Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das sind Anforderungen an ein Unterrichtsfach, die man nicht gering achten sollte.

Zugleich wird festgelegt, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften zu erteilen ist. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass der Staat von seinem Wesen her beim Religionsunterricht nicht über die Richtigkeit eines Inhalts entscheiden kann. Vielmehr hat das auch etwas damit zu tun, dass die Religionsgemeinschaften mit dieser inhaltlichen Bindung eine Verbindlichkeit für das Fach sanktionieren und eingehen.

Diese Verbindlichkeit für das Fach stellt für manche muslimischen Gruppen das Problem dar. Denn Muslime kennen von ihrer Grundüberzeugung her keine religiösen Organisationen. Sie kennen vielmehr nur den individuellen Glauben.

Deswegen ist das Darstellen des Religionsunterrichts für muslimische Kinder und Jugendliche eine viel größere Herausforderung, als das etwa bei den anderen zwölf Religionsgemeinschaften einschließlich der Christen der Fall ist, die in Hessen bereits einen konfessionellen Religionsunterricht für die Kinder ihrer Religionsgemeinschaften in unseren Schulen erhalten.

Wir haben also – ich möchte es so sagen – dieses große Rad zu drehen. Das ist wirklich eine Aufgabe.

Wir haben unmittelbar nach dem Regierungsantritt mit einem runden Tisch damit begonnen. Er hat bisher dreimal getagt. Außerdem haben etliche Unterorganisationen getagt. Wir haben in drei Punkten einen Konsens gefunden.

Erstens. Alle Religionsgemeinschaften wollen den konfessionellen Religionsunterricht, also den nach Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz. Das bedeutet für die muslimischen Gemeinschaften, dass es auch in den eigenen Reihen zu einer erheblichen Klarstellung kommen muss.

Zweitens. Alle wissen, dass sie, wenn sie Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz haben wollen, irgendeine Form der Religionsgemeinschaft darstellen müssen, um dem Inhalt eine Verbindlichkeit geben zu können. Denn es ist uns nicht geholfen, wenn wir islamischen Religionsunterricht in Hessen etablieren und uns damit manchen Streit unter muslimischen Gruppen in unsere Schulen hineinholen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Dieses Zugeständnis bedeutet auch – das haben alle gemeinsam gesagt –, dass wir in Hessen einen einheitlichen gemeinsamen islamischen Religionsunterricht haben wollen. Das wollen die muslimischen Gruppen selbst. Sie wollen keinen, der nach Schiiten, Sunniten und womöglich anderen Gruppen separiert ist. Nein, sie wollen einen gemeinsamen islamischen Religionsunterricht. Das halte ich für einen erheblichen Fortschritt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Drittens. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir zunächst einmal gemeinsam an einem Curriculum für die Grundschule arbeiten. Das tun wir seit etlichen Monaten. Da haben wir eine Menge Weg zurückgelegt. Auch das ist ein wichtiger Schritt.

Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen nicht sagen, dass es für uns wichtig ist, dass wir da Verbindlichkeit haben, damit es nicht in der einzelnen Schule zum Konflikt kommt, wenn im Religionsunterricht Inhalte behandelt werden, die in dieser oder jener Gruppe nicht besonders populär sind.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, ich darf mir anmaßen, zu sagen, ich weiß, wovon ich rede. Wir sind da in Hessen sehr weit. Niedersachsen macht einen Schulversuch. Es ist heute noch bei diesem Schulversuch.

Nordrhein-Westfalen nimmt eine juristische Hilfskonstruktion für eine Religionsgemeinschaft vor, von der ich nicht weiß, ob sie tragen wird.

Ich glaube, in diesem Punkt müssen wir penibel sein. Denn es würde uns überhaupt nicht helfen, einen Religionsunterricht zu beginnen, bei dem es ganz unsicher ist, ob er auf der Verfassung basiert.

(Alexander Bauer (CDU): Sehr gut! Genau so ist es!)

Ich weise Sie nur darauf hin, dass die für die Fraktionen vorgesehene Redezeit abgelaufen ist.

Ich bin bei meinem letzten Gedanken. – Ich glaube, wenn wir diesen konfessionellen Religionsunterricht für alle muslimischen Gruppen mit verbindlichem Inhalt mit dieser Form der Anbindung an unsere Verfassung hinbekommen, dann haben wir tatsächlich zum einen den Muslimen selbst einen großen Dienst erwiesen. Denn es bedeutet ein Stück weit Aufklärung in den eigenen Reihen, wenn man sich im Wettbewerb mit den anderen Fächern in unserer öffentlichen Schule darstellt.

