Protokoll der Sitzung vom 27.01.2010

Es ist außerdem ein bundespolitisches Thema. Wir können uns in der Sache trefflich streiten.Aber was ich spannend finde, ist der Satz von Dr. Bartelt, dass Sie diesen

Weg begehen wollen, Herr Koch. Sie erwecken den Eindruck, dass Sie sagen: Wir müssen alles Erdenkliche tun, damit die Menschen aus der Arbeitslosigkeit einen Weg finden. – An diesem Maßstab muss man sich messen lassen, wenn man solche Reden wie Sie hält. Also nicht nur Fördern und Fordern müssen im Einklang stehen, sondern auch das Reden und das Handeln.

Herr Banzer, wir fragen uns angesichts der Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, ob Sie oder Ihr Ministerpräsident Koch z. B. einen Gipfel der Jobcenter in Hessen einberufen und sich darüber beschwert haben, dass die Aktivierungsquote so mäßig und der Eingliederungstitel so schlecht ist, wenn Hessen bundesweit nur auf dem zwölften Platz liegt. Hat er sich darüber beschwert, dass die Mittel zur Aktivierung und Qualifizierung so grottenschlecht sind? Ich habe davon nichts wahrgenommen.

Herr Rentsch, Sie reden ja gleich. Herr Banzer, können Sie mir helfen? Wann findet der Gipfel denn eigentlich statt, wo Sie die Jobcenter zusammenrufen und sagen: „So kann es nicht weitergehen; wir brauchen bessere Qualifizierung“? – Das ist das, was Sie tun können. Das tun Sie aber nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben es nicht wahrgenommen. Normalerweise treten Sie alles irgendwie breit, wenn Sie einen Gutschein übergeben. Dann können Sie das auch einmal öffentlich machen. Oder laden Sie uns einmal ein.Wir hören uns das gerne an. Was ist eigentlich Ihr genauer Vorschlag? Herr Koch, noch einmal: Wir müssen genau hinschauen, sagen Sie. – Gut, ich habe mittlerweile sogar eine Lesebrille. Auch ich werde älter. Ich schaue genau hin, aber ich finde den konkreten Vorschlag nicht.

Was schlägt die CDU denn nun vor? Wollen Sie sofort alle Leistungen komplett auf null stellen? Wollen Sie den Menschen nie wieder Sozialhilfe geben, weil sie sich geweigert haben, ein Angebot anzunehmen? Was wollen Sie denn konkret? Es gibt keinerlei konkrete Vorschläge des Ministerpräsidenten, schon gar nicht in Hessen, sondern es gibt das Fabulieren im Nebel, man müsste einmal genauer hinschauen, eigentlich sei es ein Gesamtpaket. Jetzt kommen Sie doch aus der Deckung, und versprechen Sie uns Hessinnen und Hessen einmal, was Sie genau tun wollen an Sanktionsverschärfungen,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

außer dass Sie bisher eine Atmosphäre vergiften, wenn Sie eine große, wie Sie sagen, sichtbare Minderheit verdächtigen, sie würde doch tatsächlich Missbrauch betreiben.

Ich gebe Ihnen gern das Beispiel von Frankfurt. Es gibt eine Antwort der Bundesregierung zu dem Sanktionskatalog. In Frankfurt am Main haben wir 65.000 ALG-IIEmpfänger. Da gibt es eine größere Anzahl von Menschen, die Sanktionen bekommen haben. Die weitaus übergrößte Mehrheit dieser Menschen waren diejenigen, die gar nicht zum Erstgespräch gekommen sind. Sehen Sie, da sind wir uns einig:Wer gar nicht erst zum Gespräch zu einer Hilfeleistung kommt,der scheint ein anderes Problem zu haben.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Beispielsweise keine Wohnung!)

