Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat mit ihrem Setzpunkt wieder einmal ein bundespolitisches Thema auf die Agenda gesetzt – nicht zum ersten Mal, sondern zum fünften Mal in diesem Jahr.

(Zurufe von der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Gleich versenkt, Ihre Rede!)

Entschuldigung, innerhalb eines Jahres. Sie diskutieren zwar gern über Hartz-IV-Themen, aber es ist zutreffend, dass Sie es nicht schaffen, innerhalb von vier Wochen fünfmal darüber zu reden. Aber von Januar 2010 bis Januar 2011 haben Sie es geschafft, dieses Thema fünfmal hier in den Hessischen Landtag einzubringen.

(Zurufe von der SPD)

In der letzten Woche, als die Anträge auf Aktuelle Stunden eingebracht wurden, haben Sie wohl gemerkt, dass die Kommunisten dieses Thema morgen auf die Tagesordnung bringen werden. Deshalb haben Sie schnell einen Dringlichen Antrag geschrieben, um hier einen Rundumschlag über alle Hartz-IV-Themen zu führen. Das ist faszinierend. Ich halte es aber schon für ein Armutszeugnis der Opposition, dass sie es nicht schafft, kurz vor der Kommunalwahl ein landespolitisches Thema zum Setzpunkt zu machen, sondern wieder auf die bundespolitische Ebene zurückgreift.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Aberwitzig finde ich auch, dass Sie die Auslöser für die „sozialen Ungerechtigkeiten“ – wie Sie es titulieren – waren, die angeblich landauf, landab stattfinden. Es ist ein unglaubliches Zerrbild, das Sie hier malen. Ich finde es auch interessant, dass Sie einen „heißen Herbst“ mit vielen Demonstrationen angekündigt haben, weil angeblich so viele soziale Ungerechtigkeiten in der Bundesrepublik stattfinden. Ich frage mich, wann dieser „heiße Herbst“ war. Ich habe nichts davon mitbekommen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ich auch nicht! – Weitere Zurufe von der CDU – Lachen bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist doch Fakt, dass viele Zeitarbeiter aus der Arbeitslosigkeit kommen. Es ist auch Fakt, dass viele in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze kommen und dies nutzen, um in den Betrieben Fuß zu fassen, in unbefristete Arbeitsverhältnisse zu gelangen. Das kann ich auch aus eigenen Erfahrungen berichten. Ich erinnere an die Berichte, die wir jetzt aus verschiedenen Firmen hören – nicht nur aus Großunternehmen, sondern auch aus mittelständischen Betrieben –, dass die Zeitarbeiter jetzt, in Zeiten des Aufschwungs, übernommen werden und damit eine Chance haben, dauerhaft beschäftigt zu sein.

Wir sind uns einig – das ist, glaube ich, der einzige Punkt, wo das der Fall ist –, dass wir keinen Missbrauch dulden.

Ich glaube aber auch, dass es die richtige Entscheidung war, dass das Bundesministerium für Arbeit die Zahl der Stellen erhöht hat, die zur Beobachtung der Zeitarbeitsbranche zur Verfügung stehen. Damit ist der berühmte Drehtüreffekt, z. B. bei der Firma Schlecker, beseitigt worden. Wir müssen weiterhin darauf achten, dass kein Missbrauch stattfindet und dass wir gegebenenfalls entsprechend reagieren.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie denn?)

Wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, die im letzten Jahr und Anfang dieses Jahres eingebracht wurden, und mir vorstelle, dass wir all das umsetzen würden, was Sie da verlangen, dann könnten wir die Flexibilität im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung völlig vergessen. Das Instrument Arbeitnehmerüberlassung wäre völlig ineffektiv. Die Firmen, die damit gute Erfahrungen gemacht haben, könnten das so nicht mehr nutzen. Ich betone es noch einmal: Das sind nicht die Großkonzerne, sondern das ist zum großen Teil der Mittelstand, der dieses Instrument nutzt, um Auftragsschwankungen aufzufangen.

