Protokoll der Sitzung vom 18.05.2010

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU): Was wollen Sie denn nach dem Ausfall von Ballack?)

Was wollten Sie uns eigentlich sagen? Wollten Sie uns sagen, dass Bildungspolitik nach Kassenlage das Gebot der Stunde ist? Gestern haben Sie das Bild vom Rasenmähen gebracht, bei dem auf die Rabatte geachtet wird.Wenn es um die Bildungspolitik geht, fällt uns eher das Bild vom Sensenmann ein. Sind Sie jetzt auf einmal für eine Regulierung? Ich fand Ihre Ausführungen dazu außerordentlich spannend, insbesondere vor dem Hintergrund der Debatten, die wir in den letzten Wochen geführt haben.

Herr Koch, ich unterstreiche aber ausdrücklich das, was Sie am Ende zu dem Thema Regulierung gesagt haben: Die Brandbeschleuniger an den Finanzmärkten und in Europa müssen in der Tat entschärft werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Kommen Sie doch endlich zum Thema!)

Herr Arnold, Sie werden gleich die Gelegenheit haben, darauf zu antworten. – Oder ist es die Verantwortung vor Europa, nachdem eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen aus der CDU und der FDP die ganze Zeit nichts anderes gemacht hat – darauf werde ich gleich noch einmal im Detail kommen –, als die Griechen zu denunzieren, Euroskeptizismus zu verbreiten und damit die Spekulanten nach Griechenland einzuladen? Ist es also die europapolitische Verantwortung?

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Das, was Sie und Schwarz-Gelb in den letzten Wochen an vielen Stellen angerichtet haben, ist brandgefährlich. Es ist auch deswegen brandgefährlich – ich weiß, dass das in Ihren Reihen zum Teil ebenfalls so gesehen wird –, weil das, was im Moment passiert, demokratiegefährdend sein kann. Es ist keinem zu erklären – Herr Reif, ich vermute, dass Sie selbst in Ihrem Wahlkreis auf Menschen treffen, denen Sie es nicht mehr erklären können –,

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

warum wir auf der einen Seite aktuell wieder 750-Milliarden-c-Pakete zur Stabilisierung der Finanzmärkte auf den Weg bringen und auf der anderen Seite eine Debatte darüber lostreten, warum es kein Geld mehr geben soll, um die notwendigen Zuwächse bei der Kinderbetreuung und der Bildung zu finanzieren. Herr Milde, das ist keinem zu erklären.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Der Ministerpräsident hat es gerade eine halbe Stunde lang erklärt!)

Deswegen sage ich Ihnen gleich am Anfang: Eine redliche Debatte über die Finanzsituation des Landes wird einen Dreischritt erfordern: ein Ja zu Einsparungen, ein Ja zur Effizienzsteigerung, aber auch ein Ja zu deutlichen Mehreinnahmen. Das bedeutet auch eine gerechtere Steuerverteilung in diesem Land.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Falsch!)

Das Thema Transaktionssteuer ist nur ein Beispiel von verschiedenen. Der Herr Ministerpräsident spricht jetzt davon, dass man das nicht auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger austragen darf und nicht in Rituale ver

fallen sollte. Ich würde es ihm gern abnehmen. Aber ich erinnere mich daran, dass Sie im Jahr 2003 gesagt haben – Herr Koch, ich glaube, es war 2003; es kann auch 2008 gewesen sein;aber ich glaube,mich daran zu erinnern,es war 2003 –,

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Da liegen ja fünf Jahre dazwischen!)

wir sollten die großen Trommeln zur Seite legen und auch in diesem Landtag versuchen, anders Politik zu machen. Daraus ist nichts geworden; denn der Erste, der die große Trommel wieder gerührt hat, war der Herr Ministerpräsident. Das kann er besonders gut.

Ich darf daran erinnern, dass wir in den letzten 18 Monaten bei dem Thema „Arbeit und Beschäftigung“ einen gemeinsamen Pakt angeboten haben, dass wir in der Bildungspolitik gemeinsame Anstrengungen angeboten haben, dass wir gestern Abend, als es um die Neuordnung und Stärkung des Rhein-Main-Gebiets ging, erneut eine Kooperation angeboten haben und dass wir,auch vor dem Hintergrund der Finanzsituation, gesagt haben, wir seien bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Aber dass der Herr Ministerpräsident, nachdem er 48 Stunden nach Schließung der Wahllokale in Nordrhein-Westfalen sozusagen wieder einmal gezündelt hatte, heute, eine Woche später, das Ende der ritualisierten Debatten fordert, ist wenig glaubhaft.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zu dem, was der Herr Ministerpräsident als Erstes angesprochen hat: die europäische Einigung und die Notwendigkeit,

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Wann hören wir denn mit den Ritualen auf?)

angesichts der Krise in Griechenland und der nach wie vor bestehenden Probleme an den Finanzmärkten auf der europäischen Ebene zu Veränderungen zu kommen. Diese Probleme gibt es aber nicht nur in Griechenland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern.

