Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Instrumente in die Hand bekommen, um die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum auch zukünftig sicherzustellen – dies haben wir mit dem Entwurf des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes. Ich finde es gut, dass alle Länder dies auch mittragen, mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen. Das sei der Vollständigkeit halber gesagt: Die grüne nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin hat sich bei der Abstimmung der Länder ihrer Stimme enthalten und auch Wert darauf gelegt, dies zum Ausdruck zu bringen.
Es ist weiß Gott mehr – wie ich in einer Presseerklärung lesen konnte –, als dass sich die Länder hier mit Brosamen zufriedengeben müssten, ganz im Gegenteil: Mit dem GKV-Versorgungsgesetz sind den Ländern Instrumente in die Hand gegeben worden, die sie noch nie zuvor hatten, und ihr Einfluss ist dadurch so stark wie nie zuvor geworden. Das ist nur gelungen, weil alle Länder daran mitgearbeitet haben; es gibt dabei kein Land, das sich nur mit Brosamen zufriedengeben würde. Deswegen bin ich auch so froh, dass es in dieser Fragestellung eine Ländergemeinsamkeit gibt und dass der Bund dies mit Sicherheit auch umsetzen wird; so sieht es ja der Referentenentwurf vor.
Deswegen bin ich der Überzeugung, dass der konstruktive Dialog mit allen Verantwortlichen im Gesundheitswesen dazu führen wird, dass die schwierige Aufgabe der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in unserem Land auch zukünftig gewährleistet ist und erfolgreich vonstatten gehen kann. Wir haben einen großen Erfolg erzielt, und wir sind auf gutem Wege, die Versorgung der Menschen in Hessen – auch in ländlichen Gebieten – sicherzustellen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner, für die Regierungserklärung. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abg. Dr. Spies, SPD-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Allerdings ist es zu begrüßen, dass sich die Länder im Sommer 2010 einmütig auf eine Position zur Frage ihrer Anforderungen an die zukünftige Gestaltung der gesundheitlichen Versorgung geeinigt haben. Es ist Ihnen zu gönnen, Herr Grüttner, dass Sie das Glück hatten, zufällig zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz zu sein,
als diese zähen Streitereien zwischen CDU und FDP, zwischen Bundesminister und CDU-Fraktion ein Ende fanden, nach monatelangem Hin und Her, wie viel denn da zuzugestehen sei oder auch nicht, nach der phasenweisen Demontage des Bundesministers, der den Ländern alles zugestand und anschließend von der eigenen Fraktion zurückgepfiffen wurde. Dass das Ende dieses Dramas Sie trifft, sei Ihnen zu gönnen. Herzlichen Glückwunsch, dass das unter Ihrem Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz ein Ende fand.
Meine Damen und Herren, es sei unbestritten, dass dies ein Fortschritt ist, allerdings ein Fortschritt, der vom Nötigen und Erforderlichen noch weit entfernt ist. Vieles ist nicht falsch, aber es bleibt doch weit hinter dem zurück, was nötig ist. Aber eines konnten wir nun eben mit einer gewissen Beunruhigung feststellen: zu den wesentlichen Fragen, was denn das Land tun könnte, was das Land jetzt in Angriff nehmen könnte, wo eigentlich die eigenen politischen Vorstellungen dieser Landesregierung sind – Herr Staatsminister, mit Verlaub, dazu haben wir heute gar nichts gehört.
Doch, eines schon: Im Sommer 2009 wurde auf Initiative von CDU und FDP beschlossen, die Regierung möge ein Konzept zur Versorgung im ländlichen Raum vorlegen. Im Frühjahr 2010 hat sie eine Anhörung dazu veranstaltet, und jetzt erklären Sie uns: „Wir haben mal eine Kommission eingerichtet“ – meine Damen und Herren, das ist keine landespolitische Initiative, wie wir sie von Ihnen in dieser Frage erwartet hätten. Das unterscheidet Sie von der Opposition.
