Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Ich begrüße Sie alle herzlich zur 93. Plenarsitzung am heutigen Mittwoch, dem 14. Dezember. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. Sie wissen, dass kurz amtliche Mitteilungen folgen.

Erledigt sind die Punkte 1, 3 bis 7, 12, 56, 59 und 60.

Ich darf darauf hinweisen, dass gestern Nachmittag der Innenausschuss tagte und zu vier Gesetzentwürfen unter Punkt 9 a bis d entsprechende Beschlussempfehlungen abgegeben hat. Die müssten an Sie verteilt worden sein – Aufruf dieser Gesetzentwürfe am Donnerstag.

Weiterhin ist eingegangen ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Energiekonsens stellt Weichen für die Energiepolitik der Zukunft – Umsetzung jetzt gemeinsam angehen, Drucks. 18/5075. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Das ist so. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 61 und könnte anschließend mit Punkt 2, der Regierungserklärung, aufgerufen werden. – So verfahren wir.

Kurze Hinweise zum Ablauf der Sitzung. Wir tagen heute bis ca. 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit Punkt 38, dem Setzpunkt der SPD. Danach folgt Punkt 2, die Regierungserklärung der Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz betreffend „Bei uns hat Energie Zukunft“. Dazu wird Punkt 61 aufgerufen. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 22.

Ich darf mitteilen, dass heute entschuldigt fehlen Herr Staatsminister Jörg-Uwe Hahn, Herr Staatsminister Dieter Posch von 10 bis 14 Uhr und Herr Staatsminister Wintermeyer ab 15:30 Uhr.

Noch ein Hinweis: In der Mittagspause, ca. 13 Uhr, kommt der Haushaltsausschuss in Raum 204 M zusammen.

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Appell der Universitäten ernst nehmen – Notprogramm jetzt – Drucks. 18/5035 –

Dazu wird Tagesordnungspunkt 57 mit aufgerufen:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Eva, hör’ die Signale – Hilferuf der Hochschulen ernst nehmen!“ – Drucks. 18/ 5066 –

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein Titel!)

Ich darf Herrn Grumbach für die SPD-Fraktion das Wort erteilen. Herr Grumbach, vereinbarte Redezeit: zehn Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In dieser vorweihnachtlichen Zeit werden viele Legenden erzählt. Manche bekommen dann plötzlich eine neue Fassung. Vor einem Monat wäre die Zeit für die Legende von Sankt Martin gewesen.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

„Ich erfriere“, rief der Bettler Sankt Martin zu. „Aber du hast doch unterschrieben, dass du mit deiner Kleidung auskommst“, so der bürokratische Reiter. Glauben Sie, irgendjemand würde die Geschichte heute noch so erzählen? – Wir können nicht mehr rufen: Alle Universitäten gemeinsam! – „Ich bin verwundert“, spricht die Wissenschaftsministerin, „die finanziellen Leistungen entsprechen doch genau den Vereinbarungen des Hochschulpakts.“

Gleiche Geschichte. Dass in gut zwei Jahren von dieser Ministerin keiner mehr redet, ist für mich kein Problem. Dass aber Nichtstun der Ministerin auf dem Rücken von 200.000 Studierenden ausgetragen wird, ist ein eklatantes Politikversagen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Man muss, wenn man Sonntagsreden hält – und heute ist nicht Sonntag –, bitte schön, die Konsequenzen im Alltag ziehen. Man kann nicht in Sonntagsreden die Jugendlichen zum Studieren auffordern. Ich zitiere: „Jugendliche aus Elternhäusern, in denen es bisher keine akademische Bildungstradition gibt, müssen verstärkt für ein Hochschulstudium gewonnen... werden.“

