Protokoll der Sitzung vom 18.05.2011

Vielen Dank, Herr Greilich. – Das Wort hat Herr Innenminister Rhein.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Land ist eine wertegebundene, eine wachsame und eine wehrhafte Demokratie. Da, wo die zentralen Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie, seien es die Achtung der Menschenwürde oder die politischen Freiheiten, die in unserem Land genossen werden, oder andere rechtsstaatliche Prinzipien untergraben oder sogar außer Kraft gesetzt werden sollen, muss dieser Staat, damit er von den Feinden der Demokratie nicht abgeschafft wird, entschlossen handeln und konsequent einschreiten.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb bedeutete vor 60 Jahren, aus Weimar zu lernen, eine wehrhafte Demokratie zu schaffen. Ein stützender Pfeiler mit einer wichtigen Funktion war und ist in diesem Zusammenhang nach wie vor die Einrichtung des Verfassungsschutzes, der die Demokratie vor verfassungsfeindlichen Kräften und Aktivitäten schützt.

In den vergangenen Jahren hat sich die Palette der Herausforderungen immer wieder verändert. Es waren Herausforderungen, denen sich die Verfassungsschutzämter und der Bundesverfassungsschutz stellen mussten. In den Anfängen der Republik ging es um all das, was mit dem Kalten Krieg zusammenhing. In den Siebzigerjahren waren es die linksextremistischen Bewegungen, die 1977 im sogenannten Deutschen Herbst in den Entführungsaktionen zur Freilassung inhaftierter RAF-Terroristen gipfelten.

Heute, nach dem 11. September 2001, ist neben anderen Herausforderungen, beispielsweise der Bekämpfung des Rechtsextremismus oder der Bekämpfung des Linksextremismus, das wichtigste Handlungsfeld der islamistische Terrorismus, dem sich ein Amt wie das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz massiv stellen muss.

Meine Damen und Herren, natürlich ist es unverändert so, dass Feinde von Freiheit und Sicherheit die Grundwerte unserer Gesellschaft bedrohen, ganz aktuell, auch in diesen Tagen. Wir haben uns aber entschieden, dass sich dieser Staat diesen Phänomenen nicht schutzlos ausliefert. Wir haben uns für eine Demokratie entschieden, die wehrhaft ist, die die Gesellschaft und insbesondere auch die Freiheit jedes Einzelnen schützt. Dabei erfüllt der Verfassungsschutz eine ganz wichtige, vielleicht – Herr Schaus, das möchte ich insbesondere mit Blick auf Sie hinzufügen – eine der wichtigsten Aufgaben.

Er sammelt Informationen über diejenigen – da haben Sie vollkommen recht; dazu gehören nicht Abgeordnete, aber Menschen, die Ihrer Partei angehören –, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beschädigen, überwinden und abschaffen wollen. Wenn wir einmal lesen, was Sie alles aufgeschrieben haben – ich habe es jetzt gestrichen, weil es mir einfach zuwider ist; ich will gar nicht mehr alles vorlesen –, und uns alles vor Augen führen, stellen wir fest, dass es genau um diejenigen geht, über die ich gerade geredet habe: Es sind diejenigen, die unsere Demokratie beschädigen, überwinden und abschaffen wollen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Die brauchen Sie doch als Legitimation!)

Deswegen ist es wichtig, dass wir einen Verfassungsschutz haben,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Warum sind wir denn in Hessen gefährlicher als in RheinlandPfalz?)

weil er nämlich die Politik und die Gesellschaft in die Lage versetzt, rechtzeitig und effektiv Maßnahmen gegen diejenigen zu treffen, von denen ich eben geredet habe. Er ist also ein Frühwarnsystem, das funktioniert. Das zeigen die Tatsachen. Schauen Sie auf die Tatsachen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Reaktionäre Politik!)

Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist derzeit wieder aktueller denn je, und das Attentat am Frankfurter Flughafen auf US-Soldaten, bei dem zwei Menschen ums Leben gekommen sind und niemand weiß, wie viele es wirklich gewesen wären, wenn die Waffe keine Ladehemmung gehabt hätte, liegt erst wenige Wochen zurück. Man darf dabei eines nicht vergessen: Es handelt sich bei diesem Anschlag um den ersten Terroranschlag auf deutschem Boden, der geglückt ist.

Das zeigt natürlich auch, dass es Grenzen der inneren Sicherheit gibt. Da hat Herr Greilich vollkommen recht. Es gibt keine 100-prozentige innere Sicherheit. Ich komme von diesem Thema zu einem anderen, den Salafisten, kommen. Über dieses Thema komme ich zu einem Menschen, den Sie, Herr Schaus, heute schon genannt haben, wobei ich bei solchen Behauptungen, die Sie da aufgestellt haben, wer sich hier falsch verhalten habe, sehr vorsichtig wäre. Ich will das aber nur ganz am Rande behandelt wissen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Minister, ich hätte da gern einmal Antworten!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, da zeigt sich, wo es natürlich auch Grenzen gibt. Bei der Frage, wie man mit solchen Anschlägen umgeht, zeigt sich, wo es in einem Rechtsstaat Grenzen gibt. Darüber hinaus ist das Thema aufgrund der Tötung des Al-Qaida-Chefs natürlich wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Ich bin der festen Überzeugung: Der Kampf gegen den islamistischen Terror ist und bleibt die größte sicherheitspolitische Herausforderung, nicht für fünf oder zehn Jahre, sondern definitiv für Jahrzehnte, weil dem islamistischen Terror in den vergangenen Jahren eben die schwersten Anschläge zuzurechnen sind. Denken Sie an New York, Bali, Madrid, London oder Mumbai; und man kann diese Liste leider fortsetzen.

Wir sind nicht außen vor. Deutschland ist nicht außen vor. Wir sind längst nicht mehr nur ein Rüstraum oder ein Rückzugsraum für islamistische Terroristen, sondern stehen im Fokus, im Fadenkreuz. Ich habe das an anderer Stelle schon einmal, vor dem traurigen Anschlag auf die US-Soldaten, gesagt: Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann und wo es zu einem Anschlag kommt. Die Tatsache, dass es bislang, neben diesem Attentat am Frankfurter Flughafen, zu keinen anderen Zwischenfällen gekommen ist, verdanken wir der Arbeit, dem Engagement und der hohen Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes und keinem anderen. Das will ich hier bei einer solchen Debatte über 60 Jahre Verfassungsschutz ganz deutlich unterstreichen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Schaus, das ist doch die Antwort auf die Frage, die Sie gestellt haben, ob eine Demokratie einen Verfassungsschutz braucht. – Ja, eine Demokratie braucht einen Verfassungsschutz. Sie braucht einen gut aufgestellten Verfassungsschutz, einen Verfassungsschutz, der funktioniert. Das, was ich eben gesagt habe, gilt für die geplanten Anschläge der Sauerland-Attentäter, die nach all dem, was wir heute wissen, mit enormer Sprengkraft ein Blutbad angerichtet hätten, wenn sie eben nicht frühzeitig durch Informationen des Verfassungsschutzes gestoppt worden wären.

