Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Ich bin dringend dafür, dass die Musikschulen, die wir in öffentlicher Hand haben, kostenlose Angebote für alle Kinder machen. Ich bin auch dringend dafür, dass die Museen solche Angebote konzeptioneller Art machen, wie Frau Sorge das erwähnt hat, damit mehr bildungsferne Schichten in die Museen kommen.

Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept, um die Kinderarmut zu bekämpfen, und wir sind sehr skeptisch bei der Frage,ob man das im Fall des Antrags der SPD explizit auf einen Einzelfall, auf Sportvereine, fokussieren soll. Ich finde, die Überschrift Ihres Antrags korrespondiert nicht unbedingt mit dem Antragstext. Sie schreiben darin: „soziale Ausgrenzung von Kindern... verhindern“, aber unten geht es nur um Sportvereine. Insofern ist das ein Einzelaspekt, den wir so nicht für zustimmungsfähig halten. Im Moment würden wir uns bei der Frage ähnlich wie bei dem freien Eintritt in Museen eher enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Es gibt keine weitere Wortmeldung. Die Aussprache ist damit beendet.

Sollen beide Anträge dem Ausschuss überwiesen werden? – Kein Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Reform fortsetzen – Bologna-Werkstätten an allen Hochschulen – Drucks. 18/2179 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 30:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Bologna-Prozess: mit der Reform der Reform endlich ernsthaft beginnen – Drucks. 18/2239 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Herr Kollege Grumbach.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns ein weiteres Mal mit der Frage des Bologna-Prozesses und der Verantwortung für diesen Prozess. Ich will in Erinnerung rufen: Der Gesamtprozess war die Definition gesellschaftlicher Ziele in Bologna, die es jetzt nach der ersten Runde und bei einer Reihe von Entscheidungen bei der Reakkreditierung zu überprüfen gilt.

Dazu gehört die Frage: Ist das Gleichgewicht zwischen Berufsausbildung und Bildung gewahrt? Dazu gehört die Frage: Ist die Mobilität gesichert, oder ist eher das Gegenteil eingetreten? Dazu gehört die Frage nach der Breite des Studiums oder der Spezialisierung.All das sind Dinge, die sich nicht alleine an den Hochschulen diskutieren lassen, weil sowohl die Anforderungen an die Berufsausbildung als auch die Anforderungen an die Mobilität Anforderungen sind, die von der Gesellschaft gestellt werden. Für die muss jemand Verantwortung übernehmen.

Ich wiederhole,was ich an anderer Stelle schon einmal gesagt habe: Der Bologna-Prozess ist von der Politik herbeigeführt worden. Es ist ein Prozess von oben nach unten, ohne Beteiligung der Hochschulen. Ich finde, wenn die Hochschulen jetzt mit den Protesten und den Problemen zurechtkommen sollen, dann müssen sie dabei unterstützt werden. Dann sind die verantwortlich, die ihnen das eingebrockt haben.Das ist die gesamte Kultusbürokratie,das sind die Kultusminister.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir glauben, dass das Einfachste dabei ist, den Prozess nachzuholen,der bei der Einführung versäumt worden ist. Ein solcher Prozess, der eine so grundlegende Veränderung von Strukturen bedingt, wird nur funktionieren, wenn er Beteiligte findet, die diesen Prozess tragen. Das bedeutet, statt von oben zu bestimmen, ist es notwendig, die Korrekturen in einer zweiten Runde durch einen Prozess der Beteiligung der Professoren und der Studierenden zu organisieren.

Auf der anderen Seite darf in der Debatte nicht gesagt werden: Tut uns leid, ihr seid autonom, ihr könnt sozusagen machen, was ihr wollt, Hauptsache, ihr haltet euch an die Regeln, die wir aufgestellt haben. – Vielmehr muss in

der Debatte die gesellschaftliche Auseinandersetzung noch einmal geführt werden, ob ein paar der Steuerungsmechanismen in der realen politischen Umsetzung fehlgelaufen sind.

Ich nenne ein Beispiel. Die Verdichtung der Studienbedingungen hat dazu geführt, dass wir an deutschen Hochschulen in vielen Bereichen im Prinzip nur noch Berufsausbildung machen, obwohl wir in Sonntagsreden von einer allgemeinen Persönlichkeitsbildung als Teil von Bildung reden. Das ist etwas, was es zu korrigieren gilt, was es mit Studierenden auszuhandeln gilt; denn die Welt, die Professoren und Studierende beschreiben können, sieht sicherlich etwas anders aus als die, die die Staatsbürokratie angefordert hat. Das heißt, der Dialog zwischen Kultusministerium respektive Wissenschaftsministerium auf der einen Seite und Hochschulen auf der anderen Seite muss geführt werden, damit beide an dem Prozess beteiligt sind.

