Protokoll der Sitzung vom 23.06.2010

Im Bereich der Familienpolitik haben Sie angekündigt:

Deshalb werden wir die Belange der Familien verstärkt ins Blickfeld rücken und Benachteiligungen gezielt abbauen. Familienfreundlichkeit muss vom Land gefördert und anerkannt werden.

Kernaufgabe der Familienpolitik wird es sein, die Familien- und Erwerbsarbeit von Müttern und Vätern besser vereinbar zu machen. Priorität haben für uns deshalb die Sicherstellung und der Ausbau eines bedarfsgerechten Angebotes an verlässlicher Kinderbetreuung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der Debatten um die Mindestverordnung, über das, was uns Herr Banzer hier in den letzten Monaten an Stilblüten in Ihrer Regierungsverantwortung beschrieben hat, muss man doch feststellen, dass das eine Worthülse geblieben ist, die Sie 1999 angekündigt haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zur Energiepolitik fällt Ihnen im Jahr 1999 außer Biblis A und B nichts anderes ein als die Frage, wie Sie die Laufzeitverlängerung machen können. Aus dem Status sind Sie bis heute überhaupt nicht herausgegangen. Außer Biblis fällt Ihnen bis heute zur Energiepolitik nichts ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Zum Thema Gerechtigkeit – Herr Reif – findet sich in Ihrer Regierungserklärung von 1999 kein einziges Wort. Der Begriff findet nicht statt. Das ist einer der wenigen Punkte, wo Sie sich bis heute treu geblieben sind. Gerechtigkeit ist nicht das Markenzeichen Ihrer Regierung. Wir wissen,was mit der „Operation düstere Zukunft“ für viele Menschen in diesem Lande angerichtet wurde.

Sie sind das, was Sie schon immer waren: ein Spalter. Ich glaube, das kann man nach elf Jahren unzweifelhaft festhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal)

(CDU) : Das ist unter allem menschlichen Niveau! – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Herr Wagner, Roland Koch ist und bleibt der Unvollendete. Er hat keine seiner Aufgaben zu Ende gebracht. Er hat keine seiner Ankündigungen zum Ende geführt. Deswegen wiederhole ich: Sein Abgang ist nichts anderes als die Flucht aus der Verantwortung und vor der Verantwortung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ändert nichts daran, dass ich – obwohl ich viele seiner Positionen nicht teile – die analytische Klarheit,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das macht es auch nicht mehr besser! Peinlich, peinlich!)

mit der er sich zu wirtschafts-, finanz-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Themen einbringt, schätze. Daran kann man sich abarbeiten, weil es in den Positionen klar ist und weil er dazu auch etwas einzubringen hat. Das will ich ausdrücklich sagen.

Herr Koch, ich erinnere mich gut an eine Rede, die Sie im vergangenen Jahr vor der ASU gehalten haben.Viele Sozialdemokraten, konnten 95 % dessen ausdrücklich unterstreichen, was Sie dort ausgeführt haben, auch zur Verantwortung von Unternehmen. Das ist ganz sicherlich etwas,was Sie von Ihrem Konkursverwalter unterscheidet – der bisher zu den Fragen Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und Bildung wenig beigetragen hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen bleibt am Ende in der Tat die Frage zu stellen: Was bleibt eigentlich von Koch?

(Zuruf von der SPD:Vier Zeilen!)

Ich will ausdrücklich sagen, ich verspüre natürlich wenig Wehmut bei Ihrem Rücktritt. Etwas anderes würde Sie auch sehr überraschen, und das würde mir kein Mensch abnehmen.

Trotzdem will ich Ihnen den Respekt zollen, der auch notwendig ist: vor Ihrem Einsatz, vor der Zeit, die Sie eingebracht haben, vor der Verantwortung, die Sie übernommen, und auch vor dem, was Sie an Gesundheit und Familienzeit eingebracht haben. Das verdient unser aller Anerkennung und Respekt, und das will ich am heutigen Tag ausdrücklich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Koch, persönlich wünsche ich Ihnen, dass Sie vielleicht ein bisschen Zeit für sich selbst finden

(Clemens Reif (CDU): Das wünsche ich Ihnen auch!)

und auch die Kraft, gelegentlich einmal über sich selbst zu lachen.

Herr Schäfer-Gümbel, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, ich bin bei den letzten drei Sätzen.

Ich wünsche Ihnen die Kraft, gelegentlich einmal über sich selbst zu lachen. Ich sage Ihnen: Dann wird manches einfacher.