Das gilt für die verhinderte Explosion der aus dem Jemen gesendeten Bombe, die via Flugzeug gesendet worden ist und enormen Schaden angerichtet hätte, im Ernstfall wahrscheinlich aber auch Menschenleben gekostet hätte, und das gilt natürlich für die drei Al-Qaida-Verdächtigen, die Ende April in Nordrhein-Westfalen festgenommen worden sind. Diese hatten einen tückischen Anschlag geplant, nämlich einen mit Metallteilen gefüllten Sprengkörper zur Explosion zu bringen, der genauso viele Menschen getötet, verletzt und eine ganz schwierige Situation herbeigeführt hätte. All das und noch viel mehr wäre am Ende tödliche Realität geworden, wäre es nicht frühzeitig und eben durch die Informationen des Verfassungsschutzes verhindert worden.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Schaus, ich will das einmal sehr deutlich sagen: Wer wie Sie auf den Verfassungsschutz verzichten oder ihn gar abschaffen will, überlässt die Gewährleistung der inneren Sicherheit schlicht und einfach dem Zufall und gefährdet damit Menschen und Menschenleben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich könnte eine solche Herleitung genauso im Bereich des Rechtsextremismus oder Linksextremismus machen, ich will das mit Blick auf die Uhr nicht tun, eine Herleitung, warum der Verfassungsschutz für eine Art der Demokratie, die wir gewählt haben – es ist glücklicherweise eine der liberalsten Formen von Demokratie –, eine unerlässliche und unersetzliche Voraussetzung ist.

Ich will den Themenbereich des Rechtsextremismus durchaus ansprechen, weil er ein ganz wichtiger ist. Gerade dieser Bereich, dem wir uns mit einer besonderen Aufmerksamkeit widmen, dem sich das Land Hessen mit einer besonderen Aufmerksamkeit widmet, beweist, dass die Zeiten des Schlapphutes insbesondere beim hessischen Verfassungsschutz schon lange vorüber sind, weil nämlich beispielsweise – Herr Abg. Frömmrich hat es genannt, wofür ich sehr dankbar bin – mit dem Kompetenzzentrum Rechtsextremismus im Landesamt für Verfassungsschutz eine Arbeitseinheit geschaffen wurde, die eben nicht nur mit nachrichtendienstlichen Mitteln an das Thema herangeht, sondern sich auch vor Ort schwerpunktmäßig und sehr wirkungsvoll mit Aufklärungs- und Präventionsarbeit befasst. Herr Schaus, dass man das kritisiert, so wie Sie das tun, verschlägt einem einfach die Sprache.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das wäre jetzt gut!)

Auch das frage ich mit Blick auf das, was Sie gesagt haben:

(Janine Wissler (DIE LINKE): Sie reden ja noch weiter!)

Ist das, was ich zum Verfassungsschutz gesagt habe, am Ende wirklich ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, und wird dieser Konsens denn auch von allen Seiten als notwendig anerkannt und mitgetragen? – Herr Schaus, die Antwort lautet aber, wenn ich mir anhöre, was Sie erzählen – ich habe mich sehr darüber gefreut, was Jürgen Frömmrich, Frau Faeser und natürlich Herr Greilich und Holger Bellino gesagt haben –: Nein.

Kaum eine staatliche Institution in der Bundesrepublik Deutschland ist so oft missverstanden und mit schiefen und falschen Argumenten angegriffen worden wie der Verfassungsschutz, und insbesondere seine Arbeit ist immer wieder infrage gestellt worden. Um Beispiele zu finden, muss man leider nicht weit in die Vergangenheit gehen. Ich habe gesagt, dass es mich sehr gefreut hat, wie sich heute die SPD und die GRÜNEN eingelassen haben. Ich höre Ihre Worte gern. Was den Verfassungsschutz anbelangt, hätte ich gern, als Sie damals den Koalitionsvertrag geschlossen haben, den Sie schon auf dem Tisch liegen hatten, auch Taten gesehen. Auf den insgesamt 111 Seiten, die Sie dort verfasst haben, war kein Wort zu den Gefahren des Terrorismus und des islamistischen Extremismus aufgeschrieben, und es war kein Wort zum Thema Linksextremismus aufgeschrieben worden. Deswegen haben Sie die entscheidende Frage, wie sich eben der Verfassungsschutz im Kampf gegen diese Gefahren aufzustellen hat, nicht einfach nicht beantwortet, sondern sich in Ihrem Koalitionsvertrag nicht einmal gestellt. Das muss man hier schon anfügen.