Die SPD hat schon im Frühjahr 2010 vorgestellt, wie sie die Fragen des ländlichen Raumes und eben auch die Frage der gesundheitlichen Versorgung angehen will. Sie hatte im Herbst 2010 dargestellt, wie sie die Frage auch im städtischen Bereich lösen möchte. Wir hätten uns ein bisschen mehr Schwung von der Landesregierung gewünscht.
Aber werfen wir erst einmal einen Blick auf das, was uns in dem Vorgelegten eigentlich fehlt; denn, Herr Staatsminister, das Interessanteste an Ihrem Vortrag ist ja all das, was da gar nicht mit drin war und was selbstverständlich zur Frage der Versorgung mit hinzugehört. Wir alle wissen, dass die Frage der Prävention, also der Krankheitsvermeidung – eine Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes –, selbstverständlich in der Versorgung mitzudenken ist. Medizin ist mehr, als nur Krankheiten zu beseitigen: Natürlich bedeutet sie auch, Krankheiten zu vermeiden; das gehört zur Versorgung hinzu, das gehört in das öffentliche Aufgabenfeld, in den öffentlichen Gesundheitsdienst. Da hätten Sie schon seit Jahren tätig sein können – in Hessen bislang Fehlanzeige.
Dann kommen wir zur Frage der ambulanten Versorgung. Da werden wir auf die Details dessen, was Sie angesprochen haben, was die Versorgung im ländlichen Raum angeht, noch eingehen. Aber lassen Sie mich sagen, was fehlt: Was fehlt, sind die Metropolen. Was fehlt, sind die sozialen Brennpunkte. Das Problem im ländlichen Raum droht. Das Problem in den sozialen Brennpunkten ist längst da.
Der Kollege Siebel war so freundlich, einmal für die Stadt Darmstadt eine Karte zu machen, auf der er sämtliche Hausärzte eingezeichnet hat. Dann hat er aus dem Sozialatlas der Stadt Darmstadt – hätten wir in Hessen eine funktionierende Armuts- und Reichtumsberichterstattung, hätten wir das vielleicht für ganz Hessen; aber auch davon sind wir weit entfernt – die sozialen Brennpunkte für die Stadt Darmstadt eingezeichnet. Siehe da, das Pro
blem ist heute vorhanden. In sieben kritischen Stadtteilen der Stadt Darmstadt gibt es insgesamt einen einzigen Hausarzt. Versorgungsmangel ist tägliche Existenz in den Metropolen. Kein Wort der Landesregierung zu diesem weitaus drängenderen Problem –
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
weitaus drängender, weil es mit der Frage der Lebenserwartung zu tun hat. Die nämlich ist in den sozialen Brennpunkten schlechter, weil sie mit Sozialstatus zu tun hat. Deshalb wäre gerade hier Initiative nötig gewesen.
Oder kommen wir zur Frage der Krankenhäuser. Sie touchieren das Thema Krankenhäuser. Aber, mit Verlaub, Herr Staatsminister, Ihre regionale Gesundheitskonferenz ist keine. In einer Flächenausdehnung von bis zu 100 km vom einen bis zum anderen Ende Hausarztversorgung planen zu wollen, ist schlicht Kokolores. Herr Staatsminister, dazu brauchen wir eine kleinteilige regionalisierte Planung,
eine kleinteilige regionalisierte Zuständigkeit mit Kompetenzen. Auch darauf komme ich gleich noch zurück.
Auf die Frage der Pflege wollen wir gar nicht weiter eingehen. Dass die Landesregierung dem Problem des Pflegemangels als wesentlichem Bestandteil der medizinischen und ärztlichen Versorgung – wenn Sie von Demografie reden, dann spielt natürlich auch die Versorgung mit Pflegekräften eine Rolle – keine hinreichende Beachtung schenkt, konnten wir daran merken, wie sie mit der Frage der Ausbildung in den Pflegeberufen umgeht. In der Frage der Ausbildung, für die das Land nun weitaus zuständiger ist, war leider wenig bis gar nichts zu hören.