Damit komme ich auch zum Schluss.Was schenkt man einem Ministerpräsidenten? – Ich weiß, Sie mögen meine Geschenke selten, aber heute werden Sie es mögen. Was schenkt man einem Ministerpräsidenten, von dem einen politisch viel trennt?

Herr Koch, das Gemeinsame, das uns verbindet, ist ganz sicherlich die Leidenschaft heute Abend, wenn es darum geht, dass die deutsche Nationalmannschaft den Einzug ins Achtelfinale erreicht. Das Fansymbol dieser Tage ist die Vuvuzela.

Deswegen möchte ich Ihnen zum Abschied eine Vuvuzela schenken, sozusagen als das gemeinsam Verbindende in der Fangemeinschaft heute Abend.Wir werden da sicherlich gemeinsam an einem Strang ziehen.

Die letzte Bemerkung verkneife ich mir dann doch nicht: Natürlich gibt es manche, die der Auffassung sind, das Ding sei auch geeignet, heiße Luft lautstark zu verbreiten.

(Zurufe der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) und Judith Lannert (CDU))

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie immer, ein bisschen in der Mitte.In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß und sage herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Zu dem Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht ihr Vorsitzender, Herr Al-Wazir.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Natürlich habe auch ich mir nach der elfjährigen Amtszeit eines Ministerpräsidenten die Regierungserklärung von 1999 von vorn bis hinten durchgelesen. Ich muss sagen: Gerade in der Rückschau war das eine sehr vergnügliche Lektüre – wenn man das, was damals versprochen wurde, aus Oppositionssicht mit dem vergleicht, was erreicht worden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP und auch Herr Ministerpräsident, ich will aber vorweg sagen: Es hat uns schon sehr gewundert, dass die Tatsache, dass ein Ministerpräsident seinen Rücktritt ankündigt – das bedeutet nach der Hessischen Verfassung übrigens den Rücktritt der gesamten Regierung –, weder aus Sicht der Landesregierung Anlass für eine Regierungserklärung war, noch aus Sicht von CDU und FDP der Anlass, hier eine Debatte zu beantragen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Ich muss sagen, ich bin nicht dafür bekannt, in den letzten Jahren besonders unkritisch mit dem Ministerpräsidenten umgegangen zu sein – aber, liebe Kolleginnen und Kolle

gen,nach elf Jahren hat selbst Roland Koch mehr verdient als diesen Antrag, den Sie hier eingereicht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber nun zur Regierungserklärung. Herr Ministerpräsident, auch ich bin über diesen Satz vom 22.April 1999 gestolpert, wonach die 30 Arbeitsamtsbezirke mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit in Bayern und Baden-Württemberg liegen. Ich will das ergänzen: Im Durchschnitt des Jahres 2009 kommt der beste hessische Bezirk jetzt auf Platz 55.

Vielleicht ist das Anlass für diejenigen, die jetzt die Verantwortung hier übernehmen werden – Herr Bouffier, bei geheimen Wahlen weiß man nie –, für diejenigen, die sich wünschen, die Verantwortung zu übernehmen, einmal zurückzuschauen und sich zu überlegen: Was haben wir in diesem Bereich eigentlich getan, und was haben wir erreicht?

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich sage Ihnen sehr deutlich:Wenn ich zurückdenke, nicht nur an die Regierungserklärung von 1999, sondern auch an all die großen Versprechungen – Stichwort:WisconsinModell, alles wird besser, und die Optionskommunen können es schaffen –, dann müsste man nach elf Jahren doch jetzt einmal schauen, was wir vielleicht falsch gemacht haben. Ich würde mir wünschen, dass Sie die Kraft dazu finden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich wünsche mir, dass Sie sich diesen Satz von 1999 – Herr Ministerpräsident, damals haben Sie gesagt, es ist das Ziel der Landesregierung, die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden zu verbessern – einmal mit dem Ist des Jahres 2010 vergleichen und sich überlegen, ob Sie das, was Sie für diesen Herbst im Haushalt angekündigt haben, wirklich umsetzen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe der Abg. Gottfried Milde (Griesheim) und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich wünsche mir, dass wir uns sehr genau betrachten, was Sie, Herr Ministerpräsident, 1999 über den Quantensprung in der Bildungspolitik gesagt haben. Thorsten Schäfer-Gümbel hat es erwähnt. Physiker Kaufmann sagt immer, das ist die kleinste Bewegung, die möglich ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber eine entscheidende!)