Protokoll der Sitzung vom 22.06.2010

(Beifall bei der SPD – Peter Beuth (CDU): Sie sitzen selbst im Richterwahlausschuss! Sie haben Verwaltungsrichter eingestellt!)

Zweiter Punkt. Sie haben sich nie ernsthaft der Frage zugewandt, wie man beispielsweise bundesgesetzlich regeln könnte, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit neue, zusätzliche Aufgaben bekommt und wie der horizontale Belastungsausgleich erreicht werden könnte.

Meine Damen und Herren, da Sie es selbst angesprochen haben und auf der Justizministerkonferenz noch einmal darüber reden wollen, sagen wir noch einmal ganz klar: Glücklicherweise sind Ihre Angriffe auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit hinsichtlich einer Zusammenlegung von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit bis zum heutigen Tage am Widerstand der SPD gescheitert. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD – Peter Beuth (CDU):Wie immer!)

Denn unsere Fachgerichtsbarkeiten haben sich bewährt. Sie sind hoch spezialisiert, haben aber auch hoch spezialisierte Anwaltschaften auf der Gegenseite sitzen. Sie wissen ganz genau, dass das Recht immer internationaler, immer komplizierter und differenzierter wird.Wir brauchen spezialisierte Fachgerichtsbarkeiten. Wir sind auf dem Weg,diese Fachgerichtsbarkeiten in andere Staaten zu exportieren. Sie sind ein Exportschlager etwa in die osteuropäischen Staaten.Nicht alles,was sich bewährt hat,muss abgeschafft werden. Nein, im Gegenteil, es muss bewahrt werden. Die Fachgerichtsbarkeiten haben sich in vollem Umfang bewährt und dienen auch dem hohen Ansehen der Justiz, das sie bis zum heutigen Tag hat.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD will ich sagen: Dem Grunde nach ist es gut, dass Sie sich mit den Betroffenen – was blieb Ihnen auch anderes übrig? – auf ein sogenanntes Abordnungs- oder Versetzungsmodell geeinigt haben. Trotzdem bleiben viele Fragezeichen im Raum stehen:Was passiert etwa mit

den Räumlichkeiten in den einzelnen Gerichten, die dadurch frei werden, dass Richter abgeordnet oder versetzt werden? Reichen die Aufnahmekapazitäten in den anderen Gerichten? Vor allem: Was geschieht mit dem Folgepersonal?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, das alles wird nicht spurlos an den Betroffenen vorbeigehen. Das wird zu großen Verwerfungen führen. Das hätte man sich in der Tat sparen können, wenn dieses Justizministerium auf diese vorhersehbare und sich seit Jahren abzeichnende Entwicklung früher reagiert hätte.

(Peter Beuth (CDU): Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das sind doch Ihre Parteibücher, Herr Beuth!)

Sie beabsichtigen aber auch, die Sachmittel zu kürzen. Das kann aber nicht dadurch geschehen, dass man dem Verwaltungsgericht Darmstadt – ich nenne nur ein Beispiel – gerade einmal die Sachmittel zuweisen will, die sie für die Bibliothek vor Ort brauchen. Ein solches Kürzen ist unerträglich und stellt einen unglaublichen Affront gegen die dritte Gewalt dar.

(Beifall bei der SPD)

Zudem kommt, dass Sie Ihre Pläne auf veraltete Gutachten des Rechnungshofs aus dem Jahre 2003 bzw.2005 stützen. Man braucht irgendeine Grundlage, auf der man argumentieren kann. Leider sind die Daten relativ alt. Ich muss Ihnen ganz klar sagen, dass Ihre Argumentation, kleinere Gerichte, kleinere Strukturen seien ineffizient, bis zum heutigen Tage eines Nachweises bedarf. Sie sind bis zum heutigen Tage den Nachweis schuldig geblieben, warum kleine Gerichte ineffizienter arbeiten. Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist doch der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen doch, dass vor Ort die Mitarbeiter besonders gut miteinander arbeiten. Man kennt sich. Es sind oft die weichen Faktoren, die zum Erfolg eines Gerichts vor Ort beitragen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Man kennt sich vor Ort. Die Mitarbeiterschaft ist freundschaftlich und kollegial miteinander verbunden. Vertretungsfälle sind die Ausnahme. So tragen auch kleinere Einheiten in Hessen in hohem Maße zur Effizienz, zur Wahrung des Rechtsfriedens und zur hohen Akzeptanz der Justiz bei den Bürgerinnen und Bürgern bei.

Sie sind zudem bis zum heutigen Tage eine echte Aufgaben- und Strukturanalyse schuldig geblieben. Ich kann hier nur Ihren Kollegen, Herrn von Hunnius, zitieren, der dem Hause leider nicht mehr angehört, der am 19.02.2004 in diesem Haus gesagt hat, damals zu den Schließungen der Amtsgerichte der ersten Welle – Herr Präsident, mit Ihrem Einverständnis darf ich ihn hier wörtlich zitieren –:

Gut gemeint ist leider noch lange nicht gut gemacht. Ein Konzept ohne sorgfältige Analyse ist fragwürdig.

Wie recht hat er.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, ich darf auf die Arbeitsgerichtsbarkeit zu sprechen kommen. Sie haben gesagt, wie

viele Gerichte geschlossen werden sollen. Damit wird bei der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Tat keine bürgernahe Justiz mehr aufrechterhalten.

(Wolfgang Greilich (FDP): Quatsch!)

Ein Beispiel ist das Arbeitsgericht Bad Hersfeld, das nun nach Fulda und Kassel aufgeteilt werden soll. So kritisiert der Landesvorsitzende der DAV, Herr Schirmer, in einer Presseerklärung zu Recht – ich darf auch hier wieder wörtlich zitieren –: „Der Zugang zum Recht muss auch in der Fläche erhalten bleiben“. Mit diesen Worten kritisiert die Anwaltschaft die Pläne dieser Landesregierung.

