Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Dr. Wagner, ich weiß, das ist Ihre Strategie für die Kommunalwahl. Aber denken Sie doch einen Moment darüber nach, dass es möglicherweise unser Gegenzug sein könnte,anlässlich der Kommunalwahl über die katastrophale Finanzlage des Landes zu diskutieren und darüber, wer sie verursacht hat. Mal sehen, wer dabei als Gewinner herausgeht.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Dr. Chris- tean Wagner (Lahntal) (CDU))

Dieses Thema ist viel zu ernst für eine parteipolitische Taktik.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Deswegen lautet die Frage: Warum soll das jetzt in die Verfassung?

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Meine Damen und Herren, da können Sie noch so viel dazwischenrufen, es ist einfach nüchtern festzustellen:

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Sie haben doch im Bundestag zugestimmt! – Gegenruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Auch ohne Verfassungsänderung – Herr Dr. Wagner, da können Sie noch so viel dazwischenrufen – gilt natürlich diese Regelung des Grundgesetzes; unter dem Vorbehalt, den hat Herr Dr.Wagner auch genannt,dass die Klage des Landes Schleswig-Holstein beim Bundesverfassungsgericht scheitert und das Bundesverfassungsgericht feststellt:Nein,das ist kein Eingriff in die Autonomie der Länder.

Wenn sich diese Regelungen als verfassungsgemäß herausstellen, gelten sie selbstverständlich mit allen ihren Komponenten auch in Hessen. Alle die Punkte, die Sie eben genannt haben, können Sie gesetzlich regeln, unterhalb der Verfassung.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Das sollte eigentlich unter Juristen unstreitig sein und ist es auch.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ihr habt doch diesem Gesetz zugestimmt! – Gegenruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE): Er nicht!)

Deswegen riecht das alles nach billigem Wahlkampf für die Kommunalwahl, aber nicht nach einer soliden Auseinandersetzung.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Wagner, es spricht auch für sich, dass das im Schweinsgalopp durchgezogen werden soll.

Jedenfalls werden wir als SPD-Fraktion uns mit diesem Thema sehr intensiv auseinandersetzen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wir werden Ihre angebliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit – Dr.Wagner hat sie eben nochmals formuliert – auf den Prüfstand stellen, und zwar mit eigenen Vorschlägen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Eines aber sage ich jetzt schon klipp und klar: Eine Schuldenbremse, die am Ende die Kommunen ausbluten lässt, ist für die SPD nicht akzeptabel.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Chris- tean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist jetzt kein Wahlkampf?)

Mit dem geplanten Sonderopfer der Kommunen in Höhe von fast 400 Millionen c ab dem Jahr 2011 greift die Landesregierung schon jetzt in die Kassen von Städten, Gemeinden und Kreisen, um ihre Finanzlage zu verbessern. Deswegen stelle ich ausdrücklich fest: Die SPD-Fraktion wird den Vorschlag der kommunalen Gemeinschaft aufgreifen und einen Änderungsantrag einbringen, der es verfassungsrechtlich absichert, dass nicht am Ende die Städte, Gemeinden und Landkreise die Zeche zahlen müssen und ihre Aufgaben nicht mehr erledigen können.

(Beifall bei der SPD)

Ohne eine solche Absicherung für die kommunalen Finanzen wird es keine Zustimmung der SPD für eine Verfassungsänderung geben. Das will ich hier noch einmal deutlich herausarbeiten. Wir brauchen keinen solchen Schutzschirm, wie das gestern formuliert wurde. Das ist doch kein Schutzschirm, das ist ein halb aufgeblasener Rettungsring, der den Ertrinkenden nur unter der Bedingung zugeworfen wird, dass sie ihr Vermögen verkaufen und gleichzeitig sagen: Ja, wir bringen an unserem Ortsschild jetzt den Zusatz an „Durch die Landesregierung gerettet“. – Meine Damen und Herren, das kann es wohl nicht sein.

(Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, das kann es wohl nicht sein. Die Kommunen brauchen einen verfassungsrechtlich abgesicherten Rettungsschirm.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich kann über die Schuldenbremse nicht verhandelt werden, ohne die Einnahmeseite zu berücksichtigen. Schwarz-Gelb hat schon jetzt die öffentlichen Kassen zugunsten ihrer Klientel geschwächt – man denke nur an die Steuersenkung für Hoteliers.

