ist in der Tat begrenzt – Herr Wagner, habe ich recht?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zustimmung des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Sie können in diesem Zusammenhang auch lauter klatschen. – Aber jetzt interessiert mich die Frage der konkreten Vorschläge des Ministerpräsidenten in der Sache, und zwar die konkreten Vorschläge in Ihrem Einflussbereich. Ich lasse gelten, dass wir eine interessante Debatte im Zusammenhang mit den Hinzuverdienstgrenzen haben.Aber selbst wenn wir die Hinzuverdienstgrenzen verbessern, werden wir trotzdem Aufstocker behalten. Die Gesamtsumme der ALG-II-Bezieher wird etwa gleich bleiben.
Es ist außerdem ein bundespolitisches Thema. Wir können uns in der Sache trefflich streiten.Aber was ich spannend finde, ist der Satz von Dr. Bartelt, dass Sie diesen