Protokoll der Sitzung vom 08.06.2011

ben, und es bedeutet elf weitere Jahre Risiko. Technisch ist der Ausstieg viel schneller möglich. Man muss es nur politisch wollen.

(Günter Schork (CDU): Quatsch!)

RWE und E.ON haben jetzt schon angekündigt, gegen den Ausstieg klagen zu wollen, und fordern – Zitat – „eine faire Entschädigung“. Ich finde, wenn die großen Energiekonzerne an dieser Stelle von Fairness reden, dann ist das schon dreist.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Norbert Schmitt (SPD) und Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Atomkonzerne haben sich jahrzehntelang auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger, auf Kosten der Steuerzahler bereichert. Meine Damen und Herren, es wäre fair, wenn die Energiekonzerne die Steuerzahler entschädigen würden, beispielsweise für die Steuermilliarden, die in der Asse oder in Gorleben verbuddelt wurden.

(Beifall bei der LINKEN)

„Konzerne protestieren gegen den Ausstieg“, meldete die Tagesschau. RWE-Chef Großmann warnte gar vor einer – Zitat – „Ökodiktatur“ in Deutschland. Nach Ansicht Großmanns ist also die Demokratie in Deutschland gefährdet, wenn die Profite von RWE beschnitten werden. Das Gegenteil ist der Fall. Demokratisch wäre es, wenn endlich der Wille der Mehrheit in dieser Gesellschaft umgesetzt und ein sofortiger Ausstieg aus der Atomkraft in Gang gesetzt würde.

Der Widerstand gegen die Ausstiegspläne ist in Teilen der Union mindestens genauso groß wie bei RWE und E.ON. Herr Wagner würde am liebsten mit wehenden Fahnen vor dem Kanzleramt in Berlin gegen den Kurs der Bundesregierung demonstrieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Drohgebärden der Konzerne sind natürlich kein Grund, die endgültige Stilllegung der Atomkraftwerke infrage zu stellen. Aber das geplante Gesetz muss so begründet sein, dass am Ende nicht die Steuerzahler für milliardenschwere Entschädigungen blechen müssen. Das Gesetz der Bundesregierung ist geradezu eine freundliche Einladung an die Konzerne, dagegen vor Gericht zu ziehen. Mit dem Verweis auf das angeblich hohe Sicherheitsniveau deutscher Atomkraftwerke wird Tür und Tor für Klagen geöffnet. Dabei ließe sich die Stilllegung aller Atomkraftwerke sicherheitstechnisch problemlos so begründen, dass alle Entschädigungsforderungen von vornherein ins Leere liefen.

Daher kommt die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW zu der Einschätzung – ich darf zitieren –:

Da fehlender Sachverstand hierbei nicht zu unterstellen ist, stellt sich die Frage, ob dieser Gesetzentwurf den vorsätzlichen Versuch darstellt, den Steuerzahlern ein erhebliches Kostenrisiko aufzubürden, und ob diesbezüglich heimliche Absprachen mit den Betreibern bestehen.

Meine Damen und Herren, statt ein wasserdichtes Gesetz vorzulegen, scheint der neue Kompromiss zu sein: Ihr schaltet ab, und dafür bekommt ihr aus Steuermitteln die Gelder, die ihr sonst damit verdient hättet. – Das ist überhaupt nicht hinnehmbar.

Der Atomausstieg muss schnell erfolgen und vor allem unumkehrbar sein. Wenn alle Parteien wirklich unwider

ruflich aus der Atomkraft aussteigen wollen, dann wäre es möglich, den Verzicht auf die Atomtechnologie im Grundgesetz festzuschreiben. Aber Bundesumweltminister Röttgen hat das gestern abgelehnt. Es ist interessant, mit welcher Begründung er es abgelehnt hat. Er sagte nämlich, man könne das nicht hineinschreiben, weil das die künftigen Mehrheiten in ihrer Entscheidung binde.

Deutlicher kann man nicht sagen, dass man sich den Ausstieg aus dem Ausstieg offenhalten will. Diesem Atomausstieg droht eine ähnlich kurze Halbwertszeit wie dem letzten. Selbst bei den alten Schrottreaktoren wird eine Hintertür offengehalten. Es wird ernsthaft darüber spekuliert, dass man Biblis B, einen der ältesten und pannenanfälligsten Reaktoren, als Versorgungssicherheit betriebsbereit halten könnte.

