Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Anträge der Fraktionen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Einführung von Islamunterricht an hessischen Schulen sind aus unserer Sicht in ihren Grundzügen zu unterstützen. Ich werde auf die Einzelheiten hier nicht eingehen. Das werden wir sicher im Kulturpolitischen Ausschuss tun.
Verschiedene muslimische Organisationen stehen kurz davor, als Religionsgemeinschaft nach verfassungsrechtlichen Anforderungen anerkannt zu werden, oder sie sind schon anerkannt. Jetzt sollte auch zügig ein gemeinsames Curriculum als Basis für den zu erteilenden islamischen Religionsunterricht entwickelt werden. Das ist eine Forderung der SPD, die wir unbedingt unterstützen und als richtig erachten.
Als LINKE stelle ich aber klar, dass wir wie Berlin, Brandenburg und Bremen einen verpflichtenden gemeinsamen Ethikunterricht und einen freiwilligen Religionsunterricht haben sollten. Denn Religion ist unseres Erachtens Privatsache, und die Trennung von Staat und Kirche ist in der Verfassung festgelegt, Herr Irmer.
(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Ge genruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE): Gucken Sie mal nach Frankreich!)
Doch solange es in Hessen noch einen grundgesetzlich garantierten Religionsunterricht gibt, setzen wir uns für eine Gleichstellung aller Religionen ein und damit auch für einen muslimischen Religionsunterricht. Das haben wir immer so bestätigt.
Kein religiös oder weltanschaulich gebundenes Kind, gleich welcher Religion oder Weltanschauung, darf eine Benachteiligung wegen seines Glaubens oder seiner Weltanschauung erfahren. Die entsprechenden Überzeugungen der Kinder und ihrer Eltern müssen geachtet werden. Weiterhin muss das Wissen über Religionen und Weltanschauungen sowie kulturelle Traditionen wichtiger Bestandteil schulischer Bildung sein.
Uns ist ebenfalls wichtig – das ist eine generelle Anmerkung, da hier oft vieles durcheinandergeht –, dass Religion und Integration von uns unbedingt als verschiedene Schuhe zu behandeln sind.
Integration ist eine soziale und keine religiöse Frage. Es geht um die soziale und politische Teilhabe der hier lebenden Menschen, unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit.
Aber wir brauchen noch etwas anderes – in einer Einwanderungsgesellschaft wie der unseren ist dies für den gesellschaftlichen Frieden ganz entscheidend –: Grundlegend und für alle Kinder verpflichtend sollte ein religions
und weltanschauungsübergreifender Unterricht erteilt werden, in dem es um gemeinsame humanistische Werte und ihre Gefährdungen sowie um grundgesetzliche Garantien geht.
Dieser Unterricht sollte für alle verpflichtend sein, also nicht nur von den konfessionslosen Kindern besucht werden. Unsere durch unterschiedliche Religionen, Weltanschauungen und Kulturen geprägte Gesellschaft bedarf der Gemeinsamkeit auch in der Debatte und der Werteerziehung. Ziel wäre, kulturelles und demokratisches Verständnis, gegenseitige Toleranz und Konfliktfähigkeit schon in der Schule zu entwickeln und nicht dem interreligiösen Dialog unter engagierten Erwachsenen zu überlassen.
Dies würde nach unserer festen Überzeugung die Integration in unserem Land, wenn man sie denn nicht nur von der einen Seite, nämlich von den Eingewanderten, verlangt, ein großes Stück voranbringen.
Daher sollte jetzt die Chance wahrgenommen werden, das Verhältnis von Staat und Kirche in Hessen neu zu überdenken und im Interesse der Integration und der gemeinsamen Verantwortung, die alle unsere Kinder bald für das Land Hessen zu tragen haben, dem nach Bekenntnis trennenden Religionsunterricht einen für alle verpflichtenden integrierenden Unterricht an die Seite zu stellen.