Meine Damen und Herren, die Länder sind zukünftig an der Bedarfsplanung beteiligt und können damit, so haben Sie uns eben erklärt, dem Mangel regional begegnen. Das Problem allerdings ist gar nicht die Bedarfsplanung, das Problem ist die Sicherstellung. Die Regeln der Bedarfsplanung sind Zugangsbegrenzungsregeln gewesen. Es ging darum, dafür zu sorgen, dass wir irgendwo nicht zu viele Ärzte haben.
Deshalb ist die Vorstellung, dass man im Gemeinsamen Bundesausschuss bei den Regeln der Bedarfsplanung mitreden darf, natürlich nicht falsch. Aber sie ist bei Weitem nicht ausreichend, wenn es darum geht, die Frage der Sicherstellung vor Ort in der Region zu lösen. Wir müssen uns fragen: Welche Ärzte wollen wir wie dazu motivieren, dass sie die Versorgung im ländlichen Raum und die Versorgung in den kritischen Stadtteilen der Städte und der Metropolen sicherstellen? Beides ist immer mitzudenken. Wie soll diese Frage gelöst werden?
Was fällt Ihnen dazu ein? – Aufhebung der Residenzpflicht. Man muss nicht mehr da wohnen, wo man seine Praxis hat, außer es steht der Versorgung entgegen. Da, wo es keine Versorgungsprobleme gibt, gibt es auch die Notwendigkeit nicht. In der Stadt Marburg ist das Wohnen in Marburg, wenn man eine Praxis in Marburg hat, nicht wirklich problematisch. An der Stelle kann man die Residenzpflicht aufheben, weil die Versorgung da auch sonst sichergestellt ist. Nötig ist das allerdings nicht.
In ländlichen Bereichen des nördlichen Landkreises Fulda gibt es noch einen Arzt. Wenn er zumacht, haben Sie innerhalb von 15 km keinen mehr. Wenn er nicht mehr da wohnt, dann gibt es da nachts eben keinen mehr, dann ist da niemand. An der Stelle, wo es attraktiv wäre, nicht dort wohnen zu müssen, wo man seine Praxis hat, genau dort stehen Versorgungsgründe in der Regel entgegen. Deshalb wird dieses Instrument der Erleichterung – das ist kennzeichnend für das, was Sie uns vorgetragen haben – an der Stelle wenig bringen.
Was ist das Dritte, was Ihnen einfiel? – Mehr Geld. Das Land möchte zusätzliche Mittel zur Finanzierung einführen. Sie haben uns eben erzählt, dass wir bessere Honorare brauchen, damit die Ärzte nicht ins Ausland abwandern. Ich kann ja verstehen, dass man auch der eigenen Klientel eine Freude machen möchte.
Aber, mit Verlaub, Herr Staatsminister, das ist nun wirklich nicht das Problem. Ein Berufsstand mit einem Durchschnittseinkommen von 160.000 € hat kein Problem, dass zu wenig Geld da wäre, um die Versorgung zu sichern – ganz sicher nicht.
Die Landesregierung hat an dieser Stelle keine eigene Linie, sondern setzt eine Kommission ein. Aber das betrifft eben nur technische Fragen. Wir kennen auch die Kombattanten und haben eine gewisse Vorstellung davon, wer in dieser Reihe welche Interessen zu vertreten hat. Ob das nun unbedingt zum großen Durchbruch in der Versorgung in Hessen führt, mag dahingestellt sein.
Was wir brauchen, ist eine regionalisierte Zuständigkeit in der Krankenhausplanung. Ich habe eben schon erwähnt, dass die regionale Gesundheitskonferenz, die Sie mit dem Krankenhausgesetz eingeführt haben, weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Was wir brauchen, sind kommunale Gesundheitskonferenzen, wie sie bereits mehrfach von der Opposition in diesem Hause, z. B. für das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst, vorgeschlagen wurden. Ich bedanke mich noch einmal herzlich für einen Änderungsantrag, den Frau Schulz-Asche vor einigen Jahren dazu eingebracht hat und den ich voll und ganz geteilt habe.
