land Koch –, mit einer solchen Positionierung durchkommen. Das hässliche Gesicht, das deutlich wird, wenn es gegen Ausländer, kriminelle Jugendliche und Arbeitslose geht, ist genau das, was in den letzten 14 Tagen zu sehen war.
Es geht nicht um eine Fachdebatte – die würden wir gerne mit Ihnen führen. Es geht in dieser Debatte darum, dass um der Polarisierung willen der Ministerpräsident dieses Thema anheizt. Ich wiederhole: Er hat in seinem Interview nicht von der Arbeitspflicht gesprochen; es ist zugespitzt worden. Nachdem er aber wieder einmal gemerkt hat, dass das für sich läuft, dass die Polarisierung damit funktioniert, dass er damit aus anderen Themen herauskommt, hat er damit gespielt. Selbst wenn er damit Ihre Milieus mobilisiert, ist es eine Frage des politischen Anstandes, einer solchen Initiative entschieden entgegenzutreten. Deswegen die heutige Debatte.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Zuruf von der CDU: Sie und Anstand!)
Wenn es Ihnen um die Sache ginge, Herr Koch, und auch die hessische Union – weil Sie die Einzigen sind, die sich in den Geleitzug einsortiert haben; alle anderen haben sich davon distanziert –, wenn es Ihnen wirklich um die Fachdebatte ginge, dann würden Sie sich heute zunächst bei den Arbeitslosen entschuldigen, die Sie verunglimpft haben, und eine neue Debatte beginnen.Aber das Gebot des Anstands war es, das uns heute dazu verpflichtet hat, diese Debatte aufzurufen. Denn solche Polemiken darf man nicht unwidersprochen durchlaufen lassen. Das ist das, was im Hessischen Landtag zu verhandeln ist.
In der Fachdebatte fehlt dem Ministerpräsidenten seit vielen Jahren der Durchblick. Deswegen hätte ich ihm am liebsten heute ein Brillenputztuch geschenkt,
damit die Klarsicht bei ihm wiederkommt. Aber da der Ministerpräsident keine Geschenke von mir mehr möchte, verzichte ich darauf. Meine Vermutung ist auch, dass es nichts nützen würde. – Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schäfer-Gümbel, die SPD sagt in ihrem Antrag, wer über Mitwirkungspflichten von Empfängern von Sozialleistungen spreche, diffamiere Arbeitslose und spalte die Gesellschaft, Stammtischparolen würden bedient. Das ist falsch. Sie von der SPD spalten die Gesellschaft in Leistungserbringer und Leistungsträger.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD): Erklären Sie mal, was Sie damit meinen: Leistungserbringer und Leistungsträger!)
Sie gefährden die Akzeptanz und den Konsens über die Sozialsysteme.Sie wollen eine schwierige Erörterung dem Stammtisch und der Boulevardpresse überlassen. Das
wäre die Folge, wenn wir als Verantwortliche uns vor der Diskussion über die Mitwirkungspflichten von Hartz-IVEmpfängern drücken würden. Dann würde die Diskussion Stammtischniveau haben, das Sie in Ihrem Antrag – verzeihen Sie bitte – allerdings schon längst unterschritten haben.
Was sind die Fakten? Der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit 2010 hat eine Ausgabensteigerung von 45 Milliarden c auf 54 Milliarden c, bei Einnahmen aus Beiträgen von 36 Milliarden c, Aufzehrung der Rücklagen von 2 Milliarden c und einem Zuschuss von 16 Milliarden c. Die höchsten Ausgabeposten mit über 40 Milliarden c sind die Hartz-IV-Bezüge. Die Ausgabensteigerung ist auf die verzögerte Reaktion der Zahl der ALG-II-Bezieher auf Wirtschaftskrise und Arbeitsmarkt zurückzuführen.
Die von dem Bundesverfassungsgericht vorgeschriebene und von uns gewollte Erhöhung der Sätze für Kinder erfordert weitere Mehrausgaben. Wenn in dem Antrag der GRÜNEN eine Anhebung der Regelsätze auf 420 c gefordert wird, müssen Sie auch sagen, das kostet 20 Milliarden c.
Wir müssen den Menschen ehrlich sagen, dass wir das Problem des Lohnabstandsgebots kurzfristig nicht vollständig lösen können. Es hat sich nach Wirtschaftsgutachten gar noch verschärft. Ein Single, der Hartz IV bezieht und einen Minijob hat, hat nicht weniger Geld im Vergleich zum ungelernten Arbeitnehmer in einer unteren Tarifgruppe. Ein Alleinverdiener einer vierköpfigen Familie muss brutto mehr als 2.500 c verdienen,um mit dem Hartz-IV-Bezieher gleichzuziehen.
Ich sage ausdrücklich: Wir wollen keine Regelsätze senken. – So auch die eindeutige Aussage des Ministerpräsidenten, „Welt“, 19.01.
Aber wir müssen der Altenpflegerin, dem Maler, dem Gebäudereiniger und dem Briefzusteller schon erklären, warum er um 6 Uhr aufstehen muss.
Meine Damen und Herren, warum habe ich gerade diese Berufsgruppen exemplarisch genannt? Die Antwort ist: Für diese Berufsgruppen existieren von den Tarifpartnern ausgehandelte Mindestlöhne, die nach dem Entsendegesetz für alle Arbeitnehmer der genannten Branchen gelten.
Herr Schäfer-Gümbel, deshalb geht Ihr Beitrag völlig ins Leere, wenn Sie diese Debatte mit der Forderung nach Mindestlöhnen verbinden und meinen, damit das Problem lösen zu können.
