Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. – Das Wort hat Frau Abg. Faeser, SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bellino, es ist ein sehr wichtiges Thema, da haben Sie recht. Auch die SPD-Fraktion bedankt sich bei

dem Landesamt für Verfassungsschutz für die sehr schwierige Arbeit und die sehr gute Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das ausdrücklich. Ich denke, da könnten Sie eigentlich auch klatschen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Gerne!)

Aber,Herr Bellino,Sie haben am Schluss zu Recht gesagt, dass die Zeit sehr kurz ist. Über die wichtige Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes für Verfassungsschutz redet man in der Regel nicht in einer Aktuellen Stunde und gibt ihr einen sehr verwirrenden Titel. Vielleicht wäre es angemessen gewesen, in der nächsten Plenarwoche ausführlich und seriös über dieses Thema zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Meine Damen und Herren, auch wir möchten von dieser Stelle aus Herrn Dr. Eisvogel zu seiner neuen Position gratulieren und ihm alles Gute wünschen.Wir hoffen,dass eine gute Auswahl beim Nachfolger getroffen wird.

Der Innenminister hat am letzten Montag den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt. Deswegen verstehen wir auch nicht den Titel Ihrer Aktuellen Stunde. Herr Bellino, Sie haben in Ihrer Rede den Schwerpunkt auch etwas anders gesetzt, obwohl es gegen Ende etwas abgeglitten ist.

Es ist nämlich nicht so, dass sich der Verfassungsschutzbericht ausschließlich auf den Linksextremismus konzentriert. Das haben Sie nicht gesagt, aber der Titel der Aktuellen Stunde lautet so. Deshalb sollte man in dieser Angelegenheit seriös vorgehen.Wir sind, wie Sie, der Auffassung, dass Kriminalität und Gewalt weder von links noch von rechts hinzunehmen sind und entsprechende Gegenstrategien vorbereitet und vorgenommen werden müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Der Verfassungsschutzbericht hat vier Schwerpunkte. Es fängt mit der Arbeit gegen den islamistischen Terrorismus an, der den Verfassungsschutz im Jahre 2009 sehr beschäftigt hat. Insbesondere haben ihn Ausreisepläne von Islamisten in Terrorcamps beschäftigt. Ich denke, da konnte erfolgreich entgegengearbeitet werden, indem die Ausreise mehrerer Islamisten verhindert werden konnte.

Es gibt eine Zunahme von Straf- und Gewalttaten im Bereich des Linksextremismus, auch gegen Sicherheitsbehörden. Ich möchte an der Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass ich hierzu Strategien von Ihrer Seite vermisse. Mir ist kein Antrag von Ihnen bekannt, der sich inhaltlich mit diesem Problem auseinandersetzt. Die SPDFraktion hingegen hat z. B. einen Antrag betreffend Gewalttaten gegen Polizeibeamte vorgelegt, der natürlich auch diesen Bereich betrifft. Darauf wollen wir Sie hinweisen. Sie formulieren hier zwar Titel für Aktuelle Stunden, aber inhaltlich bringen Sie überhaupt keine Gegenstrategien ein.

(Beifall bei der SPD – Dr.Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Wir haben es doch gemeinsam beschlossen!)

Ja, aber Sie bringen keine Initiativen ein, Herr Dr.Wagner.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wenn Ihre Initiative doch gut war!)

Man muss sich aber die Zahlen anschauen. Man darf nicht so tun, als ob es in diesem Bereich riesige Steigerungsraten gäbe. Dennoch ist das eine wichtige Aufgabe. Ich glaube, dass an dieser Stelle eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe für uns alle besteht, wie wir es auch in anderen Bereichen fordern. Es muss nämlich so sein, dass sich demokratische Gruppen von den Autonomen distanzieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben eine sehr gewaltbereite Neonaziszene.Wir haben zwar einen Rückgang der NPD-Aktivitäten zu verzeichnen – Gott sei Dank –, aber leider haben wir neue Zusammenschlüsse, die problematischer sind, weil sie für die Sicherheitsbehörden sehr schlecht einschätzbar sind. Vor allem der Schwalm-Eder-Kreis ist sehr betroffen.Wir haben im letzten Plenum darüber gesprochen.Wir hoffen, dass die Mehrheit dieses Hauses in der nächsten Woche im Innenausschuss eine Anhörung zu diesem Themenkomplex beschließt.