Aber bei 65.000 ALG-II-Empfängern gibt es nur 639 Menschen, die eine Arbeitsmaßnahme abgelehnt haben

und deswegen sanktioniert wurden. Da bewegen wir uns im Promillebereich. Jetzt sprechen Sie von einer sichtbaren Minderheit. Ich frage Sie, Herr Koch: Welche Zahlen haben Sie, die wir nicht haben?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sie haben, geben Sie sie heraus.Vor allem, wenn Sie sie haben: Was ist Ihr konkreter Vorschlag der Sanktionen? Wollen wir wieder die Einführung der Prügelstrafe? Ich weiß es nicht.Aber was da ist, ist doch eindeutig. Wir haben ein abgestuftes Konzept, diese Menschen zu sanktionieren. Das kann man gut finden oder nicht. Wer darüber fabuliert, muss auch konkrete Vorschläge machen; sonst vergiftet er nur die Atmosphäre.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Koch, bei den Alleinerziehenden gehen wir Seit an Seit. Ich habe die Quote in Hessen genannt. 40 % Alleinerziehende können keinen Arbeitsplatz finden, weil sie ihre Kinder betreuen müssen. Dann sagen Sie, wir haben in der Vergangenheit schon viel getan. – Richtig. Wer würde das bestreiten wollen?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Rentsch, aber zum dialektischen Denken kommt die Frage: Wir haben gerade den Haushalt für das nächste Jahr verabschiedet. Wo sind denn die Mehrausgaben für die Kinderbetreuung?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie nehmen das den Kommunen aus dem Kommunalen Finanzausgleich. Zu der Mindestverordnung gibt es einen unwürdigen Streit zwischen Herrn Weimar und Herrn Banzer über die bessere Qualität von Kinderbetreuung. Auch das ist ein entscheidendes Kriterium für die Frage, ob Menschen ihre Kinder in die Kindergärten geben. Sie wollen den Kommunen 400 Millionen c aus dem Kommunalen Finanzausgleich nehmen, und es gibt unwürdige Vorschläge, das mit der Mindestverordnung für bessere Qualität in den Kindergärten zu verquicken.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das hat doch mit der Vermittlung von Hartz-IV-Empfängern nichts zu tun!)

Es gibt nicht genug Geld für die Kommunen. Die Kinderbetreuung wird nicht quantitativ stärker ausgebaut. Dann darf man auch nicht auf Alleinerziehenden herumtrampeln,wenn sie arbeitslos sind.So einfach ist die Rechnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Schließlich heißt es, wir brauchen eine bessere Qualität in den Jobcentern. Richtig, Herr Koch, wir brauchen eine bessere Qualität in den Jobcentern, bessere Vermittlung und bessere Beratung. Was wir nicht brauchen, ist eine Zerschlagung der Jobcenter. Eine getrennte Wahrnehmung der Trägerschaft ist Unfug. Wir würden die Menschen wieder durch verschiedene Behörden, durch verschiedene Bescheide hin- und herjagen. Das ist Unfug. – Wenn Sie „Richtig!“ sagen, was ich so rechts hinter mir vernehme, dann frage ich Sie: Wo ist Ihre konkrete Bundesratsinitiative dafür, dass das gestoppt wird?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Stoppen Sie Frau von der Leyen jetzt sofort. Sie haben eine Menge Möglichkeiten, die Situation zu verbessern,

(Clemens Reif (CDU):Haben wir denn Ihre Unterstützung?)

nicht nur Reden und nicht nur Brunnenvergiften.Sie müssen handeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was Sie hier tun, ist ein Jammern auf hohem Niveau. Sie sind aber nicht in der Opposition, Sie sind seit vielen Jahren der Ministerpräsident. Es kommt einer Selbstanklage gleich. Sie jammern eigentlich über sich selbst. Im Prinzip ist das eine Selbstohrfeige, die Sie sich stündlich verpassen. Stoppen Sie das, und handeln Sie endlich. Das wäre im Sinne aller Arbeitslosen. Helfen Sie sich selbst und den Arbeitslosen. – Danke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Danke, Herr Bocklet. – Ich darf Herrn Rentsch, dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bocklet, ich will die Grundfrage, die Sie gestellt haben, um die es heute hier geht, gern vorwegnehmen. Sie wird nicht dadurch gelöst, dass man in so einer Debatte immer wieder Moralin versprüht und sagt, was man alles nicht möchte.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Was?)