Meine Damen und Herren von der CDU, das haben Sie vor exakt einem Monat in Leipzig beschlossen. Wer Hessens Hochschulen anschaut, der sieht, Sie wollen dieses Versprechen nicht halten, sondern Kirchen und Kinos als Hörsäle, überfüllte Veranstaltungen sind Ihre Hochschulpolitik. Wie zusätzlich Menschen aus anderen Schichten dazukommen sollen, das müssen Sie mir irgendwann einmal erklären.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Ale- xander Bauer (CDU))

Was bringt Sie, die Sie immer stolz auf Ihre Rechenkünste sind, eigentlich auf die Idee, man könne 13 % mehr Studierende in zwei Jahren verkraften, ohne dass die Hochschulen dafür zusätzliches Geld erhalten? Welcher Rechner hat Ihnen erklärt, dass das funktionieren kann? Dabei sind die G-8-Jahrgänge aus Hessen noch nicht dabei. – Wer einen solchen Zuwachs an den Universitäten mit dem gleichen Geld bewältigen will, der sorgt dafür, dass die Qualität, die sich die Hochschulen in den letzten Jahren mühsam erarbeitet haben, ruiniert wird. Auch das ist Politik dieser Landesregierung.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Frau Ministerin, dafür sind Sie persönlich verantwortlich. Ich sage dazu, das ist nicht nur eine Frage der Bildungspolitik.

(Holger Bellino (CDU): Wie viel Geld haben Sie denn hineingesteckt?)

Nach dem alten Wirtschaftswissenschaftler Mackenroth gilt: Volkswirtschaften können nicht sparen, außer in zwei Dingen; sie können sparen in langlebiger Infrastruktur, und sie können sparen durch Investitionen in Wissen von Menschen. – Meine Damen und Herren, an dieser Stelle schaden Sie nicht nur der Bildung. Sie schaden auch diesem Wirtschaftsstandort. Ich komme darauf noch einmal zurück.

Ich kenne alle Ihre Argumente. Wir hören sie jedes Mal, sie helfen nur nicht. Ja, die Hochschulen waren 1999 unterfinanziert. Ja, Sie haben Geld in die Hand genom

men. Das Problem ist nur, an der Unterfinanzierung hat sich nichts geändert. Das genau ist Ihr Problem. Die Ausgaben pro Studierenden betrugen kostendeckend im Wintersemester 1998/99 7.637 €. Die Ausgaben pro Studierenden betragen im Wintersemester 2011/12 7.487 €.

Das heißt, innerhalb Ihrer Regierungszeit sind die Ausgaben pro Studierenden nicht gestiegen, sie sind gesunken. Darunter leiden die Lehrer an den Hochschulen. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern. Wir müssen es jetzt ändern, weil der Zustrom an den Hochschulen jetzt besteht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich will die Vergleichsmaßstäbe nur noch einmal werten. Wenn man die Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt rechnet, sind sie in etwa konstant. Der Kollege Müller hatte in der letzten Debatte, die wir zu diesem Thema führten, gesagt: Na ja, aber die Ausgaben, relativ zur Bevölkerung, sind ein bisschen gestiegen. – Der spannende Punkt ist: Was ist das für eine Aussage für eine Partei, die behauptet, sie sei eine wirtschaftssachverständige Partei?

Wie funktioniert eigentlich das mit dem hohen Bruttoinlandsprodukt in Hessen? Das hohe Bruttoinlandsprodukt in Hessen wird unter anderem dadurch erwirtschaftet, dass es qualifizierten Unternehmen gelingt, aus den Hochschulen hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu binden. Das heißt, von den überdurchschnittlichen Studierendenzahlen in Hessen profitiert die hessische Wirtschaft. Wenn Sie sagen: „Na ja, uns ist das egal, wie das relativ zum Bruttoinlandsprodukt oder zur Zahl der Studierenden ist“ – es geht um die Bevölkerungszahl –, dann tun Sie so, als sei das Wirtschaftswachstum in Hessen von der Bevölkerungszahl abhängig. Nein, es ist von der Qualifikation abhängig. Genau die aber schädigen Sie mit dieser Art von Hochschulpolitik.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wie Sie die Qualität absenken wollen, das hat die letzte Hochschuldebatte gezeigt. In dieser Debatte hat der Sprecher der CDU Sätze formuliert – ich habe es im Protokoll nochmals nachgelesen – wie: „Humboldt ist doch ein bisschen veraltet“.