Wir würden mit diesem Unterricht auch ein Stück weit die Friedfertigkeit in unserer Gesellschaft stabilisieren. Wir kämen damit weg von den bösen Worten, dass letztlich die Religionen die Ursache dafür seien, dass die Kulturen auf Dauer nur aufeinander zu rennen, also den Clash of Civilisation machen, könnten.

Es geht darum, dass die Kulturen voneinander lernen, dass sie ihre Gemeinsamkeiten vergrößern. Das sollte mit dem Element der Religion geschehen, weil wir wissen,

dass die Religion die Menschen so sehr bewegt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Herr Staatssekretär, schönen Dank. – Es hat sich Herr Kollege Merz für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

(Zuruf von der CDU: Ihr habt doch schon gespro- chen! Das reicht doch!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, ich habe schon einmal gesprochen. Aber wir diskutieren die Frage, um die es hier geht, in einer nicht ganz unkritischen Situation. Deswegen wird es erlaubt sein, noch einmal das Wort zu ergreifen, um ein paar Sachen klarzustellen und ein paar andere zu vertiefen.

Erstens. Ich will noch einmal betonen, was ich am Anfang meiner Rede gesagt habe. Wenn man alles zusammennimmt und ein paar Figuren, die es in diesem Landtag gibt, auslässt, ist der Konsens, den es zu dieser Frage gibt, nicht klein. Das wollte ich noch einmal sagen. Deswegen ist es aller Anstrengungen wert, hier gemeinsam voranzukommen.

(Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vor- sitz.)

Zweitens. Die SPD hat ihren Antrag nicht deswegen gestellt, um darüber zu spekulieren, ob etwas schiefgehen könnte. Wir haben kein Interesse daran, dass irgendetwas schiefgeht. Wir arbeiten auch im Gespräch mit den anderen Akteuren in diesem Zusammenhang daran, dass es nicht schiefgeht. Wir haben ein Interesse am Gelingen dieses Projekts und nicht am Scheitern einer Landesregierung – damit das einmal klar ist.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist in der Tat so, dass man beobachten kann und beobachten muss, dass es sich bei den Fragen, um die es hier geht, um sehr knifflige Fragen handelt. Herr Brockmann hat darauf noch einmal hingewiesen. Herr Staatssekretär, ich stimme dem meisten, was Sie gesagt haben, zu. Da es sich um komplizierte Fragen handelt, besteht das Risiko, dass wir nicht in angemessener Zeit zu dem erwünschten Ergebnis kommen können. Den Zeitdruck halte ich nach wie vor nicht für sachdienlich.

Deswegen stand und steht die Frage der Alternative nicht nur im Koalitionsvertrag – Sie haben es eben zitiert –, sondern auch sonst zur Debatte. Weil das so ist und weil es den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gab, in dem Alternativen genannt wurden – aus unserer Sicht nicht korrekt –, haben wir einen eigenen Antrag gestellt, in dem wir versucht haben, unsere eigenen Alternativen darzustellen und zu erklären, worin die Alternativen nicht bestehen können. Herr Kollege Bauer, die Alternativen bestehen auch nicht in dem, was im Koalitionsvertrag genannt wird. Das ist auch die Antwort auf Herrn Mick: Der Ethikunterricht kann nicht die Alternative sein.

Der Ethikunterricht ist die Alternative für all diejenigen Kinder, die eigentlich verpflichtet wären, an einem bekenntnisorientierten Religionsunterricht teilzunehmen. Wenn es diesen bekenntnisorientierten Religionsunterricht aber nicht gibt, gibt es auch keine Verpflichtung, an

dem Ersatz dafür teilzunehmen. Deshalb gehen die islamkundlichen Anteile in einem Ethikunterricht insoweit fehl. Wir glauben sehr wohl, dass der Ethikunterricht in seiner jetzigen Form islamkundliche Elemente enthalten sollte. Das ist aber eine ganz andere Frage, eine ganz andere Baustelle.

Wir glauben sehr wohl – aber auch das ist eine andere Baustelle; das habe ich schon in der ersten Debatte zu diesem Thema gesagt –, dass es für die weltanschaulich, konfessionell nicht gebundenen Kinder ein Angebot der ethischen und religionskundlichen Unterweisung neben dem weiter bestehenden verfassungsrechtlich garantierten Religionsunterricht geben soll. Aber auch das ist nicht die Alternative zu einem bekenntnisorientierten islamischen Unterricht. – Das zur Klarstellung unserer Position zum Ethikunterricht.

