Der andere Punkt aber ist, wie sich die beiden Mehrheitsparteien dieses Hauses verhalten, die Regierungspartei sind. – Diese geben im Wesentlichen nur der anderen Seite Stimme. Herr Müller hat es eigentlich ziemlich deutlich gemacht: Alle, die gegen den Ausbau sind, werden gefragt, wie es mit den Arbeitsplätzen ist. Das heißt, in der Frage „Ausbau notwendig – ja oder nein?“ sind die Regierungsparteien auf dem Punkt und sagen: Unsere Verantwortung besteht darin, nur den Ausbaubefürwortern – mit kleinen Abstrichen, Herr Dr. Arnold unterscheidet sich da durchaus wohltuend – Stimme zu geben. – Das geht für eine Regierungskoalition eben nicht, und genau das ist der Unterschied.
Die SPD hat sich einer viel schwierigeren Aufgabe gestellt. Wir haben doch beides in der eigenen Partei, das weiß doch auch jeder.
Einerseits sind das Menschen, die sozusagen aus Arbeitnehmerinteresse sagen, dass sie den Flughafen dringend brauchen. Ebenso haben wir Menschen, die in ihrer Situation sagen, sie und ihre Nachbarn würden das Leid nicht ertragen. Es gehört zur Verantwortung einer Partei, die in Hessen nicht nur regiert, sondern auch regieren will, beides gegeneinander abzuwägen. Das ist der Vorwurf gegen Sie: Sie wägen nicht gegeneinander ab, sondern Sie ergreifen einseitig Partei.
Der zweite Punkt ist: Jedes Großprojekt hat immer Kosten, ausnahmslos. Die spannende Frage ist, wie wir mit den Kosten umgehen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Es gibt die eine Möglichkeit, zu sagen, wir müssen die Kosten einfach ertragen. Das höre ich bei Herrn Müller am stärksten. Die zweite ist, dass wir versuchen müssen, bei der Frage der Kosten zu gestalten. Darüber reden wir gerade.
Wir reden darüber, bei einem Großprojekt, das wir auch als den Ausbau befürwortende Partei unterstützt haben, zu sagen: Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die nicht direkt von diesem Projekt profitieren, sondern von ihm geschädigt werden, in ihren Rechten so gestärkt werden, dass der Schaden möglichst gering ist. – Darüber streiten wir hier mit Ihnen, weil Sie diese Schadensbegrenzung nicht zu Ihrem zentralen Ziel gemacht haben. Das ist der Punkt, um den es hier im Wesentlichen geht.
Fragen wir uns doch einmal, wann es denn aufhören soll. Bei welcher Fluglärmbelastung soll es aufhören? – Diese Frage hätte ich gern einmal von irgendjemandem aus der Regierungskoalition beantwortet. Wo ist denn Schluss für Sie? Wir sagen, wir müssen im Prinzip erreichen, dass wir im Kern den Stand von 2010 nicht deutlich überschreiten, und alles dafür tun, dass über Maßnahmen egal welcher Art versucht wird, diesen Stand halbwegs zu halten. Das ist ein Kompromiss, aber es ist ein Kompromiss, bei dem beides zusammengeführt wird.
Kommen wir einmal zur Verlässlichkeit der Politik; denn das ist schon ein spannender Punkt. Wir leben in einer Demokratie, in der Regierungen unabhängig von wechselnden Mehrheiten Kontinuität von Verwaltungshandeln darstellen sollen. Wir haben eine Landesregierung gehabt, die in verschiedenen Inkarnationen – mal sozialdemokratisch-grün, mal schwarz-gelb – gesagt hat: „Liebe Fraport, bitte seid so nett und legt einen Antrag vor, der den Frieden der Region wahrt und ein Nachtflugverbot vorsieht.“ Das war ein Vorschlag dieser Landesregierung, der in diesem Landtag mehrfach debattiert und bekräftigt wurde. Dazu haben wir mehrfach beschlossen.
