Aus unserer Sicht ginge der Atomausstieg auch deutlich schneller. Wir wollen aber nicht in einen Wettbewerb um Jahreszahlen eintreten. Ich glaube, das würden die Menschen auch nicht verstehen. Wir wollen die Chance auf einen parteiübergreifenden Konsens beim Atomausstieg nutzen. Aber die FDP ist gerade dabei, durch ihren politischen Überlebenskampf diese Chance zu verspielen. Nicht anders sind die Worte ihres Generalsekretärs Lindner von gestern zu verstehen. Er beklagte, die Union hätte gegen den Willen der FDP die stufenweise Abschaltung der neuen, jüngeren Meiler schon ab 2015 durchgesetzt. Lindner befürchtet deswegen nun Entschädigungszahlungen an die Atomkonzerne.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Ursula Ham- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Minister Jörg-Uwe Hahn: Das machen wir auch!)
Dass nun Schadenersatzforderungen drohen, liegt doch nicht am aktuellen Gesetzentwurf, sondern vielmehr daran, dass Sie im Herbst letzten Jahres in einer Nachtund-Nebel-Aktion mit der Atomwirtschaft den Ausstieg aus dem Atomausstieg ausgekungelt haben. Das ist doch die Wahrheit.
Wir halten den stufenweisen Ausstieg für richtig. Wir sind froh, dass die Ministerpräsidenten Kurt Beck und Hannelore Kraft dies bei der Kanzlerin durchgesetzt haben.
Dass Biblis A und B nicht mehr ans Netz gehen, ist eine gute Nachricht für die Sicherheit in Hessen. Wir wehren uns aber entschieden gegen Überlegungen, Biblis B oder einen anderen alten Meiler als sogenannte Kaltreserve für die nächsten beiden Winter vorzuhalten. Hier wird den Menschen doch Sand in die Augen gestreut. Es wird vorgegaukelt, dass man bei zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien eben mal in Biblis den Schalter umlegen könnte, und schwuppdiwupp fließt der Atomstrom wieder. Das ist falsch. Es dauert Tage, ein AKW hochzufahren. Wir halten flexible konventionelle Kraftwerke für die bessere Sicherheitsalternative.
Wenn wir in diesen Wochen den Atomausstieg gemeinsam hinbekommen, haben wir einen ersten Schritt erreicht, nicht mehr und nicht weniger. Hier endet aber der parteiübergreifende Konsens. Denn der Atomausstieg allein ist noch keine Energiewende. Ich bin schon sehr verwundert, dass trotz der Verkürzung der AKW-Laufzeiten im Vergleich zum Herbst des letzten Jahres laut der Bundesregierung der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix des Jahres 2020 gleich bleibt: 35 % standen
im Energiekonzept aus dem Herbst 2010, 35 % kündigte Röttgen diesen Montag an. Wie der Bundesumweltminister hier von einer Beschleunigung der Energiewende sprechen kann, das erschließt sich mir nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das bleibt ein Rätsel.
Schlimmer noch. Bei der Novellierung des wichtigsten Gesetzes der Energiewende, dem Erneuerbare-EnergienGesetz, legen Sie die Axt an die dezentralen Stromproduktion an. Wird die Novelle des EEG wie geplant Realität, dann liegen Reden und Handeln bei Röttgen weit auseinander. Statt einer Beschleunigung der Energiewende wird diese ausgebremst. Sie gefährden damit eine zukunftsträchtige und mittelständisch geprägte Technologiebranche.
Sie wollen die Einspeisevergütung bei der Biomasse kürzen. Sie wollen die Einspeisevergütung bei der Fotovoltaik über das hinaus kürzen, was mittlerweile als Kompromiss verankert ist. Sie wollen die Einspeisevergütung bei der Windkraftnutzung an Land kürzen, während Sie die Einspeisevergütung der Windkraftnutzung in Nord- und Ostsee deutlich steigern wollen.
Auf den ersten Blick ist das kaum zu verstehen: Ist doch Windenergie an Land die kostengünstigste und effizienteste Form erneuerbarer Energie. Die Offshorewindkraft ist deutlich teurer, und ihre Erschließung dauert auch wesentlich länger. Zudem muss der Strom über neue Trassen ins Landesinnere transportiert werden.
Gerade jetzt, da auch in Hessen die Widerstände gegen die Onshorewindkraft deutlich nachlassen, weil die Menschen zunehmend die Chance für die Steigerung der regionalen Wertschöpfung erkennen, wollen Sie die Einspeisevergütung so senken, dass allein in Hessen 30 % bis 40 % der potenziellen Windkraftflächen wegfallen, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr darstellen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man aber weiß, wer die großen Offshorewindparks betreibt – –
Wenn man aber weiß, wer die großen Offshorewindparks betreibt, dann wird klar, welche Strategie dahintersteckt. Den großen Vier soll der Abschied aus der Atomkraft versüßt werden, indem sie zum Ausgleich die Chance erhalten, in großem Stil in die Windkraftproduktion einzusteigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind auch für die Offshorewindkraft. Das aber darf nicht dazu führen, dass diese beiden Technologien gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen sowohl Offshore- als auch Onshorewindkraft. Man muss aber deutlich sagen: Die Energiewende würde deutlich schneller und günstiger verlaufen, wenn wir stärker auf dezentrale Energieerzeugung setzen würden.
