Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

(Beifall bei der SPD sowie der Abg.Tarek Al-Wazir und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Es geht um ein Programm in Infrastruktur und um die Ganztagsschulen.

Ich sage Ihnen: Es gab einmal eine gute Zeit. Wir haben während Rot-Grün 4 Milliarden c in die Hand genommen,um genau diese Fragen hinsichtlich der Infrastruktur zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bellino, was haben Sie gemacht? Wir wissen sehr wohl, wie sich das HB-Männchen Roland Koch im Bundesrat echauffiert hat, weil es überhaupt ein Bildungsprogramm gab. Sie haben diese Mittel missbraucht und umgelenkt, damit Sie Ihre anspruchsvollen Pläne hinsichtlich der gymnasialen Bildung umsetzen konnten, anstatt die Schaffung der Ganztagsbildung und der Ganztagseinrichtungen genau da umzusetzen, wo sie am dringendsten erforderlich gewesen wären.

Das ist doch die Wahrheit, mit der Sie sich konfrontieren lassen müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind nämlich nicht bereit, die Frage der Bildung bei Armut und die Zukunftschancen der Kinder gerecht zu behandeln.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Andreas Jürgens und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Schäfer-Gümbel,ich will in dieser Aktuellen Stunde nichts rügen. Herr Kollege Gerling, der Schriftführer, ist aber sehr schreckhaft. Sie haben die Formulierungen HB-Männchen, Kungeleien, Sauereien und Quatsch verwendet. Ich gebe einfach nur zu bedenken, dass man – –

(Zuruf)

Ich habe es doch gar nicht gerügt.Was regt ihr euch auf?

Ich gebe einfach nur zu bedenken, dass man das vielleicht etwas parlamentarischer ausdrücken kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ich sage das in Richtung aller Seiten. Es hat auch Zwischenrufe von der anderen Seite gegeben, die auch in genau diese Kategorie gehören.

Ich glaube, wir sind uns da alle einig. Ich wollte nur darauf hinweisen: Die Gesundheit des Herrn Kollegen Gerling ist mir heilig.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, ich gehe davon aus, dass ich die 30 Sekunden Ihrer Bemerkung noch obendrauf bekomme. Da mir die Gesundheit des Herrn Gerling auch wichtig ist, werde ich mich entsprechend zügeln.

(Beifall des Abg. Hans-Christian Mick (FDP))

Ich komme jetzt auf die Finanzierung,das Betreuungsgeld und die Hoteliers zu sprechen. Ich höre nämlich schon wieder Ihre Rufe – das wird jetzt auch gleich in der Debatte wieder geschehen –, dass wir das alles nicht bezahlen könnten, was hier formuliert würde. Ich sage Ihnen: Ich habe das wirklich satt. Wer Beträge in MilliardenEuro-Höhe für die Atomlobby, für die pharmazeutische Industrie und Hoteliers hat,wer Milliarden Euro für diese Lobbygruppen hat, der soll sich, bitte schön, nicht heute hierhin stellen und sagen,dass all diese Forderungen nicht zu finanzieren seien.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vorletzter Punkt. Dabei geht es um das Recht auf Teilhabe.Wie stellen Sie sicher, dass auch Kinder von Geringverdienenden ein Bildungspaket erhalten? – Gar nicht. Darauf habe ich eben schon hingewiesen.

Deswegen haben wir gestern eine Sondersitzung des Sozialpolitischen Ausschusses für heute beantragt. Herr Grüttner hat sich vorher dafür feiern lassen, dass er sich hinsichtlich der Frage der Mobilitätskosten bei Geringverdienern und Hartz-IV-Beziehern in Berlin durchsetzen werde. Ganz offensichtlich hat er sich nicht durchsetzen können. Deswegen besteht jetzt die Notwendigkeit, das Hessische Ausbildungsförderungsgesetz durchzusetzen. Deswegen wird es am heutigen Abend diese Sondersitzung geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Der Herr Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung einen neuen Stil angekündigt. Ich sage Ihnen: Wenn sich der neue Stil ausschließlich dadurch definiert, dass er nach seiner Regierungserklärung freudestrahlend Tafelprojekte in Frankfurt besucht hat, anschließend aber den Zynismus besessen hat, diesen Regelungen zuzustimmen, dann soll er sich das in Zukunft bitte sparen.Der neue Stil erfordert auch eine neue Offenheit für eine andere Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mathias Wagner (Taunus) und Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Daran lassen Sie es sehr vermissen. Herr Wagner, deswegen ist Ihr neuer Stil nichts wert. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, vielen Dank. – Das Wort erhält nun Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für DIE LINKE war und ist Hartz IV Armut per Gesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Einführung von Hartz IV hat die rot-grüne Bundesregierung ein Gesetz geschaffen, das Erwerbslose innerhalb kürzester Zeit zu einem Leben am Rande der Gesellschaft zwingt.Während die Besserverdiener in diesem Land über riesige Steuergeschenke immer reicher wurden, verlor der erwerbslose Teil der Bevölkerung die

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine menschenwürdige Existenz.Wirtschaftliche Not, die Abschaffung der einmaligen Hilfen, Sanktionen, sinnentleerte Maßnahmen und 1-c-Jobs wurden zum Alltag der Millionen betroffenen Hartz-IV-Empfänger.

Die Idee, die hinter diesen Maßnahmen stand, war klar: Es ging darum, Menschen in schlecht entlohnte Arbeitsstellen zu zwingen. Der Irrglaube bestand darin, dass, wenn es nur genug billige Arbeitskräfte gebe, die Zahl der Arbeitslosen sinken werde.

Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut... Dieses... wird nach einer Übergangszeit auch zu einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland führen

Das sagte Kanzler Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Das war einer der größten Irrtümer. Ein Heer an Niedriglöhnern wird durch sogenannte Aufstockungsleistungen gestützt. Das ist nichts weiter als die Subventionierung der Unternehmensgewinne.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Nebeneffekt ist, dass der Druck auf die Löhne gewachsen ist und dass die Angst vor Arbeitsplatzverlust und Armut mit Repressalien so groß ist, dass die Menschen bereit sind, zu unwürdigen Bedingungen zu arbeiten.

Ein Erwerbstätiger muss sich und seine Kinder von seinem Einkommen ernähren können. Das ist in diesem reichen Land aber leider nicht mehr selbstverständlich.

Am härtesten sind die Kinder in den Hartz-IV-Familien betroffen. Es gibt für sie weder Geld für Schulmaterial, noch können die Beiträge für Sportvereine oder den Musikunterricht bezahlt werden. Es gibt keine Nachhilfe. Nicht einmal eine ausreichende Versorgung der Ernährung ist sichergestellt, von der Teilnahme am Schulessen ganz zu schweigen.

Die Hoffnung,dass sich all das ändern würde,kam mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Frühjahr.Es sagte,die Ermittlung der Höhe der Hartz-IVRegelsätze sei willkürlich und nicht nachvollziehbar, erst recht gelte dies für die Regelsätze für Kinder, die sich einfach nur aus Prozentsätzen der Regelsätze für Erwachsene berechneten. Das wurde angeprangert. Der Auftrag lautete, nachvollziehbare Regelsätze für ein Leben in Würde zu schaffen.

Diese Hoffnung wurde nun jäh enttäuscht. Die Regelsätze für Erwachsene sollen um 5 c angehoben werden, die der Kinder sollen gleichbleiben. Der Empörung der Betroffenen,der Sozialverbände und der Gewerkschaften wird damit gekontert, dass nach den Berechnungen der Regierung das Geld ausreiche, eigentlich sei es sogar zu viel, aber weil man so großzügig sei, werde nicht gekürzt, sondern in der Zukunft nur verrechnet. Das ist zynisch und menschenverachtend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will an die spätrömische Dekadenz erinnern. Mit der immer wieder öffentlich geäußerten Kritik an den Erwerbslosen ist in der Bevölkerung das Bild der faulen und alkoholabhängigen Menschen geschaffen worden,die sich sowieso nicht um ihre Kinder kümmern. Das wurde dann die Grundlage dafür, statt ein Mehr an Geld für die Kinder die Vergabe von Sachleistungen zu rechtfertigen. Das zwingt die Hilfebezieher, jeden Bedarf und jeden Antrag zu rechtfertigen.

Damit ist davon auszugehen, dass die Hilfe häufig nicht beantragt wird. Das ist wiederum ein „Sparprogramm“ zulasten der Armen und insbesondere der Kinder.

Wir wissen, dass bereits jetzt viele, die einen Anspruch auf aufstockende Hilfe haben, keine Anträge stellen, weil die bürokratischen Hürden sehr hoch sind und weil die Demütigungen unerträglich sind. Die Menschen tun sich das nur an, wenn sie gar nicht anders mehr weiter wissen.

Damit ist davon auszugehen, dass diese Hilfen für Kinder nicht vollständig abgerufen werden. Am Ende kann die Regierung wieder behaupten, dass die Hartz-IV-Bezieher die ach, so großzügigen Hilfen nicht in Anspruch nehmen und nicht gut für ihre Kinder sorgen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Nun hatte die Regierung den Auftrag, nachvollziehbar den tatsächlichen Bedarf von Kindern zu ermitteln. Es wäre möglich gewesen, von Fachleuten berechnen zu lassen, was z. B. gesunde Kinderernährung kostet. Man hätte das Rad nicht neu erfinden müssen. Es gibt eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund an der Universität Bonn von Dr. Kerstin Clausen und Dr. Mathilde Kersting. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, etwa 40 % der Kosten für eine gesunde Ernährung fehlen, wenn man das Geld eines Hartz-IV-Haushaltes für Kinderernährung zur Verfügung hat. Frau Dr. Kersting sagt in einem Interview im „Deutschlandradio”:

Wir sind so vorgegangen,dass wir die Preise der Lebensmittel in der von uns empfohlenen, optimierten Mischkost für Kinder in Lebensmittelgeschäften in Dortmund erhoben haben. Und der Vorteil dieser optimierten Mischkost,einer der Vorteile,ist, dass sie in Lebensmittelmengen ganz konkret ausgedrückt ist, es wird also angegeben, welche Lebensmittel in welchen Mengen Kinder essen sollten. Und insofern konnten wir sehr genau ermitteln, wie teuer die Lebensmittel für die Kinder in verschiedenen Altersgruppen sind, und dabei haben wir dann eben diese Lücke festgestellt.

Dieser Studie hätte sich die Regierung bedienen können. Es gibt handhabbare Vorschläge der Sozialverbände, die sehr konkret sind.Alles das hat die Regierung nicht getan. Stattdessen hat sie sich auf das Ergebnis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 bezogen.Dabei hat sie sich auf die untersten Einkommensgruppen bezogen. Sogar die sogenannten Aufstocker zählen zur Vergleichsgruppe.

Statt festzustellen, dass Working Poor zur Normalität gewordensind, die der Staat bekämpfen muss, erklärt man diese Armut zum Maßstab.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist der Skandal!)

Mindestlöhne wären ein Ansatz gewesen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.