Die Landesregierung legt dann einen Planfeststellungsbeschluss vor – ohne das Nachtflugverbot. Ein Verwaltungsgericht sagt, dass diese Position mit Nachtflugverbot möglicherweise haltbar wäre. Und jetzt ist der spannende Punkt, wie wir eigentlich mit Steuermitteln und Legitimation umgehen: Wir geben Steuermittel dafür aus, dass das, was die Mehrheit des Landtags einmal gewollt hat, sozusagen von der Landesregierung bekämpft wird. Das ist politisch inkonsequent und eine Form von Politik, von der ich nicht weiß, wie sie Vertrauen in Politik stärken soll; das ist vielmehr das Gegenteil davon.
An dieser Stelle wäre es relativ logisch gewesen, in Leipzig nicht gegen Kassel zu laufen. Vielmehr sollte man sagen: Das ist eine Entscheidung, die in Hessen getroffen wurde und die wir in Hessen halten. Wer auch immer sich aufgrund dieser Entscheidung beschwert, soll dagegen streiten, allerdings nicht die Landesregierung, die ein Stück weit angezettelt hat, was sie jetzt wieder bekämpft. – Das ist ein Punkt, der so nicht geht.
(Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen, das wissen Sie auch! – Gegenruf von der SPD: Was sagt der Generalsekretär?)
Nächster Punkt. Wenn Sie sich die Umfrage zur Fluglärmbelastung anschauen, stellen Sie fest, 52 % in der Region nehmen ihn als störend wahr, 41 % nicht. Es gibt da einen Zusammenhang; denn wenn gefragt wird, ob der Flughafen gebraucht wird, sagen nur noch 46 % Ja und 37 % Nein. – Das heißt, der Frieden in der Region ist mehr gestört als noch am Anfang des Prozesses.
Erinnern Sie sich einmal an die Zahlen von vor zehn Jahren. Die fielen erheblich besser für den Ausbau aus. In diesem Punkt sage ich einmal, es gibt eine List der Geschichte. Ich will es sehr zugespitzt formulieren. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Frank-Peter Kaufmann hat mit seinem penetranten Beharren auf Lärmschutz mehr für die Akzeptanz dieses Ausbauprojektes getan als die gesamte Landesregierung und die kompletten Regierungsfraktionen.
Das muss man an dieser Stelle einmal so deutlich sagen. Weil das der Punkt ist, werden Sie versagen. Sie tragen nur einen Entscheidungsteil mit, und beim zweiten Teil reden Sie Sonntagsreden. Wenn es um die konkrete Umsetzung geht, dann geben Sie nur saure Milch statt Sahne, und wir brauchen an der Stelle Sahne.
Es gibt einen zweiten Punkt, an dem noch einmal die Frage besteht, wo Verantwortung übernommen wird. Das ist die Frage des Umgangs mit den neuen Flugrouten. Ich gestehe etwas boshaft durchaus ein, dass mir die eine oder andere Beschwerde auch ganz interessant vorkommt, weil es zum Teil die gleichen Leute sind, die vor Jahren gesagt haben: Das können wir doch alles machen, das schadet doch gar nichts. – Sie merken es jetzt selbst. Aber es ist trotzdem ihr gutes Recht, jetzt zu sagen: Es tut uns leid, wir sind belastet.
Es ist die Frage, wie man da mit der Verantwortung umgeht. Man kann sie liegen lassen. Das ist das, was die Landesregierung am Anfang gemacht hat – mit Verlaub, ob Gesundheitsstudie, ob Flughafenrouten, was auch immer, ohne eine lange Debatte im Landtag und ohne lange Drohungen der Opposition, etwas anderes in Gang zu setzen. Von großen Hearings bis sonst wohin hat sich die Landesregierung doch gar nicht bewegt. Das Gleiche gilt bei den Flugrouten.
