Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Damit können wir uns im Moment in Deutschland nach der Rechtslage nicht mehr um eine technisch saubere Lösung der Beseitigung des Atommülls bemühen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir sind aufgrund Ihrer Gesetze im Moment nicht mehr in der Lage, neue Technologien einzusetzen, die die Endlager- bzw. die Entsorgungsfrage tatsächlich lösen. Das ist leider die Wahrheit, die ich hier erzähle.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie behindern damit auch die Beantwortung der brennenden Frage, die die gesamte Bevölkerung zu Recht stellt, wenn wir die Laufzeiten verlängern: Was machen wir mit dem Atommüll?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach was! Was machen Sie denn damit?)

Im Rahmen dieser Behinderung verhindern Sie auch, dass die Castortransporte zurückkommen, damit wir uns als verantwortliches Land um die Entsorgungsfrage kümmern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dazu gehört a) die Untersuchung, ob in Gorleben eine geeignete Endlagerstätte ist. Das ist aber nicht alles. Es gehört dazu, b) dass wir sämtlichen Technologien offen gegenüberstehen. Dazu gehört auch die Transmutationstechnologie – das darf ich Ihnen verraten, weil immer gesagt wird, dass das alles Hirngespinste seien, und es geht auch darum, der Öffentlichkeit dies noch einmal klarzumachen –, eine neue Technik, die sich damit befasst, wie bereits abgebrannte Kernbrennstäbe so behandelt werden können, dass sie am Ende nur noch 150 Jahre lang gefährlich strahlen. Damit hätten wir ein Riesenproblem gelöst. Ich werde morgen früh um 7 Uhr nach Mol bei Antwerpen fahren. Dort läuft ein Versuchsreaktor. Ich weiß, dass Sie das ausblenden. Das macht nichts. Ich will das der Öffentlichkeit sagen, nicht Ihnen, weil die Kenntnisnahme verweigert wird. Ich werde aber morgen dorthin fahren, und ich werde in diesem Parlament auch gerne von den Ergebnissen dieses Besuchs berichten. – Dieses habe ich vor die Klammer gezogen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Weil Herr Kollege Grumbach gesagt hat, dass 99,9 % der Leute, die an den Protestaktionen teilgenommen hätten, friedlich gewesen wären, müssen wir jetzt noch einmal Folgendes klären – ich habe die Zahlen hier vorliegen –: Wir haben insgesamt etwa 50.000 Demonstranten gehabt; davon waren 9.000 Teilnehmer leider Gottes gewaltbereit; 1.300 mussten in Gewahrsam genommen werden, davon mussten dann doch immerhin 300 gewaltbereite angezeigt werden, und es mussten sogar acht Menschen auf der Stelle verhaftet werden. Das ist es, womit sich dieser Antrag beschäftigt, nicht damit, ob Demonstrationen erlaubt sind oder nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Diese Menschen haben Schotter unterhalb der Gleise weggenommen und damit eine Gefahr gesetzt, dass nicht

nur dieser Zug verunglückt, sondern dass auch diejenigen, die diesen Zug führen, und andere Menschen, die möglicherweise nichts mit dem Castortransport zu tun haben, dort verunglücken und ihr Leben hätten lassen müssen. Das ist es, womit sich unser Antrag im Moment beschäftigt, und wir verweigern jede Verharmlosung durch Ergänzungs- oder ähnliche Anträge, die diesen Punkt verharmlosen wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir reden nicht von 99,9 %, sondern von einer erklecklichen Anzahl von Gewaltbereiten, die auch noch von Aussagen von SPD und GRÜNEN – ich lasse die LINKEN jetzt einmal weg, weil uns Willi van Ooyen gestern erzählt hat, dass Widerstand in jeder Art, gegen was auch immer und mit Gewalt, in Ordnung ist; deswegen wissen wir, wie wir sie einzuordnen haben und warum sie der Verfassungsschutz beobachtet –,

(Beifall bei der FDP und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Was?)

beflügelt wurden.

Frau Schulz-Asche, es tut mir leid. Sigmar Gabriel hat gesagt, das sei eine neue Qualität des Widerstands gegen eine verfehlte Energiepolitik. Das ist ein positives Begleiten von Gewalt. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Renate Künast hat kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, das sei eine Sternstunde der Demokratie. Eine Sternstunde zum Schottern, zu Gewalt, zu Menschgefährdung? Hallo, wo leben wir denn inzwischen?

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Claudia Roth sagt auch noch, das sei ein Zeichen gegen die Arroganz der Politik. Wenn Gewalt ein Zeichen gegen die Arroganz der Politik ist, dann müssen Sie aber aufpassen, dass nicht irgendwelche Leute auf die Idee kommen, eine 380-kV-Leitung durchzuschneiden und mit den Masten und den Drähten den Stromtransport von Windkrafträdern blockieren. Das würden Sie nämlich ganz schlecht finden – und wir sind nicht dafür und werden so etwas nicht tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider hat das eine vergleichbare Qualität. Lassen Sie uns bitte als Fazit festhalten: Wenn über 10.000 Menschen bereit sind, mit Unterstützung der Politik – wie ich gerade eben gesagt habe – Gewalttaten zu begehen, weil sie glauben, dazu legitimiert worden zu sein, dann muss sich jede demokratische Partei hier vorne hinstellen und sagen: Nein, das geht so nicht. Wir entschuldigen uns für die falsche Richtung, die auch wir eingeschlagen haben. – Wenn Sie diese Auffassung teilen, können und müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Ihre Verharmlosungsanträge werden bei uns keine Mehrheit finden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, im Rahmen einer Aktuellen Stunde gibt es eigentlich keine Kurzinterventionen. Wir haben uns aber bei diesen Tagesordnungspunkten anders

vereinbart. Deshalb lasse ich eine Kurzintervention zu. Herr Kollege Al-Wazir hat das Wort.

