Protokoll der Sitzung vom 18.11.2010

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Aber die Parteien sind nicht Eigentümer des politischen Willens.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Sie verfügen nicht darüber. Egal, was wir hier alle debattieren – wenn Bürgerinnen und Bürger der Meinung sind, das, was sie wollen, werde im Parlament nicht vertreten, ist es ihr gutes Recht, aufzustehen und zu protestieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Mit Verlaub, Parlamentarierinnen und Parlamentarier verlieren ihre Bürgerrechte nicht mit der Wahl. Auch ihr Recht auf Demonstration wird durch nichts eingeschränkt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Die Hessische Verfassung war in der Frage noch viel klarer. Die Hessische Verfassung formuliert den Artikel anders. Sie lautet:

Die Staatsgewalt liegt unveräußerlich beim Volke.

An dem Punkt muss man einmal überlegen, von welchem Demokratieverständnis wir reden. Wenn die Sprachlosigkeit aufhört und Bürger sich zu Wort melden, dann ist es – das ist die Position einer beteiligungs- und demokratie orientierten Partei – Aufgabe der Parteien, hinzuhören, statt draufzuhauen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Christean Wag- ner (Lahntal) (CDU): Wer haut denn drauf? Das ist eine unerträgliche Brandrede!)

Herr Kollege Grumbach, ich bitte Sie im Interesse des vernünftigen Fortgangs der Debatte, sich in Ihren Äußerungen etwas zu mäßigen.

Sie haben hier noch nie – –

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist eine unerträgliche Brandrede, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Ist das jetzt parlamentarischer Sprachgebrauch?)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie. – Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Rudolph.

Herr Präsident, wir bitte um Einberufung des Ältestenrats.

Meine Damen und Herren, es ist um die Einberufung des Ältestenrats gebeten worden. Dann tritt der Ältestenrat zusammen. Wir tagen in Raum 103 A.

(Heike Habermann (SPD): Wir sind mitten in einer Rede!)

Meine Damen und Herren, ich habe den Antrag nicht gestellt. Der Antrag kam von der SPD-Fraktion. Punkt. Dann gehen wir jetzt in den Ältestenrat. So einfach ist das. Sonst hätte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD den Antrag nach der Rede stellen müssen. Ich verbitte mir jede Kritik. Der Ältestenrat tagt jetzt.

(Unterbrechung von 9:42 bis 10:14 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Wir führen die Sitzung fort. Ich darf Ihnen mitteilen, dass der Ältestenrat getagt hat, dass der Ältestenrat keinerlei Anlass sieht, die Sitzungsleitung des Präsidenten zu kritisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Das gilt für das ganze Haus. Ich stelle fest, dass keiner gerügt wurde, sondern dass ich um Mäßigung in der Debatte gebeten hatte. Dies gilt auch für den weiteren Fortgang der Debatte, damit wir heute zu einem vernünftigen Ablauf kommen können.

Wir können in der Beratung fortfahren. Der Kollege Grumbach hat noch für gut 2,5 Minuten das Wort. Bitte sehr.

Bleiben wir bei der Rolle der Parteien. Ich glaube schon, dass das in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiger Punkt für uns alle ist. Denn, wie gesagt, wenn die Sprachlosigkeit aufhört, wenn sich die Bürger zu Wort melden, ist die Frage: Wie geht man damit um? – Unsere Auffassung ist, Parteien müssen dann hinhören. Mitwirkung an der Willensbildung heißt allerdings nicht, einfach zu wiederholen, was passiert, sondern hinhören heißt hinhören, aufnehmen, debattieren, die eigene Position beziehen – ganz klar, ganz deutlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich sage das auch deswegen, weil das Selbstbewusstsein der Bürger eines der zentralen Güter der Demokratie ist. Ich glaube nicht, dass es eine kluge Idee ist, zu sagen, dass das Selbstbewusstsein der Bürger nur in autoritären Strukturen gefragt ist, sondern gerade das Selbstbewusstsein, zu sagen: „Wir kritisieren politische Entscheidungen“, macht die Demokratie stärker. Denn diese Menschen werden auch dann für ihre Rechte auf die Straße gehen, wenn sie unter Druck geraten. Das heißt, die wehrhafte Demokratie wird durch solche Beteiligungsformen gestärkt. Ich finde es schon ganz spannend, zu erfahren, ob die Debatten, die wir hier führen, z. B. auch bei all den Menschen Anklang fänden, die auf Montagsdemonstrationen unter ganz anderen Bedingungen für ihre Rechte eingetreten sind. Darüber sollte man nachdenken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zum Schluss noch etwas zu der gemeinschaftlichen Verantwortung sagen und dies differenziert tun. Es ist völlig richtig, dass Steinschleudern, Brandanschläge, Schläge auf Polizeibeamte, was auch immer, nicht Mittel der politischen Auseinandersetzung sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber es gibt eine Verantwortung darüber hinaus. Das muss man auch sagen. Wer politische Entscheidungen in einer intransparenten Form fällt, sodass sie für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachzuvollziehen sind,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was war intransparent?)

