Protokoll der Sitzung vom 25.08.2011

Meine Damen und Herren, wir können das doch im Gegenteil täglich an den Statistiken erkennen, wie die Beschleunigung der Arbeitsprozesse, wie die Auflösung natürlicher Rhythmen. Da fragt man sich gerade bei konservativen Politikern, wie es denn sein kann, dass jahrhundertelang gewachsene Traditionen aller Kulturen, wie die des siebten Ruhetages, so mir nichts, dir nichts der Beliebigkeit zum Fraß vorgeworfen werden, während wir doch sehen, welche desaströsen Auswirkungen

(Beifall bei der SPD)

die Auflösung gewohnter biologischer Rhythmen auf die menschliche Gesundheit hat. Woher kommt es denn, dass inzwischen der zweitteuerste Block im Gesundheitswesen der der psychischen Erkrankungen ist? – Das sind die Überforderungskrankheiten, weil Menschen aus den normalen Rhythmen herausgenommen werden.

Meine Damen und Herren, deshalb ist es mit der Behandlung einer einzelnen Ausweitung nicht getan. Wir sollten anfangen, ernsthaft zu reflektieren, wie viel Zerstörung gewohnter Traditionen, Auflösung von Regelungen für Schutz und Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger, für die Beschäftigten am Arbeitsplatz schon vorgenommen wurden.

Meine Damen und Herren, es geht um den Schutz von Familien, damit die sich nämlich gelegentlich einmal sehen. Es geht um die Sicherung des Ehrenamtes; die Ausweitung der Sonntagsarbeit ist ein Angriff auf die Möglichkeiten des Ehrenamtes. Und es geht um die Möglichkeit, sich in seiner sozialen Umgebung zu regenerieren. Wenn wir – das ist an manchen Stellen wirklich putzig – mit der Ausweitung des Versandhandels anfangen: Man stelle sich vor, man kann jetzt sonntags bei Amazon bestellen, bekommt es aber doch erst am Dienstag, weil Sie das LkwFahrverbot am Sonntag noch nicht aufgehoben haben.

(Ernst-Ewald Roth (SPD): Bringen Sie die nicht noch auf die Idee!)

Oder ist das der nächste Schritt, dass Sie damit notwendigerweise noch eine Vielzahl anderer Schutzregelungen aufgeben müssen? – Nein, der Versuch, das still und heimlich den Beschäftigten unterzujubeln, ist gescheitert. Nehmen Sie die Verordnung zurück, und besinnen Sie sich eines Besseren. Wir haben ein paar Hundert Jahre gute Traditionen. Darüber sollten wir kurz nachdenken. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Dr. Spies. – Das Wort hat der Abg. Lenders, FDP.

(Günter Rudolph (SPD): Freiheit für alle! – Zuruf von der SPD: Freiheit für den Sonntag!)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man hat mir geraten, ruhig zu bleiben. Es fällt einem allerdings nicht besonders leicht.

(Günter Rudolph (SPD): Sonntags gehen die Lichter aus!)

Meine Damen und Herren, die Sonntagsarbeitszeitregelungen sind fast 100 Jahre alt. Die Gesellschaft hat sich in dieser Zeit verändert. Wir haben mittlerweile sehr viele Singlehaushalte, selbstständige, emanzipierte Frauen.

(Lachen und Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das klassische Bild der Familie stimmt so nicht mehr. Wenn Sie es nicht glauben wollen, auch innerhalb der FDP gibt es viele klasse Frauen. Es gibt Veränderungen beim Wohnen, beim Einkaufsverhalten. Es gibt Veränderungen im Freizeitverhalten. Es gibt Veränderungen im Berufsleben. Niemand ist heute mehr bei einem Arbeitgeber von der Lehre bis zur Pensionierung beschäftigt.

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten)

Lebenslanges Lernen gehört dazu. Das ist alles nicht, weil der Staat das so will, weil der Staat diese Veränderung will, nicht weil Parteien das so wollen, sondern weil die Menschen das so wollen.

(Beifall bei der FDP)

Wir von der Politik können nur den Rahmen für das Zusammenleben gestalten, und der FDP geht es immer darum, Freiräume zu schaffen.

(Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, keiner will die Sonntagsarbeit unnötig ausweiten. Niemand will mehr als vier verkaufsoffene Sonntage – im Gegenteil. Für diese vier verkaufsoffenen Sonntage werden mittlerweile strengere Voraussetzungen nach dem Gerichtsurteil, das Berlin hervorgerufen hat, angewendet, als das vorher der Fall gewesen ist. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

Sie wollen ein Bild stellen, dass es zu einer Ausweitung der Sonntagsarbeit kommt, das es so aber nicht gibt. Wir werden nur Bürokratie abbauen, also einzelne Genehmigungsverfahren vereinfachen.

Meine Damen und Herren, was wird denn mit der Bedarfsgewerbeverordnung erreicht? – Es wird eine Rechtssicherheit für die Unternehmen geben. Es wird aber auch Rechtssicherheit für die Behörden geben, weil sie ein klares Korsett bekommen, in dem sie genehmigen können. Es wird zum Bürokratieabbau kommen, weil wir diese Genehmigungsverfahren vereinfachen können.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Deshalb müssen 10.000 sonntags arbeiten!)

Wir schaffen Wettbewerbsgleichheit, weil für alle die gleichen Regeln gelten. Das müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen. Dadurch, dass wir es nicht machen, haben hessische Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil, und das können wir von der FDP nun wirklich nicht wollen.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Lenders, der Kollege Schaus würde Ihnen gerne eine Frage stellen, wenn Sie es zulassen.

(Jürgen Lenders (FDP): Wir sind immer noch in der Aktuellen Stunde!)

Ja?

(Jürgen Lenders (FDP): Nein!)

Kollege Schaus, nein.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ich war etwas verwirrt mit Ja und Nein!)

So ist das.

Wer die Sonntagsarbeit strikt ablehnt, darf auch montags keine Zeitung kaufen. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Regelung strikt auslegen, die Sie hier verteidigen, dürfen Sie nicht am Sonntag mit Ihrer Frau oder Ihrem Mann essen gehen. Wenn Sie das strikt auslegen, dürfen Sie am Sonntag nicht ins Kino oder ins Theater gehen. Sie dürfen nicht mit den Kindern am Sonntag zur Kirmes gehen, keine Freizeitparks besuchen oder ins Museum gehen.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN – Gegen- rufe von der FDP)

Die FDP will solch eine undifferenzierte Betrachtung, wie sie in Ihren Anträgen zum Tragen kommt, nicht mittragen. Solche Ignoranz der Lebenswirklichkeit wird mit der FDP nicht machbar sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat Abg. Utter, CDU-Fraktion.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Jetzt bin ich gespannt! – Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie doch den Kollegen Utter erst anfangen, bevor Sie sich groß erregen. Es ist ja in Ordnung – erregen Sie sich gemeinsam.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Südwestrundfunk hat über Jahrzehnte empfohlen, den Tag positiv zu beginnen. Diese alte Regel will ich auch gerne heute aufgreifen und positiv beginnen. Positiv finde ich an dieser Debatte, wie sehr sich alle in diesem Haus für den Sonntagsschutz einsetzen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Nicht alle! – Günter Rudolph (SPD): Alle nicht!)

Ich höre das schon heraus.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Möglicherweise gibt es unterschiedliche Auffassungen über den Weg.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Das ist nett formuliert!)

Aber ich finde, dass wir eine hessische Besonderheit haben. Wenn wir uns nämlich mit anderen Ländern vergleichen, sehe ich in kaum einem anderen Bundesland, dass sich Parteien so übergreifend mit diesem Thema beschäftigen und sich dafür einsetzen. Das finde ich eine positive hessische Tradition, auf die wir alle gemeinsam stolz sein können.

Herr Klose, ich finde es gar nicht schlimm, wenn DIE LINKE in Hessen einen Sonderweg geht, sich von dem gesamten Bundesverband DIE LINKE verabschiedet, hier eine ganz andere Politik macht und sich wirklich aktiv für Sonntagsruhe einsetzt.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da habe ich keine Sorge, Herr Utter!)

Eine ganz tolle Sache.

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten)