Protokoll der Sitzung vom 04.03.2010

Rein kommt man da nicht heraus. Da muss man Entscheidungen treffen.Die Kollegin der LINKEN,Frau Cárdenas, die mit im Ausschuss sitzt, weiß, dass man in der einen oder anderen Situation für eine Abschiebung stimmen muss, weil wir nach Prüfung vieler Punkte zu keinem anderen Ergebnis kommen. Das ist dann aber nicht inhuman.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sonst wird sie nicht durchgeführt!)

Ich will an dieser Stelle noch etwas anderes nennen,damit wir den Menschen nicht unrecht tun, die mit bester Absicht und mit bestem Wissen und Gewissen dort tätig sind. Wir haben sie am Flughafen in Frankfurt besucht. Sie leisten hervorragende Arbeit und die verschiedensten Dienste am Flughafen. Sie sind darum bemüht, dass das ganz human zugeht.Man kann sich vor Ort überzeugen,dass da nicht etwas auf die Schnelle durchgesetzt wird und dass die Menschen ordentlich behandelt werden. Man darf nicht davon reden, dass das inhuman sei.

Eines ärgert mich. Wir haben im Gespräch mit diesen Menschen erfahren, wie notwendig es wäre, dass die, die wir in ihr Land zurückschicken, 50 c in der Hand haben, also ein Handgeld, mit dem sie die ersten Schritte machen könnten, nachdem sie am Flughafen ihres Heimatlandes angekommen sind, oder mit dem sie sich eine Busfahrkarte kaufen könnten. Dass wir es nicht geschafft haben, die Einführung dieses Handgeldes gemeinsam zu beschließen, ist ärgerlich.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Vorprüfungskommission hat in diesem Bereich vor wenigen Wochen Erfahrungen gesammelt. Sie war sowohl im Petitionsausschuss in Bremen als auch im Petitionsausschuss in Düsseldorf. Der Grund war, sich mit den Onlinepetitionen zu beschäftigen.

Eines ist mir dort aufgefallen. Wir haben das bei der Reflexion der Reise in der Vorprüfungskommission ausgetauscht. Auch in diesen beiden Ausschüssen gibt es Fraktionen. Auch dort gibt es Parteien und Parteiungen. Aber eines fällt auf: In den Petitionsausschüssen dort gibt es ein gemeinsames Vorgehen. Da werden Entscheidungen nicht in erster Linie politisch, sondern im Sinne des Humanum getroffen. Ich sage: Das ist bekanntlich parteiübergreifend.

Das wendet sich in keiner Richtung als Vorwurf.Vielmehr sollten wir um der Menschen willen, deren Fälle wir jedes Mal neu vor uns liegen haben und über die wir entschei

den müssen, sie nicht zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung machen, sondern um derer willen, um die es da geht, das Humane in den Vordergrund stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn uns das immer mehr gelingen sollte, dann würden wir auch auf diesem Weg einen wichtigen Beitrag zur Integration in diesem Land leisten. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Kollege Roth, vielen Dank. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Mick.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen,meine Herren! Die Große Anfrage der LINKEN behandelt ein durchaus wichtiges Thema.Trotzdem frage ich mich ein bisschen, was genau der Sinn dieser Großen Anfrage war. Denn – Herr Kollege Roth hat darauf hingewiesen – die meisten Informationen ergeben sich in der Tat aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus dem Bundestag mit identischem Wortlaut.

Ich hätte einen eigenen Antrag von Ihnen zu diesem Thema zielführender gefunden, in dem Sie Ihre Position zu der ganzen Thematik dargelegt hätten. Dann hätten wir wirklich etwas gehabt, anhand dessen wir hätten diskutieren können.

Gleichwohl, das Thema Abschiebung ist ein wichtiges Thema. Insofern ist es auch lohnenswert, dass wir in diesem Rahmen einmal über dieses Thema diskutieren.

Über das Thema Abschiebung kann man meines Erachtens nicht diskutieren, ohne auch über die gesetzlichen Grundlagen zu sprechen, d. h. über das Bleiberecht, das Aufenthaltsrecht und das Ausländerrecht.