Wir werden einen entsprechenden Antrag nach § 28 Abs. 2 GOHLT stellen, damit in der nächsten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses die Diskussion über die jetzt behandelten Anträge durch unseren ergänzt werden kann.
Ich bin sicher, dass wir sowieso eine ausführliche Diskussion benötigen, da in den vorliegenden beiden Anträgen doch ein sehr diffiziler Sachverhalt angesprochen wird, der in der Debatte heute nicht ausreichend geklärt werden kann. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor inzwischen zehn Jahren haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern darauf verständigt, islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache als reguläres Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen einzuführen.
Das Land Hessen ist bestrebt, bis spätestens im Sommer 2013 einen bekenntnisorientierten Islamunterricht an seinen Schulen anzubieten. Wir wären dann das erste Bundesland, welches diese Integrationsleistung schaffen würde. Denn alles andere sind lediglich Modellversuche mit Islamkunde. Kollege Mick hat das deutlich angesprochen.
Meine Damen und Herren, das ist eine klare Zielangabe. Ich darf deshalb aus dem gemeinsamen Koalitionsvertrag von CDU und FDP zitieren. Dort heißt es klar und deutlich:
Wir werden erneut prüfen, ob mit einem legitimierten Ansprechpartner eine Vereinbarung zur Erteilung islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache getroffen werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, werden wir im Fach Ethik eine verpflichtende religionskundliche Unterweisung in islamischer Religion einführen.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Denn das sagt all das aus, was wir wollen und wann wir es erreicht haben wollen.
Angesichts von 60.000 Kindern und Jugendlichen muslimischen Glaubens in Hessen, die an unseren Schulen bisher keine Möglichkeit vorfinden, auch etwas über ihre eigene Religion zu erfahren, ist dies eine Notwendigkeit. Zu den Koranschulen, in denen die Religionsvermittlung bisher geleistet wird, muss es unserer Auffassung nach eine Alternative geben, und zwar mit an deutschen Universitäten in islamischer Religionspädagogik ausgebildeten Lehrkräften. So wollen wir dies schaffen.
Erst vor zwei Tagen las ich in der „Frankfurter Neuen Presse“, dass die Goethe-Universität zum Vorreiter für die Islamforschung wird und mit Millionen Euro an Fördermitteln ein Zentrum für islamische Studien aufbaut. Hier werden gerade die ersten Schritte gemacht, damit wir islamische Religionslehrer ausbilden können. Es gibt also keinen Stillstand. Wir gehen Schritt für Schritt diesem Ziel entgegen. Deshalb kann ich diese kritischen Anfragen in den Anträgen eigentlich auch nicht nachvollziehen.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Schwierigkeiten bei der Etablierung des Islamunterrichts. Das zeigen auch die Anträge, die hier vorliegen. Es gibt Gründe, die dieses Ansinnen auch bremsen. In einem religiös, weltanschaulich neutralen Land müssen nämlich die Religionsgemeinschaften die Grundsätze des Religionsunterrichts für sich selbst festlegen. Das setzt aber voraus, dass es Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes gibt. Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass religiöse Aufgaben im Zentrum der Aktivitäten dieser Gemeinschaft stehen und nicht nur einen Aspekt neben anderen sozialen oder kulturellen Aspekten ausmachen. Das unterscheidet eben Religionsgemeinschaften von einem religiösen Verein – der sich zwar auch religiösen Aufgaben widmet, das aber eben nur unter anderem tut. Ein Verein wird deshalb auch kein Ansprechpartner sein können.
Deshalb ist in Deutschland bisher noch kein islamischer Verband als Religionsgemeinschaft im juristischen Sinne anerkannt worden. Was wir haben, sind allein religiöse Vereine. Das macht es eben nicht einfacher. Notwendig ist, dass islamische Verbände sich als dauerhafter verlässlicher Ansprechpartner erweisen. Sie müssen das Grundgesetz bejahen und inhaltlich eine mehrheitlich anerkannte Position vertreten.