Das ist natürlich der damaligen Situation geschuldet gewesen, denn Sie hätten sich hier von der Linkspartei dulden lassen müssen. Es ist also eine Situation, die dieser Gruppierung in diesem Parlament geschuldet gewesen ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Man nennt das auch Fraktion, nicht „Gruppierung“!)

Deswegen sage ich sehr deutlich: Überall, wo die Linkspartei in einem Land in Koalitionen geht, gibt deren fehlende Trennschärfe zu linksradikalen und linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen, die nach wie vor Gewalt gegen den Staat, aber auch gegen Polizeibeamte trainieren und ausüben, einen begründeten Anlass zur Sorge, wie es um die innere Sicherheit bestellt ist, und das ist noch eine sehr vorsichtige Ausdrucksweise.

Aber, ich finde, jeder hat das Recht zur Einsicht. Das haben Sozialdemokraten und GRÜNE heute gezeigt. Frau Faeser, ich sage auch sehr deutlich zu, weil Sie vollkommen recht haben: Ich werde das Thema der Aufarbeitung auch der Vergangenheit eines Landesamts für Verfassungsschutzes in Hessen aufgreifen. Ich werde das aufgreifen, weil Sie vollkommen recht haben: Wir haben nichts zu verbergen. Wir werden hier, genauso wie wir es auch in allen anderen Fragen tun, in der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G 10-Kommission, mit Offenheit agieren und die Dinge anpacken.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Eine parteiengefärbte Rede!)

Herr Innenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schott? Das ist meine erste Anmerkung. Die zweite ist der dezente Hinweis darauf, dass die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit abgelaufen ist.

Frau Schott kann gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn sie das möchte.

Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, dass Sie hier eigentlich rechts und links nicht deutlich benennen und beschreiben wollen. Dann haben Sie aber doch immer links benannt. Gleichzeitig vernachlässigen Sie aber, dass auf der anderen Seite ganz heftige Dinge passieren.

Auch wir werden in unserer Eigenschaft als Abgeordnete bedroht. Unsere Mitarbeiter werden bedroht. Unsere Büros werden zerstört. Dazu haben Sie keine Würdigung vorgenommen. Das haben Sie mit keiner Silbe bewertet. Ich finde das schon – –

(Zurufe von der CDU: Wo ist die Frage?)

Frau Kollegin Schott, ich darf Sie bitten, eine Frage zu stellen.

Verehrte Frau Abg. Schott, Sie haben gerade eben ein Koreferat zu der von Herrn Schaus genannten Thematik gehalten. Aber auch darauf will ich gerne eingehen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Die Frage lautet: Teilen Sie diese Ansicht?)

Ach du liebe Güte. Manchmal fehlen einem für die Fantasielosigkeit auf Ihrer Seite die Worte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Frau Schott, ich komme jetzt auf die Vorfälle zu sprechen, die Sie angesprochen haben. Wir haben im Norden unseres Landes im Schwalm-Eder-Kreis ein enormes Problem mit den Freien Kräften Schwalm-Eder gehabt, also mit einer rechtsradikalen Kameradschaft.

(Günter Rudolph (SPD): Das war im Süden, ich wohne im Norden!)

Das Land Hessen hat dort mit einem erheblichen Polizeieinsatz, mit Gefährderansprachen und mit dem Landesamt für Verfassungsschutz für Ruhe gesorgt. Wir haben die Lage dort in einer Art und Weise befriedet, wie Sie es sich wirklich nicht vorstellen können.

Jetzt komme ich auf die Anschläge zu sprechen, die auf Ihre Parteibüros stattgefunden haben. Ich will dazu nur eines sagen: Wir haben uns der Sache so intensiv angenommen, dass sich selbst der Kollege Schaus – Sie können ihn dazu befragen – während der letzten Sitzung des Innenausschusses bei der Hessischen Landesregierung für die Maßnahmen bedankt hat, die eingeleitet wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Nancy Faeser und Marius Weiß (SPD))