Denn diese Anstrengungen,die im Bildungssystem vorzunehmen sind, werden wir nur gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern, mit den Eltern, mit der Schulverwaltung und natürlich auch mit den Schülerinnen und Schülern leisten können. Aber ich glaube, dass diese dafür einen möglichst breiten Konsens in der Bildungspolitik im Hessischen Landtag brauchen. Wie gesagt: Sie sind herzlich eingeladen. Machen Sie mit.
Herr Bouffier, das ist eine der Baustellen, eines der Themen, wo wir Sie daran messen werden, ob Sie das Gegenteil von dem machen, was Sie heute gesagt haben. Denn
auf der Überschriftenebene haben Sie ähnliche Sprachbilder verwendet. Die spannende Frage wird sein, ob wir das Gleiche meinen,ob Sie meinen,was Sie sagen,oder ob Sie etwas anderes meinen, wenn Sie es sagen.
Genau das ist es, was Sie im Hessischen Landtag herauszuarbeiten haben. Da war mir Ihre Regierungserklärung entschieden zu dünn. Sie müssen aufpassen, dass dem anderen Ton, den ich gerne aufnehme, eine Klarheit in der Sache folgt, die notwendig ist bei den Herausforderungen im Bildungssystem, die ich eben angesprochen habe.
Sie haben ein zweites Thema angesprochen, das mindestens genauso schwierig ist und viele Anstrengungen erfordern wird:die Förderung der Familie.Ich will dabei nur einen Punkt herausgreifen. Sie haben davon gesprochen, dass Sie die betriebsfreundliche Familie nicht wollen. Diese Worte habe ich gerne gehört. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sie aufhören müssen, immer einzelne Politikthemen wie Familie, Bildung, Soziales und Arbeit nebeneinanderzustellen und so zu tun, als könne man das eine ohne das andere.
Die spannende Frage ist doch, wenn Sie hier von betriebsfreundlicher Familie reden, die Sie nicht wollen, was das für das Thema Flexibilisierung von Arbeitszeit heißt. Was heißt das für den Ladenschluss in Hessen? Was heißt das für die Alleinerziehende, die 15 bis 17 km von Gießen entfernt in Allendorf (Lumda) lebt, die in Teilzeit bei Karstadt oder bei Kaufhof in Gießen arbeitet und keinen Betreuungsplatz vor Ort hat? Was ist die Antwort darauf?
Sie haben keine. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung genau darauf keine Antwort gegeben. Ihr Bild ist zwar richtig: Wir wollen den familienfreundlichen Betrieb, wir wollen nicht die betriebsfreundliche Familie.Aber das hat Konsequenzen für andere Bereiche. Eine der wesentlichen ist, dass wir Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herstellen.
Dazu haben Sie gar nichts gesagt. Das verwundert mich auch nicht, weil Sie den einzigen Vertreter der Sozialausschüsse, der dem hessischen Landeskabinett noch angehört hat, kurzerhand aus dem Kabinett entsorgt haben. Staatssekretär Krämer, der Landesvorsitzende Ihrer Sozialausschüsse, gehört der Regierung nicht mehr an. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, was Sie sich hier erlauben.
50 %, Herr Irmer, die Hälfte, aller Beschäftigten, die weniger als 30 Jahre alt sind, arbeiten nach den offiziellen Statistiken der Bundesagentur heute in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Die Hälfte einer Generation arbeitet also zu Niedriglohn,in Teilzeit,Leiharbeit,400-cJobs oder Praktika.
Wie wollen wir eigentlich ernsthaft, wenn wir über Familie reden – es gibt ja etliche hier im Raum, die selbst Familie haben –, jungen Männern und Frauen den Mut und die Zuversicht geben, die Verantwortung für Kinder und Kindererziehung zu übernehmen, wenn sie mit ihrer Einkommenssituation nicht einmal in der Lage sind, sich am Ende des Monats zu ernähren?
Das können wir nicht. Da muss man ehrlich sein. Deswegen hat das Thema Ordnung am Arbeitsmarkt erhebliche Auswirkungen auf die Frage, ob wir eine fortschrittliche Familienpolitik machen, die mit verschiedenen Bildern und verschiedenen Möglichkeiten versetzt ist, die auch verschiedenste Familienformen zulässt. Aber wenn wir diese Ordnung am Arbeitsmarkt nicht herstellen, wenn wir die Familien nicht in die Lage versetzen, sich selbst zu ernähren, und dies anschließend der Steuerzahler durch Zuschläge ausgleichen muss, dann ist etwas grundfaul.
Ich nehme Ihnen ja ab, dass Sie das so meinen, Herr Bouffier, dass die soziale Marktwirtschaft auch aus sozialer Verantwortung für die Menschen gespeist ist, dass die Kennzahlenfetischisten nicht mehr diejenigen sind, die die Grundorientierung ausgeben können, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Aber dann müssen Sie Ihren Worten auch Taten folgen lassen. Sie haben zur Ordnung auf dem Arbeitsmarkt keinen einzigen Satz gesagt. Das ist außerordentlich bedauerlich.
Das Einzige, was Sie formuliert haben, ist – das teilen Sie mit Ihrem Amtsvorgänger –, dass wir gute Arbeitsmarktzahlen haben. Ja, sie sind besser, und darüber freuen wir uns.Wir freuen uns im Übrigen auch, dass wir die Kurzarbeiterregelung gegen den erbitterten Widerstand der FDP durchgesetzt haben,weil sonst Tausende von Leuten ihren Job verloren hätten.
Das kann man ja mal sagen. Das war die Verantwortung von Union und SPD. Dass Teile der FDP sich mittlerweile auch dazu bekennen, dass die Kurzarbeiterregelung gut war und dass sogar Gewerkschaften wieder ihren Sinn haben, das freut uns. Das freut uns sehr, aber im Kern war diese Entscheidung eine, die die Große Koalition zu verantworten hatte und mit der sie auch Gutes getan hat.
