Eine entscheidende, das ist in Ordnung. – Sie haben damals gesagt, Sie wollen „Hessen zum Bildungsland erster Klasse in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus“ machen.
Nach elf Jahren muss man, glaube ich, feststellen: Erstens. Bei dem, was wir heute diskutieren, finde ich es ein bisschen komisch, dass sich die Kultusminister jetzt geeinigt haben, sich nicht mehr international zu vergleichen, sondern nur noch zwischen den Bundesländern. So viel zum „darüber hinaus“.
Aber auch da müssen wir fragen, wenn ich mir beispielsweise die Ergebnisse in Deutsch anschaue und weiß, dass diesmal die Naturwissenschaften – in denen Hessen tradi
tionell nicht so gut ist – nicht geprüft wurden, und die Ergebnisse zur sozialen Herkunft:Was war vielleicht an dem falsch, was hier in den letzten elf Jahren gemacht wurde?
Ich wünsche mir, dass jemand auf der Regierungsbank die Kraft dazu findet, auch einmal zu sagen:Wir können nicht einfach weiter nur nichts tun, wie das z. B. in den letzten 15 Monaten geschehen ist.
Wenn ich mir anschaue, was im Jahr 1999 hier so versprochen wurde, dann wünsche ich mir, dass man sich auch einmal kritisch den Satz zu Gemüte führt; denn das ist eigentlich fast die größte Katastrophe in diesen elf Jahren: Herr Ministerpräsident, Sie haben am 22. April 1999 gesagt:
Mittelfristig ist es unsere Absicht, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dies wird nur durch Strukturveränderungen zu erreichen sein, die über eine Legislaturperiode hinausgehen.
Das Protokoll verzeichnet hier einen Zwischenruf:„Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aha!“ Ich glaube, dieses „Aha“ hat sich als sehr weise herausgestellt. Sie sind mit einer Landesverschuldung von 22 Milliarden c gestartet, und am Ende dieses Jahres werden wir 40 Milliarden c erreichen – und in dieser Zeit haben Sie dazu noch Landesvermögen für 2 Milliarden c auf Nimmerwiedersehen verscheuert. Das ist fast eine Verdoppelung der Schulden in Ihrer Amtszeit.
Ich finde, das ist fast das Schlechteste, was in dieser Bilanz zu finden ist, weil es uns auf Generationen hinaus lähmen wird.
Herr Ministerpräsident, wir sind leider meilenweit davon entfernt, Bildungsland Nummer eins zu sein. Wir sind leider meilenweit davon entfernt, Musterland für erneuerbare Energien zu sein. Im Gegenteil, wir sind da inzwischen auf dem letzten Platz der Flächenländer. Wir sind leider keinen Schritt weitergekommen, die soziale Spaltung dieser Gesellschaft zu minimieren. Im Gegenteil, sie wurde verstärkt. Wir sind, was die Verschuldung Hessens angeht, auf einem katastrophalen Platz.
Ich würde mir wünschen, dass dieser Rücktritt des Ministerpräsidenten und die Tatsache, dass es jetzt eine neue Landesregierung geben wird, wirklich als Chance für einen Neuanfang in der hessischen Landespolitik genutzt werden.
Aus unserer Sicht muss aus diesem Personalwechsel auch ein Politikwechsel werden. Herr Bouffier, wir wissen, dass Sie in den letzten elf Jahren jede, auch jede falsche Entscheidung mitgetragen haben.Aber wenn Sie sich einfach nur die Fakten anschauen, müssten Sie eigentlich wissen, dass Sie hier etwas verändern müssen, wenn Sie bei der Landtagswahl im Jahr 2013 auch nur den Hauch einer Chance haben wollen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karlheinz Weimar (CDU): Aber warum haben Sie bisher noch nie eine Wahl gewonnen?)
Herr Weimar, schön, dass Sie zwischenrufen. Stichwort: Warum hat wer keine Wahl gewonnen? Ich habe eigentlich gedacht, ich werde es nicht vorlesen. Sie haben im Jahr 1999 1.215.000 Zweitstimmen gehabt und sind im Jahr 2009 bei 963.000 Zweitstimmen gelandet.