Der Herr Ministerpräsident hat eben gesagt, man dürfe die europäische Solidarität nicht infrage stellen. Auch ich habe an dieser Stelle ausdrücklich applaudiert; denn ich finde, wenn der Herr Ministerpräsident einmal einen richtigen Satz sagt, muss man dem ausdrücklich zustimmen. Das ist an dieser Stelle geschehen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Richtig großzügig! – Weitere Zurufe von der CDU)

Dass er aber zweitens gesagt hat, in den Debatten, die jetzt anstehen,dürfe die Innenpolitik nicht außen vor bleiben, ist ganz offensichtlich eine an die eigenen Reihen gerichtete kritische Bemerkung. Ich zitiere aus der „Financial Times Deutschland“ vom 5. Mai:

Merkels Strategie ist deswegen fehlgeschlagen, weil man in... Europa den Nachrichtenfluss nicht so kanalisieren kann, dass man dem Europäischen Rat und den Lesern der „Bild“ über lange Zeit entgegengesetzte Information zukommen lässt.

Recht hat sie. Das war genau das Problem. Wer hat denn die Entstehung des Chaos in Europa beschleunigt, weil innenpolitische Überlegungen,insbesondere der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen, das Maß aller Dinge waren? Es gab doch keine verantwortliche Position Europa gegenüber.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie waren es, die im Wissen um die Lage nicht bereit waren, notwendige Entscheidungen zu treffen. Natürlich ist es so, dass sich die Konstruktionsschwächen des Euro gerächt haben.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Wir haben es nicht geschafft, die Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union zu koordinieren. Im Wesentlichen war das deshalb so, weil Union und FDP in der Vergangenheit zu keinerlei Zugeständnissen bei diesem Thema in der Lage waren.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist wohl lächerlich!)

Herr Milde, Sie haben in allen Debatten immer wieder gesagt, es dürfe keine Koordinierung der Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik geben. Ich sage Ihnen: Das rächt sich an diesen Stellen. Man kann nicht eine Währung einführen, ohne eine politische Union hinterherzuschieben. Das ist das Versagen der gesamten deutschen Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wie sehr Sie gezündelt haben, will ich Ihnen doch anhand einiger Bemerkungen einmal vorführen; denn es ist nicht so, dass wir im luftleeren Raum diskutieren.Wer hat denn gezündelt? Ich will das erwähnen, was Finanzminister Schäuble am 30. Dezember im „Handelsblatt“ gesagt hat:

Es wäre falsch verstandene Solidarität, wenn wir den Griechen... unter die Arme greifen würden.

Herr Brüderle sagte am 5. März 2010 in n-tv:

Wir haben nicht die Absicht, Griechenland einen Cent zu geben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles Riesenstaatsmänner!)

Am 26. April 2010 sagte Herr Solms über Herrn Finanzminister Schäuble:

Es war falsch, den Honigtopf von Anfang an in die Mitte des Tisches zu stellen. Das war das Signal an die Griechen, dass sie nur zugreifen müssen.

(Günter Rudolph (SPD): Hört, hört!)

Herr Wissing, offenbar finanzpolitischer Sprecher der FDP, meinte drei Tage zuvor in einer Pressemitteilung:

Der Bundesminister der Finanzen hat erklärt, dass keine deutschen Steuergelder nach Griechenland fließen werden. Die FDP erwartet, dass er dieses Versprechen hält.

Der Vizekanzler äußerte noch am 26. April 2010, als die Bundesregierung der griechischen Regierung bereits Hilfe signalisierte:

Die Regierung hat noch nicht entschieden. Und das heißt, dass eine Entscheidung auch in verschiedene Richtungen ausfallen kann.

Eine deutlichere Einladung an Spekulanten kann man kaum aussprechen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich teile viele der europapolitischen Bemerkungen. Das Problem aber ist:Sie haben keine reale Substanz.Das sind alles Worthülsen ohne Substanz. Sie haben genau das Gegenteil von dem gemacht, was der Ministerpräsident hier heute wortreich als europäische Solidarität verkaufen wollte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinsichtlich der Europapolitik bleibt doch festzustellen: Eine größere Laienspieltruppe hat es im europäischen Kontext selten gegeben. – Das will ich dann noch einmal zuspitzen und auf den Punkt bringen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Brüderle!)