Protokoll der Sitzung vom 14.09.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kommunen werden zu den aktuellen Hartz-IV-Empfängern heruntergewirtschaftet. Zu der aktuellen Einschätzung des Städtetages muss ich nichts ergänzen. Dazu haben meine Vorredner, Herr Schmitt und Herr Kaufmann, einiges gesagt. Kurz gesagt: Diese Landesregierung macht Politik auf Ramschniveau.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, sie macht Politik auf Ramschniveau. Ich habe aber meine Zweifel, ob das ausreicht, damit SPD und GRÜNE bald ihr eigenes Rating verbessern können. Bei allem, was Sie hier an dünnen Konzeptpapieren in Pressekonferenzen vorstellen, würden Sie nämlich im Moment substanziell gar nichts anders machen als diese Landesregierung. Das ist ein Armutszeugnis für eine „Opposition“, die schon fest mit dem Sieg bei der nächsten Landtagswahl hier in Hessen rechnet.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie drücken sich davor, Alternativen zu entwickeln. Immerhin hat die SPD jetzt ein Steuerkonzept hervorgebracht, das sozusagen etwas näher an das von Helmut Kohl heranreicht. Aber mit 49 % sind Sie immer noch um 4 % von 53 % entfernt.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Wir waren nicht daran schuld, dass Helmut Kohl abgelöst worden ist, denn wir waren damals noch nicht dabei.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Trauern Sie ihm nach, Herr van Ooyen?)

Um dieses Armutszeugnis noch einmal zu kategorisieren: Ich glaube, es stellt sich im Moment wirklich die Systemfrage; denn es stellt sich nicht nur die Frage nach dem Überleben eines wild gewordenen Finanzmarktkapitalismus, den Sie als „soziale Marktwirtschaft“ verharmlosen, sondern es stellt sich auch ganz konkret die Frage, ob wir alle es schaffen, die Demokratie durch die Krise zu retten.

Wenn ich sage, dass die Demokratie hier in Hessen in Gefahr ist, dann brauchen Sie gar nicht erst nach Mecklenburg-Vorpommern zu schauen, wo sich die NPD den Wiedereinzug in den Landtag verschafft hat. Es reicht, wenn man sich hier in Hessen die Wahlbeteiligungen anschaut. In Offenbach haben am 4. September nur gut 25 % der Menschen von ihrem Recht, zu wählen, Gebrauch gemacht. Auch in anderen Kommunen ist eine Wahlbeteiligung von 30 % schon ein gutes Ergebnis. Offenbar gehen fast zwei Drittel der Wahlberechtigen nicht mehr wählen, weil sie nicht mehr wissen, wen sie wählen und für was sie eigentlich wählen sollen. Das ist erschreckend. Es ist aber auch verständlich, denn die Menschen wissen, dass der Bürgermeister nichts mehr zu entscheiden hat. Er kann nicht mehr gestalten. Unter den Bedingungen der Schuldenbremse kann ein Bürgermeister,

kann eine Bürgermeisterin nicht mehr bestimmen, wie das Leben in einer Kommune verbessert werden kann. Es geht nur noch einzig und allein um die Frage, wo der Rotstift zuerst angesetzt wird, welche Leistung zuerst wegfallen muss, welche Menschen als Erste auf öffentliche Leistungen verzichten oder welche Gebühren oder Eintritte erhöht werden müssen. Die soziale Selektion wird auch vor Ort zwangsläufig erhöht.

Es ist wie bei der Schuldenbremse: Das Volk soll den Strick selbst knüpfen, an dem es dann aufgehängt werden soll. Das merken die Menschen in diesem Land zunehmend. Anders ausgedrückt: Diese Wahlen sind gar keine Wahlen mehr, und deshalb geht ein Großteil der Bevölkerung sonntags nicht mehr ins Wahllokal. Das muss uns allen ernste Sorgen machen.

Aber statt dass Sie sich fragen, wie die Kommunen wieder handlungsfähig gemacht werden sollen, wie das Land Hessen wieder in die Lage versetzt wird, die Zukunft zu gestalten, organisieren Sie allein den Rückbau des Staates. Mit der Schuldenbremse im Rücken ist das ja auch einfach. Wenn jemand kritisch nachfragt, warum wir in den nächsten Jahren keine Lehrer mehr einstellen, sagen Sie: „Es ist kein Geld da, wir müssen die Schuldenbremse einhalten.“ Damit lösen Sie aber die Probleme nicht.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Wir stellen aber Lehrer ein!)