Übrigens stehen wir damit ganz auf der Grundlage der Empfehlung der Ethikkommission des ehemaligen Umweltministers Töpfer. Er hat ausdrücklich für einen Ausbau der dezentralen Energien plädiert.
Ich bin mir sehr sicher, dass sich die Bürger bei der Wahl zwischen einer 380-kV-Hochspannungsleitung auf der einen und einer Windkraftanlage an ihrem Ortsrand auf der anderen Seite für Letzteres entscheiden würden. Die Akzeptanz für Windkraft steigt deutlich, wenn sich Bürgerinnen und Bürger über eine Genossenschaft selbst daran beteiligen können oder dies ihre Stadtwerke oder ihr Gemeindewerk tun kann.
Allein im letzten Jahr flossen so deutschlandweit über 6,8 Milliarden € in die Kommunen und in den ländlichen Raum.
Um die kommunalwirtschaftliche Betätigung in Hessen zu erleichtern, müsste einfach nur die Hessische Gemeindeordnung geändert werden. Das können wir, der Hessische Landtag, selbst tun. Das geht schnell. Dazu gibt es in diesem Hause auch eine breite parlamentarische Mehrheit, jenseits der FDP.
Was wir in Hessen sonst noch selbst zur Energiewende tun können, das wird der Landesregierung gerade beim Energiegipfel von den Facharbeitsgruppen vorgeführt. Ich bin sehr gespannt, ob das von Frau Puttrich für die zweite Jahreshälfte angekündigte überarbeitete Eckpunktepapier der Landesregierung diese Vorschläge des Energiegipfels aufnimmt. Frau Puttrich, wenn Sie noch Anregungen brauchen: Die Bundes-SPD hat unter der Führung von Thorsten Schäfer-Gümbel ein viel beachtetes Papier zur Energiewende beschlossen – Copy and Paste ist ausdrücklich erwünscht, unter Angabe der Quelle.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bayern und Baden-Württemberg haben einen Wettbewerb ausgerufen, welches Bundesland die Energiewende schneller vollzieht. Statt sich diesem spannenden Wettbewerb anzuschließen, sitzt Hessen immer noch auf der Zuschauertribüne und verliert wertvolle Zeit.
Der Ministerpräsident spricht im letzten Plenum vom „naiven Glauben an die erneuerbaren Energien“. Außer einer halbherzigen Homepage zum Energiegipfel hat er dazu noch wenig Konkretes vorgebracht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Einstellung dieser Landesregierung wird Hessen weiterhin Schlusslicht unter den Bundesländern bei der Nutzung der erneuerbaren Energien bleiben.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: In Sachen Atomausstieg zeichnet sich ein Kompromiss ab – bei der
Schönen Dank, Herr Kollege Gremmels. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Frau Hammann das Wort. Bitte schön, Frau Hammann.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit erleben wir eine sehr spannende Entwicklung in der Atompolitik: Noch vor einem halben Jahr hätte keiner von uns GRÜNEN gedacht, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung über einen Atomausstieg nachdenkt. Sie haben es alle noch wie wir in Erinnerung, dass noch im letzten Jahr der Atomausstieg rückgängig gemacht wurde und das gegen unseren Willen und gegen den Willen der Mehrheit in der Bevölkerung durch den Deutschen Bundestag gepeitscht wurde.
Meine Damen und Herren, dieses Umdenken, das nun erfolgt ist, ist notwendig und wichtig. Wir freuen uns über dieses Umdenken. Wir müssen feststellen, dass hier leider das tragische Ereignis in Fukushima dieses Umdenken bewirkt hat. Offensichtlich besteht jetzt auch bei CDU und FDP der Wille, einen tatsächlichen Atomausstieg durchzuführen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Koalitionskonsens aber, der uns präsentiert wurde – er wurde uns als eine Vereinbarung vom 30.05.2011 präsentiert –, stellt keinen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich des Atomausstiegs dar.
Sie wissen, die sieben ältesten Atomreaktoren sollen nach dem Ende des Moratoriums nicht mehr ans Netz genommen werden – Bestandteil war und ist aber immer noch eine Kaltreserve. Dabei wurde diskutiert, ob möglicherweise Biblis B diese Kaltreserve sein wird. Die restlichen neun Atomkraftwerke sollten erst in den Jahren 2021 und 2022 vom Netz gehen.
Meine Damen und Herren, auf dieser Basis war niemals ein Konsens möglich und wird es auch nicht sein.