Meine Damen und Herren, die Krise hat eines deutlich gezeigt: Die Bürgerinnen und Bürger haben trotz des mangelnden Zutrauens in die Politik – das ist das Besondere – nach wie vor hohe Erwartungen an den Staat. Auf der einen Seite trauen sie denen,die auf Zeit berufen sind, Politik zu gestalten, vergleichsweise wenig zu.Auf der anderen Seite erwarten sie insbesondere in Krisenzeiten vom Staat nahezu alles. Der Staat bleibt in der Krise die letzte Instanz,auf die sich viele Hoffnungen immer wieder gründen. Dieser Verantwortung stellen wir uns, und wir setzen dabei auf bewährte Prinzipien, aber nicht auf alte Praktiken.
In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder politische Entscheidungen getroffen, deren Umsetzung nur über Schulden finanziert wurde. Was anfangs als Ausnahme galt, wurde schnell zum Regelfall. Dies gilt für alle Ebenen der Politik – von der Kommune bis hinauf zum Bund. Diese Politik wachsender Verschuldung wurde von allen Parteien praktiziert.
Nur durch diesen fatalen Konsens – man muss sich das nüchtern vorstellen – aller Parteien konnte die Situation entstehen, die man heute im Rückblick eigentlich als paradox bezeichnen muss: Die reichste Generation aller Zeiten hat die größten Schulden aller Zeiten gemacht. – Verantwortung für kommende Generationen sieht jedenfalls anders aus, und deshalb, meine Damen und Herren, ist diese Landesregierung der Überzeugung: So darf und kann es nicht weitergehen.
Es war daher eine der weitsichtigsten Entscheidungen des Bundesgesetzgebers, in diesem Fall der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag und im Bundesrat, eine Schuldenbremse in das Grundgesetz aufzunehmen. Auch in Hessen wollen wir jetzt im Sinne dieser Generationengerechtigkeit über eine Volksabstimmung in der Landesverfassung eine Schuldenbremse einführen. Wir wollen, dass die hessischen Bürgerinnen und Bürger diese Weichenstellung direkt und unmittelbar vornehmen können. Ihre Entscheidung soll die Einzelheiten für die Ausgestaltung der Schuldenbremse in der Landesverfassung festlegen – so, wie es der Bund bereits für sich getan hat.
Wir wollen – nicht als Selbstzweck – diese Schuldenbremse, damit eine Politik zulasten der Kinder in unserem Land ab dem Jahr 2020 nicht mehr möglich ist.
Diese Überzeugung muss unsere gemeinsame Politik prägen, für alle Entscheidungen und auf allen Ebenen. Das geht von der Zusammenarbeit mit den Kommunen über das Miteinander mit den anderen Ländern bis hin zur Abstimmung mit dem Bund und im europäischen Rahmen.
Diese Landesregierung versteht sich dabei als konstruktiver Partner der Bundesregierung. Dies werden wir – selbstverständlich bei Wahrung unserer hessischen Interessen – auch im Bundesrat deutlich machen.
Ich will auch ein Wort zu Hessens Rolle in Europa sagen: Als europäischer Finanz- und Wirtschaftstandort, der herausragenden Rang einnimmt, als Verkehrsdrehscheibe mit dem Frankfurter Flughafen und als internationaler und interregionaler Partner hat Hessen ein vitales Interesse daran, dass eine starke Europäische Union kraftvoll handlungsfähig bleibt und das Prinzip der Subsidiarität gewahrt ist.Aber ich will Ihnen auch zurufen: Diese Hessische Landesregierung weiß, dass sie in Europa besondere Chancen und besondere Verpflichtungen wahrzunehmen hat. Deshalb denken, fühlen und handeln wir europäisch, nach dem Satz, den ich gerne zitiere:Wir wissen, wo wir herkommen. Wir wissen, wo unsere Wurzeln sind. Wir wissen aber auch, wo unsere Zukunft ist.
Unsere Heimat auf der einen Seite zu bewahren und Europa mitzugestalten ist eine der großartigsten Chancen, die wir haben. Viele andere Regionen beneiden uns um diese Chancen. Deshalb wollen wir sie kraftvoll aufnehmen, und ich bitte um Ihre Unterstützung dafür.
Unsere Politik ist aber nur so handlungsfähig, wie es der eigene Haushalt zulässt. Diese Landesregierung steht zu ihrer föderalen Verpflichtung, als wirtschaftsstarke Region den schwachen Ländern zu helfen.
Meine Damen und Herren, diese Bereitschaft hat allerdings ihre Grenzen. Wir mussten in Hessen – das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen – seit 1999 fast 16 Milliarden c Schulden aufnehmen. Gleichzeitig haben wir in dieser Zeit 27 Milliarden c in den Länderfinanzausgleich gezahlt. Das heißt schlicht: Wenn wir den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes für uns alleine hätten nutzen können, hätten wir in dieser Zeit einen Überschuss von 11 Milliarden c erzielt.