In so einer Debatte geht es schon darum – das hat der Kollege Bartelt hervorragend herausgearbeitet –, die Frage zu stellen, was eigentlich die gesellschaftliche Antwort auf Hartz IV ist.Wenn man Ihnen und dem Kollegen SchäferGümbel gerade zugehört hat, kommt man zu dem Ergebnis, Ihre Antwort auf Hartz IV ist Hartz IV.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Quatsch! So ein Unfug!)

Meine Damen und Herren, das ist einfach zu kurz gesprungen. Herr Kollege Bocklet,warum reden wir denn in Hessen über die Frage, dass wir Infrastrukturprojekte wie den Flughafen ausbauen wollen? Wir tun das, weil wir der festen Überzeugung sind und die Zahlen uns belegen, dass wir mit diesem Flughafen mehr Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze in diesem Bundesland generieren. Das ist der Grund.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der LINKEN)

Warum ist denn der Anstieg der Arbeitslosenquote in Hessen so niedrig? – Weil wir anscheinend in dieser Frage einen guten Job gemacht haben.

Herr Kollege Bocklet, deshalb: Ja, wir sind uns in der Grundfrage einig, dass wir bei der Frage, wie man mit den Möglichkeiten von Hartz IV umgeht, wie man das System weiterentwickelt, darüber diskutieren müssen, ob z. B. das Thema „Fördern und Fordern“ noch in einem richtigen Gleichgewicht steht. Da hat der Ministerpräsident eine

Frage öffentlich aufgeworfen, die anscheinend so interessant ist, dass sie überall in Deutschland diskutiert wird. Es scheint also nicht so uninteressant gewesen zu sein; sonst würden die Menschen in Deutschland nicht darüber diskutieren. Aber die andere Frage ist doch genauso richtig, dass Hartz IV immer die schlechteste Antwort auf eine Sozialstaatsproblematik ist.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel,ich möchte Ihnen das noch einmal sagen. Denn man hat das Gefühl, Sie haben das alles vergessen, was Gerhard Schröder gemeinsam mit Joschka Fischer und dem Arbeitsminister Wolfgang Clement, der früher Ihrer Partei angehörte, auf den Weg gebracht hat.

(Torsten Warnecke (SPD): Und der CDU-Bundesratsmehrheit!)

Die haben das Thema Hartz-Gesetze auf den Weg gebracht, weil sie das Gefühl hatten, erstens, dieser Sozialstaat hat sich in seiner Form überlebt, zweitens, wir müssen die Frage von staatlicher Leistung und persönlicher Gegenleistung neu austarieren.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sagen Sie doch einmal etwas zum Bürgergeld!)

Drittens haben die drei gemeinsam mit Herrn Hartz, einem ehemaligen Supermanager der Firma VW, dieses Projekt auf den Weg gebracht, weil sie aus staatlicher Sicht mehr Druck ausüben wollten. Wer das alles heute wegstreicht, wer als Sozialdemokrat so tut, als ob das alles nicht gewesen sei,der verleugnet seine eigene Geschichte. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, damit kommt man einfach nicht weit.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD):Wer streicht das denn weg? Das ist doch unglaublich, das ist doch völlig unredlich!)

Wer Ihren Worten zugehört hat und die letzten Tage verfolgt hat, kommt schon zu dem Ergebnis, dass die Sozialdemokraten ihren Kurs immer weiter neu austarieren, weil natürlich unter dem großen neuen Bundesvorsitzenden in den nächsten Monaten und Jahren versucht werden wird, eine Öffnung zur Linkspartei zu generieren. Wer sich die Position dieser Kollegen anschaut,der wird sehen, dass die Sozialdemokraten das Ruder deutlich nach links werden legen müssen, wenn es überhaupt eine Zusammenarbeit geben wird.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Das würden wir begrüßen!)

Meine Damen und Herren, das zeigt: Ihnen geht es nicht um eine Reform von Hartz IV. Sie wollen in dieser Debatte moralisch stigmatisieren, und das bringt uns kein Stück weiter, Herr Kollege Schäfer-Gümbel.