Sie stellen aber nicht genügend Lehrer ein. Sie haben die OECD-Studie, die gestern veröffentlicht wurde, doch gelesen. Deshalb wissen Sie, was zu machen ist.

Nein, damit lösen Sie keine Probleme. Sie verhindern allein kritische Nachfragen. Sie schotten sich ab gegen die Frage, wie die Politik in Hessen weiterentwickelt werden kann, und Sie schotten sich auch ab gegen die Frage, wie wir eine nächste Stufe der Krise verhindern können.

(Clemens Reif (CDU): Seien Sie doch nicht so depressiv! – Lachen bei der LINKEN)

Bin ich doch gar nicht. Ich bin sehr optimistisch, was den Sozialismus angeht.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Wenn ich mir die internationale Lage ansehe, stellt sich mir die Frage nach einem erneuten Aufbrechen der Krise ganz massiv. Barak Obama hat ja wohl kaum aus Spaß gerade ein weiteres riesiges Konjunkturpaket angeregt. Jetzt können Sie wieder sagen: Das ist halt Amerika, das ist weit weg. – Aber selbst die IWF-Chefin Christine Lagarde hat gerade von den europäischen Staaten wieder ein Konjunkturpaket eingefordert. Meine Damen und Herren, Sie haben mich jetzt so weit. Ich empfehle dieser Landesregierung an diesem einen Punkt, der Empfehlung des IWF zu folgen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist los mit dir, Willi?)

Ja, Sie haben richtig gehört. An diesem einen Punkt empfehle ich, der Empfehlung des IWF zu folgen.

Ich fordere, dass diese Landesregierung alles tut, damit die Probleme, die in der Weltwirtschaft gerade zu beobachten sind, nicht weiter um sich greifen. Wenn Sie schon nicht mit einem Konjunkturpaket planen, so geben Sie wenigstens der Binnennachfrage hier in Hessen einen Impuls, indem Sie beispielsweise die Beamtenbesoldung anpassen und indem Sie jetzt Investitionen in Bildung und Infrastruktur tätigen, die aktuell sowieso anstehen.

Aber lassen Sie es um Himmels willen bleiben, bei öffentlichen Ausgaben weiter zu kürzen. Wenn sich die Konjunktur im nächsten Jahr tatsächlich deutlich abkühlt – danach sieht es leider aus –, ist es falsch, auch noch einen negativen Konjunkturimpuls hinterherzuschicken. Damit würden Sie die Lage eindeutig verschärfen.

(Beifall bei der LINKEN)

In der mittelfristigen Finanzplanung – also in Ihrem Märchenbuch, wie man es leider nennen muss – werden Sie die Zahlen des Frühjahrsgutachtens als Grundlage für die Annahme der wirtschaftlichen Entwicklung nehmen. In dieser Finanzplanung gehen Sie davon aus, dass wir vier Jahre in Folge ein durchschnittliches Wachstum von real 1,9 % haben werden.

Das sind – selbst wenn man davon ausgeht, dass die Krise auch statistische Effekte haben kann – unhaltbare Annahmen. Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir in Deutschland ein Wachstum von durchschnittlich 1,2 %. Die 1,9 %, die Sie annehmen, sind eine Mondzahl angesichts dessen, dass die OECD schon davor warnt, dass wir in Deutschland im vierten Quartal – also im kommenden Quartal – einen deutlichen Konjunkturdämpfer erwarten müssen.

Deswegen müssen jetzt Schritte unternommen werden, um die Vertiefung der Krise zu verhindern. Da steht viel Arbeit an; denn strukturell hat sich in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt fast nichts getan. Die Strukturen sind die gleichen wie vor der Krise. Weder auf der Ebene der Finanzmarktregulierung noch auf der Ebene der gemeinsamen Koordinierung der Wirtschaft in Europa, noch auf der Ebene der Verteilung sind die Probleme gelöst, die diese Krise verursacht haben.

Dabei ist mir die Frage der Verteilung zunächst einmal die wichtigste; denn ohne Umverteilung wird diese Krise nicht zu lösen sein.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Da haben Sie Erfahrung drin!)