(Beifall bei der SPD – Peter Beuth (CDU):Was sagen Sie denn zum Landesrechnungshof?)

Sie wissen auch ganz genau, dass dem rechtsuchenden, dem prozessbeteiligten Publikum, den IHKs und der Rechtsanwaltschaft, weite Wege bevorstehen. Von Bad Hersfeld nach Fulda sind es etwa 50 km. Auch wenn man einmal das Beispiel des Amtsgerichts Nidda nimmt: Im Wetteraukreis wird das rechtsuchende Publikum lange Wege auf sich nehmen müssen.

Ich kann Ihnen ganz klar sagen: Ich schätze Herrn Dr. Kriszeleit sehr, auch dass er jetzt die Gerichte aufsucht. Aber das müssen Sie zur Chefsache machen. Sie selbst hätten schon im Vorfeld vor Ort gehen und den Betroffenen Rede und Antwort stehen müssen. Auch wenn Sie jetzt an der einen oder anderen Stelle schon ausgeladen worden sind,wie in Nidda,müssten Sie selbst die Gerichte besuchen und es zur Chefsache machen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Sie selbst haben eben von der Transparenz der Zahlen gesprochen. Es ist doch wirklich merkwürdig, dass selbst Mitglieder der KuK-Gruppe, obwohl die Zahlen von SAP R/3 vorliegen, nicht klar wissen und ihnen auch nicht transparent gemacht werden konnte, wie sich die Arbeitsplatzkosten in der Arbeitsgerichtsbarkeit, die Sie als zu hoch beziffert eingestuft haben, genau aufschlüsseln lassen. Diese Antwort sind Sie bis zum heutigen Tage schuldig geblieben.Von Transparenz kann da bei Weitem keine Rede sein.

(Beifall bei der SPD – Peter Beuth (CDU):Wie bewertet ihr die Einschätzung des Landesrechnungshofs? – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Als ob ihr alles unternehmen würdet, was der Landesrechnungshof tut! Wie es passt! – Gegenruf des Abg. Peter Beuth (CDU):Wenigstens auseinandersetzen könnte man sich damit!)

Nehmen Sie doch einmal das konkrete Beispiel, das mir beim Arbeitsgericht in Fulda erzählt worden ist.Wird der Arbeitnehmer, der seinen Lohn in Höhe von 38 c einklagen will, demnächst über 50 km fahren, um das einzuklagen? Meine Damen und Herren, das hat mit Justizgewährung überhaupt nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der Ihnen, Herr Justizminister, und auch dieser Landesregierung immer besonders wichtig ist, das Stichwort E-Justice.Auch in der Justiz schreitet die Modernisierung voran, etwa die Klageeinreichung auf elektronischem Wege. Es gibt auch die Möglichkeit von Videokonferenzen. Das ist auch gut. Um redlich zu bleiben,muss man aber auch sagen,dass das bei Weitem nicht die Masse der Verfahren ist. Auch die An

waltschaft verfügt bei Weitem nicht über die elektronischen Mittel, auf elektronischem Wege Klage einzureichen. Das sind vielleicht die Großkanzleien, aber die kleineren und mittelständischen Kanzleien auf dem flachen Land praktizieren das nicht. Das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern.

(Wolfgang Greilich (FDP): Das ist ein Irrtum!)

Da sage ich ganz klar: Das ist auch gut so. Denn so viele Vorteile das Internet und die virtuelle Welt auch bieten,so ist meine feste Überzeugung: Das pralle, grelle Leben ist besser.

(Beifall bei der SPD)

Stichwort:Videokonferenzen. Meine Damen und Herren, wie sieht es denn in der Praxis aus? Beim Gütetermin in der Arbeitsgerichtsbarkeit, der so wichtig ist, der das Herzstück des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ist, ist es in der Praxis doch wichtig, dass man sich von Angesicht zu Angesicht sieht und nicht über eine Videoleinwand miteinander verhandelt.

(Günter Rudolph (SPD): Richtig!)

Meine Damen und Herren, das wird auch niemand ersetzen können. Das wird weiter die tatsächliche Praxis in den Gerichten bestimmen. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Zum Thema Personal, das eingespart werden wird. Fakt ist – Sie haben es selbst gesagt –:Es sollen 40 Richterinnen und Richter landesweit eingespart werden. Es ist zu erwarten, dass durch die entsprechenden Gerichtsschließungen mittelfristig weitere Stellen hinzukommen werden. Meine Damen und Herren, besonders hart wird es das nicht richterliche Personal treffen.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Deswegen ist es fast blanker Zynismus, wenn Sie selbst in Ihrer Presseerklärung schreiben – ich darf zitieren –: „beim nicht richterlichen Personal werden lediglich die durch Umstrukturierung frei werdenden Stellen gestrichen“.

(Marius Weiß (SPD): Genau!)

Wir haben uns vor Ort ganz genau erklären lassen – denn für uns war es selbstverständlich, vor Ort zu gehen und uns zu informieren, und zwar bei jedem Gericht, das von der Schließung betroffen ist –, dass gerade die Halbtagskräfte besonders bedroht sind.Für die Frauen ist es oft gar nicht mehr darstellbar, künftig von Bad Hersfeld nach Fulda zu fahren, weil die finanziellen Rahmenbedingungen, die Konditionen eben nicht stimmen, um die Halbtagsstelle überhaupt noch ausüben zu können.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Deswegen werden es wieder die Frauen und Familien sein, die besonders betroffen sind.

(Zuruf von der CDU: Oh! – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))