Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man mag fragen, warum wir für diesen Schritt 20 Jahre seit der deutschen Einheit gebraucht haben und warum die GRÜNEN in der rot-grünen Zeit nicht die Kraft dafür gefunden haben. – Es hat wohl erst eine schwarz-gelbe Regierung gebraucht, und das spricht wahrlich für sich.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, seit vielen Jahren haben wir gefordert, dass junge Menschen die Gelegenheit haben müssen, nach dem Studium früher auf eigenen Füßen zu stehen und eigenes Geld zu verdienen.

(Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guttenberg schafft es noch, die FDP abzuschaffen!)

In den Neunzigerjahren hatten wir in Deutschland die ältesten Studenten. Mit einem Dreischritt geben wir jungen Menschen in unserem Land die Gelegenheit – mit der Möglichkeit nach zwölf Jahren sein Abitur zu machen, der ausgesetzten Wehrpflicht und der durch die Bologna-Reform eröffneten realistischen Chance, ein Studium nach zehn Semestern erfolgreich mit dem Master abzuschließen, wo früher 12 bis 13 Semester üblich waren –, drei Jahre zusätzliche Lebenszeit nutzen zu können, und machen sie damit im internationalen Vergleich noch wettbewerbsfähiger. All diese Reformen haben schwarz-gelbe Landes- und Bundesregierungen maßgeblich vorangebracht.

(Beifall bei der FDP)

Zweifelsohne schaffen diese großen Reformprojekte Detailprobleme, die wir lösen müssen. Wer aber die Probleme, wie hier heute geschehen, in den Vordergrund rückt, hat eine falsche Perspektive und versucht, etwas Positives ins Negative zu verdrehen, und dies ist der Sache wahrlich nicht angemessen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch!)

Natürlich bedeutet die Aussetzung der Wehrpflicht, dass einmalig mehr junge Männer an die Hochschulen streben. Zahlenmäßig ist die Herausforderung aber deutlich kleiner als bei der hier ebenfalls erwähnten Umstellung G 8/G 9, denn erstens betrifft die Wehrpflicht nur Männer, zweitens wurden von einem Jahrgang – ich nehme jetzt einmal die Zahlen des Jahres 2008 – von zuletzt 440.000 jungen Männern nur 160.000 tatsächlich für Wehr- oder Zivildienst eingezogen. Wir reden hier also von rund 36 % der jungen Männer oder, auf den gesamten Jahrgang der Männer und Frauen gesehen, von rund 18 % eines Jahrgangs.

Wie viele dieser jungen Männer tatsächlich ein Studium aufnehmen werden, wie viele sich für ein freiwilliges soziales Jahr entscheiden oder vielleicht auch einen Platz in der Berufsarmee annehmen werden, können wir heute – einen einzigen Tag, nachdem das Bundeskabinett diese richtungweisende Entscheidung getroffen hat – wahrlich noch nicht wissen. Die Schätzungen, über die Frau Ministerin Kühne-Hörmann vorgestern hier berichtet hat, gehen davon aus, dass es in Hessen 3.000 bis 5.000 zusätzliche Studenten sein werden, im Übrigen auf die Jahre 2011 bis 2015 verteilt. Bei den aktuell rund 190.000 Studierenden in Hessen reden wir also von einer Größenordnung von 2 % zusätzlichen Studenten.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Damit will ich die Herausforderungen hier nicht wegdiskutieren, aber ich will sie in ihren Dimensionen schlicht realistisch darstellen.

Frau Sorge, es ist völlig überzogen, wenn Sie hier sagen, die Hochschulen würden kollabieren. Nichts wird in Hessen kollabieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Natürlich wird die Landesregierung mit dem Bund verhandeln und im Falle finanzieller Kompensationen diese komplett an die Hochschulen weitergeben. Eine Neuverhandlung des Hochschulpakts ist dafür aber nicht erforderlich, so wie dies bei der G-8-Umstellung nicht erforderlich war, wo ein zusätzliches Programm, der Hochschulpakt 2020, aufgelegt wurde. Deshalb sollten wir uns heute in erster Linie über die Entwicklung freuen und die Frage des Umgangs mit den einmalig zusätzlichen Studenten mit dem Bund und den betroffenen Hochschulen in Ruhe diskutieren. Ich bin sicher, dass wir so zu sehr sachgerechten Lösungen kommen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist nicht sachgerecht, sondern ungerecht!)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Gernot Grumbach, SPD-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schwarz-Gelb nimmt seinen Lauf!)

