Die gesellschaftliche Teilhabe erschöpft sich doch nicht in der Familienförderung oder in der Altenpflege, sondern bezieht sich auch auf das Recht auf Wohnen, auf Mobilität,auf Teilhabe,und zwar bis ins höchste Alter.Aber das spielt bei Ihnen offensichtlich keine Rolle.
Der Name „Arbeit, Familie und Gesundheit“ deckt auch einen weiteren wichtigen Bereich dieses Ministeriums nicht ab, nämlich Kinder und Jugendliche. Meine Damen und Herren, Kinder und Jugendliche haben ein umfassendes Recht auf Förderung, auf frühkindliche Bildung, auf Teilhabe und auf Chancengerechtigkeit.All das erschöpft sich nicht in Familienförderung. Kinder und Jugendliche haben ein eigenständiges Recht auf Förderung.Deswegen muss der Name des Ministeriums den Begriff „Soziales“ enthalten.
Meine Damen und Herren, Menschen geraten genauso wie Banken und Unternehmen in Not. Sie haben Anspruch auf Hilfe. Sie werden arbeitslos, sie erkranken, sie
werden geschieden, sie haben plötzlich mit Problemen zu tun, mit denen sie nie gerechnet hatten und auf die sie nicht vorbereitet sind. Diesen Menschen zu helfen, macht eine moderne Sozialpolitik aus.
Wenn Sie diesen Begriff nicht aufnehmen wollen, nenne ich Ihnen ein Beispiel. Die Schuldnerberatung – da werden Sie mir recht geben – gehört weder zu Arbeit noch zu Familie, noch zu Gesundheit. Die Schuldnerberatung hat seit der „Operation düstere Zukunft“ Wartezeiten von über einem halben Jahr. Wir sehen, wie im Moment mit Banken und Unternehmen umgegangen wird. Familien, die in Not geraten, die in die Schuldenspirale hineingeraten, müssen ganz schnell Hilfe erhalten. Diese erhalten sie im Moment in Hessen nicht.
Seit Wochen gibt es in den Zeitungen eine Diskussion. Was heißt Diskussion? Die Mitglieder der Landesregierung,vor allem Herr Banzer und Frau Müller-Klepper,äußern sich in verschiedensten Zeitungen, um zu versuchen, zu begründen, warum das Ministerium den seltsamen Namen hat, den übrigens kein Ministerium in einem anderen Bundesland hat. Da ist Hessen ganz, ganz hinten.
So sagt Frau Müller-Klepper, die Staatssekretärin, z. B. im „Wiesbadener Kurier“, der Name würde nur die drei Schwerpunktbereiche Arbeit, Familie und Gesundheit deutlich herausheben. Frau Müller-Klepper, der Name eines Ministeriums ist kein politisches Programm, sondern die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, zu wissen, welches Ministerium für welche Themen zuständig ist. Diese Information enthalten Sie den Bürgerinnen und Bürgern vor.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Leif Blum (FDP): Für wie dumm halten Sie die Leute eigentlich?)
Das ist ein guter Zwischenruf. – Eine andere Sprecherin der Landesregierung, ich weiß nicht, welche, hat gesagt, man habe das Wort „Soziales“ wegen der besseren Verständlichkeit des neuen Namens für ein breites Publikum weggelassen. Meine Damen und Herren, nach zehn Jahren Regierung Koch, nach der bereits erwähnten „Operation düstere Zukunft“ mit ihrem Sozialabbau, mit der größten Demonstration, die wir in Hessen hatten: Sie glauben doch nicht, dass das hessische Publikum so blöd ist, dass sie den Begriff „Soziales“ nicht verstehen könnten. Was Sozialabbau ist, haben sie verstanden, und sie wissen, wofür ein modernes Sozialministerium zuständig ist.