Herr Innenminister, ich denke, es ist Zeit, an dieser Stelle Gegenstrategien zu entwickeln, da wir leider gemerkt haben, dass der Großeinsatz von Polizei zwar partiell hilft und sehr richtig und wichtig ist, aber offensichtlich langfristig nicht ausreicht. Auch die guten sozialen Strategien des amtierenden Landrats des Schwalm-Eder-Kreises reichen offenbar nicht aus, um dieses Phänomen nachhaltig zu bekämpfen.Deswegen muss sich dieses Haus damit beschäftigen.

Ein wesentlicher Bereich, um den wir uns kümmern müssen, ist die Nutzung des Internets durch extremistische Gruppen. Dazu bedarf es einer besonderen Sorgfalt. Wir haben ein Programm des Verfassungsschutzes namens ORTET – Online Recherche Team Extremismus Terrorismus. Das ist sicher ein guter Anfang, aber auch hier ist der Bereich Bildung gefragt, damit gerade junge Menschen den Umgang mit den neuen Medien lernen.

(Beifall bei der SPD)

Der Herr Innenminister hat in seiner Pressekonferenz darauf verwiesen, dass wir gerade die Offensiven gegen extremistische Taten ausbauen müssen. Das ist richtig. Er hat auch auf die Vernetzung hingewiesen.Gerade die Vernetzung zwischen allen Beteiligten, zwischen Politik, Sport, Vereinen und der Gesellschaft, ist extrem wichtig und richtig.Wir haben ein Netzwerk gegen Gewalt in Hessen. Ich hoffe, dass das Haus in Gänze dahintersteht und die gute Arbeit der darin Aktiven zu schätzen weiß.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Die CDU auf jeden Fall!)

Auch ich glaube, dass das einen Applaus wert ist.

Frau Kollegin Faeser, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss und verweise darauf, dass auch ich hoffe, dass das gesamte Haus hinter der Forderung steht, dass sich die neue Bundesfamilienministerin, Frau

Schröder, die aus Wiesbaden stammt, in Berlin dafür einsetzt, dass die Mittel nicht gekürzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Die Bundesregierung hat nämlich leider vor, den existierenden 30-Millionen-c-Etat in Mittel gegen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus aufzuteilen. Bislang sind diese 30 Millionen c ausschließlich für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gedacht. Wenn Sie meinen, dass diese Aktivitäten mit Bundesmitteln unterstützt werden müssen,dann sind wir bei Ihnen.Dann müssen Sie aber den Etat aufstocken und dürfen ihn nicht kürzen.Wir fordern Sie auf, sich dafür einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Al-Wazir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wir haben uns ein bisschen über den Titel Ihrer Aktuellen Stunde gewundert, weil er mit dem Inhalt des Verfassungsschutzberichts, der Anlass für diese Aktuelle Stunde ist, nicht wirklich zusammenpasst. Der Titel der Aktuellen Stunde lautet nämlich: „Verfassungsschutz stärkt unsere Sicherheit – linke Gewalt besorgniserregend“. – Meine Damen und Herren, wir finden jede Form von Gewalt besorgniserregend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Ich habe eigentlich gedacht, dass wir uns darüber einig sind, dass Extremisten aller Seiten eine Gefahr für unsere freie und offene Gesellschaft sind. Ich habe eigentlich gedacht, dass wir uns darauf einigen könnten, dass Gewalt überhaupt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man sich die Zahlen im Verfassungsschutzbericht anschaut, stellt man fest, dass wir im Bereich des Rechtsextremismus fast 800 Straf- und Gewalttaten und im Bereich des Linksextremismus 112 Taten zu verzeichnen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, insofern bitte ich Sie doch darum, darüber nachzudenken, ob der Titel der Aktuellen Stunde nicht ein eingeschränktes Blickfeld zeigt, das man in diesem Parlament – auch ansonsten – eigentlich nicht haben sollte.