Genau. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Büger, ich bewundere Ihren Optimismus. Ich werde heute Abend voller Vergnügen darauf warten, wie Sie erklären, dass der Schneefall die nötigen Niederschläge liefert und das Bruttosozialprodukt durch die Unfälle erhöht wird.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ungefähr die Sicht der Dinge.

Was ich an der ganzen Debatte faszinierend finde, ist, dass nicht mehr gestaltet, sondern nur noch verwaltet wird. CDU, FDP und die Landesregierung reden davon, welches die Prognosen sind, nach denen sie sich zu richten haben. Sozialdemokraten, GRÜNE und Linkspartei reden davon, dass wir mehr Qualifizierte brauchen, dass wir des

wegen die Zahl der Studierenden steigern müssen und dass dies ein politisches Ziel ist, nicht ein Nachlaufen hinter einzelnen Studierendenwünschen, sondern Gestaltung in einem gesellschaftlich notwendigen Auftrag. Das allein ist der Unterschied, der diese Debatte heute ausmacht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Rafael Reißer (CDU): Großartig!)

Wenn Sie an dieser Stelle dazu kommen, zu sagen: „Wir wollen mehr; wir haben doppelte Jahrgänge und dazu noch die Aussetzung der Wehrpflicht“, dann ist das alles schön. Gleichzeitig hören wir aber an anderer Stelle, in Gesprächen mit den Präsidien aller Hochschulen, dass die Hochschulen bereits heute in der Situation sind, dass sie über Überlast klagen, und dann kommen wir wieder auf das Modell vergangener Jahre zurück – da haben sich alle politischen Regierungen in Hessen ein Stück versündigt –: Sie reden nämlich immer von „Untertunnelung“, von „Brücken“, was auch immer.

Realität ist: In jeder Debatte, in der von irgendeinem Anstieg der Studierenden gesprochen wurde – sei es wegen geburtenstarker Jahrgänge, sei es jetzt wegen der doppelten Abiturjahrgänge –, wurde auch davon geredet, dass die Studierendenzahlen wieder nach unten gingen. Nur haben sich die Studierendenzahlen nicht danach gerichtet. Die Menschen in Deutschland sind klüger. Sie wissen, dass in Deutschland nicht nur die Wirtschaft mehr Qualifizierte braucht, sondern dass sie selbst mehr Qualifikation brauchen. Die Zahl der Studierenden steigt deswegen völlig zu Recht, weil die jungen Menschen ihre Chance ergreifen wollen, und dann müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, diese Chance zu nutzen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die spannende Frage lautet dann auch: Zu welchen Bedingungen? Da sind wir bei dem Punkt, wo es wirklich ärgerlich wird: beim Herauszögern, beim Herumreden und beim Kürzen. Sie können doch in den Zeitungen nachlesen, was die Hochschulen gerade gemacht haben. Alle Hochschulen haben ihre Haushalte aufgestellt; alle Hochschulen haben feststellen müssen, dass das, was sie an Geld zur Verfügung haben, bedeutet, dass sie den Lehrbetrieb, den sie heute haben, so nicht aufrechterhalten können. Der Lehrbetrieb, den sie morgen haben werden, ist mehr als das, was sie heute haben. Dafür müssen ihnen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Diese stehen aber nicht zur Verfügung, und Sie haben Anträge zum Landeshaushalt, die das beinhalten, abgelehnt. Insofern müssen Sie sich schon der Verantwortung stellen, dass Sie die Studierenden in ihren Möglichkeiten begrenzen.

Dann komme ich zum letzten Punkt, und das ist das Faszinierende:

(Rafael Reißer (CDU): Auch noch?)

