Protokoll der Sitzung vom 04.03.2010

Auch nach der Unabhängigkeit des Kosovo gibt es dort für Rückkehrer aus der Volksgruppe der Roma keine soziale Infrastruktur, die ein Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen sicherstellen könnte. Ein Arbeitsmarkt, der ein Erwerbseinkommen ermöglichen würde, existiert nicht. Humanitäre Mindeststandards hinsichtlich Wohnen, Bildung und Gesundheitsversorgung sind für die jetzt noch im Kosovo lebende Roma-Bevölkerung durchweg nicht gesichert.

Die Rechtsberaterkonferenz sieht es als ein zwingendes Gebot der Humanität an, den aus dem Kosovo in der Vergangenheit in die Bundesrepublik geflüchteten Roma einen sicheren Aufenthalt zu geben. Diese Forderung folgt nicht zuletzt aus der besonderen geschichtlichen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Volksgruppe der Roma. Bundesregierung und Landesregierungen werden aufgefordert, den Betroffenen statt Deportationsdrohungen Aufenthaltserlaubnisse zu gewähren.

DIE LINKE findet es jedenfalls nicht zumutbar, Menschen in ein Land zu schicken, in dem der Minderheitenschutz weiterhin nur auf dem Papier steht.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE findet es nicht zumutbar, Menschen in Armut und Rechtlosigkeit abzuschieben. Sie findet es nicht zumutbar, Kinder abzuschieben, die zehn Jahre und länger in Deutschland gelebt haben und das Kosovo nur aus Erzählungen kennen.

Auch am zweiten Jahrestag der Unabhängigkeit des Kosovo am 17. Februar hat UNICEF auf die extrem schwierige Lebenssituation und die mangelnde Integration von Roma-Kindern in dem noch immer vom Bürgerkrieg gezeichneten Land aufmerksam gemacht. Wir fordern die Landesregierung auch angesichts der Ergebnisse der Großen Anfrage daher auf: Stoppen Sie Abschiebungen in Not und Elend. Sorgen Sie in der Innenministerkonferenz für eine dauerhafte Perspektive für die hier lebenden Roma-Flüchtlinge. Helfen Sie, ein Asylrecht zu schaffen, das Menschen Schutz vor einer Abschiebung in Länder gewährt, die die Menschenrechte verletzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Leisten Sie einen Beitrag zur dauerhaften Stabilisierung des Kosovo. Dann werden die Antworten auf unsere jährliche Große Anfrage im Jahre 2011 vielleicht anders ausfallen. Ich würde es mir wünschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Meine Damen und Herren, ich begrüße auf der Besuchertribüne den Botschafter von Singapur, Seine Exzellenz Jacky Foo Kong Seng. Seien Sie uns herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Es wird Ihnen im Hessischen Landtag bestimmt gefallen. Alles Gute.

Nächste Wortmeldung, Kollege Bellino, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Große Anfrage zum Thema Abschiebungen zu stellen ist sicher legitim. In der Anfrage aber bereits zu unterstellen, es gebe eine inhumane Abschiebepraxis in Hessen, ist nicht nur nicht legitim, sondern geht auch an der Realität vorbei und beleidigt vor allem alle, die sich über Jahre intensiv mit diesem wichtigen und schwierigen Thema auseinandergesetzt haben und auseinandersetzen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Cárdenas, im Übrigen bin ich nicht sicher, ob Sie zu Ihrer Großen Anfrage gesprochen haben oder ob Sie aus Ihrer Sicht einen allgemeinen Überblick über die Asylpolitik gegeben haben. Das hätte ich in einer Aktuellen Stunde gemacht oder einen entsprechenden Antrag gestellt.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Sie hat doch gerade Zahlen genannt!)

Wenn ich davon sprach,dass sich sehr viele Menschen und Institutionen sehr intensiv mit dieser Thematik und vor allem mit den einzelnen Personen und menschlichen Schicksalen, die damit verbunden sind, auseinandersetzen, dann gilt dies nicht nur für die Politiker, die dies z. B. im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission tun, sondern auch für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, für die Ausländerbehörden, für verschiedene Ministerien – nicht nur für das Innenministerium –, aber auch für Polizisten und Gutachter.All die wischen Sie weg und beleidigen Sie, indem Sie sagen: Das, was ihr dort macht, ist inhuman.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Als ob ihr etwas anderes macht!)