Wir alle wissen, dass das Aufenthaltsrecht einen Kompromiss zwischen humanitären Interessen auf der einen Seite und den natürlich berechtigten Sicherheitsinteressen eines Landes, dessen sozialen Interessen und natürlich auch dessen ökonomischen Interessen auf der anderen Seite herstellen muss. Hier gilt es also, eine ganz schwierige Balance zu wahren.

Wir müssen auf der einen Seite anerkennen, dass es zu Tausenden Menschen gibt, die hier leben, integriert und engagiert sind und sich wirklich vorbildlich für das Gemeinweisen einsetzen.Wir müssen diesen Menschen eine Perspektive bieten.

Auf der anderen Seite ist es natürlich auch klar,dass Straftäter, die das Gastrecht missbraucht haben, abgeschoben werden müssen. Insofern ist das eine schwierige Balance. Wir müssen uns meines Erachtens wirklich fragen, ob das aktuelle Ausländerrecht und die aktuellen gesetzlichen Regelungen diese Balance heutzutage noch gewährleisten.

Wir alle nehmen die aufsehenerregenden Berichte in den Medien wahr. Wir lesen, dass bestens integrierte Schülerinnen und Schüler, die vorbildliche Noten haben und möglicherweise sogar hochbegabt sind, direkt nach dem Ablegen ihres Abiturs abgeschoben werden. Auf der an

deren Seite gibt es Straftäter, die teilweise nicht abgeschoben werden können. Es ist natürlich logisch, dass solche Fälle, die in den Medien Aufsehen erregen, bei der Bevölkerung das Gefühl wecken: Irgendetwas stimmt mit den gesetzlichen Regelungen nicht. – Ich denke, das zeigt, dass diese Regelungen überprüft werden müssen.

Auch wenn die Verlängerung des Bleiberechtskompromisses durch die Innenministerkonferenz ein guter und ein sehr begrüßenswerter Schritt ist, so führt doch kein Weg daran vorbei, eine umfassende Reform des Bleiberechts auf Bundesebene durchzuführen. Hierzu muss unter anderem die Frage geklärt werden, in welchen Fällen eine Verletzung der Mitwirkungspflicht zu einem Ausschluss vom Bleiberecht führen soll und auf welchen Zeitpunkt dabei abzustellen ist. Es führt natürlich schon zu Bedenken, wenn bereits ein einmaliges, lang zurückliegendes Fehlverhalten, etwa eine falsche Angabe über das Alter eines mitgeflohenen Kindes, zu einem Ausschluss vom Bleiberecht führt.

Darüber hinaus ist es erforderlich, eine spezielle Regelung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu schaffen, die der regelmäßig schnelleren Integrationsleistung Rechnung trägt, etwa durch die Möglichkeit, dass sie einen sicheren Aufenthaltsstatus bereits nach kürzerer Aufenthaltsdauer erlangen.Auf den Prüfstand gehört weiterhin die Möglichkeit, Personen allein deswegen von der Bleiberechtsregelung auszuschließen, weil sie aus einem bestimmten Herkunftsland stammen.Auch hier stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem internationalen Flüchtlingsrecht.

Schließlich sind für die Menschen, die hier leben, die bürokratischen Hürden für die Einstellung und Beschäftigung der Ausländer deutlich zu senken. Auf der einen Seite bringt das den Unternehmen und der Gesellschaft etwas. Auf der anderen Seite nützt es den Menschen. Wenn die Menschen hier arbeiten können, verhindert das zugleich oftmals die befürchtete Zuwanderung in die Sozialsysteme.

Hierzu ist in einem ersten Schritt die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit nach den §§ 39 bis 43 Aufenthaltsgesetz deutlich zu begrenzen. Unternehmen ist deutlich mehr Freiraum zu geben. Dass ein Unternehmen einen Arbeitnehmer einstellen will, sollte genügen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sollte nicht unnötig erschwert werden.

Das Thema Integration ist, auch dank der zahlreichen Initiativen der Hessischen Landesregierung, mittlerweile nicht nur ein Kernthema der hessischen Politik, sondern auch der Bundespolitik. Insofern gehe ich davon aus, dass uns diese Diskussion auch weiterhin begleiten wird. Ich hoffe – davon gehe ich aus –, dass es der jetzt amtierenden Bundesregierung gelingen wird, eine für alle Seiten tragbare humanitäre Lösung und ein dauerhaft gutes Bleiberecht zu schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Herr Kollege Mick, vielen Dank. – Das Wort erhält nun Frau Kollegin Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben schon mehrmals bekräftigt, dass Abschiebungen ein wichtiges Thema sind und dass es deswegen auch heute hier behandelt werden darf und soll. Es wird nicht im Rahmen eines Antrags irgendeiner Fraktion, sondern im Rahmen der Beratung einer Großen Anfrage und deren Antwort behandelt.