Man muss erst einmal auf die Idee kommen, Biblis B aus Sicherheitsgründen nicht vom Netz zu nehmen. Biblis B ist keine Reserve. Biblis B ist ein Risiko. Nach Fukushima ist ein solcher Vorschlag einfach nur noch abenteuerlich. Frau Ministerin, die Landesregierung ist gefordert, hier klar Stellung zu beziehen und dafür zu sorgen, dass weder Biblis A noch Biblis B jemals wieder ans Netz geht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es reicht nicht nur, über die 17 deutschen AKWs zu reden. Die Frage ist, was mit den Forschungsreaktoren ist, was mit der Urananreicherungsanlage in Gronau ist, was mit dem waffenfähigen Material ist. Die zivile Nutzung von Atomkraft ist nicht von der militärischen zu trennen. Das ist doch letztlich der Grund für die milliardenschwere Subventionierung der Atomkraft gewesen: weil man dadurch einen Zugriff auf diese Technologie wollte.

Es war auch einmal der Gründungskonsens der GRÜNEN, dass die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft beendet werden muss. Deshalb dürfen diese acht Atomkraftwerke, die jetzt stillgelegt werden, kein Bauernopfer sein, sondern ein Ausstieg aus der gesamten Technologie ist nötig.

(Beifall bei der LINKEN)

Das nächste Problem ist, dass der Atomausstieg nicht mit einer Beschleunigung der Energiewende verbunden ist. Das Ziel von 35 % erneuerbarer Energie bis zum Jahre 2020 wird nicht erhöht, und die frei werdenden Kapazitäten sollen durch den Ausbau von Kohlekraftwerken kompensiert werden. Das behindert erstens den Ausbau der erneuerbaren Energien, und zweitens ist es angesichts des Klimawandels einfach vollkommen unverantwortlich. Statt das Kohlekraftwerk Staudinger zu erweitern, bräuchten wir einen ambitionierten Aktionsplan zum Ausbau der erneuerbaren Energien in Hessen. Frau Ministerin, den müssten Sie vorlegen, statt über den Ausbau von Staudinger zu reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Durch die neue gesetzliche Regelung bleiben auch die Strukturen der Energiewirtschaft bestehen. Sie bleiben völlig unverändert. Wer den Umstieg auf die erneuerbaren Energien will, der muss auch über die Macht der großen Vier reden. Alle reden vom Energiesparen, aber die großen Vier planen laut ihren eigenen Büchern, bis 2020 erheblich mehr Strom zu produzieren. Das zeigt, dass die Energieversorgung bei privaten, profitorientierten Konzernen in den falschen Händen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Kurzfristiges Gewinnstreben und nachhaltige Energieerzeugung vertragen sich nicht. Meine Damen und Herren, seit einigen Tagen wissen wir auch, dass im Fall der Atomwirtschaft eine schlechte Energie- und eine schlechte Arbeitsmarktpolitik aufeinandertreffen. Ich halte es für einen Skandal, dass Leiharbeiter in AKWs der doppelten Strahlenbelastung ausgesetzt sind wie die Stammbelegschaft. Das zeigt die Skrupellosigkeit dieser Branche.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt die erneuerbaren Energien dezentral vor Ort zu fördern und auszubauen, setzt die Bundesregierung auf zentralistische Technologien wie die Windkraftanlagen auf dem Meer. Das liegt natürlich im Interesse der Konzerne, weil die auf Offshore setzen; denn nur Großtechnologien sichern letztlich ihre Marktmacht. Eine Windkraftanlage an Land kann sich ein Stadtwerk, kann sich eine kleine Genossenschaft leisten. Aber auf dem Meer sind die großen Vier aufgrund der hohen Investitionskosten konkurrenzlos.

Schlimm ist, dass das auch noch durch das Bundesumweltministerium flankiert wird. Die Förderung der kostengünstigen Stromerzeugung aus Windkraft an Land wird gekürzt zugunsten einer Erhöhung der Förderung von Offshoreprojekten. Bei Offshoreprojekten soll die Vergütung erhöht werden, obwohl Offshore doppelt so teuer ist wie die Windenergie an Land. Das ist volkswirtschaftlich sinnlos. Es ist teuer, und es macht einen massiven Netzausbau nötig.