Meine Damen und Herren, Arbeit, Familie und Gesundheit sind sicher wichtige Zukunftsfragen. Das will keiner bestreiten. Aber das gilt ebenso für sozialen Frieden, für soziale Hilfen und für den politischen Willen zur sozialen Gerechtigkeit. – Ich danke Ihnen.
(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg – Gegenruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE): Ich glaube, Sie wissen nicht, was geringfügige Beschäftigung ist! Das sind nämlich die Löhne,die dieses Land zahlt! – Gegenruf des Ministers Michael Boddenberg: Sie sollten nicht den Falschen beschimpfen! – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können wir an dem Gespräch teilhaben?)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, im Grunde genommen kann man Ihrem Antrag nicht zustimmen. Denn ich finde, mit nichts entlarvt sich die Regierung in ihrer unsozialen Politik besser als mit dem neuen Ministeriumsnamen.
Ich erwarte doch von einem Ministerium, wo „sozial“ draufsteht, dass auch Soziales drin ist. Wenn ich mir den Koalitionsvertrag anschaue, dann muss ich sagen, dass wir nicht im Ernst mit einer Sozialpolitik rechnen können. Warum sollte die Regierung und mit ihr der dafür zuständige Minister so tun, als ob? Aus dieser Warte ist es nur folgerichtig – –
(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Leif Blum (FDP):Sozialer als Ihre Mitarbeiterverträge! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie etwas zu Ihren Mitarbeiterverträgen! Das war sogar bei den Kommunisten ein Streitgespräch! Sie mussten doch zurückrudern!)
Meine Mitarbeiter haben exakt das Gehalt bekommen, das dieser Landtag bezahlt. Wenn Sie der Meinung sind, dass das zu wenig ist, dann kehren Sie doch einfach in die Tarifgemeinschaft der Länder zurück. Dann können wir das Gehalt ein bisschen erhöhen. Das wird auch allerhöchste Zeit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat Frau Schott. Ich bitte doch um etwas mehr Aufmerksamkeit.
Wenn Herr Banzer meint, „sozial“ sei zu abstrakt und zu theoretisch, dann stimmt das für die Politik der CDU und der FDP durchaus. Richtig müsste der Antrag meiner Meinung nach heißen: Der Landtag missbilligt, dass es in Hessen keine Sozialpolitik mehr gibt.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Das ist schon seit zehn Jahren der Fall! Deswegen hat es nicht gepasst! – Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))
Da haben wir den Vorteil,dass wir erst ein Jahr hier sind. In dem Fall können wir noch anders daran herummeckern.
(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch besser wäre, die Regierung würde sofort zurücktreten! – Gegenruf der Abg. Judith Lannert (CDU))
Ich glaube, wir können das. – Hier ist also klar geregelt, dass das Soziale nicht dem Goodwill einer Regierung überlassen ist,sondern es ist in unserem Grundgesetz festgeschrieben. Nach Roman Herzog ist es bindende Staatsleitlinie.Vielleicht sollten Sie sich das merken.
Herr Banzer, wenn Sie noch Unterstützung dabei brauchen, das Abstrakte mit der Leitlinie in Einklang zu bringen,brauchen Sie dafür unsere Hilfe nicht.Sie können das in diversen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen und diese zu Rate ziehen, in denen das ausführlichst beleuchtet wird. Da heißt es unter anderem, Recht und Pflicht zur Sozialfürsorge seien vom Grundgesetz dem Staat verliehen und auferlegt.
Nach den sozialen Kürzungen der Landesregierung, die sie zynischerweise auch noch „Operation sichere Zukunft“ genannt hat, steht diese „sichere Zukunft“ jetzt in Form einer Weltwirtschaftskrise vor uns,wie sie sich kaum jemand vorstellen konnte. In dieser Situation das Soziale endgültig zu eliminieren ist eine Missachtung der Nöte und Bedürfnisse der Menschen in unserem Lande, aber auch des Grundgesetzes. Dabei dachte ich, Sie hätten sich immer als die Hüter dieses Grundgesetzes verstanden.