und dann feststellen muss, dass die Polizei den Kopf für politische Entscheidungen hinhalten muss, der hat auch die politische Verantwortung für das, was dort passiert. Auch dieser Verantwortung muss man sich stellen und die Polizeibeamten schützen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unglaublich! Sie machen den Bock zum Gärtner! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das heißt auf Deutsch: Jeder schützt Beamte vor Gewalt. Das ist der eine Teil. Aber jeder schützt auch vor Überbelastungen durch eine Politik, die die Demokratie nicht transparent durchführt.

Herr Kollege Grumbach, Sie müssen zum Schluss kommen.

Lassen Sie mich die Rede mit dem zentralen Satz für alle diese Debatten schließen. Der Satz stammt aus einer wirklichen Brandt-Rede: „Lasst uns mehr Demokratie wagen.“

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Sürmann, FDPFraktion.

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die bisherigen Debattenbeiträge haben leider ein bisschen vom eigentlichen Kern des Antrags abgelenkt. Deswegen möchte ich – nicht um das Parlament über die Ausgangspunkte und rechtlichen Grundlagen zu belehren – für die breite Öffentlichkeit erklären, worum es bei diesem Antrag geht. Es geht um den Transport, wie gesagt, von Castorbehältern. Das ist eine Abkürzung. Das ist die Abkürzung für cask for storage and transport of radioactive material. Zu Deutsch: Fass zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Transport und die Lagerung von Kernbrennstoffen bedürfen nach § 4 Atomgesetz einer Genehmigung durch das Bundesamt für Strahlenschutz. Dort ist der Herr im Hause der Bundesumweltminister.

Die Sicherheitsanforderungen des Versandstücks selbst richten sich nach den Empfehlungen der Internationalen Atomenergieorganisation. Diese Sicherheitsanforderungen werden da umgesetzt.

Im Rahmen des Gefahrgutrechts ist auch das Bundesamt für Strahlenschutz für die Erteilung von Bauartzulassung dieser Transportbehälter zuständig. Weitere technische Kriterien werden zudem eigenständig von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung begutachtet und durch ein Prüfungszeugnis bestätigt. Auf Basis dieser beiden Untersuchungen hat das Bundesamt für Strahlenschutz den Zulassungsschein für die aktuell transportierten Castorbehälter erteilt.

(Beifall bei der FDP)

Eine Genehmigung wird – das ist alles noch vor die Klammer gezogen, es ist aber wichtig, damit wir wissen, wovon wir reden – von dem Bundesamt für Strahlenschutz nur dann erteilt, wenn der Nachweis der Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzung nach § 4 Atomgesetz, das übrigens unter Rot-Grün reformiert wurde, bzw. § 18 Strahlenschutzverordnung erbracht worden ist. Die atom- und gefahrgutrechtliche Aufsicht über diese Transporte obliegt dann den Landesbehörden. Deswegen sind bei dem Transport durch Deutschland auch verschiedene Polizeibehörden zuständig.

Warum mussten wir diese elf Castorbehälter nun – wir reden über elf Castorbehälter, die aus La Hague, Frankreich, zurückgekommen sind – nehmen? Das liegt daran, dass sich Deutschland früher entschlossen hatte, in La Hague und teilweise in Sellafeld, England, Wiederaufarbeitung zu betreiben. Was ist Wiederaufarbeitung? Nachdem Kernbrennstäbe im Atomkraftwerk nicht mehr brauchbar sind, haben sie trotzdem noch einen Anteil an Uran von 96 % – davon sind 3 % Spaltprodukte, und das ist das, was man eigentlich nur als Abfall bezeichnet – und 1 % Plutonium. Man kann diese Kernbrennstäbe durch die Wiederaufarbeitung, Neudeutsch nennen wir das Recycling, wieder so herstellen, dass man sie noch einmal benutzen kann, mit der Folge, dass man weniger Material verbraucht. Das ist eigentlich eine gute Sache. Dies wurde allerdings im Jahr 2005 unter der rot-grünen Regierung mit dem Umweltminister Trittin verboten, also ein Re cyclingverbot.

(Demonstrativer Beifall bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn die Fraktion der GRÜNEN klatscht, würde ich aufpassen, da wir zu einem Problem kommen, das ich an dieser Stelle auch festmachen werde: Damit wurde die Entsorgung atomaren Abfalls faktisch beendet.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Entsorgung“?)