Wir haben ein paar gute Modelle, z. B. die Universität in Frankfurt, die ihren eigenen Charakter hat. Mit den Bologna-Werkstätten hat sie etwas angefangen, was Beteiligung ausweitet, statt zu verengen, was Studierende beteiligt, was Professoren beteiligt. Ich finde, dass es Aufgabe derer ist, die den Hochschulen den Prozess eingebrockt haben, das zu unterstützen.

Deswegen stellen wir hier diesen Antrag.Wir formulieren in der Debatte natürlich eigene Bedingungen. Ich will das beschreiben. Zu den Bedingungen gehört, dass die Partizipation ausgeweitet werden muss – das ist der zentrale Punkt. Aber dazu gehört auch, dass ein paar Spielregeln anders gestaltet werden müssen. Wenn man sich die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz respektive der Wissenschaftsministerkonferenz – je nachdem, aus welchem Zeitraum sie stammen – betrachtet, dann sieht man, dass ein paar der Regeln von der Politik festgelegt worden sind.

Die sechs Semester für den Bachelorstudiengang haben nicht die Hochschulen erfunden. Das ist ihnen aufgezwungen worden. Wenn Sie das ändern wollen, müssen die,die das erzwungen haben,sich der Debatte stellen und sich beteiligen. Die Frage, ob der Masterstudiengang für jeden offensteht oder nicht,ist nicht von den Hochschulen auszutragen, weil ein Teil der Finanzdebatte – hier kommen wir zu den Debatten von vorhin zurück – dadurch entstanden ist, dass die Hochschulen ein Studiensystem einführen mussten, das, wenn man es ernsthaft betreibt und so betreibt, dass es kein Selektionsbetrieb wird, deutlich mehr Mittel beansprucht als die bisherigen Systeme.

Wer die Mittelausstattung festsetzt, der wird über die Gestaltung reden müssen. Da wir aber als Landtag und die Landesregierung mit der Haushaltsvorlage für die Mittelausstattung verantwortlich sind, wird es keine Debatte über Studienreformen geben, ohne dass sich die Landesregierung mit einer eigenen Position an der Debatte beteiligt.

Denn alles andere würde bedeuten: Die Rahmenbedingungen sind gesetzt, und zwar in den entscheidenden Fragen, und dann dürfen die Leute auf Spielwiesen über Felder entscheiden, die überhaupt nicht dazu beitragen, dass etwas geändert wird. Hier muss sich etwas ändern. Hier muss die Landesregierung für die Politik die Verantwortung übernehmen, damit wir als Parlament hinterher darüber debattieren können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Wir hatten eben das Gefühl, dass Herr Staatsminister Boddenberg eine Zwischenfrage stellen wollte.Aber das hat sich wohl erledigt. Das ging wohl auch nicht von dieser Seite aus.

Dann machen wir weiter. Es spricht Frau Kollegin Dorn, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident,sehr geehrte Damen und Herren! Wir hatten vor fünf Monaten das Thema Bologna-Reform in die Plenardebatte gebracht. Damals war es hochaktuell. Damals haben die Studierenden protestiert. Gerade von schwarz-gelber Seite war viel Verständnis zu hören. Ich würde sagen, es waren viele Verständnisfloskeln. Leider ist seither vonseiten der Landesregierung praktisch nichts passiert. Die Landesregierung sieht es weiterhin nicht als ihre Aufgabe an, die Verbesserung der Bologna-Reform herbeizuführen.

Frau Kühne-Hörmann, man muss sagen, Sie sind mittlerweile das Schlusslicht unter den Bundesländern, wenn es darum geht,Verbesserungen der Bologna-Reform herbeizuführen.

Lange Zeit haben alle Landesregierungen ihre Ohren auf taub gestellt. Aber die Proteste der Studierenden haben etwas bewirkt. Die Landesregierungen haben kleine Schritte unternommen. Rheinland-Pfalz hat einen Vorbildcharakter in diesem Sinne. Die haben wichtige Änderungen und Zielvorgaben in das Hochschulgesetz übernommen.

Aber auch CDU-Minister sind weiter als Sie,Frau KühneHörmann. In Baden-Württemberg – das ist kein Beispiel, das ich normalerweise gerne als Vorbild in der Hochschulentwicklung nehme – kann man in Sachen BolognaReform durchaus Herrn Minister Frankenberg nennen; denn der hat gesagt: Ich möchte Experten anhören, Betroffene anhören, um Ideen zu bekommen, wie man das verbessern kann.

Deswegen gibt es ein Internetforum. Es gibt eine landesweite Bologna-Konferenz, und es wurde den Hochschulen verordnet – das wird die SPD freuen –, dass vor Ort Bologna-Bilanzveranstaltungen unter Beteiligung der Studierenden durchgeführt werden sollen. Insofern sind das kleine Schritte, aber durchaus wichtige.

