Protokoll der Sitzung vom 23.06.2010

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die Deutsche Bahn künftig eine Dividende von 500 Millionen c im Jahr an den Bund abführen soll, steht angesichts der Schulden von 15 Milliarden c ohnehin in den Sternen. Im Übrigen bezahlen diese Dividenden wieder die Bahnkunden.

So sieht also die faire Beteiligung der Wirtschaft aus.Von einer Rücknahme der Steuerbefreiung für die Veräußerung von Betrieben oder Betriebsanteilen oder von einer Anhebung der auf 25 % gesenkten Zinsabschlagsteuer, von einer höheren Besteuerung der Bankenboni oder gar von einer Anhebung der Vermögensteuer ist keine Rede. Allein mit der Rücknahme der unsinnigen Steuersenkungen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, also auch etwa mit dem Kassieren der Steuersubvention für die Hoteliers, könnte so viel Geld in die öffentlichen Kassen kommen, wie durch die gesamten Kürzungen im Sozialbereich nunmehr „eingespart“ werden soll.

Mit langfristig 10 Milliarden c jährlich soll bei den Leistungen für Arbeitslose am stärksten gekürzt werden. So soll etwa der bisher zwei Jahre lang gezahlte, an das vorherige Einkommen gebundene Zuschlag beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zu Hartz IV wegfallen. Im Schnitt erhielten bisher über 155.000 Haushalte über zwei Jahre lang diesen Zuschlag in Höhe von 110 c pro Monat. Mit dessen Streichung wird die ohnehin vorhandene Angst vor dem raschen Fall in die Bedürftigkeit nach einem Verlust des Arbeitsplatzes noch mehr steigen.

Die Arbeitsagenturen sollen schon im nächsten Jahr 2 Milliarden c und längerfristig 5 Milliarden c jährlich einsparen, indem sie Leistungen künftig stärker nach eigenem Ermessen gewähren.Man tut also gerade so,als seien

die Agenturen mit den bisherigen Pflichtleistungen zu spendabel umgegangen. Die Annahme, dass Leistungen wie etwa Eingliederungshilfen usw. künftig weniger notwendig wären, ist grotesk. Indem man Rechtsansprüche der Betroffenen in Ermessensentscheidungen der Arbeitsagenturen umwandelt, macht man Arbeitslose noch mehr zu Bittstellern, als sie es bisher schon sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Arbeitslosenversicherung soll künftig ohne Zuschüsse vom Bund auskommen. Das zwingt entweder die Bundesagentur für Arbeit zu weiteren drastischen Einschränkungen, oder aber man müsste die Beitragssätze deutlich über die für 2011 vorgesehenen 3 % anheben. Das hieße: Die Arbeitnehmer werden zu höheren Beiträgen herangezogen, bei gleichzeitiger Kürzung der Leistungen für den Fall, dass sie ihre Arbeit verlieren.

Eine glatte Luftbuchung ist die Einsparung bei Hartz-IVZahlungen in Höhe von 3 Milliarden c ab 2014 – in der Annahme, dass bis dahin die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinke. Damit ist eine Senkung der Regelsätze vorprogrammiert; anders kann man das dann doch gar nicht mehr lösen.

Zusammengenommen bedeuten diese Entscheidungen eine weitere Erhöhung des ökonomischen Drucks auf die Arbeitslosen bei gleichzeitiger Senkung der Förderung. Westerwelles Hetze gegen die angeblich „spätrömisch dekadenten“ Arbeitslosen hat also Früchte getragen und wird nun zur Maßgabe der Regierungspolitik. Und Bundeskanzlerin Merkel verkauft das auch noch als „fairen Ausgleich“.

Geradezu skandalös ist die Streichung der monatlichen Pauschale von 40,80 c, die die Bundesagentur für jeden Bezieher von Arbeitslosengeld II pro Monat an die Rentenversicherung bezahlt. Dadurch erhöhte sich bisher die Rente der Betroffenen um den stolzen Betrag von 2,09 c. Schon dieser Betrag hat bei Weitem nicht ausgereicht, um bei länger andauernder Arbeitslosigkeit Altersarmut zu verhindern. Jetzt wird Altersarmut geradezu programmiert.

Im Übrigen kürzt der Bund dabei auf Kosten der Kommunen, denn sie müssen für die Grundsicherung im Alter aufkommen.

Übrigens werden die gestrichenen Beiträge zur Rentenversicherung dann letztlich der Rentenkasse fehlen und am Ende Beitragszahler oder Bundeshaushalt belasten.

(Zuruf des Abg. Hans-Christian Mick (FDP))

Nur zynisch kann man die Streichung des Heizkostenzuschusses beim Wohngeld für Geringverdiener nennen. Angesichts der ständig steigenden Energiepreise ist die Begründung für diese Streichung,nämlich dass sich die Situation erfreulicherweise entspannt habe, geradezu boshaft. Sarrazins Empfehlung, statt eine Wohnung zu beheizen, einen dickeren Pullover anzuziehen, ist bittere Wirklichkeit geworden.

(Hans-Christian Mick (FDP): Das hat er in Berlin gesagt: wo Sie regieren!)

Dass für Hartz-IV-Empfänger das Elterngeld von ohnehin nur 300 c im Monat komplett gestrichen werden soll, um damit 400 Millionen c einzusparen, muss man – mit Verlaub – als zynische Art der Bevölkerungspolitik bezeichnen. Diese Maßnahme fügt sich nahtlos in diejenige Politik ein, die die Bundesregierung seit Umwandlung des Erziehungsgeldes in das sogenannte Elterngeld verfolgt:

Man versucht, die Vermehrung von Armut zu bekämpfen, indem man die Vermehrung der Armen bekämpft.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Streichung des Weihnachtsgeldes für Bundesbeamte heißt nicht mehr und nicht weniger als eine Kürzung der Bezüge um 2,5 % durch die Hintertür.Die Streichung von 15.000 Stellen, also jeder zwanzigste Stelle, bis 2014 ist ein Signal für eine weitere Stellenstreichungsorgie im gesamten öffentlichen Dienst.