Man kann diese Verantwortung auch aufnehmen. Das ist inzwischen teilweise mit vernünftigen Verhandlungen – wie ich das finde – geschehen und kann den Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme geben. Oder man geht in den Bereich der politischen Gestaltung. Politische Gestaltung heißt, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Interessen der Bürger in jedem Fall und nicht nur in Einzelfällen gewährleistet werden. Deswegen haben wir Sie bereits zweimal damit behelligt. Das tun wir mit diesem Antrag in einem Unterpunkt ein drittes Mal, da wir wollen, dass der Fluglärm als eine zentrale Abwägungskategorie im Gesetz so festgenagelt wird, dass er mit der Sicherheit gleichberechtigt ist. Sie haben es über die Rahmenbedingungen und nicht bei jeder Einzelheit. Damit haben Sie den Schutz der Bevölkerung sehr viel höher. Das ist Verantwortung wirklich ernst nehmen. An dieser Stelle sind Sie noch ein ganzes Stück weg.
Wir müssen zurzeit noch einmal darüber reden, was unsere Rolle ist. Ein Argument war, der Landtag könne nichts beschließen, was die Verwaltung zu machen hat. Das ist wahr. Das weiß auch jeder. Aber mit Verlaub habe ich keine Absicht, mich als Landtagsabgeordneter wie ein politischer Kastrat zu verhalten. Dieser Landtag hat politische Meinungen zu jedem Thema nicht nur der Landespolitik. Das tun wir auch häufig genug, auch an Stellen, wo wir sie nicht ändern können. Das ist unser gutes Recht, weil wir die repräsentieren, die uns gewählt haben.
Ein Abgeordneter, der sagt, er stellt seine politische Meinung hinter Verwaltungshandeln zurück, hat sich davon verabschiedet, Vertreter der Menschen in diesem Land zu sein. Er versteckt sich hinter einer Verwaltung, von der er hofft, dass er sie irgendwann noch kontrollieren kann.
Wir sind jetzt an dem Punkt, wo das Land Hessen liefern muss. „Land Hessen liefern“ heißt Nachtflugverbot. „Land Hessen liefern“ heißt noch einmal die Flughafenentwicklung deutlich an Lernziele knüpfen. „Land Hessen liefern“ heißt berechenbare Pausen für die Menschen. Diese Ausrechnung der Nachtflüge, dass es weniger werden, das weiß doch jeder. Aber jeder weiß auch, dass jeder Flug in der Nacht einer zu viel ist. Wenn man den Men
schen 100.000 Flüge in den Tagen mehr zumutet, dann muss man eben dafür sorgen, dass sie wenigstens ein paar Stunden Ruhe haben. Das war der Gegenstand der Mediation, und das war der Gegenstand des Nachtflugverbots.
Die Menschen können erwarten, dass eine Regierungskoalition jedenfalls nicht nur ein Interesse vertritt, sondern die Interessen der Menschen, die Arbeit suchen, und die Interessen der Menschen, die unter Lärm leiden. Daran müssen Sie noch ein bisschen arbeiten. – Danke.
Schönen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Müller gemeldet.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Grumbach, ich will auf zwei Punkte hinweisen. Ich weiß nicht, ob Sie nicht zugehört haben. Genau dieser Ausgleich der verschiedenen Interessen ist das Thema gewesen, das ich eben angesprochen und worauf ich einen guten Teil der Zeit verwendet habe. Es geht nicht allein um eine Seite. Wenn man für den Ausbau ist – das können Sie im Protokoll nachlesen –, dann muss man auch zusehen, wie man die Lärmbelastung so weit wie möglich reduzieren kann. Das ist das eine.
