Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Herr Burghardt, vielen Dank. – Als Nächster hat Herr Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gelegenheit zur Rede.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Bocklet, wir sind uns einig!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ wacht ein Schauspieler jeden Morgen auf und hat dieselbe Erscheinung. In der aktuellen Debatte kommt es einem in der Tat auch manchmal so vor: Wir müssen zum dritten, vierten oder fünften Mal – was immer die aktuellen Zahlen sind – darüber diskutieren.

Aber es ist auch eine Schande, dass wir zum fünften Mal darüber diskutieren müssen. Es bewegt sich nämlich überhaupt nichts in dieser Frage, und das ist das Problem bei dieser Diskussion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Plenum behandeln wir das Thema zweimal. Die SPD hat es zuerst aufgerufen. Liebe Kollegin Wissler, es müssen bei Ihnen doch die Alarmglocken schrillen, weil die SPD bei dem Thema Mindestlohn schneller ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wir sind immer schneller!)

Wenn das einreißt, wird es mit dem Wiedereinzug in den Landtag aber knapp. Insofern beglückwünsche ich die SPD.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Wir sind immer schneller! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Ja, eindeutig. Sie kümmern sich morgen nur um die Leih arbeit. Insofern müssen Sie sich ein bisschen ranhalten. Wir finden es gut, dass die SPD es heute aufruft. Wir bleiben bei dem Thema. Wir haben uns auf das Thema „Mindestlohn und Leiharbeit“ eingestellt.

Rot-Grün hat es verabschiedet. Ja, wir haben es verabschiedet. Aber der Kopf ist rund, damit die Gedanken auch einmal ihre Richtung ändern können. Ich weiß, dass dies für viele, vor allem von der FDP, sehr schwer zu verstehen ist. Dennoch kann ich Ihnen den Rat geben: Was Ihren Steuersenkungswahn und Ihre Deregulierung von

Finanzmärkten betrifft, so würde es auch Ihnen nicht schaden, Ihre Position, die Sie in die völlig falsche Richtung geführt hat, grundsätzlich zu überdenken. Das würde Ihnen auch nicht schaden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zeitarbeit – oder Leiharbeit – hatte ihren Sinn und wird ihn auch zukünftig in der Situation haben, dass Unternehmen Auftragsspitzen bekommen und nicht wissen, wie sie sie schnell und zügig abdecken sollen. Dort, wo es kurzfristige Personalengpässe gibt, hat die Zeitarbeit auch zukünftig einen Platz.

Jetzt fragen Sie – ich glaube, es war Herr Lenders, der dazwischenrief –, wo all das bestätigt wird, was Frau Wissler, zum Teil auch richtig, wiedergegeben hat. Es gab eine Studie des CDU-Arbeitsministers Laumann – a. D. mittlerweile. Es gibt also eine Studie dazu, und Lesen bildet, auch in diesem Fall. Wenn Sie die lesen und es für Sie erkennbar ist, dass es einen vielfachen Missbrauch gibt, muss Sie das doch dazu bringen, zu sagen: Wir ändern unsere Position oder drehen an den Stellschrauben, die dazu führen, dass es diesen Missbrauch gibt. – So viel Einigkeit muss es doch irgendwann einmal geben. Ich finde es richtig, dass wir weiterhin darüber diskutieren, solange es sie nicht gibt.

Ich geben Ihnen ein Beispiel: Googeln Sie im Internet zu dem Thema „Mentalität von Zeitarbeitsfirmen“. Die Zeitarbeitsfirma P., so nenne ich sie jetzt einmal, weil ich nicht weiß, ob man ihren Namen erwähnen darf, beschreibt auf ihrer Homepage die Vorteile der Zeitarbeit wie folgt: Sie – also die Unternehmen – befreien sich von vielen Arbeitgeberpflichten und -risiken. Sie vermeiden konsequent Kündigungsprobleme, also Arbeitsgerichtsprozesse, Abfindungszahlungen. Sie erreichen eine Kostendeckung und wandeln Fixkosten in variable Kosten um. Sie verschaffen sich einen optimalen Wettbewerbsvorteil.

Sehen Sie, das ist der Geist, mit dem man Zeitarbeit verkauft. Aber wer den Unternehmen optimale Flexibilität zubilligt, muss auf der anderen Seite dafür sorgen, dass die Zeitarbeiterinnen und -arbeiter, die in diese Unternehmen gehen, von Anfang an gleiche Rechte und gleichen Lohn bekommen. Dafür setzen wir uns, wie auch die SPD und DIE LINKE, ein. Das muss so gelten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist völlig unerklärlich, warum Unternehmen, wenn sie diese Palette von Vorteilen haben, nicht in der Lage sind, für gleiche Arbeit gleichen Lohn zu zahlen. Natürlich müssen es die gleiche Arbeit und die gleiche Qualifikation sein, Herr Burghardt und Herr Lenders. Es ist nicht verständlich, warum der Schweißer, um in Ihrem Bild zu bleiben, oder die Sekretärin, um ein anderes Bild zu benutzen, nicht vom ersten Tag an die gleiche Bezahlung bekommen sollen wie die Stammbelegschaft. Das ist nicht erklärbar, und deshalb muss man es gesetzlich verändern.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Kosten sagen. Die FDP moniert die explosionsartig ansteigenden Kosten beim ALG-II-Bezug. Sie hat die Diskussion sehr polemisch geführt. Immer wieder taucht das auf, wenn die Kosten im Sozialbereich steigen. Der Antwort der Bundesregierung können Sie aber entnehmen, dass sich die Kosten für Zeitarbeiter, die gleichzeitig im ALG-IIBezug sind, im Jahr 2009 auf 531 Millionen € belaufen ha

ben. Im Jahr 2010, so viel ist absehbar, werden sie noch einmal massiv steigen.