Lachen Sie nicht, Herr Weimar. – Volker Bouffier muss zeigen,ob er die Kraft für einen wirklichen Neuanfang hat oder ob er diesen Scherbenhaufen, den ihm Ministerpräsident Koch hinterlässt, zum großartigen Erbe erklärt. Diese Frage wird sich in den nächsten dreieinhalb Jahren stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Karlheinz Wei- mar (CDU):Aber es hat doch nicht gereicht!)
Noch ein Punkt. Man muss sich einmal den Politikstil anschauen. Herr Ministerpräsident, Sie sind jemand, der, wenn ich das „FAZ“-Interview richtig verstanden habe, jetzt anfängt, an seinem Nachbild zu arbeiten. Für die Art und Weise,wie Sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sind Sie und nur Sie verantwortlich.
Ich erinnere an den Wahlkampf 1999, ich erinnere an den Wahlkampf 2008, ich erinnere an Ihren Umgang mit der Spendenaffäre. Bei der Spendenaffäre finde ich es sehr spannend, dass Sie jetzt sagen, Ihnen habe jemand Nitroglyzerin übergeben. Die spannende Frage ist doch: Man kann von Angela Merkel halten, was man will, aber die hat in dieser Zeit klare Worte zu Helmut Kohl gefunden, die wir von Ihnen zu Manfred Kanther bis heute vermissen, Herr Ministerpräsident.
Deswegen sage ich: Sie sind verantwortlich für Ihr Bild. Deswegen glaube ich, auch in diesem Punkt ist es an der Zeit, dass man selbstkritisch ist und sich anschaut, welche eigenen Fehler man gemacht hat.
Nils Minkmar hat in der „FAZ“ einen schönen Satz zur Frage des Stils des Wahlkampfs der Hessen-CDU und des Stils von Roland Koch geprägt. Er hat gesagt:
Im „knappen Land“ Hessen war Koch darauf angewiesen, auch noch den letzten Krümel seiner zum Teil hochbetagten Stammwählerschaft an die Urne zu bewegen. Wie ein Notarzt mit Stromstößen die Herzmuskeln stimuliert, hat er die Ladungen angesetzt: Autos, Atomkraft, Ausländer, Kriminalität, Kommunisten.Sicher hatte er für Notfälle an einem Satz gebastelt, der all das bündelt: irgendetwas mit
Herr Ministerpräsident,das hat schon 2008 und 2009 nicht mehr funktioniert. Das wird auch in Zukunft nicht mehr funktionieren. Ich wünsche mir, dass es jetzt wirklich einen Neuanfang in der hessischen Landespolitik gibt. – Vielen Dank.
Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere sehr geehrter Herr Schäfer-Gümbel und Herr Al-Wazir! Die Ihnen zufallende Rolle als Opposition verlangt es, die Regierung kritisch zu bewerten. Es ist auch legitim,in Ihrer Kritik zu überzeichnen.Was Sie aber mit Ihrem Antrag und auch mit Ihren beiden Reden hier vorführen,ist ein Zerrbild,das mit der Realität der letzten elf Jahre im Lande Hessen nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Ich will Folgendes hinzufügen: Mit Ihren beiden Beiträgen leisten Sie auch nichts Konstruktives zur Politik, und Sie nützen Ihrem eigenen Ansehen nicht. Ich denke, dass eine Opposition bei allem Kampf mit der Regierung immer wieder daran denken sollte,wie sie einen Beitrag zum Ansehen der Diskussionskultur im Landtag, in unserem Parlament, aber auch für sich selbst leistet.
Ich will Folgendes hinzufügen, meine Damen und Herren: Nach unserem Demokratieverständnis soll eine Opposition jederzeit in der Lage sein, die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Davon sind Sie auch heute noch meilenweit entfernt.
Wenn man einfach einmal Ihre Schlagworte der heutigen Beiträge, aber auch der letzten Wochen hört – Lethargie, Mehltau, Konkursverwalter, Skandalminister, Scherbenhaufen, skrupellos, Katastrophe, Spalter –, wer glaubt Ihnen das in der Öffentlichkeit?