Das geht auch. Beispiel ist der Modellversuch der alevitischen Gemeinschaft, die einen abgestimmten Lehrplan vorgelegt hat. Diese Beispiele beweisen das auch. Mit der Türkisch-Islamischen Union hat der nach eigenen Anga
ben mitgliederstärkste Migrationsverband auch einen Antrag gestellt. Es ist gut, dass ein solcher großer Verband dies getan hat. Denn eines wollen wir auch nicht, nämlich die Atomisierung der Ansprechpartner.
So positiv der Aspekt ist, dass sich dieser große Verband zu Wort gemeldet hat, so negativ ist etwas anderes. Denn die DITIB als Dachverband der Moscheevereine untersteht der Leitung, Aufsicht und Kontrolle des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei in Ankara. Dieses wiederum untersteht dem türkischen Ministerpräsidenten. Deshalb ist da Vorsicht geboten.
Denn gute Gründe zur Vorsicht bietet leider auch immer wieder Präsident Erdogan, der erst kürzlich in Düsseldorf wieder die Vereinnahmung seiner Landsleute, und zwar aller in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen, praktiziert hat. Er hat ausgeführt, dass die Republik Türkei den Schutz dieser in Deutschland lebenden Menschen nach wie vor zum Ziel hat.
Wir fragen deshalb vorsichtig, aber nach wie vor kritisch, welche Rolle die DITIB spielen wird. Würden wir uns mit der DITIB auch den türkischen Staat in unsere Schulen holen?
Zum Abschluss meiner Rede will ich noch einmal das deutlich machen, was Herr Dr. Kriszeleit in einer Pressemitteilung aus dem März 2011 treffend auf den Punkt und zur Sprache gebracht hat:
Der neutrale Staat bestimmt nicht den Inhalt religiöser Bekenntnisse. Er überlässt dies den Religionsgemeinschaften. Deshalb kann auch ausländischen Staaten nicht das Recht eingeräumt werden, die Grundsätze von Religionsgemeinschaften zu bestimmen.
Ich komme jetzt zu meinen letzten Sätzen. Wir möchten diesen Weg konsequent zu Ende gehen. Wir haben ein klares Ziel. Wir sind wichtige Schritte vorangekommen.
Ich bin mir sicher, dass der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag zur noch besseren Integration der muslimischen Menschen in Hessen leisten kann. Gut Ding braucht aber Weile. Wir müssen nicht in Hektik verfallen. Wir sind schon einen großen Schritt vorangekommen. – Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 13 Jahre ist wohl eine gute Weile!)
Herr Kollege Bauer, schönen Dank. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatssekretär Brockmann. Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Soweit ich sehen kann, gibt es unter den Bundesländern und unter den Parteien Hessens übereinstimmend das Ziel, zu sagen, dass wir für muslimische Kinder und Jugendliche einen Religionsunterricht gemäß den Vorstellungen des Art. 7
Abs. 3 unserer Verfassung haben wollen. Diese Übereinstimmung bedeutet allerdings auch, dass wir uns an das Grundgesetz im Detail halten müssen. Das stellt den Religionsunterricht für die islamischen Kinder und Jugendlichen vor eine große Herausforderung.
Die Verfassung unseres Landes legt nämlich fest, dass dieser Religionsunterricht ein „ordentliches Lehrfach“ ist. Er ist also in Deutsch zu halten. Er unterliegt der deutschen Schulaufsicht. Er wird mit deutschen Schulbüchern gehalten. Es ist ein Fach, das in der Schule im Dialog mit anderen Fächern bestehen muss. Er muss also konkurrenzfähig sein.
Es handelt sich also nicht um ein Bekenntnis, sondern um ein Fach, in dem wirklich sachgerecht und aufklärend gearbeitet wird. In ihm können Leistungen erzielt werden.