Dass diese Unterstellung ausgesprochen wird, bevor überhaupt eine Antwort vorliegt, zeigt, wie ernst Sie dieses Thema nehmen.Ihnen geht es um einen aus Ihrer Sicht wohlverstandenen Populismus. Dort, wo Sie ideologisch herkommen, wurden die Menschen nicht abgeschoben oder zurückgeführt, sondern sie wurden schlicht und ergreifend eingesperrt.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Bellino, Sie wissen, dass ich aus Neu-Anspach komme!)

Ich habe „wo Sie ideologisch herkommen“ gesagt. Sie wissen ganz genau, was ich meine. – Legen Sie erst einmal Ihre Vermögensverhältnisse und die Ihrer Partei offen. Sagen Sie, woher das Geld kommt und ob Sie es versteuern. Dann können wir darüber reden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir jedenfalls verwahren uns gegen diese Unterstellungen und auch gegen diese verkürzte Darstellung.Vor allen

Dingen verwahren wir uns gegen diesen verzerrten Blickwinkel.

Deutschland, auch Hessen – darauf muss hingewiesen werden –, hat mit Sicherheit eines der liberalsten Gesetze, wenn es um die Asylpolitik geht, und zeigt viel Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Als Deutsche – gerade auch in Hessen – kommen wir damit unserer besonderen Verantwortung nach, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg tragen.

Für uns sind Rückführungen die Ultima Ratio. Sie sind nicht das Ziel,sondern das Resultat einer ergebnisoffenen Prüfung. Das sind Prüfungen, die nicht nur im politischen Raum stattfinden. Wenn es so ist, dann erfolgen sie aufgrund von eingeholten Informationen, von Vor-Ort-Analysen, die in den Zielländern permanent angestellt werden, und von Mitteilungen des Bundesamts. Aber sie erfolgen auch aufgrund von Entscheidungen verschiedener Gerichte und der Ausländerbehörden. Erst dann kommen, wie gesagt, die politischen Gremien zum Einsatz.

Schon die rechtliche Verankerung des Asylrechts – der gesamten Regelungen in diesem Zusammenhang – zeigt, dass die Abschiebungen immer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und dass dem Verfolgten, sofern das Zielland noch durch eine entsprechende Situation gekennzeichnet ist, hier Schutz geboten wird.

Die aktuelle Rechtslage und die politischen Entscheidungen wiederum zeigen, dass man humanitäre Aspekte bei diesen Entscheidungen sehr hoch bewertet.

Ich nenne nur ein paar Beispiele. Eines ist das Verfahren in der bei uns eingerichteten Härtefallkommission. Wenn rechtlich in der Tat nichts mehr geht, setzen wir uns zusammen – oder diejenigen, die jetzt Mitglieder sind – und suchen nach Lösungen.

Außerdem nenne ich die Altfallregelung.Wir wissen, dass 63 % der Fälle, um die es dort ging, tatsächlich positiv, d. h. im Sinne der Petenten, entschieden wurden, und dies, obwohl es keinerlei rechtliche Handhabe gab,sondern aus rein humanitären Gründen.

Drittens führe ich stellvertretend die Verlängerung der Bleiberechtsregelung an, von der all jene profitieren, die zum einen nicht die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen und denen es zum anderen in dieser Karenzfrist nicht gelungen ist, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie bekommen für zwei weitere Jahre die Chance, dies zu tun. – Dies ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite der Medaille wird von Ihnen meines Erachtens immer ausgeblendet. In der Regel handelt es sich nämlich bei denen, über die Sie hier sprechen, um Personen, die keinen Aufenthaltstitel haben, die sich teilweise seit Jahrzehnten, zumindest aber seit Jahren illegal in Deutschland aufhalten und dieses Land eigentlich verlassen müssten.Wenn sie es nicht freiwillig verlassen,obwohl sie des Öfteren dazu aufgefordert wurden,muss von staatlicher Seite eine Rückführung eingeleitet werden. Es ist bedauerlich, dass damit immer wieder Kosten verbunden sind.

Eine solche Rückführung einzuleiten gebietet aus unserer Sicht die Gerechtigkeit gegenüber der deutschen, Steuern zahlenden Gesellschaft, aber auch der Respekt vor all denen,die freiwillig ausgereist sind.Das darf nicht vergessen werden. Man muss immer wieder erwähnen, dass die meisten freiwillig ausreisen.Deshalb ist es richtig,dass wir von staatlicher Seite Zuschüsse leisten, um dies zu unterstützen.