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – das ist der Titel, der über Ihrem Antrag steht. Herr Decker, den haben Sie in Ihrer Parteitagsrede übergreifend auf alles bezogen. Ich beziehe ihn jetzt auf die Zeitarbeitnehmerschaft und auf die Arbeitnehmerüberlassung. Dies ist von vornherein ein unproduktives Instrument. Ich bin dafür, dass man nach einer bestimmten Übergangszeit darüber nachdenkt, den Lohn anzugleichen; dann muss aber auch die gleiche Qualifikation vorhanden sein. Es kann nicht sein, dass bei einer Arbeitnehmerüberlassung die Löhne automatisch angeglichen werden, wenn nicht die gleiche Qualifikation vorhanden ist.

Mit Blick auf den 1. Mai sind wir uns in einem zweiten Punkt einig: Wir müssen dieses Datum im Auge behalten. Es kann nicht sein, dass wir in der Leiharbeiterbranche oder bei der Arbeitnehmerüberlassung eine Schwemme aus dem Osten bekommen. Da müssen wir Regelungen finden. Wenn ich es aber richtig verfolgt habe, ist das Bundesarbeitsministerium an diesem Problem dran.

Ganz interessant finde ich Ihre Wandlung – weg von der Arbeitsagentur –, die Sie jetzt als großen Erfolg verkaufen, dass nämlich die Kommunen das Bildungspaket umsetzen. Ich befürworte das. Je näher man am betroffenen Bürger ist, umso besser. Aber dass ausgerechnet die SPD, die immer für dieses zentralistische System ist, sagt, dass die Arbeitsagentur das nicht kann, finde ich schon sehr bemerkenswert.

(Günter Rudolph (SPD): Ziemlicher Blödsinn!)

Das ist ein begrüßenswerter und bemerkenswerter Wandel.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben vorhin bei dem Thema Blockade laut gelacht. Ich sehe das schon als Blockade. Deshalb fordere ich Sie von dieser Stelle aus auf: Hören Sie endlich auf, Regierung zu spielen.

(Zuruf von der SPD: Wenn Sie es doch nicht kön- nen!)

Hören Sie endlich auf, die Verhandlungen in Berlin zu blockieren, und sorgen Sie dafür, dass das Bildungspaket umgesetzt werden kann.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Jetzt seid doch froh, wenn wir euch helfen!)

Sorgen Sie dafür, dass die höheren Hartz-IV-Sätze endlich ausgezahlt werden können, und sorgen Sie dafür, dass aus dem Härtefonds Geld für das Mittagessen ausgezahlt werden kann. Da darf man auch einmal der Hessischen Landesregierung dafür danken, dass sie den Härtefonds in Hessen weiterführt und dafür sorgt, dass das Geld weiterhin ausgezahlt wird und dass die Schulkinder, die es brauchen, es auch nach wie vor bekommen. Aufgrund Ihrer Blockadehaltung würden sie es eigentlich nicht bekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Eines möchte ich zum Schluss noch loswerden: Der Antrag zielte von Anfang an darauf ab, sowohl im Bund als auch im Land einen Keil zwischen die Koalitionsfraktionen zu treiben. Lassen Sie sich eines sagen: Sie werden es im Bund nicht schaffen, und Sie werden es in Wiesbaden schon gar nicht schaffen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Günter Rudolph (SPD): Das macht ihr schon selbst!)

Danke schön, Herr Burghardt. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Decker gemeldet.

Für die Zuschauer möchte ich einen Hinweis geben: Kurzintervention bedeutet, dass der Angesprochene jetzt für zwei Minuten die Gelegenheit hat, auf den Redner zu antworten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will zwei Anmerkungen machen. Zunächst einmal zu Herrn Lenders: Es ging um die Frage des Equal Pay. Herr Lenders, das ist gerade der Punkt, warum wir sagen, dass jemand, der vernünftige und gleichwertige Arbeit abliefert, nach vier Wochen auch den gleichen Lohn bekommt. Wenn wir das so machen würden, wie Sie es wollen, nämlich den gleichen Lohn erst nach Ablauf von sechs Monaten vorzusehen, hätten wir die Situation, dass sich der arme Mensch dann schon gar nicht mehr in der Leiharbeitsfirma befindet. Das heißt, dann bekommt er nie einen vernünftigen Lohn.