DIE LINKE fordert die Landesregierung auf, sich angemessen – das heißt für uns: vollumfänglich – um diese sozialen Fragen in unserem Land zu kümmern und das dafür verantwortliche Ministerium selbstverständlich entsprechend zu nennen, nämlich Sozialministerium. Sollten Sie es aber vorziehen, auf die Sozialpolitik zu verzichten, dann sind wir Ihnen durchaus dankbar, dass Sie auf das Feigenblatt der Namensgebung auch verzichtet haben.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie in Lexika nach der Definition der Sozialpolitik suchen, finden Sie eine allgemeine, abstrakte Beschreibung, die zeitunabhängig ist. Darüber hinaus werden aber aktuelle Fragen der Sozialpolitik genannt, die allerdings einem ausgeprägten zeitlichen Wandel unterliegen.
Mitte des 19. Jahrhunderts stand die Fürsorgepflicht ganz im Vordergrund, Ende des 19. Jahrhunderts der erste Aufbau staatlicher Sozialsysteme. Seit der Weimarer Republik war es der Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Stärkung der Arbeitnehmerrechte. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen der Ausgleich der Kriegsfolgelasten und der Aufbau moderner Sozialsysteme, übrigens durch CDU-Politiker, ganz im Vordergrund.
Seit Mitte der Siebzigerjahre wurde die Sozialpolitik durch die sogenannten neuen sozialen Fragen geprägt, übrigens auch als Erstes erkannt von den CDU-Politikern Biedenkopf und Geißler. Es war die Erkenntnis, dass soziale Brennpunkte weniger durch den Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstehen, sondern dass vielmehr die Lage der Arbeitslosen, die mangelnde Absicherung Kinderreicher und Alleinerziehender, die mangelnde Absicherung von alten Menschen mit geringen Vorsorgeansprüchen,zum Teil in Verbindung mit verschämter Altersarmut, Gegenstand verantwortungsvoller Sozialpolitik sein sollten.
Das heißt, sozialpolitische Themen, die die Menschen bewegen,ändern sich.Ein abstrakter Begriff reicht nicht aus, und wir wollen es eben nicht bei Allgemeinplätzen belassen.
Wer wollte denn bestreiten, dass wir heute mit den Themen Arbeit, Familie und Gesundheit genau die richtigen Themen unserer Zeit treffen?
Die Koalitionsvereinbarung „Vertrauen, Freiheit, Fortschritt“ packt genau diese Probleme in ihrem Verantwortungsbereich an.
Nein, bei fünf Minuten Redezeit nicht. – Arbeit. Es bleibt dabei: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir haben eben über den Armutsbericht diskutiert. 95 % der Menschen, die nach der Definition weniger als 60 % verfügbare Mittel, bezogen auf den Medianwert, nicht den Durchschnittswert, haben, sind arbeitslos. Das Regierungsprogramm sieht Priorität gerade in der Lösung dieser Frage: Infrastruktur-/Konjunkturprogramme auch für mittelständische Unternehmen, Änderung der Vergaberichtlinien zur Stärkung der heimischen Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, der Antragsteller hat dankenswerterweise die Namen der Ministerien in den einzelnen Bundesländern aufgezählt. Es fällt zwar auf, dass fast überall der Name Arbeit steht, aber er ist eben nicht im Bewusstsein der gesellschaftlichen Diskussion. Insofern ist es richtig, dass durch die Neubenennung die Arbeit in besonderer Weise hervorgehoben wird.
Familie. Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Wahlfreiheit der Eltern, Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren werden ausgebaut, ganz im Vordergrund unserer Landespolitik. Der Versorgungsgrad von 35 % wird in Hessen vor dem Jahr 2013 erreicht.
Gesundheit. Darüber werden wir später noch reden. Landesregierung und Koalitionsfraktionen werden ihrer Verantwortung gerecht bei Krankenhausfinanzierung und Sicherstellung der ambulanten Versorgung unter Beachtung der Zuständigkeiten.