Wenn man eine solche Politik macht, dann darf man sich nicht beschweren, dass das hohe Kosten verursacht. So werden Steuergelder direkt in die Konzernzentralen umgeleitet.

Meine Damen und Herren, die heutigen Eigentumsverhältnisse blockieren fortschrittliche Entwicklungen. Das zeigt sich nirgendwo so deutlich wie in der Energiepolitik. Großkonzerne wie E.ON mit zig Auslandsbeteiligungen, mit zig Tochtergesellschaften lassen sich nicht demokratisch kontrollieren. Deswegen müssen sie nicht nur in öffentliches Eigentum überführt werden. Sie müssen vor allem in kleinere Einheiten zergliedert werden. Die Energiewirtschaft muss demokratisiert werden.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In Sacramento, Kalifornien, wählen die Menschen nicht nur ihren Bürgermeister, sondern sie wählen auch den Chef des Energieversorgers.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Den Sheriff auch!)

Herr Arnold, sie können ihn auch abwählen, wenn er Mist baut. Das verstehe ich unter Demokratisierung der Wirtschaft, vor allem der Energiewirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Energiewende kostet Geld. Die Frage ist, wer die Kosten zahlt. Wir wollen keine Energiewende auf Kosten der Schwachen. In den letzten Jahren hat es eine Gewinnexplosion bei den großen Vier gegeben. 2010 machte RWE einen Rekordgewinn. Diese Gewinne kommen nicht aus dem Nichts, sondern sie kommen direkt aus den Taschen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wer die Energiewende schnell und sozial verträglich umsetzen will, muss auch die großen Energiekonzerne zur Finanzierung heranziehen. Es kann einfach nicht sein, dass die Gewinne privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Deshalb müssen wir über die Wiedereinführung einer staatlichen Preisaufsicht reden. Wir müssen über Sozialta

rife reden, damit finanziell schwachen Familien keine Energiearmut droht.

Solange noch eine Atomanlage in Betrieb ist, glaube ich CDU und FDP nicht, dass sie sich wirklich von dieser Technologie verabschiedet haben.

(Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU): Das glauben Sie uns auch nicht, wenn alle abgeschaltet sind!)

Deshalb ist auch die Antiatombewegung nicht überflüssig geworden, solange noch ein AKW am Netz ist, solange es keinen vollkommenen Abschied von dieser Technologie gibt. Der zweite Super-GAU innerhalb von nur 25 Jahren muss endlich zum Anlass genommen werden, Schluss mit diesem Atomwahnsinn zu machen.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das einzige Sicherheitsrisiko hier sind Sie!)

Der Atomausstieg wird sich nicht im Konsens durchsetzen lassen. Wer den Atomausstieg will, der muss auch bereit sein, sich mit den großen Konzernen anzulegen. Wir werden deshalb auf Bundesebene Ihrem Konzept nicht zustimmen. Wir hoffen sehr, dass auch SPD und GRÜNE nicht zustimmen. Denn ich glaube, dass das der nächste Konsens auf einer falschen Grundlage wäre und uns auch dieser Konsens in wenigen Jahren wieder um die Ohren fliegen wird.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Es geht nicht um das bessere Argument oder das bessere Konzept. Es geht hier um handfeste Interessen. Deshalb brauchen wir gesellschaftlichen Druck. Deswegen brauchen wir mehr Bewegung.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Deshalb unterstützen wir auch die geplanten Aktionen der Antiatomkraftbewegung,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

z. B. die geplante Blockade von Atomkraftwerken, wie in Brokdorf. Wir brauchen mehr Druck, damit klargemacht wird, dass den Konzernen und den schwarz-gelben Plänen etwas entgegengesetzt wird. Angesichts der großen Demonstrationen, die wir in den letzten Monaten hatten, bin ich sehr zuversichtlich, dass diese Bewegung auch weitergehen wird, solange noch ein AKW am Netz ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Für die SPDFraktion hat sich Herr Gremmels gemeldet. Bitte schön, Herr Gremmels.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der sich jetzt abzeichnende endgültige Ausstieg aus der Atomkraft innerhalb des nächsten Jahrzehnts findet unsere breite Zustimmung. Eine feste Verankerung des Atomausstiegs im Grundgesetz würden wir allerdings sehr begrüßen, damit im nächsten Jahr nicht wieder eine 180-Grad-Wendung der Bundesregierung droht. SchwarzGelb ist da einiges zuzutrauen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)