Zugegebenermaßen waren viele Fragen schon beantwortet.Aber ich glaube, wir sollten der Situation und der Thematik gerecht werden.Wir haben heute sehr viel über die gesetzliche Lage gehört. Wir haben sehr viel darüber gehört, dass das Gesetz in manchen Fällen nicht in der Art greift, in der es greifen müsste.

Ich möchte aber meine Rede gerne dazu nutzen, einfach einmal ein paar konkrete Beispiele und Schicksale zu nennen, die wir alle in der einen oder anderen Art und Weise in den Medien schon wahrgenommen haben.Aber vielleicht ist es auch einmal ganz gut, hier komprimiert darüber zu sprechen.

Es ist so, dass wir im Land Hessen oft Zeuge davon werden, dass sogenannte faktische Inländer abgeschoben werden. Es sind unterschiedliche Situationen. Es sind unterschiedliche Konstellationen.Aber es ist ein trauriger Sachstand, den wir heute meiner Meinung nach hier zur Kenntnis nehmen sollten.Wenn wir uns die einen oder anderen Beispiele anschauen, dann stellen wir fest, dass Jugendliche ihre Schulbildung abbrechen müssen und abgeschoben werden, wie z. B. in dem Fall des 17-jährigen Armeniers aus Eschwege, den wir beim letzten Mal kurz diskutiert haben.

Wir haben z. B. den Fall der Familie Kazan. Der liegt zwar etwas zurück.Aber auch da mussten die Kinder ihre Ausbildung abbrechen und sind abgeschoben worden.Wir haben Fälle von alleinstehenden Frauen, die abgeschoben werden. Dazu möchte ich nachher kurz das eine oder andere Beispiel nennen. Wir haben auch Familien, die auseinandergerissen und quasi zurückgewiesen werden.

Das sind alles menschliche Tragödien, die wir auf der einen Seite zur Kenntnis nehmen und denen wir auf der anderen Seite mit gebundenen Händen zuschauen sollen. Das finden wir GRÜNE nicht in Ordnung. Wir würden gerne eine stärkere Abschiebebeobachtung einführen wollen.Ich finde auch,dass wir in den nächsten Jahren das Thema Migration und Integration zusammen denken müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Ein Beispiel, wie Familien auseinandergerissen werden können, obwohl man von außen betrachtet sagen müsste: Es ist doch alles in Ordnung,warum musste eigentlich hier der Familienangehörige gehen? – Es ist an mich ein Fall aus dem Wetteraukreis, der auch in den Medien war, herangetragen worden, wo beispielsweise ein Vater abgeschoben worden ist, der eigentlich nur zur Ausländerbehörde gegangen ist, um seine Duldung zu verlängern. Seine Frau ist hochschwanger. Sie hat einen festen Aufenthaltsstatus. Sie haben ein gemeinsames Kind, das in Deutschland geboren wurde. Der Mann hat sogar seine Existenz durch einen kleinen Betrieb gesichert gehabt.

Er ging zur Ausländerbehörde und wollte eigentlich nur seine Duldung verlängern. Er ist sofort in Polizeibegleitung zum Flughafen gebracht und abgeschoben worden.