Wenn es in Deutschland nicht gelingt, einen Ausgleich zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum herzustellen, und wenn es nicht gelingt, dass das reichste Zehntel der Bevölkerung, das 62 % des Vermögens besitzt – während die öffentlichen Kassen leer sind –, zur Kasse gebeten wird, wird sich die Krise fortsetzen. Wenn nämlich ein solch geringer Teil der Bevölkerung so viel Vermögen besitzt, gleichzeitig aber breite Bevölkerungsschichten seit Jahren sinkende Reallöhne bekommen – von den Sozialleistungen will ich gar nicht erst reden –, ist das nicht nur ungerecht, sondern es ist auch gefährlich für unsere Volkswirtschaft. Damit wird die Binnennachfrage geschwächt, und gleichzeitig wird von den Reichen viel Geld angelegt, das sie aber nicht investiv ausgeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ob sie das selbst machen oder ob das Geld von den Banken angelegt wird, die das Vermögen verwalten, spielt dabei keine Rolle. Genau hier liegt aber die Krux; denn die Banken werden das Geld nicht investieren, sondern sie werden damit, wie schon in den letzten Jahren, ins Kasino gehen, mit dem Resultat, dass wir alle dafür haften müssen.

Diesen 10 % einen Teil ihres Vermögens zu nehmen, um damit die Kosten der Krise zu bekämpfen und die Armut der öffentlichen Kassen zu beenden, wäre jetzt angesagt.

Dazu brauchen wir endlich eine Vermögensteuer und eine Erbschaftsteuer, die diese Namen auch verdienen.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Damit gelingt einem ein Stück Umverteilung, und man schafft Handlungsspielräume und kann Zukunftsinvestitionen tätigen.

Hinzu kommt, dass die Einkommensteuer deutlich anders gestaltet sein muss. Niedrige Einkommen müssen entlastet werden, und Spitzenverdiener müssen wieder einen größeren Beitrag leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben ein Steuerkonzept vorgelegt, in dem steht, wie das funktioniert. Herr Kollege Schmitt, wir können daher miteinander wetteifern.

In Hessen kann man das sicherlich nicht allein durchsetzen; aber diese Landesregierung stellt sich, was die Verantwortung für Mehreinnahmen betrifft, völlig quer. Damit gehen Sie aber voll an den Problemen der Zeit vorbei. Es muss nämlich endlich wieder von oben nach unten umverteilt werden.

Hinzu kommt aber, dass endlich das Kasino geschlossen werden muss, in dem Banken und Reiche mit ihrem Geld ganze Volkswirtschaften in den Ruin treiben. Es kann doch nicht angehen, dass sich Banken bei der EZB für ein 1 bis 2 % Zinsen Geld leihen und dieses dann als Kredit an Länder wie Griechenland vergeben, wobei sie 6 bis 9 % Zinsen nehmen. Das Resultat ist, dass wir in Deutschland dafür haften, dass die Banken ein riesengroßes Geschäft machen.

Dagegen hilft nur, die Finanzmärkte zu regulieren und bestimmte Produkte einfach niemandem zu übergeben. Solche Produkte braucht man nur, wenn man Banken leiten will, die eine Rendite von 25 % erwirtschaften. Es müssen endlich Eurobonds her, allein damit die Krisenstaaten wieder auf die Beine kommen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie haben die Eurobonds doch im Bundestag abgelehnt!)

Es ist doch Wahnsinn, dass man Staaten, die in einer tiefen Rezession stecken, von Deutschland aus auch noch vorschreibt, dass sie sich weiter in die Krise sparen müssen. In diesem Land – auch in Hessen – haben Sie zusätzliche Konjunkturpakete geschnürt, und von Griechenland fordern Sie das genaue Gegenteil.

Das Erschreckendste daran ist, dass das in Deutschland von CDU und FDP mit einer Attitüde gemacht wird, die man schlicht und einfach als „imperialistisch“ bezeichnen muss. Sie tun immer so, als ob die Griechen faul und dumm wären und diese Probleme deshalb hätten, weil sie in spätrömischer Dekadenz gelebt hätten. Das ist aber Quatsch. Griechenland hat diese Probleme, weil es deutsche Waren und deutsche Panzer importiert hat und das ganze Land deindustrialisiert wurde.

Dort müsste man ansetzen. In Deutschland müssten endlich Arbeitsplätze jenseits der Exportwirtschaft geschaffen werden, und den Griechen müsste man mit einem Marshallplan zu einer funktionierenden Wirtschaft verhelfen.

Mit dem Haushaltsplan, den CDU und FDP entworfen haben, wird man diese Krise nicht lösen können. Gegen diese Krise hilft keine Schuldenbremse, und dagegen hilft auch kein Hartz IV für Staaten. Diese Krise können we

der CDU und FDP noch SPD und GRÜNE lösen. Ein „Weiter so“ kann es nicht geben. Kürzen und Streichen führen uns nicht aus dieser Krise. Die Antwort auf diese Krise können nur internationale Solidarität, Umverteilung und das Schließen des Kasinos sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)