Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Familie ist auch Schicksal. Familie ist Schicksal für jeden von uns, die wir mindestens einmal von Eltern erzogen, geprägt, geliebt und geleitet wurden. Wo das alles nicht stattgefunden hat, ist es auch eine Prägung. Schicksal ist Familie aber auch für uns alle zusammen. Sie ist der Kern einer jeden sozialen Ordnung. In ihr beginnt das Zusammenleben mit anderen. Sie ist die erste Erfahrung von Abhängigkeit und Geborgenheit, von Ähnlichsein und Anderssein, von allein und gemeinsam, von Freiheit und Zwang. Sie ist die erste und wichtigste Schule für Gemeinschaft. In ihr wurzelt fast alles, was uns wert ist: Nächstenliebe, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein, Mitmenschlichkeit.

Familie ist auch systemrelevant. Ohne sie, ohne gelingende Familie ist nicht viel Staat zu machen. Dies gilt nicht nur im handfest-materiellen Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Sozialversicherung, sondern genauso im Zusammenhang von Auffassungen und Werten. Kinder, auch die der anderen, richten unseren Blick über uns hinaus, bewegen uns zu Wandel und Weiterentwicklung, zur Not auch gegen unseren Willen. Familie ist Quelle von Optimismus und Innovation.

Eines ist sie aber nicht:Sie ist nicht selbstverständlich,und sie gelingt nicht automatisch. Hier beginnt die Aufgabe auch der Politik.

Die CDU-Fraktion begrüßt ausdrücklich das hohe Engagement der Landesregierung wie das ihrer Vorgängerinnen für Familien in diesem Land.

(Beifall bei der CDU)

Die Familienkarte Hessen setzt ein klares Signal der Wertschätzung und Anerkennung für den bedeutenden Beitrag von Familien zu unserem Wohlergehen und zur Zukunft dieser Gesellschaft.

Jenseits von Anerkennung und Wertschätzung familiärer Sorgearbeit – übrigens nicht nur für Kinder, sondern auch für Pflegebedürftige – geht es uns insbesondere um Wahlfreiheit für Eltern und um das Wohl der Kinder. Eine Voraussetzung dafür, dass Wahlfreiheit ausgeübt werden kann, besteht in einem breiten Angebot von Betreuungsmöglichkeiten. Um Kinder möglichst familiennah und flexibel betreuen zu können, haben wir neben dem Krippenausbau stets einen Schwerpunkt auf die Tagespflege gelegt.

Einen Moment bitte. – Kolleginnen und Kollegen, Gespräche bitte nach draußen verlegen.

Das kostenlose Vermittlungsangebot für passgenaue Kinderbetreuung ist ein kleiner, aber nicht unwichtiger Baustein in der notwendigen Infrastruktur.Ich erinnere an die Versorgungsquote bei den unter Dreijährigen in Hessen am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün: unter 3 %. Aktuell liegen wir bei über 21 %. Mag sein, das erschien in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts nicht allzu vordringlich. Faktum ist, dass der massive Ausbau der U-3-Betreuungsinfrastruktur in Kitas und Tagespflege in den letzten elf Jahren in Hessen unter christlichdemokratischer Führung und mit maßgeblicher Führung der Freien Demokraten bewerkstelligt worden ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Eine am Kindeswohl orientierte familienunterstützende Infrastruktur misst sich aber nicht allein an der Quantität des Angebots von Betreuung.Wenn wir die Bedeutung intensiver Bindung zu Beginn für gelingende Bildung von Kindern später mit allen Experten und Entwicklungspsychologen feststellen, heißt das für uns Christdemokraten, dass uns die Qualität besonders wichtig sein muss. Es kommt keineswegs nur auf die Quantität an. Je früher die außerfamiliäre Betreuung beginnt, desto höher muss die Sorgfalt sein, mit der wir sie ausgestalten und auch ausstatten.

Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan 2000 bis 2010 weist genau diesen Weg. Auf seine flächendeckende Einführung verwendet die Landesregierung in der Dekade 2003 bis 2013 vorbehaltlich unserer Entscheidung über die noch bevorstehenden Haushaltsjahre insgesamt über 44 Millionen c.