(Zuruf von der FDP: Oh!)

Staatliche Aufgaben, vor allem in der Bildungspolitik bis zum Bereich innere Sicherheit, können eben nicht nach

der Kassenlage bewältigt werden. Ohne ausreichende Einnahmen kann das Ziel nicht erreicht werden, 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts für Bildung durch das Land bereitzustellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ohne ausreichende Einnahmen kann die innere Sicherheit nicht gewährleistet werden, und ohne ausreichende Einnahmen gibt es auch nicht die notwendigen Investitionen in diesem Land. Deswegen muss man auch über die Einnahmeseite reden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Unsere Hessische Verfassung stellt in vorbildlicher Weise als Staatsziele fest, dass die soziale Sicherheit gewährleistet sein muss,sie nennt den Umweltschutz,Kunst und Kultur, und sie hat übrigens auch die Landschaft unter den Schutz und die Pflege des Staates gestellt; sie hat auch den Sport zum Staatsziel erhoben.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Alles unter CDU-Regierungen!)

Genau das ist jetzt übrigens ganz erheblich bedroht. Deswegen sage ich Ihnen: Wir wollen verhindern, dass eine Schuldenbremse diese Staatsziele ausbremst und damit die Verfassung in ihrem Kern aushöhlt – wie das manche neoliberale Ideologen wollen. Meine Damen und Herren, mit uns ist das nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Manche wollen einen anderen Staat. Wir wollen verhindern,dass die Schuldenbremse das Instrument dafür wird.

Es muss verhindert werden, dass die Landesregierung, beispielsweise auch durch Zustimmung zur Steuererleichterung im Bundesrat, die Einnahmen ramponiert und dann im zweiten Schritt eine Schuldenbremse zur Hessenbremse wird, die die Staatsziele zwischen zwei Bremsbacken zerreibt. Dazu darf es nicht kommen, und dafür müssen wir Vorkehrungen treffen.

Deswegen muss eine Abweichung von der Normallage der Nullverschuldung möglich sein – wenn Änderungen der Einnahmen- oder der Ausgabensituation dem Land nicht zurechenbar sind.

Das kann beispielsweise durch Entscheidung des Deutschen Bundestages geschehen. Oftmals haben die weitreichende Auswirkungen – denken Sie an die Steuererleichterungen – auf die Einnahmeseite des Landes; oder auf die Ausgabenseite – denken Sie an Hartz IV und andere Dinge. Das kann ein Land nicht beeinflussen.

Es wird eine ganz wesentliche Bedingung für die Zustimmung der SPD sein, dass dies angesprochen und in der Verfassung geklärt wird. Meine Damen und Herren, für uns ist das ein ganz harter und dicker Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nämlich ein Unterschied zur Bundesebene, ob ein Land das beeinflussen kann, was der Bund entscheidet, oder ob es am Ende einer Entscheidungskette steht. Wie gesagt, deswegen müssen wir hier eine Regelung treffen.

Ich möchte einige Details ansprechen.Herr Kollege Kaufmann hat gestern dankenswerterweise die unterschiedlichen und sehr komplizierten Verfahren zur Ermittlung der Konjunkturkomponente dargestellt. Das strukturelle Defizit ist schließlich nicht einfach irgendwo ablesbar,

sondern es ist durch ein Berechnungsverfahren festzustellen. Da gibt es sehr viele unterschiedliche Methoden, die übrigens auch umstritten sind. Wir wollen, dass ein Verfahren angewendet wird, das am Ende flexibel und konjunkturgerecht ist. Deswegen bleibt die Frage, ob das, um spätere Manipulationen und Änderungen auszuschließen, nicht auch in der Verfassung geregelt werden muss.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Es gibt fünf Verfahren, das haben wir doch gestern erörtert. Darüber kann man diskutieren. Es gibt z. B. unterschiedliche Verfahren der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Gemeinschaft, nur um zwei zu nennen. Beide kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch das muss doch im Vorfeld diskutiert werden.