Eine solche Debatte leitet die Trennung von Forschung und Lehre ein. Das ist die Rationalisierungsdebatte an den Hochschulen. Das ist die Debatte: Wir machen Lehrprofessuren in großem Ausmaß, damit bewältigen wir diese Zahlen schon; und die Forschung findet davon abgetrennt statt.

Meine Damen und Herren, das ist der Abschied von den Qualitätsmerkmalen der deutschen Hochschule. Die gemeinsame Produktion von Wissen, an der Studierende und Lehrende gemeinsam arbeiten, um Wissen zu produzieren, indem die Studierenden mehr lernen als in verschulten Hochschulen: Das ist das Qualitätsmerkmal deutscher Universitäten. Wer an dieser Zusammenführung von Lehre und Forschung rüttelt, weil er kein Geld in die Hand nehmen will, der senkt die Qualität. Auch das ist ein zentraler Skandal hessischer Hochschulpolitik.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Angela Dorn und Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

An dieser Stelle will ich sagen: Ich mache den Hochschulen keinen Vorwurf. Die versuchen, das mit allen Mitteln

in den Griff zu bekommen. Sie schaffen es auch. Die Ministerin hat voll Begeisterung dazu gratuliert, dass die Hochschulen jetzt im Wettbewerb für die Lehre nochmals viel Geld erhalten haben. – Ja, aber das ist nicht die Anstrengung dieser Landesregierung,

(Ministerin Eva Kühne-Hörmann: Doch!)

das ist die Anstrengung von Hochschulen, die überlastet sind, trotz dieser Situation qualifizierte Angebote zu machen. Genau das ist der Punkt, um den es geht.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Angela Dorn und Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was diese Landesregierung besser als alle anderen kann, das ist Werbung. Dass Sie es schaffen, ein Forschungsprogramm wie LOEWE, das bundesweit nur Durchschnitt ist – Berlin hat mehr Forschungsausgaben als das große Bundesland Hessen –, so zu verkaufen, ist eine Glanzleistung. Das kann ich durchaus würdigen. Dass Sie inzwischen planen, das auf Kosten der Mittel der Hochschulen zu machen, ist ein Punkt, an dem ich irgendwann politisch die Frage der Veruntreuung von Hochschulgeldern stellen wollte – aber das können wir ein anderes Mal debattieren.

Es geht nicht um Werbung, sondern es geht darum, die Hochschulen für Lehre und Forschung so auszustatten, dass die Grundfinanzierung angesichts der Studierendenzahlen gesichert ist. Wer das nicht tut, schadet der Bildung und dem Wirtschaftsstandort Hessen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, als ich viel jünger war, gab es eine große Tunix-Bewegung. Die war kreativ und hat beschrieben, wie die Zukunft funktionieren soll. Ich habe den Eindruck, heute ist die Tunix-Bewegung konservativ und in der Regierungsverantwortung angekommen. Sie sehen das an der hessischen Wissenschaftsministerin: Die sollte endlich etwas tun. Das Land Hessen hat es dringend nötig. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Bei Ihnen war das ein Steinbruch!)

Herr Grumbach, vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Dr. Müller zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Grumbach, selbst als Weihnachtsmann und Engel sind Sie eine Fehlbesetzung.

(Heiterkeit bei der CDU)

Was Sie hier dargestellt haben, zeigt Ihre tief verwurzelte Verankerung in der Tunix-Bewegung. Deswegen kann ich das eine oder andere Ergebnis der Wahlen zum Bundesvorstand der SPD inzwischen auch nachvollziehen.