(Beifall bei der CDU)

Die personelle Ausstattung der Kindertageseinrichtungen wird mit der Mindestverordnung – ich nehme das Wort in den Mund – auf ein landesweit verbessertes Niveau gehoben und damit die materielle Grundlage für weitere Qualitätsmaßnahmen im Kita-Alltag gelegt. In diesem Jahr stehen 30 Millionen c für im Jahr 2009 vorgenommene Aufstockungen bereit, und es werden signifikant höhere Mittel in der Zukunft sein.

Zu unserem Qualitätsanspruch gehört auch die frühkindliche Sprachförderung. 100.000 hessische Kinder wurden seit 2002 bei der Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse gefördert. 23.000 Erzieherinnen und Erzieher nahmen teil. Im Jahr 2010 gibt es mehr als 320 Anträge auf Förderung. 4 Millionen c werden investiert – nur im Jahr 2010. Hier wollen wir noch mehr tun und die Sprachförderung einschließlich Sprachstandserfassung und Vorlaufkursen in ein umfassendes Konzept zur qualifizierten Schulvorbereitung einpassen.

Uns Christdemokraten ist sehr bewusst: Je jünger ein Kind, desto entscheidender die Rolle der Eltern für seine Entwicklung. Wer Kinder fördern will, muss Eltern fördern und unterstützen, sie aber auch ernst nehmen und fordern. Deshalb wendet sich der Bildungs- und Erziehungsplan ganz bewusst auch an die Eltern.

(Beifall bei der CDU)

Elterliche Sorge und Sorgfalt setzen den Willen und die Fähigkeit zur Verantwortung voraus. Es gibt Eltern, die damit überfordert sind – aus vielen Gründen. Einkommensverhältnisse können ein Grund sein. Häufiger noch sind Bildungsferne, Desinteresse, Unsicherheit das Problem. Gezielte Elternarbeit durch Information und Beratung bis hin zur praktischer Hilfe und materieller Unterstützung gibt hierauf die richtige Antwort.

(Lisa Gnadl (SPD): Das leistet die Familienkarte?)

Ich komme dazu. – Wir wollen frühzeitig bei den Familien ansetzen und entstandene Probleme nicht irgendwann in der Schule abladen. Wir sehen Schule nicht als Regelerwerbsbetrieb für überforderte Familien, weil sie das nicht sein kann, weil sie das nicht leisten kann. Sie muss es auch nicht sein, wenn wir in der Familienpolitik unsere Hausaufgaben machen.

Deshalb – jetzt komme ich darauf – wollen wir frühzeitig in Elternbildung investieren durch Kompetenztraining für Eltern gleich nach der Geburt ihres Kindes, durch den Aufbau eines hessenweiten Netzes von Familienzentren, angedockt an Kindertageseinrichtungen. Das wurde schon angesprochen. Dies ist ein Vorhaben dieser Legislaturperiode.Wenn ich zu Hause gedrängelt werde, sage ich immer: Könnt ihr das Wort Geduld buchstabieren? – Einige hier im Raum können es offensichtlich nicht. Hieran wird gearbeitet, und das werden wir alle noch feststellen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Gerhard Merz (SPD): Buchstabieren kann ich es schon, aber ich habe nur wenig davon!)

Sie sind ja auch in der Opposition. Das ist Ihr Problem.

Wir wollen außerdem in aufsuchende Elternarbeit investieren, wie wir sie z. B. in Person von Familienhebammen in Hessen bereits praktizieren.

Die Familienkarte Hessen setzt auch auf diesem Feld einen weiteren Akzent. Mit der Säule Elternratgeber wird das bundesweite Elterntelefon mit regional erweiterten Sprechzeiten und einer Online-Beratung für Eltern und Jugendliche zu vielfältigen Fragen angeboten. Dies ist ein guter Schritt. Es ist ein Schritt, weil Eltern und Jugendlichen eine von überall erreichbare Anlaufstelle offeriert wird. Es ersetzt nicht andere Beratungsleistungen, aber es ergänzt sie, und das sollte man anerkennen.

Ich bin Ihnen,liebe Kollegen von den GRÜNEN,auch für Ihren Antrag dankbar und möchte dazu noch ein paar Worte sagen.

Punkt eins. Wir stimmen Ihnen zu: Familienfreundliche Rahmenbedingungen sind wichtig – uns auch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Punkt zwei. Wir teilen jedoch nicht Ihre eher schlichte Analyse, es würden zu wenige Familien-Euros in Hessen ausgegeben. Richtig ist: Das Budget der Landesregierung allein für die Betreuung der unter Sechsjährigen beträgt in diesem Jahr über 300 Millionen c.