Der Kollege Sürmann hat gerade versucht, Äußerungen von Politikerinnen und Politikern von SPD und GRÜNEN so umzudrehen, als würden diese Gewalt rechtfertigen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Sowohl in den Anträgen der SPD als auch in den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht unmissverständlich, dass das Demonstrationsrecht die Anwendung von Gewalt auf keinen Fall rechtfertigt und Gewalt kein Mittel der Politik ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Sürmann, wir haben doch gerade im Ältestenrat zusammengesessen. Wir haben über die Frage debattiert, wie wir hier eigentlich diskutieren. Wir haben darüber geredet, warum am letzten Wochenende 50.000 Menschen gegen die Atompolitik der Bundesregierung demonstriert haben. Sie versuchen, diese 50.000 Menschen pauschal in die Nähe von Gewalttätern zu rücken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das hat keiner gemacht!)

Doch. Genau das ist das Problem. Deswegen hat der Kollege Grumbach vorhin völlig zu Recht gesagt: Wenn 50.000 Menschen demonstrieren, dann ist es für alle gut, hinzuhören und nicht draufzuhauen. – Was er damit gemeint hat, hat man in Ihrer Rede gesehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Kollege Sürmann antwortet.

Herr Kollege Al-Wazir, Sie haben eben von „zuhören“ gesprochen. Deshalb bitte ich darum, dass Sie das tun. Ich habe nicht von 50.000 gewaltbereiten Demonstranten gesprochen, sondern ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Ich habe von 9.000 Teilnehmern an den Sitzblockaden gesprochen, die durchaus gewaltbereit waren.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe davon gesprochen, dass 1.300 Menschen in Gewahrsam genommen werden mussten, dass acht Menschen verhaftet wurden und 300 Demonstranten zu der gewaltbereiten autonomen Szene gehörten. Hören Sie einfach zu, dann hätten Sie sich diesen Beitrag sparen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit eineinhalb Tagen Verspätung hat der zwölfte Castortransport sein Ziel, das Zwischenlager Gorleben, erreicht. Grund dafür waren die größten Anti-Atom-Proteste, die es anlässlich des Castortransports je gegeben hat. Über 50.000 Menschen im Wendland und Tausende im ganzen Land an der Castorstrecke haben ihre Ablehnung der schwarz-gelben Atompolitik auf die Straße und auf die Schienen getragen und so mit den Füßen gegen die Atompolitik der Bundesregierung abgestimmt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Überall auf der Strecke hat es Blockaden, Proteste und kreative Aktionen gegeben. Kirchen- und Gemeindehäuser boten Wärme und Verpflegung, Greenpeace blockierte den Castor-Verladebahnhof in Dannenberg, Landwirte beteiligten sich mit über 600 Schleppern an dem Protest, und rund 150 Traktoren blockierten die Zufahrtsstraßen.

Einer Umfrage zufolge hat eine große Mehrheit der Deutschen, nämlich 80 %, Verständnis für die Proteste gegen den Castortransport. Bei den Anhängern von CDU und CSU – hören Sie gut zu – sind es 65 %. Laut ZDF-Politikbarometer finden 72 % aller Befragten die Proteste grundsätzlich gut. Die Zustimmung zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist im Vergleich zu vor drei Wochen von 37 % auf nur noch 28 % gesunken. Meine Damen und Herren, das ist eine riesiger Erfolg der Proteste.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Der energiepolitische Irrweg, den die Bundesregierung geht, stößt in der Bevölkerung auf massiven Widerspruch. Sie haben mit der Aufkündigung des Atomkompromisses einen gesellschaftlichen Großkonflikt heraufbeschworen. Wer sich auf die Fahnen schreibt, die Interessen von E.ON, RWE und Co. gegen alle Widerstände durchzusetzen, darf sich hinterher nicht beschweren, wenn die Menschen nicht bereit sind, das hinzunehmen.

Schwarz-Gelb hat gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit eine folgen- und milliardenschwere Entscheidung für vier Großkonzerne getroffen, die sich auf Extraprofite in zweistelliger Milliardenhöhe freuen dürfen. Das ist Klientelpolitik, und das sorgt dafür, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Atomkraft ist eine unkalkulierbare Risikotechnologie: Der Betrieb ist ein Risiko, der Transport ist ein Risiko, und die Lagerung ist erst recht ein Risiko. Bei der Atomkraft gilt: Sicher sind nur das Risiko und der Profit für die Betreiber.