Ich denke, dass wir im Bereich des Rechtsextremismus konstatieren müssen, dass die Zahl rechtsextremistisch aktiver Personen zwar sinkt, dass es aber gleichzeitig eine steigende Zahl Gewaltbereiter gibt. Um es einmal deutlich auszudrücken: Wenn diejenigen, die vor 50 Jahren Mitglied der DVU oder der NPD geworden sind, jetzt sterben, dann ist damit für die Sicherheit in Hessen noch nichts gewonnen.Entscheidend ist vielmehr,Herr Bellino, dass es im Bereich des Rechtsextremismus ein zunehmend gewaltbereites Potenzial gibt, das, und das ist neu,

inzwischen auch Polizeibeamte angreift – beispielsweise die Freien Kräfte Schwalm-Eder, die im Bericht explizit genannt sind.

(Holger Bellino (CDU): Das habe auch ich gesagt!)

Insofern ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass wir im Bereich des Rechtsextremismus ein großes Problem haben.

Auch im Bereich des Linksextremismus gibt es bundesweit besorgniserregende Aktivitäten. Ich darf betonen, dass es die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus war, die deutlich darauf hingewiesen hat, dass das Anzünden von Autos hochgefährlich, Gewalt und zu verurteilen ist. Diese Resolution haben übrigens alle Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus unterstützt – außer der FDP.

(Janine Wissler (DIE LINKE):Wir auch!)

Auch die Linkspartei. – Ich glaube, dass es sehr wichtig ist,dass man das im Auge hat.Glücklicherweise sind wir in Hessen von diesem Problem aber noch nicht betroffen. Ich hoffe, dass das so bleibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dass wir uns insgesamt einmal über die Frage auseinandersetzen müssen, nach welchen Kriterien die Landesämter für Verfassungsschutz vorgehen. Ich weiß, dass die Kommunistische Plattform in der Linkspartei auf jeden Fall eine andere Verfassung haben will. Fraglich ist, ob die gesamte Linkspartei eine andere Verfassung will. Wenn man sich die Realität der Regierungsbeteiligungen in Berlin und Brandenburg anschaut, kann ich nur sagen: Wir hätten uns in Sachen Wohnungswirtschaft gegenüber Goldman Sachs anders verhalten.Insofern:Da ändert sich relativ schnell relativ viel. Da müsste man einmal genauer hinschauen, ob wir nicht das Problem haben – wie von einigen gesagt wird –, dass die Beobachtungskriterien, die der Verfassungsschutz anlegt, was die Linkspartei angeht, jeweils davon abhängen, wer die Landesregierung stellt. Das kann auf lange Sicht unserer Meinung nach nicht so bleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wenn man sich den Verfassungsschutzbericht aufmerksam durchliest, stellt man auch fest, der Verfassungsschutz muss aufpassen – Stichwort: Studentenproteste –,dass er nicht die Masse der Protestierenden in eine Reihe mit Extremisten stellt. Herr Innenminister, auch da ist es angesagt, sich einmal genau zu überlegen, wie man das formuliert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Letzter Punkt. Im Zusammenhang mit dem Islamismus vermisse ich eine geschlossene Präventionsstrategie und auch ein Konzept. Es sind jetzt neun Jahre nach dem 11. September 2001 vergangen, und wir stellen fest, dass Leute in diesem Bereich anfällig sind, die damals vielleicht zehn Jahre alt waren. Offensichtlich sind wir in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich nicht so erfolgreich gewesen, was den Kampf um die Köpfe angeht – um diesen Spruch einmal andersherum zu wenden, Herr Innenminister –, wie wir es eigentlich hätten sein müssen.