Aber Ihr Amtsvorgänger, Herr Koch, hat in seiner allerersten Regierungserklärung gesagt: Wir wollen nicht nur gute Arbeitsmarktdaten haben,sondern wir wollen zu den 40 besten Arbeitsamtsbezirken in Deutschland aufschließen. – Soll ich Ihnen etwas sagen, Herr Bouffier? Unter dieser Messlatte laufen Sie auch heute noch durch. In Hessen gibt es keinen Arbeitsamtsbezirk, der zu den 40 besten der Republik gehört. Dort haben Sie nichts erreicht.
Wenn das Ihr Anspruch ist, dann werden Sie über Fragen der Ordnung des Arbeitsmarktes, über die Frage, was das für Mindestlöhne heißt, damit Menschen am Ende des Monats von ihrem Einkommen auch leben können, wenn sie Vollzeit erwerbstätig sind, reden müssen. Sie werden über die Frage der Leiharbeit anders reden müssen, und vieles andere mehr. Dazu kam von Ihnen heute allerdings kein Wort. Das ist eine vertane Chance.
Das gilt im Übrigen auch – ich weiß, das hören Sie ungern – für das Thema Armut. Ich will Sie mit den Worten von Herrn Hilgers konfrontieren, der zwar auch Sozialdemokrat ist, aber gleichzeitig Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes ist,der vor einem Dreivierteljahr hier im Hessischen Landtag ein paar zentrale Daten veröffentlicht hat, die zumindest meine Fraktion seitdem nicht los
lassen, weil sie so dramatisch beschreiben, vor welcher Herausforderung wir auch sozialpolitisch stehen.
im Jahr 2000 lebten 1,1 Millionen von Sozialhilfe und 350.000 von allen anderen Hilfesystemen, die am Schluss bei den heutigen 215 c Regelsatz enden. Heute
haben wir noch 14 Millionen Menschen unter 18 Jahren, und von denen leben 2,5 bis 2,6 Millionen auf dem Niveau von Sozialhilfe.
Und ich habe nun zwei Jahre lang mitgearbeitet an einem Forum Demografischer Wandel beim Bundespräsidenten,und die Ergebnisse sind von allen Experten einstimmig bestätigt, es gibt keinen Widerspruch:Wir werden spätestens 2035
weniger als 10 Millionen Menschen unter 18 Jahren haben, und davon werden 4 bis 5 Millionen auf Sozialhilfeniveau leben.
Weil es also auch eine Armutsfrage, eine soziale Frage gibt, hätte ich von Ihnen heute erwartet, dass Sie dazu etwas sagen und dabei nicht nur an der Oberfläche bleiben. Ich hätte erwartet, dass Sie etwas zu der Frage sagen, welche Infrastruktur wir aufbauen, um dem entgegenzuwirken, sowohl in der Prävention als auch in der akuten Behandlung, bis hin zu der Frage: Was heißt das z. B. für das Thema Mittagstisch? Ich halte es nach wie vor für einen unerträglichen Zustand, dass Sozialhilfeträger sich teilweise auf den Weg gemacht haben, um Kindern ein kostenfreies Mittagessen in den Schulen anzubieten, und Sie als Kommunalaufsicht genau das untersagt haben. Das halte ich für nicht glaubwürdig, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ja,ein anderer Ton,aber keinen Hinweis darauf,wie Sie es in der Sache machen wollen. Sie geben keine Hinweise darauf.
Ich sage Ihnen das sehr ungeschützt: Ihre Ankündigung, ausgerechnet Herrn Grüttner zum Sozialminister zu machen, ist sozusagen ein Schreckensprogramm für viele Verbände gewesen, weil sie sich alle daran erinnern, was im Jahr 2004/05 mit der „Operation düstere Zukunft“ passiert ist.
Sie haben heute zur sozialen Infrastruktur in Hessen kein einziges Wort gesagt. Das ist ein Armutszeugnis, Herr Ministerpräsident.
Wirtschaft. Sie haben am Schluss noch ein bisschen über wirtschaftspolitische Fragen geredet und betont, dass der Mittelstand für Sie besonders wichtig ist. Ja, der Mittelstand ist in Hessen nach wie vor das Rückgrat in der wirtschaftlichen Entwicklung. Natürlich gibt es viele Infrastrukturprojekte, die politisch auch umstritten sind, weniger zwischen Ihnen und uns als mehr zwischen anderen hier im Haus, die wir auch gerne vorangetrieben hätten. Aber es lag doch, ehrlich gesagt, nicht an uns, dass in den letzten elf Jahren an der A 49, zu der Roland Koch noch im Jahr 1998 angekündigt hat, am ersten Tag nach seinem Amtsantritt würden die Bagger rollen, bis heute nichts passiert ist. In Ihrer Zeit ist doch kein Meter gebaut worden, Herr Bouffier.
Deswegen freue ich mich sehr, dass Herr Wirtschaftsminister Posch nach elf Jahren – die kleine Zwischenphase lassen wir einmal außen vor – da neuen Schwung hineingebracht hat und dass das jetzt wirklich zügiger vorangeht als bisher; aber das Thema beschäftigt uns, wie gesagt, schon sehr lange.
Das gilt im Übrigen auch für den Flughafen, eines meiner Lieblingsthemen in den letzten Jahren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage hier mit großem Selbstbewusstsein:Der Erfolg des Frankfurter Flughafens über die letzten Jahrzehnte ist eng mit der Sozialdemokratie verbunden.
(Beifall bei der SPD – Dr.Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Das ist aber lange her! – Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vorsitz.)