Zur Frage eines staatlich organisierten und veranstalteten Islamkundeunterrichts. Da gab es auch Äußerungen aus dem Ministerium, die darauf schließen ließen, dass das immer noch in der Gegend herumwabert. Auch das ist ein Anlass zur Klarstellung: Das ist keine Alternative. Das ist eben auch noch einmal herausgestellt worden; das ist auch gut so.

Herr Staatssekretär, es bleibt die Frage, ob nicht das, was in Nordrhein-Westfalen geschieht, noch einmal Anlass wäre, darüber nachzudenken. Wir wissen, dass das verfassungsrechtlich eine Als-ob-Regelung ist. Das sehen die Nordrhein-Westfalen auch so. Das wird in der gemeinsamen Erklärung sehr deutlich gesagt. Man sollte sich trotzdem überlegen, ob dies nicht ein begehbarer Weg wäre. Das würde Zeit gewinnen, und wir würden gemeinsame Erfahrungen im Miteinander sammeln können, die uns auf dem Weg zum endgültigen Ziel weiterhelfen könnten – nicht mehr und nicht weniger. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Nun hat sich Frau Kollegin Öztürk noch einmal zu Wort gemeldet.

Auch ich habe die Gelegenheit nutzen wollen, noch einmal zwei, drei Punkte zum Inhalt zu sagen. Wir werden uns zwar im Ausschuss noch einmal detailliert über die verschiedenen Positionen auseinandersetzen. Ich habe mich aber noch einmal gemeldet, um auf das zu reagieren, was Herr Staatssekretär Brockmann gesagt hat. Sie haben gesagt, es sei sinnvoll, wenn man einen gemeinsamen islamischen Unterricht anbieten könne, den auch die islamischen Gemeinden wollten. Der Weg, den Hessen jetzt gegangen ist, die islamischen Verbände zu motivieren, einzeln Anträge zu stellen, ist genau die Abkehr von dem gemeinsamen Unterricht.

(Hans-Christian Mick (FDP): Nein!)

Wir hätten den runden Tisch nach Empfehlung der Deutschen Islamkonferenz dazu nutzen können, eine Beiratslösung einzurichten, d. h. den gesamten runden Tisch übergangsweise und befristet als Ansprechpartner anzuerkennen und den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht anzufangen.

Das haben wir nicht gemacht, weil Hessen der Meinung ist, dass das, was in ganz Deutschland noch nicht passiert

ist, einen Ansprechpartner nach Art. 7 Abs. 3 zu finden, auf einmal Hessen hinbekommen soll. Das ist doch hanebüchen, das werden Sie nicht schaffen. Sie müssen Zwischenschritte gehen, so wie es die anderen Bundesländer gemacht haben.

Deswegen ist ein Zwischenschritt die Islamkunde, so wie es NRW über Jahre hinweg gemacht hat. Ein anderer Zwischenschritt ist der Beirat, in dem alle muslimischen Vereine und Verbände zusammengebracht werden. Herr Bauer mag keine Vereine.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Wir haben aber nur muslimische Vereine – das heißt, keiner käme für Sie infrage. Auch das war eine interessante Aussage. Herr Bauer, der Lehrplan wird erarbeitet. Es gibt ein Curriculum in Nordrhein-Westfalen, es gibt ein Curriculum in Niedersachsen. Das wird hier bei uns auch als Grundlage benutzt. Daran arbeitet man schon. Der Knackpunkt ist der Ansprechpartner, den werden Sie nicht so einfach finden, wenn Sie keinen Übergangsweg gehen.

Für mich heißt das summa summarum, wenn Sie weiterhin stur bleiben, wird es in diesem Land zehn Jahre lang weiter nichts geben. Einen Ethikunterricht hätte man schon vor zehn Jahren einführen können. Was daran jetzt neu sein soll, wundert mich auch ein bisschen. Der Königsweg ist der islamkundliche Unterricht als erster Zwischenschritt und parallel dazu die Prüfung der Beiratslösung. Alles andere ist eine Mogelpackung. Wir werden genau hinschauen, weil die muslimischen Vereine endlich auch ein Angebot in Hessen haben wollen.

Ich glaube, das sind Sie den Kindern schuldig. Es lohnt sich nicht, weitere theoretische Debatten zu führen. Wir können es gerne im Ausschuss noch einmal diskutieren. Es gibt diese beiden von mir genannten Wege, eine andere Lösung gibt es nicht. Je eher Sie die Einsicht haben, desto besser. – Herzlichen Dank.