Betrachtet man die Antworten auf diese Große Anfrage im Detail, wird auch deutlich, wie sensibel man im Fall einer Rückführung vorgeht. Natürlich ist es so, dass Hessen eine große Bedeutung hat, insbesondere der Flughafen Frankfurt als internationales Drehkreuz. Die hohe Zahl der Fälle, in denen eine Begleitung durch die Polizei oder – vor allem – durch medizinisches Personal stattfindet, zeigt,dass die humanitären Aspekte sehr ernst genommen werden, wenn Rückführungen zu erfolgen haben.Auf die Arztbriefe und auf die Medikamente, die mitgegeben werden, möchte ich ebenfalls hinweisen.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir sind der Meinung, die Antworten zeigen, dass die Rückführungen nicht nur verhältnismäßig sind, sondern sich immer an völkerrechtlichen, gesetzlichen und humanitären Gesichtspunkten orientieren. Bei diesem Dreiklang soll es auch in Zukunft bleiben. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. – Das Wort hat der Abg. Ernst-Ewald Roth von der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der LINKEN ist eine echte Fleißarbeit. Es sei mir nur die Bemerkung gestattet: Wenn man eine solche Fleißarbeit macht, sollte man in aller Regel die Quelle angeben.

(Leif Blum (FDP): Das war doch beim Bundestag abgeschrieben!)

Die Quelle ist die Anfrage,die im März im Bundestag vorgelegen hat – wo sie aus meiner Sicht auch richtig platziert war. Sie ist um die eine oder andere Frage ergänzt worden, die uns in Hessen insofern betrifft, als dies Ländersache ist.Aber auch das Innenministerium hat eine Fleißarbeit geleistet. Es hat die einzelnen Punkte sauber beantwortet. Dabei ist ein beachtliches Zahlenwerk herausgekommen.

Meine Damen und Herren, wenn es um Menschen geht, die, berechtigt oder unberechtigt, um ein Bleiberecht nachsuchen, verbietet es sich, nur über Zahlen zu reden. Angesichts dieser Situation möchte ich gern ein paar grundsätzliche Anmerkungen machen.

Abschiebung – so, wie das dort genannt wird – ist nicht gleich Abschiebung. Ich rede nicht über Straftäter; darüber brauchen wir an dieser Stelle nicht zu sprechen. Ich rede vielmehr über die Menschen, die es nicht verdient haben, dass wir auf ihrem Buckel zusätzlich eine politische Debatte führen. Ich rede über die Menschen, die mich glauben lassen, dass jede Abschiebung eine Abschiebung zu viel ist.

(Beifall bei der SPD)

Zu den grundsätzlichen Bemerkungen.

(Peter Beuth (CDU): So absolut, Herr Kollege?)

Ich differenziere noch. – Wir brauchen, um dem Thema auf eine Art und Weise zu begegnen, die den Menschen angemessen ist, ein ordentliches Regelwerk. Das haben wir; das glaube ich zumindest. Davon bin ich überzeugt. Wir haben Gesetze, die das regeln.Wenn wir sie nicht hät

ten, wäre jede Entscheidung über eine Abschiebung Willkür: einmal so, einmal so.

Aber jenseits aller gesetzlichen Regelungen gibt es menschliche Situationen, die es zu klären und zu bewältigen gilt. Im letzten Plenum haben wir den Bericht des Petitionsausschusses für das zurückliegende Jahr vorgelegt. In dem Zusammenhang habe ich gesagt, es gibt einen Punkt, an dem wir mit allen rechtlichen Regelungen an eine Grenze stoßen und dennoch den Menschen, die davon betroffen sind, gerecht werden müssen. Deshalb gilt hier das alte Wort: Gnade vor Recht.

Jede Entscheidung – ich weiß, wovon ich als Mitglied des Petitionsausschusses und als Mitglied der Härtefallkommission rede – über eine Abschiebung ist, wenn man sich mit dem menschlichen Schicksal auseinandersetzt, eine Zerreißprobe.

Rein kommt man da nicht heraus. Da muss man Entscheidungen treffen.Die Kollegin der LINKEN,Frau Cárdenas, die mit im Ausschuss sitzt, weiß, dass man in der einen oder anderen Situation für eine Abschiebung stimmen muss, weil wir nach Prüfung vieler Punkte zu keinem anderen Ergebnis kommen. Das ist dann aber nicht inhuman.