Wir stellen in unserem Antrag noch einmal zwei konkrete Forderungen. Zum einen stellen wir die Forderung – die haben wir schon einmal gestellt –, einen runden Tisch mit allen Beteiligten einzurichten, d. h. mit den Hochschulen, den Studierenden, dem Akkreditierungsrat, der Politik und auch der Landesregierung, damit sich diese nicht wieder aus der Verantwortung stehlen kann. Ein solcher runder Tisch wäre weiterhin absolut wichtig.Wir haben übrigens die Wirtschaft neu aufgenommen. Das war gar nicht unsere Idee, sondern die Junge Union kam auf uns zu und meinte, das sei eigentlich eine gute Idee, wenn die Wirtschaft dabei wäre. Wir lassen natürlich mit uns reden und haben die Wirtschaft gerne aufgenommen.Vielleicht können zumindest die jungen Kollegen der CDU-Fraktion jetzt unserem Antrag zustimmen. Das wäre schön. Es war immerhin ihre Idee.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens fordern wir – da war Rheinland-Pfalz Vorbild –, die Grundzüge der Studierbarkeit gemäß der BolognaReform in das Hochschulgesetz aufzunehmen.Ich möchte die Grundzüge kurz vorstellen.Es sind eigentlich fünf einfache Vorschläge, die man leicht in das Hessische Hochschulgesetz aufnehmen könnte. Rheinland-Pfalz hat in sein Hochschulgesetz aufgenommen, dass pro Modul nur noch eine Prüfung stattfinden soll. Das rheinland-pfälzische Gesetz sieht jetzt vor, dass mehr Flexibilität bei der Verknüpfung von Modulen herrschen soll. Es soll eine erleichterte Anerkennungspraxis eingeführt werden. Außerdem wurden sogenannte Mobilitätsfenster eingeführt, d. h. definierte Zeiträume für Auslandsaufenthalte und Praktika. Ich persönlich finde das ganz wichtig. In Rheinland-Pfalz hat man außerdem die Zugangsvoraussetzungen für den Masterstudiengang gestrichen, die bestehenden Hürden also überwunden.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Ich freue mich, dass Sie mir zustimmen. Vielleicht können Sie dann auch unserem Antrag zustimmen. Das würde mich sehr freuen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr.Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Wir wollen es nicht übertreiben!)

Frau Kühne-Hörmann, Sie haben das letzte Mal Ihren Kummerkasten vorgestellt. Einen Kummerkasten à la Dr. Sommer fand ich damals – und finde es immer noch – wirklich lächerlich. Studierende sind keine pubertierenden Jugendlichen, die Probleme haben und sich an Dr. Sommer wenden wollen.Nein,sie wollen partizipieren,sie sind betroffen,sie haben eigene Erfahrungen.Das sind erwachsene Menschen. Die gehören zur Hochschule, genauso wie die Professoren und die Mitarbeiter. Frau Ministerin,mich würde interessieren,ob sich Studierende bei diesem Kummerkasten gemeldet haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Ich bin 27 Jahre alt und muss die „Bravo“ nicht mehr lesen. Ich weiß nicht, ob Sie sie noch lesen, ob Sie sie interessiert. Mich interessiert sie nicht mehr so sehr.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe die „Bravo“ gelesen! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Ich auch! – Heiterkeit)

Das ist heute ein schönes Outing.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch um etwas mehr Ernsthaftigkeit bitten. Der Kollege Dr. Müller liest „Bravo für Senioren“.

(Große Heiterkeit und Beifall)

Ich möchte in dieser allgemeinen Heiterkeit einen kurzen Kommentar zum SPD-Antrag loswerden. Ich finde den SPD-Antrag an sich richtig,aber gerade angesichts der zutreffenden Kritik, dass sich die Landesregierung durchaus aus der Verantwortung stiehlt, ist es doch zu kurz gegriffen, wenn man sich nur auf die Bologna-Werkstätten be

zieht. Zum einen sind entsprechende Festlegungen im Hochschulgesetz mehr als nötig, zum anderen glaube ich weiterhin, dass ein runder Tisch, bei dem die Landesregierung einbezogen ist, sehr, sehr wichtig ist. Wenn ich an Hochschulen bin, mache ich immer wieder die Erfahrung, dass viele Professoren, Studierende und sogar die Hochschulleitungen gar nicht wissen, welche gesetzlichen Regelungen es eigentlich gibt und wie viel Freiheit sie eigentlich haben. Es herrscht enorme Unsicherheit. Gerade um ein bisschen mehr Verständnis für die ganze BolognaReform zu schaffen, bräuchte man das Ministerium, bräuchte man die Politik.

Frau Kollegin Dorn, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Frau Ministerin, ich fordere Sie also auf: Kümmern Sie sich endlich auch um die Ziele innerhalb der Hochschulen. Es geht nicht nur darum, Exzellenzforschung zu betreiben,sondern auch darum,genau zu schauen,wie es der Lehre an den Hochschulen geht, wie unsere Studierenden weiterkommen. Sie sind unsere Zukunft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Reißer, CDUFraktion.