Wir geben über eine halbe Milliarde Euro für Menschen aus, die Arbeitslosengeld II beziehen und in Zeitarbeit beschäftigt sind. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Selbstverständlich wirft das die Mindestlohndebatte auf. Für diese Fragestellung muss es endlich eine Antwort geben.

Meine Damen und Herren der FDP, Sie beschreien immer wieder, die Einführung eines Mindestlohnes wäre der Untergang des Abendlandes. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass es das Land, das damals von Margaret Thatcher regiert wurde – Stichwort: Manchesterkapitalismus –, hinbekommen hat, nationalweit einen Mindestlohn einzuführen. Es geht ihnen in Großbritannien nicht schlecht. Sie haben eine Kommission, in der alle Tarifpartner vereint sind. Sie legen den Mindestlohn fest.

Herr Lenders, nicken Sie doch einmal. Ich danke Ihnen, dass Sie mir recht geben wollen.

Es war richtig, dass Großbritannien, das sozusagen kommunistischste Land Westeuropas, endlich einen Mindestlohn festgelegt hat. Es ist ihnen damit nicht schlecht gegangen. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Die Kosten für die Sozialausgaben sind damals massiv gesunken. Das muss es endlich auch in Deutschland geben. Wir werden daran nicht zugrunde gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf)

Die Einzigen, denen es nicht gut geht, sind angesichts der Umfrageergebnisse die Mitglieder der FDP. Das ist zu Recht so.

Den Menschen in Großbritannien geht es, ähnlich wie in der Bundesrepublik, vergleichsweise gut.

(Zuruf von der CDU: Es geht ihnen sauschlecht!)

Ich will Ihnen noch eines sagen. Sie hören wiederholt davon, wie die Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter eingesetzt werden. Sie verdienen deutlich weniger als die Stammbelegschaft. Sie haben keine Rechte hinsichtlich der Mitbestimmung. Sie bekommen kein Urlaubsgeld und kein Weihnachtsgeld. Dazu tragen sie noch das Risiko, immer wieder weitervermittelt zu werden. Das zeigt eindeutig: Es ist an der Zeit, das gesetzlich zu regulieren.

Wenn wir bemerken, dass es Fehler gibt, die wir vor fünf Jahren gemacht haben, dann müssen wir alle in diesem Saal ein Interesse daran haben, diese Nachteile zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beseitigen. Wir müssen das endlich richtig regulieren. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Marius Weiß (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Bocklet, danke. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist eine spannende Diskussion, bei der ich der Überzeugung bin, dass wir erst einmal klarlegen müssen, warum wir diese Diskussion führen. Auf der Grundlage

einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befinden wir uns zurzeit in Verhandlungen über die Neuregelung des Sozialgesetzbuchs II und von Hartz IV. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundesgesetzgeber aufgegeben, Versäumnisse aus rot-grüner Zeit zu korrigieren. Das ist der Grund, weshalb wir darüber reden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Rot-Grün hat Hartz IV und die Regelungen im Hinblick auf den Mindestlohn auf den Weg gebracht. Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2010 entschieden, dass die Regelungen, die hinsichtlich des Sozialgesetzbuchs II und hinsichtlich der Regelsätze auf den Weg gebracht wurden, nicht den Vorgaben unserer Verfassung entsprechen. Es hat die Bundesregierung und den Gesetzgeber aufgefordert, eine verfassungsrechtlich gesicherte Regelung vorzulegen. Das ist der Grund.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Bocklet, wir verhandeln momentan schlicht und einfach deswegen, um die Versäumnisse aus rot-grüner Zeit zu beseitigen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Mittlerweile haben wir natürlich die Situation, dass man einfach konstatieren muss, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundesrat verändert haben.

(Timon Gremmels (SPD): Gott sei Dank!)

Dies hat dazu geführt, dass die SPD der Überzeugung ist, sie solle im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neuregelung des Sozialgesetzbuches II endlich einmal all das fordern, was sie schon immer hinsichtlich der Sozialpolitik fordern wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Chris- tean Wagner (Lahntal) (CDU): Genau so ist es!)

Sie will jetzt, dass all das, was mit dem Sozialgesetzbuch II kaum etwas zu tun hat, mitgeregelt wird. An dieser Stel le – –

(Zuruf: Frechheit!)

Wer hat da gerade eben „Frechheit“ gerufen?

(Heike Habermann (SPD): Wir alle!)

Ich will Ihnen dazu Folgendes sagen: Das ist keine Frechheit. Vielmehr ist es schlicht und einfach so. Wissen Sie, ich finde das Ganze recht spannend. Ich finde den Dringlichen Antrag, den Sie vorgelegt haben, spannend. Ich finde es ganz spannend, was Kollege Decker aus den Verhandlungen berichtet hat. Erstaunlicherweise war aber nicht er, sondern ich dabei.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Denn ich gehöre der Gruppe an, die das verhandelt. Ich kann Ihnen beispielsweise sagen, dass eine ganze Reihe der Forderungen, die Sie heute hier aufgestellt haben, überhaupt nicht mehr der Realität entspricht. Das ist überhaupt nicht mehr Gegenstand der Forderungen, die Rote und GRÜNE in die Verhandlungen einbringen. Mir kommt das so vor, als ob hier irgendjemand von etwas spricht, von dem er zwar einmal etwas gehört hat, von dem er aber überhaupt keine Ahnung hat.