Ja, ich finde das schon faszinierend. – Wenn wir über Geld und Hochschulen reden, wird immer gesagt: Na, dann müssen die Hochschulen eben besser mit ihren Mitteln wirtschaften können.

(Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Herr Reißer, ich finde es immer ganz spannend, wenn Sie vorgeschriebene Reden ablesen. Das spricht in der Regel dafür, dass Sie sich Ihrer Position nicht sicher sind.

Das wirklich Spannende ist aber, wenn Sie das hier zu Ende denken, dass das ganz schlicht und einfach bedeutet: Wer die Hochschulen bei steigenden Studierendenzahlen

nicht besser ausstattet, dequalifiziert das Studium in Deutschland. Was wir aber brauchen – das besagen alle Reden und die Exzellenzinitiative –, sind qualifiziertere Studierende.

Das heißt, Sie legen die Axt nicht nur an die Zahl, sondern auch an die Durchschnittsqualifikation an hessischen Hochschulen. Das ist nun wirklich kein wettbewerbsförderndes, sondern ein wettbewerbsschädigendes Vorgehen. Daher glaube ich, dass Sie sich andere Wege vorstellen sollten, wenn Sie hessischen Studierenden helfen wollen. Sie behindern jedenfalls hessische Jugendliche beim Studium, und das ist ein Problem.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde, die heute von den GRÜNEN angemeldet worden ist, ist auch Inhalt einer mündlichen Frage gewesen, die ich bereits am Dienstag beantwortet habe. Wenn man sich die Redebeiträge von Frau Sorge, Frau Wissler und Herrn Grumbach anhört, stellt man fest: Drei Viertel der Redebeiträge waren Reden zur allgemeinen Hochschulpolitik und hatten nichts mit dem Thema der Aktuellen Stunde zu tun.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es scheint wohl so zu sein, dass das Thema so wenig hergibt, dass man es eher „Aufhebung des Hochschulpakts“ oder etwas Ähnliches hätte nennen können. Deswegen will ich zuvor kurz auf das, was gar nicht Thema der Aktuellen Stunde ist, eingehen und sagen:

Erstens. Herr Grumbach, wir von der Landesregierung begrenzen keine Studierenden. Das ist totaler Unsinn.

Zweitens. Im Haushalt für Wissenschaft und Kunst ist nicht gespart worden, sondern er hat 24 Millionen € mehr. Dafür muss man lesen und in den Haushalt schauen können.

Drittens. Für HEUREKA und das LOEWE-Programm werden weiterhin 3 Milliarden € gezahlt. Wir haben den zweithöchsten Haushalt für Wissenschaft, Kunst und Hochschulen, den wir je in Hessen hatten, und die Hochschulen sind so gut ausgestattet wie nie. Das muss an dieser Stelle zunächst einmal festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Heute geht es um die Frage, was passiert, wenn die Wehrpflicht ausgesetzt wird. In der Tat, das ist ein neuer Sachverhalt. Wenn die Wehrpflicht ausgesetzt wird, dann kommen nicht mehr Studierende insgesamt, sondern es gibt in näherer Zukunft eine Komprimierung der Studiennachfrage. Genau um diesen Sachverhalt geht es. Wenn man die Annahmen betrachtet – man kann nur von Annahmen ausgehen, die statistisch erhoben werden –, dann stellt man fest, in fünf Jahren fallen ungefähr 3.000 Studierende zusätzlich an, also eine begrenzte Zahl, über die man redet.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was ist passiert, Frau Sorge? Was habe ich als Ministerin in der Zeit getan?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das fragen wir uns schon!)

Ich habe selbstverständlich dafür gesorgt – das schlägt sich auch in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz und der Wissenschaftsministerkonferenz nieder –, dass wir mit dem Bund darüber verhandeln, dass der Hochschulpakt 2020, bei dem es von Bund und Ländern zusätzliche Mittel gibt, schon im Jahre 2011 wirksam wird und die Auszahlungen vorzeitig erfolgen, wenn sich herausstellt, dass mehr Studierende nicht in die Freiwilligendienste gehen, sondern gleich den Studienbeginn anstreben.