(Florian Rentsch (FDP):Wahnsinn!)

Ich erwähne nicht den Betrag, den Sie 1999 dafür ausgegeben haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Er hatte einmal eine Stelle weniger. 2011 soll der Betrag sogar noch weiter steigen, obwohl fast alle Ressorts einen erheblichen Sparbeitrag erbringen müssen. Nebenbei gesagt: Ich lobe die Landesregierung für diese Prioritätensetzung und ihre Projekte, aber ich teile nicht die Unterstellung, jeder Familien-Euro sei von vornherein überlegen investiert. Die gilt für Familien-Euros ebenso wenig wie für Bildungs-Euros. Man muss sich schon die Mühe machen und genau hinschauen, für was sie eingesetzt werden. Ihre Rechnung: „Mehr Geld in die Familienpolitik ergibt mehr Kinder in Hessen“ widerspricht der Erfahrung und ist unter Ihrem Niveau.

Ad 3. Ihre Bewertung unserer familienpolitischen Anstrengungen ist verkürzend und tendenziös. Es ist unfair, Hessen in der U-3-Betreuung mit den neuen Bundesländern zu vergleichen.

(Marjana Schott (DIE LINKE):Warum?)

In diesen Bundesländern ist aus der Zeit der einstigen DDR-Vollversorgung ein Erbe vorhanden, das heute teilweise sogar ungenutzt bleibt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Was Sie als „Platz 9 aller Bundesländer“ abtun, ist ein Spitzenplatz unter den vergleichbaren westdeutschen Flächenländern.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zur Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplanes habe ich Stellung genommen. Wir schreiten voran. Am Ende wird das Ergebnis auch Ihnen gefallen. MVO-Landesmittel fließen, wenngleich spät, noch in diesem Jahr, und die Zahl der Ausbildungsplätze für Erzieherinnen und Erzieher wird überall aufgestockt. Hier wird auch die

erweiterte Definition des Begriffs „Fachkraft“ in der Mindestverordnung helfen.

Ad 4. Ich habe Ihnen dargelegt, welchen Stellenwert die einzelnen Säulen der Familienkarte für die CDU-Fraktion besitzen. Sie vermissen noch meine Äußerung zur Rabattkomponente. Sie kritisieren sie, verlangen aber ihre Weiterentwicklung mit weiteren Rabattkomponenten im Bereich Bildung und Freizeit. Diese Komponenten gibt es aber in der Mehrzahl schon jetzt.

(Zurufe von der SPD)

Ich lese Ihnen einen kurzen, aber repräsentativen Auszug vor: Erlebnispark Steinau an der Straße, Fraport, Hessische Zentrale für politische Bildung, Kulturregion Frankfurt am Main, Museumslandschaft Hessen-Kassel, Offenbacher Fußballklub, Opel-Zoo usw. Über die Hälfte der Partner bewegen sich in diesem Spektrum.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Die Familienkarte Hessen illustriert wesentliche Grundzüge einer engagierten christlich-demokratischen Familienpolitik, die Familien anerkennt, ihre schwächsten Mitglieder, die Kinder, im Auge hat, die Eltern ernst nimmt, entlastet und unterstützt und für diese Ziele auch privates und gemeinnütziges Engagement mobilisiert. Dass über 40.000 Anträge schon vor dem Start der Familienkarte gestellt wurden, zeigt: Die Karte trifft die Bedürfnisse der Familien in diesem Land. Wir sollten dies zur Kenntnis nehmen und die Landesregierung bei der weiteren Ausgestaltung des Familienlandes Hessen im beschriebenen Sinne anspornen und unterstützen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Schönen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Grüttner das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat deutlich gemacht, dass es einen Punkt gibt, an dem wir uns alle wahrscheinlich einig sind: Die Familienpolitik ist eines der zentralen gesellschaftspolitischen Themen der Zukunft und der Gegenwart.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Wir sind uns vielleicht auch noch darin einig, dass Kinder und Familien das Fundament der Gesellschaft und eigentlich unsere Zukunft darstellen. Alle Investitionen in die Familien sind daher auch Investitionen in die Zukunft. Die Zukunftsfähigkeit unsere Gesellschaft hängt schlicht und einfach davon ab,wie die Kinder aufwachsen können, wie sehr Familien wertgeschätzt werden und ob eine Politik betrieben wird, die versucht, diese Wertschätzung in unterschiedlichsten Facetten zum Ausdruck zu bringen.