Wir können den Menschen diesen Sachverhalt nur erklären, insbesondere den Arbeitnehmern mit einem niedrigen Einkommen, wenn wir ihnen sagen, dass die meisten Hartz-IV-Empfänger eben keine Faulenzer sind,wenn wir alle Anstrengungen unternehmen, damit der Bezug von ALG II ein möglichst kurzer und rasch vorübergehender Zustand ist, und wenn wir die Gesamtausgaben nicht aus den Augen verlieren.
Deswegen sind wir dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er diese Diskussion öffentlich angestoßen hat.
An dieser Stelle ist es nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig, zu fragen, ob die Sanktionen, die gemäß § 31 SGB II verhängt werden, ausreichend wirksam sind.
Nach Angaben eines BA-Sprechers betrug der Anteil der ausgesprochenen Sanktionen 2,9 % im Jahr 2008, 2,7 % im Jahr 2007 und 1,9 % im Jahr 2006. Da stellt sich schon die Frage: Werden hiermit alle sanktionswürdigen Tatbestände erfasst? Ich frage das völlig leidenschaftslos.
Warum ist der Anteil der Sanktionen regional so unterschiedlich? In Bayern beträgt er 4,5 %, in Sachsen 2 %. Bezogen auf Landkreise sind es im Unterallgäu 8 %, in Ostvorpommern 1 % im Jahr 2007; im Jahr 2008 hatte ein Kreis in Thüringen 0,6 %, in Baden-Württemberg ein Kreis 6,6 % Sanktionen der BA gemeldet.
Führt der nicht unbedeutende Anteil an Sanktionen, die im Widerspruchs- oder Klageverfahren zurückgenommen werden, am Ende dazu, dass Sanktionen gar nicht ausgesprochen werden? Müssen die §§ 30 ff. SGB II gegebenenfalls klarer gefasst werden?
Im Jahr 2008 wurden 789.000 Sanktionen ausgesprochen, Mehrfachsanktionen sind auch mehrfach erfasst. Der Anteil der unter 25-Jährigen mit 256.000 ist daran relativ hoch.Bei unter 25-Jährigen war der Anteil 9,5 %,bei über 25-Jährigen 2,3 %.
Die Quoten unterscheiden sich nach Regionen und Altersgruppen, und das kann unterschiedliche Ursachen haben.Sie können die Sachdebatte haben:Treten Sanktionstatbestände häufiger auf? Werden sie häufiger überprüft? Oder sind die Angebote an Förderungs- und Arbeitsvermittlung unterschiedlich oder defizitär? Das muss geklärt werden, Schwachstellen müssen beseitigt werden.
Bei 57 % der Sanktionen war das Nichterscheinen zum vereinbarten Termin der Anlass, bei 17 % die Weigerung, eine Mitwirkungserklärung für Förderungsmaßnahmen zu unterzeichnen, bei 20 % die Ablehnung, eine angebotene Arbeit anzunehmen.
Zumindest die ersten beiden Tatbestände sind eine derartige Provokation, dass sich die Frage stellt, ob Kürzungen von 10 % beim ersten Mal hier ausreichend abschrecken.
Neben dem Thema effektive Sanktionen sind weitere Diskussionsfelder zu nennen, die zumindest ebenso wichtig sind: Sind die Regelungen zur Anrechnung von Zuverdiensten in der Praxis geeignet, den Betroffenen zu motivieren, zunächst einen höheren Zuverdienst anzustreben, um dann – vielleicht am selben Arbeitsplatz – einen Vollzeitjob anzustreben und damit das Hartz-IV-System zu verlassen?
Die ersten 100 c sind anrechnungsfrei,von 101 c bis 800 c dürfen nur 20 %, von 801 c bis 1.200 c nur 10 % behalten werden. Ist das ein ausreichender Anreiz?
Weitere Frage: Können von den Kommunen mehr Jobs für gemeinnützige Arbeit zur Verfügung gestellt werden? Übrigens wurden sie vor fünf Jahren in Frankfurt vom damaligen Dezernenten, einem Sozialdemokraten, als „Frankfurt-Jobs“ bezeichnet, um die Identifikation der Bürger mit der Gemeinschaft zu fördern.
Eine weitere Frage: Können die Sofortangebote zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erweitert werden? Bei Besuchen in Jobcentern sind wir immer wieder beeindruckt, wenn noch am Tag der Antragstellung etwas geschieht: Hilfe bei der Bewerbung, Kontakt mit einem möglichen Arbeitgeber, Terminvereinbarung zur Probearbeit.Das steigert die Vermittlungsquote.Ein kleiner Teil zieht den Antrag wegen der sofortigen Mitwirkungspflicht sofort wieder zurück.
Hier sind die Optionskommunen besonders leistungsfähig. Daher der Einsatz besonders unserer Landesregierung und unseres Ministerpräsidenten, die Zahl der Optionskommunen deutlich zu erhöhen.
Spätestens an dieser Stelle sollten wir doch alle froh sein, dass wir eine Landesregierung mit einem Ministerpräsidenten haben, der auch in Berlin kompetent, kämpferisch und zuweilen hartnäckig ist.
Unter den 6,6 Millionen ALG-II-Beziehern sind 600.000 Alleinerziehende. Es ist eine vordringliche Aufgabe, für diese Menschen bevorzugt einen Kindergartenplatz bereitzustellen, damit die Arbeitsvermittlung nicht an diesem Punkt scheitert.