Weswegen ich mich zur Kurzintervention gemeldet habe, ist der Vorwurf, dass wir hier Beschlüsse nicht fassen wollen, die gegen Recht und Gesetz verstoßen. Das ist etwas – politischer Kastrat, oder was Sie gerade gesagt haben –, was Sie nicht machen wollen. Kein Vorwurf, und ich will auch keine Schärfe hineinbringen, aber ich will deutlich machen, dass ich es nicht für richtig halte, hier Beschlüsse zu fassen, die nachher von der Verwaltung, die an Recht und Gesetz gebunden ist, nicht umgesetzt werden können. Wenn wir so arbeiten, machen wir den Menschen draußen etwas vor und streuen ihnen Sand in die Augen. Nachher sind sie umso mehr enttäuscht, dass es doch zu einer anderen Entscheidung kommt.
Wenn wir uns als Landtag hinstellen und beschließen, dass die Landebahn in Betrieb genommen werden kann, weil es darauf einen Rechtsanspruch gibt und die Verwaltung daran gar nichts ändern kann, wir aber hier sagen und beschließen, wir wollen alles nicht, und die Verwaltung nachher sagt: „Ja, ja, klar, das könnt ihr machen“, obwohl wir wissen, dass sie gar nicht anders handeln kann, dann halte ich das für gefährlich und nicht für richtig. Deswegen können wir einen solchen Beschluss nicht fassen, abgesehen davon, dass wir die Landebahn auch in Betrieb nehmen wollen.
Es gibt zwei Antworten. Die erste ist das Zitat von Recht und Gesetz. Darauf sind die Sozialdemokraten stolz. Es ist ein Zitat von Holger Börner im Zusammenhang mit einer anderen Flughafenausbaumaßnahme. Die Älteren unter uns werden sich daran erinnern. Da haben wir uns auch schon heftig gestritten.
An dieser Stelle geht es nicht darum zu fragen, ob wir debattieren, was gegen Recht und Gesetz ist. Die Frage ist, ob wir uns als Abgeordnete in einen Punkt zwingen lassen, wo wir unsere politische Meinung, von der wir glauben, dass sie umgesetzt werden muss, und von der wir glauben, dass sie notfalls über eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes auf Bundesebene, wie wir sie in vielen anderen Debatten auch fordern, umgesetzt werden muss, vertreten oder nicht. Ich bin für vertreten statt für schweigen. Das ist schlicht und einfach.
Der zweite Punkt. Ja, ich höre Ihre Zwischentöne bei Ihren Reden wohl. Mein Problem ist nur, ich habe gelernt – ich ersetze einmal das Wort Sonntagsreden durch Mittwochsreden –, mit Mittwochsreden an den Taten die Folgen zu messen. Auf diese Taten warte ich immer noch, was Lärmschutz angeht. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wäre es gerade gegenüber den Rednern der Regierungskoalition nötig, das eine oder andere an Unsinn, was Sie gesagt haben, zurechtzurücken. Dafür ist eigentlich die Zeit zu schade. Herr Kollege Arnold, Herr Kollege Müller – beide reden von 120 Haushalten, die betroffen wären. Sie haben ein paar Mal bei Ihrer Rede die Tausend vergessen. Ich weiß nicht, warum Sie so kleinmütig sind. Es sind immerhin ein paar mehr. Ganz abgesehen davon wird das keinen Lärmschutz, sondern höchstens ein Einsperren bedeuten.
Herr Dr. Arnold, eine Bemerkung muss ich doch noch zu dem von Ihnen beschriebenen Albtraum machen, was wäre, wenn im Herbst 2008 die Regierung gekommen wäre, die wir gemeinsam mit der SPD verabredet hatten. Sie hatten gesagt, es wäre ganz schlimm für Fraport. Ich kann Ihnen eine einfache Antwort geben. Es wäre exakt, und zwar auf den Buchstaben genau, das passiert, was der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat. Exakt das wäre passiert und nichts anderes.
Ihr Albtraum richtet sich offensichtlich auch gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, was man an dem Revisionsverfahren auch sehen kann.