So einfach ist die Welt. – Herr Kollege, wir stehen zu unserer Verpflichtung und zur Solidarität auch mit finanzschwächeren Ländern.Wir können aber nicht akzeptieren – ich hoffe, dass das unsere gemeinsame Überzeugung hier im Hause ist –, dass mit dem Geld aus Hessen in anderen Ländern Leistungen kostenfrei angeboten werden, die wir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht kostenfrei anbieten können, weil es unsere Haushaltslage nicht erlaubt.Meine Damen und Herren,das kann so nicht bleiben.
Ich sage deshalb für diese Landesregierung: Sollten wir auf dem Verhandlungswege nicht weiterkommen, werden wir gemeinsam mit Bayern und Baden-Württemberg eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erwägen müssen. Ich hoffe, dass Einsicht bei unseren Partnern noch zu Verhandlungslösungen führt. Wenn dies nicht gelingt, dann werden wir uns dem Klagewege nicht verweigern können.
In Hessen haben wir den Konsolidierungskurs bereits eingeschlagen. Ich will daran erinnern, und der Herr Finanzminister wird morgen den Haushaltsplan 2011 einbringen: Wir legen Ihnen einen Plan vor, der Einsparungen in Höhe von über 800 Millionen c vorsieht. Die dafür notwendige Reduzierung der Ressortansätze um durchschnittlich 3,5 % ist einmalig.Wir zeigen damit sehr deutlich: Wir machen Ernst mit dem Kurswechsel in der Finanzpolitik.
Doch auch das will ich sagen: Alle finanzpolitischen Bemühungen eines Landes haben nur dann Sinn, wenn auch die Kommunen als Partner handlungsfähig bleiben. Wo die Kommunen schwach sind, wird kein Land auf Dauer stark sein können. „Gemeinsam für ein starkes Hessen“ bedeutet daher immer auch „gemeinsam für starke Kommunen in Hessen“.
Generationengerechtigkeit fängt in den Kommunen an. Wir wollen deshalb gemeinsam mit der kommunalen Familie für unsere Kinder und Kindeskinder die Weichen auf Zukunft stellen.Viele Kommunen in Hessen verfügen aber nicht über die notwendigen Mittel für diese Weichenstellung – aus unterschiedlichsten Gründen.
Natürlich sind die kommunalen Haushalte zunächst einmal Sache der Kommunen. Für die nachhaltige Sanierung der öffentlichen Haushalte muss daher jede Kommune zunächst einmal bei sich selbst anfangen. Sie muss eigene Anstrengungen unternehmen, z. B. auch durch die Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit. Sie muss ihre Beiträge leisten.
Dieser eigene Beitrag kann aber nicht bedeuten, dass die Kommunen die für die Bürger notwendigen Infrastruktureinrichtungen nicht mehr aufrechterhalten können. Deshalb wollen wir die notwendige Konsolidierung unserer Haushalte in fairer Partnerschaft zwischen Land und kommunaler Familie gestalten. Wir wollen verhindern, dass die Schuldenbremse unsere Kommunen vor neue Probleme stellt. Eine Schuldenbremse des Landes auf Kosten der Kommunen umzusetzen wäre der falsche Weg.
Dabei steht völlig außer Frage, dass das Land letztlich der Garant für die Kommunen ist.Dieser Verantwortung wollen wir uns auch stellen. Wir wollen jetzt einen neuen, ganz konkreten Beitrag für die Konsolidierung der kommunalen Haushalte leisten, der so – nach allem, was wir sehen – in der Bundesrepublik sicherlich beispielgebend sein wird: Wir bieten den hessischen Kommunen die Einrichtung eines kommunalen Schutzschirms an, um die Bekämpfung der Verschuldung unserer Kommunen gemeinsam angehen zu können.
Ich bin mir dabei bewusst,dass man in einer so vielfältigen kommunalen Landschaft wie in Hessen nicht von d e n Kommunen sprechen kann.Es liegt auf der Hand,dass die Verhältnisse in Frankfurt am Main oder in Bad Homburg ganz anders sind als in Offenbach, in Gießen oder in vielen anderen, insbesondere auch kleinen Kommunen.
Die hessischen Kommunen sind im Schnitt die steuerstärksten in ganz Deutschland. Allerdings verteilen sich die Einnahmen bei diesen Kommunen sehr, sehr unterschiedlich. Diese strukturellen Unterschiede innerhalb
der kommunalen Familie erfordern auch neue und treffsicherere Instrumente,als sie uns bislang gelungen sind.Wir wollen deshalb als Land eine Lösung angehen, bei der wir insbesondere bereit sind, die Altschuldenproblematik gemeinsam mit den Kommunen neu zu gestalten und ihnen dabei auch nachhaltig zu helfen.
Wir wollen einen eigenen Beitrag zur Bewältigung dieses Problems leisten.Wir bieten an, kommunale Verbindlichkeiten nach dem Bedürftigkeitsprinzip in einem Fonds zu bündeln und zur langfristigen Tilgung einen Betrag von bis zu 3 Milliarden c aus Landesmitteln zu leisten.
Meine Damen und Herren, mit dieser partiellen Schuldenübernahme wollen wir Not leidenden Städten, Gemeinden und Landkreisen spürbar helfen. Gleichzeitig werden wir Regeln dafür finden, wie wir die Zinslasten dieses Fonds gemeinsam tragen können.
Wir wollen bedarfsorientiert und zielgenau und nicht nach dem Gießkannenprinzip helfen. Unser Konsolidierungsangebot meint Hilfe zur Selbsthilfe. Es soll in Kombination mit eigenen Anstrengungen der betroffenen Kommune sicherstellen, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit wieder dauerhaft gewährleistet ist.
Um es einmal ganz konkret zu sagen: Wir wollen erreichen, dass Kommunen auch künftig Spielplätze, Sportanlagen und Schwimmbäder bauen können, aber sie vor allen Dingen auch unterhalten können. Dafür können wir mit einem solchen Fonds sehr viel tun, meine Damen und Herren.
Wir wollen mit der kommunalen Seite einen Weg verabreden, nach welchen Kriterien wir den Zugang zu einem solchen Fonds ermöglichen und welche verbindlichen Konsolidierungsschritte die betreffenden Kommunen dann gehen müssen.
Damit verbindet sich natürlich auch die Aufgabe, einen Weg zu finden, wie wir jene Kommunen, die bereits in der Vergangenheit besondere Anstrengungen unternommen haben, ihre Finanzen zu ordnen, im Vergleich zu jenen behandeln, die das noch nicht oder nicht in ausreichendem Maße getan haben. Es wird also darum gehen müssen, einen fairen Weg innerhalb der Kommunen zu finden, wie diejenigen Kommunen, die diese Hilfe annehmen wollen, sie annehmen können und unter welchen Bedingungen dies geschehen soll.
Dieser kommunale Schutzschirm ist ein Hilfsangebot, das jede einzelne Kommune annehmen kann,aber nicht muss. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Landeswohlfahrtsverband als kommunale Einrichtung in diese Überlegungen mit einbezogen werden kann.
Wir streben bei diesen Gesprächen einen belastbaren Konsens an. Wir wollen niemandem etwas überstülpen, sondern wir wollen gemeinsam mit den Betroffenen nachhaltig die kommunale Verschuldung reduzieren.
Meine Damen und Herren, das sind die Eckpunkte, mit denen die Landesregierung in die Gespräche mit den Kommunalen Spitzenverbänden gehen will. Ich habe Finanzminister Dr. Schäfer gebeten, sehr bald die Gespräche mit der kommunalen Familie aufzunehmen, um ge
meinsam ein detailliertes Handlungskonzept zu entwickeln, das sich an den geschilderten Leitlinien orientiert.
Ich appelliere an alle Beteiligten – ich meine wirklich alle –, meinen Vorschlag zügig aufzugreifen und als Chance zu betrachten. Sie ist nicht nur einmalig, aber solche Angebote, so gerne man Angebote macht, werden wir nicht allzu häufig machen können. Es ist eine Maßnahme, die der besonderen Situation geschuldet ist, und es ist eine riesige Anstrengung, die das Land dabei zugunsten der Kommunen unternimmt. Darauf, meine Damen und Herren, können wir dann gemeinsam stolz sein – Stadt und Land, Hand in Hand.
Meine Damen und Herren, wir setzen Prioritäten für ein neues Miteinander. Als Staat können wir nicht alles, aber wir können für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen.
Diese Landesregierung steht für einen starken Staat, der aber auch um seine Grenzen weiß. Wir wollen das gewährleisten, was die Menschen zu Recht vom Staat erwarten, wie etwa eine konsequente Sicherheitspolitik und die besten Voraussetzungen für die Bildung unserer Kinder. Wir stehen für einen starken Staat, der seine Aufgaben in solchen Kernbereichen auch erfüllt.
Wir wissen aber auch um die Grenzen dessen, was der Staat leisten kann,nicht nur,wenn es um persönliche Freiheitsrechte und das gesellschaftliche Klima geht.In diesen Bereichen wollen wir moderieren, Impulse geben, Unterstützung leisten. Es ist meine feste Überzeugung: Nur ein Staat, der seine Grenzen kennt, bleibt auf Dauer auch wirklich handlungsfähig.
Deshalb müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Was muss zwingend der Staat tun, was dürfen und müssen wir erwarten,dass die Bürger es selbst für sich tun,und wo soll der Staat gesellschaftliche Prozesse moderieren und mithelfen, diese Gesellschaft zu entwickeln, sodass es für alle Seiten friedlich und erfolgreich vorangeht?