(Beifall bei der SPD)

Herr Decker, ein Hinweis: Sie können zu Herrn Burghardt Stellung nehmen, nicht aber zu Herrn Lenders. Ich bitte Sie, sich daran zu halten.

Herr Präsident, ich bitte um Verzeihung. Ich halte mich daran. – Jetzt zu Herrn Burghardt. Herr Burghardt, ich möchte zwei kurze Anmerkungen machen. Wenn Sie an dieses Pult treten und sagen, es sei ein Armutszeugnis, dass Sie und auch andere Oppositionsfraktionen – die GRÜNEN oder die LINKEN – zum wiederholten Male dieses Thema aufrufen, antworte ich: Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht begreifen, dass das ein Thema ist, das auch in Hessen wichtig ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vergessen Sie doch bitte die durchaus wichtige Rolle nicht, die diese Landesregierung und auch dieses Haus haben, wenn es z. B. um die Willensbildung im Bundesrat geht. Wir wollen von Ihnen genau wissen, wie Sie sich im Bundesrat und gegenüber Ihrer eigenen CDU/FDPBundesregierung verhalten. Deshalb erlauben wir uns, in diesem Haus solch wichtige Punkte aufzurufen: Wir wollen Ihnen das mitgeben, was wir wollen. Das hat also einen ganz sachlichen Hintergrund.

Herr Burghardt, es geht nicht darum, hier irgendeinen Keil zwischen CDU und FDP zu treiben. Erstens brauchen wir das nicht, weil dieser Keil schon da ist – das ist das Problem –,

(Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Spies (SPD): Das macht ihr alleine!)

und zweitens geht es darum, in diesem Haus durchaus auch mit kräftigen Worten, wobei Sie wissen, dass mir an der Sache liegt, dafür zu werben, dass wir hier einen gemeinsamen Beschluss hinbekommen und das einführen, was vernünftig und notwendig ist.

Herr Burghardt, Sie haben vorhin selbst angesprochen, dass wir mit Blick auf den 1. Mai dringend eine Regelung finden müssen und dass im Haus von Frau von der Leyen etwas in Arbeit ist. Das kann aber nur zum Ergebnis haben, dass wir hier vernünftige Grenzen einziehen, und diese müssen gesetzlich geregelt werden. Sonst bringt das nichts.

Herr Decker, Sie haben zwei Minuten Zeit.

Das wollten wir Ihnen mit auf den Weg geben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Herr Burghardt, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Herr Decker, ich habe nicht kritisiert, dass wir darüber reden. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir darüber reden, sowohl hier als auch im Ausschuss. Aber ich habe kritisiert, dass Sie das immer wieder zum Setzpunkt machen und dann nicht über das Thema, zu dem Sie diesen Setzpunkt beantragt haben, diskutieren, sondern zu einem Rundumschlag gegen die Hartz-IV-Reform ausholen und über die große soziale Ungerechtigkeit in der Bundesrepublik reden.

(Leif Blum (FDP): Wer hat sie denn gemacht?)

Das kommt noch dazu; das habe ich auch gesagt: Wer hat sie denn gemacht? – Ich glaube auch, dass wir in einigen Punkten gleicher Meinung sind. Aber wenn Sie sagen, es müsse nach einer bestimmten Zeit gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, muss ich Ihnen darauf antworten: Ich

sehe nicht, dass das nach einem Monat so geregelt werden kann. Da ist dann der Hund im Detail begraben.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): „Der Hund im Detail begraben“, wie geht das denn?)

Ich sehe nicht, dass das nach einem Monat umgesetzt werden kann, so, wie Sie es hier in Zwischenrufen gefordert haben. Ich möchte nicht, dass das nach einem Monat so gemacht wird. Vielmehr denke ich, dass dann, also nach einem Monat, die Flexibilität weg ist und dass es nichts nutzt. Dann müssen wir uns überlegen, ob wir eine gemeinsame Linie finden: nicht nach einem Monat, sondern nach sechs, acht oder neun Monaten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)