Wir brauchen kommunale Gesundheitskonferenzen. Wir brauchen eine kommunale Versorgungsplanung, die integriert ambulante und stationäre Versorgung beinhaltet. Und – Herr Staatsminister, das wissen wir doch längst – wir brauchen ein regionales Budget. Man muss in der Region auch mit der Verteilung der Mittel dafür sorgen können, dass das, was vereinbart wird, nicht larifari und „war nett, beim Kaffee zusammengesessen zu haben“ bleibt, sondern konkrete Konsequenzen hat.
Denn wo funktioniert regional strukturierte Versorgung? Sie funktioniert z. B. in dem Modell „Gesundes Kinzigtal“, wo ein Teil des Budgets der Krankenkassen von der gemeinsamen Strukturierung verwaltet wird und nicht jedem Einzelnen gegeben wird, und nicht von der KV, sondern in der Region. Regionale Mittelverwaltung – davon sind wir allerdings weit entfernt.
Jetzt sage ich einmal eines. Herr Staatsminister, wenn Sie es schaffen, dass in den Arbeitsgruppen die Kassenärztliche Vereinigung in einem Landkreis in Hessen ein regionales Budget zur lokalen Verhandlung und Vereinbarung freigibt, mit dem man regionale Gesundheitsorganisation planen kann, dann komme ich mit einem Hut hierher und ziehe ihn vor Ihnen. Aber ich besitze keinen Hut, und ich fürchte, ich werde keinen kaufen müssen.
Herr Staatsminister, schauen wir uns doch an, wo Sie selbst etwas hätten tun können. Das Erste, wo Sie selbst schon längst etwas hätten tun können, ist die Frage der Krankenhäuser. Ich erinnere mich noch an die Frage der Krankenhausstruktur in Mittelhessen. Da gab es 2005 ein Konzept für eine zusammengeführte regionale kooperative Krankenhausversorgung. Da waren sogar die Landräte schon dabei, und das will etwas heißen. Da war der Vorschlag, die beiden Universitätsklinika und die öffentlichen Kreiskrankenhäuser der Umgebung zusammenzuführen. Das hätte man schon längst haben können.
Was aber war der Plan der Landesregierung? – Sie haben es verkauft. Das Ergebnis ist: Wir bekommen ein verschärftes Problem in der ambulanten Versorgung, weil die privatisierten Träger jetzt die Kassenarztsitze aufkaufen, um ökonomisch orientierte MVZs an das Krankenhaus zu packen, statt Flächenversorgung in der Region sicherzustellen.
Genau falsch entschieden in dieser Richtung, an der Stelle, an der man schon seit sechs Jahren in Hessen ein Modell hätte haben können, wie es geht. Schade, meine Damen und Herren, dass Sie damals nicht so weit sehen konnten wie jetzt.
Tatsächlich haben Sie die Planung im Bereich der Krankenhäuser aufgegeben. Die Abschaffung der bettenbezogenen Planung – Sie erzählen uns hier, Sie möchten weniger Wettbewerb in der Region; darauf komme ich gern zurück – nimmt Ihnen doch gerade das Instrumentarium, um sicherzustellen, dass die Versorgung regional sinnvoll zusammengeführt wird und nicht, einer neben dem anderen, alle das Gleiche machen und im Wettbewerb miteinander stehen. In Südhessen haben wir im Abstand von 8 km zwei Herzkatheterlabore, die überhaupt keine Funktion haben können. Das ist das Ergebnis eines bis in den Irrwitz getriebenen Wettbewerbs im Gesundheitswesen.
Jetzt erklären Sie uns, Sie sehen das auch, man braucht keinen Wettbewerb mehr lokal, wir wollen einen Wettbewerb in der Region. – Das müssen Sie mir einmal erklären, was der Wettbewerb zwischen der Region Kassel und der Region Mittelhessen und der Region Frankfurt in der Krankenhausversorgung sein soll. Wollen Sie denn, dass die Leute in Zukunft aus Kassel immer nach Frankfurt ins Krankenhaus fahren, oder wie haben Sie sich das gedacht?
Nein, hier muss man sich endlich dazu bekennen, dass man mit einer klaren öffentlichen Verantwortung, mit öffentlicher Planung und öffentlicher Zuständigkeit ankommt und dass man von der einen oder anderen Ideologisierung einfach einmal abrücken muss.