Wahrscheinlich wird dieser Mensch aufgrund der Familienzusammenführung wieder zurückkommen können. Aber Tatsache ist, dass er erst einmal abgeschoben worden ist, obwohl es nach einem Bericht der Familie heißt, sie hätten sogar eine freiwillige Ausreise angeboten, die nicht angenommen worden sei.Jetzt haben wir einen konkreten Fall aus dem Wetteraukreis, wo die Familie getrennt ist, wo beispielsweise eine sehr zerrüttende Situation besteht und die Existenzsicherung hin ist. Musste das sein, fragt man sich von außen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nein, das musste nicht sein. Wir haben auch den anderen Fall einer Familie Kpakou aus Togo, den wir in den letzten Jahren aus den Medien erfahren durften, die beispielsweise schon 2006 abgeschoben worden ist.Es ist auch eine Entscheidung in Hessen gewesen. Es ist eine Entscheidung gewesen, mit der eine elfköpfige Familie auseinandergerissen worden ist. Der Vater ist schwer krank. Er ist immer noch in Deutschland. Die Familie wurde damals mit dem allerersten Sammelabschiebeflug, der in Deutschland organisiert wurde, abgeschoben. Wir haben jetzt die Situation, dass der schwer kranke Vater in Deutschland ist, die Mutter mit den kleinen Kindern im englischsprachigen Ghana, die ältere Tochter in Togo; die Schwester ist verschollen. Meine Damen und Herren, auch hier ist eine Existenz zerrüttet worden, zu der man beim genauen Hinsehen sagen kann: Hätte man nicht einen anderen Weg finden können?

Ich habe eben darüber gesprochen, dass auch alleinstehende Frauen abgeschoben werden. Hier ist jüngst ein Fall herangetragen und meiner Meinung nach zu Recht in den Medien diskutiert worden,und zwar von einer 52-jährigen Armenierin, die gemeinsam mit ihren Töchtern im Haushalt lebte, die einen 400-c-Job hat. Die Töchter haben einen gesicherten Aufenthalt. Sie hat auf die Enkelkinder aufgepasst. Sie ist zur Ausländerbehörde gegangen, nur um die Duldung zu verlängern.

Auch da sind wir Zeugen eines Falles. Die Duldung wurde nicht verlängert. Stattdessen wurde die Frau sofort zum Flughafen gebracht,hatte nicht die Möglichkeit,von ihren Kindern Handgeld oder überhaupt Geld mitzubekommen, und ist ohne Koffer und ohne Hab und Gut abgeschoben worden. Auch hier hat sich eine breite Öffentlichkeit dafür eingesetzt, dass sie zurückkehren kann. Der Arzt, bei dem sie gearbeitet hat, hat sich dafür eingesetzt, dass die Frau zurückkommen kann. Doch es gibt keine Möglichkeit.

Wenn man sich diese Einzelfälle und diese Schicksale anschaut, bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, welche dramatischen Hintergründe da ablaufen. Ich finde, wir als Politikerinnen und Politiker haben natürlich die Pflicht, das Gesetz zu achten und zu wahren.Wir haben aber auch die Pflicht,Gesetze zu prüfen und zu schauen,ob sie überhaupt noch der Realität entsprechen.

Wenn sie nicht der Realität entsprechen, würde ich mir wünschen,dass man fraktionsübergreifend neue Regelungen findet, würde ich mir wünschen, dass man fraktionsübergreifend einen Konsens findet; denn im Grunde genommen geht es um faktische Inländer, die eine echte Chance haben sollten, sich in Hessen eine Perspektive aufzubauen. Wenn wir auf der einen Seite die Diskussion über Demografie betreiben, wenn wir auf der anderen Seite sehen, Integration ist lohnenswert, und wenn wir auf der dritten Seite sagen, der Mensch ist für uns wichtig,

dann müssen wir unsere Politik und unseren Ansatz neu denken.

Ich würde mir wünschen, dass im Jahr 2010 diese dramatischen Abschiebefälle nicht mehr vorliegen.Es ist uns klar, dass in gewissen Situationen von Abschiebungen nicht abgesehen werden kann. Auch da sind wir die Letzten, die sagen, alle und jeder müssen hierbleiben. Aber bei Familie, bei allein reisenden Kindern, bei Frauen und bei Schwerkranken müssen wir hinschauen. Hier haben wir eine humane Pflicht. Ich denke, dass es uns gut anstünde, wenn wir den kritischen Blick nicht verlieren würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatssekretär Rhein das Wort.

(Peter Beuth (CDU): Jetzt geht es los!)

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich sehr herzlich für dieses wohltuende Klima der Sachlichkeit bedanken, in dem wir ein in der Tat schwieriges, aber auch sehr komplexes Thema diskutieren. Frau Abg. Cárdenas, ich möchte dennoch deutlich sagen: Ich weise energisch zurück, dass es in Hessen oder in Deutschland eine inhumane Abschiebepraxis gibt.