Frau Schott, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Leif Blum (FDP): Nein!)

Ja,Herr Vorsitzender,ich werde meine Rede beenden und fordere die Regierungsfraktionen dringend auf, den Einfluss, den sie auf Berlin haben, geltend zu machen, um das zu verhindern, was hier geschehen soll – vor allen Dingen zu verhindern, dass man versucht, der Demokratie zu entgehen, indem man jetzt am Bundesrat vorbei Entschließungen fasst, die dieses Volk betreffen und die kein Mensch hier will.Vielleicht sollten Sie sich einmal die aktuellen Ergebnisse zur Sonntagfrage anschauen und dann überlegen, ob Sie entweder Ihre Politik verändern oder das Regieren hier aufgeben. Denn so, wie Sie hier regieren – das will niemand mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Schott. – Als Nächster spricht Herr Kollege Schmitt für die SPD-Fraktion.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! – Ich freue mich sehr, dass sich CDU und FDP darüber freuen, dass ich hier rede.

(Leif Blum (FDP): Man weiß, was jetzt kommt!)

Ja, das stimmt. – Das Wildschwein-Gurken-Menü, das die Bundesregierung nach ihrer Klausurtagung in Berlin

(Heiterkeit der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

den Bürgerinnen und Bürgern auftischt, schmeckt vielen nicht. Es schmeckt vielen gesellschaftlichen Gruppen nicht. Es schmeckt weder den Gewerkschaften noch übrigens Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern.

(Zuruf des Abg. Hans-Christian Mick (FDP))

Die Kirchen äußern sich äußerst skeptisch und protestieren ebenso wie Sozialverbände gegen diese Pläne.

Selbst in der CDU gibt es einige, denen dieses Paket, dieses ganze Menü nicht schmeckt.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Das ist Anlass der Diskussion:Warum schmeckt es vielen nicht? – Es schmeckt vielen nicht, weil mit diesem Paket

diejenigen in der Gesellschaft getroffen werden, die am wenigsten zusätzliche Belastungen vertragen können.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Deswegen gibt es die Diskussion bei allen denjenigen, die sozial denken, die aber auch ein Interesse daran haben, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wer mit einem solchen Paket bewusst Ausgrenzung und Spaltung der Gesellschaft in Kauf nimmt, der setzt sich natürlich auch dem Vorwurf aus, dass er kaltschnäuzige Politik betreibt. Wie kalt die Politik ist, wird deutlich am Thema Heizkostenzuschüsse. Spätestens im Winter werden die einen oder anderen Wohngeldempfänger merken, wie kalt und kaltschnäuzig diese Regierung mit ihnen umgeht.

(Beifall bei der SPD)

Aber es wird jetzt auch klar,was Herr Westerwelle mit seiner am 6. Januar beim Dreikönigstreffen der FDP ausgerufenen geistig-politischen Wende meint. Er ruft die geistig-politische Wende aus.Was ist das Ergebnis? Die Ärmsten der Armen sollen die Zeche zahlen, die die Stärksten der Starken in dieser Gesellschaft angerichtet haben. Das bezeichnen Sie als geistig-politische Wende.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Len- ders (FDP))

Wir haben unter Kohl erfahren,was die geistig-moralische Wende in dieser Gesellschaft dargestellt hat: dass sich die Spaltungen verstärkt haben.Wir haben in vielen Punkten verstanden, was Herr Kohl unter Moral verstanden hat. Wir wissen jetzt, was Herr Westerwelle unter geistig-politischer Wende versteht: dass die Ärmsten der Armen in Krisenzeiten herangezogen werden sollen,und die Stärksten der Starken sollen geschont werden.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

So ist die Hornissenkoalition: Sie sticht mit ihrer Politik die Schwächsten. Das ist Hornissenpolitik, das passt farblich zu Ihnen. Die Banken und die Finanzdienstleister haben in Saus und Braus auf die Sahne geschlagen, und die Schwachen sollen nun die Rechnung begleichen. Das ist ungerecht, und das ist auch unakzeptabel.

Es ist ein wunderschöner Begriff, den Sie genannt haben: Neujustierung von Sozialgesetzen. Damit wird verkauft, dass unter Schwarz-Gelb Menschen mit geringem Verdienst, darunter Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Familien, die Lasten des Westerwelle-Merkel-Sparpakets tragen sollen, und sie tragen sie überproportional.

Von den geplanten 81,6 Milliarden c, die das Sparpaket auf vier Jahre entfaltet,tragen alleine die Gruppen,die ich eben genannt habe, 30,3 Milliarden c. Das macht deutlich, dass diejenigen verschont werden, die Lasten tragen könnten. Sie werden geschont, und herangezogen werden die Ärmsten der Armen. Ein solches Sparpaket wird die soziale Spaltung unserer Gesellschaft verstärken, weil es Menschen belastet und auch Städte und Gemeinden zusätzlich belastet.

Was passiert, wenn bei der Bezuschussung der Rentenversicherung gekürzt wird? Die Argumentation ist: Die Bezuschussung entfaltet keine Wirkung. – Das ist natürlich falsch. Die Leute werden nach einigen Jahren auf die Grundsicherung angewiesen sein. Aber wer zahlt die Grundsicherung? Es sind die Kommunen. Wieder einmal werden über die Politik von CDU und FDP die Kommu

nen in diesem Staat belastet. Auch dies ist falsche und kaltschnäuzige Politik.