Es gibt ein großes Bedürfnis, einiges zu ändern – nicht alles, aber einiges. Das sollte man wahrnehmen und ernst nehmen und sich dann auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen. CDU und FDP und die Hessische Landesregierung machen das nicht – DIE LINKE ist schon lange dabei. – Danke.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir nun zur Aussprache über die Große Anfrage zum Thema Landwirtschaft in Hessen kommen – wiederholt angesetzt und wiederholt verschoben –, bedanke ich mich als Erstes recht herzlich bei der Landesregierung für die umfangreiche und detaillierte Beantwortung dieser Großen Anfrage.
Ich glaube, dass wir als hessische und als deutsche Landwirtschaft schon eine Standortbestimmung brauchen. Wir brauchen eine Standortbestimmung, die uns auf der einen Seite hilft, eine gemeinsame Position mit der Europäischen Kommission, aber in Teilen auch gegen die Europäische Kommission bei der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 zu finden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass – anders, als man es verkünden zu müssen glaubt – auch Bundesländer noch einen agrarpolitischen Spielraum haben. Sie können noch gestalten, und diese Möglichkeiten sollten wir, auch wenn sie begrenzt sind, nutzen.
Deshalb bin ich als Erstes dankbar, dass alle Vorredner der hessischen Landwirtschaft ein Lob ausgesprochen haben. Alle haben das Wirken der hessischen Landwirtinnen und Landwirte gelobt. Das ist etwas, worauf die Landwirtschaft stolz sein kann.
Wenn wir heute über die weiteren Gestaltungsspielräume diskutieren, so tun wir dies vor dem Hintergrund, uns überlegen zu müssen: Zum Ersten, wie die Stellung der hessischen Landwirtschaft in unserem Wirtschaftsgefüge aussieht. Zum Zweiten, wie das Potenzial für eine regionale Nahrungsmittelproduktion für unsere hessischen Mitbürgerinnen und Mitbürger darzustellen ist. Zum Dritten, was die Landwirtschaft als Beitrag zur Energiewende oder auch bei dem Thema der dezentralen Energieversorgung in Hessen leisten kann. Einiges dazu ist bereits im vorherigen Tagesordnungspunkt gesagt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir Landwirtschaftspolitik nur an Stichworten festmachen, etwa wie hoch ihr Anteil am Bruttosozialprodukt, an der Wirtschaftskraft oder an der Wertschöpfung ist, dann werden wir der Landwirtschaft nicht gerecht. Wir haben auch in den Redebeiträgen zuvor gehört, wie wichtig es ist, Landwirtschaft innerhalb der Wertschöpfungskette in unserem Bundesland in den vor- und nachgelagerten Bereichen zu sehen – den sogenannten Agrobusiness-Berei
chen, vom Saatguthersteller bis zum fertigen Brot in der Ladentheke – und festzuhalten, welche Rolle Landwirtschaft dabei spielt, welche Wertschöpfung sie dabei hat und auch anderen Berufszweigen in unserem Bundesland ermöglicht; das darf man nicht vergessen. Letztendlich ist Landwirtschaft ein äußerst wichtiger Faktor im Wirtschaftskreislauf, ganz besonders der ländlichen Räume.
Landwirtschaft ist im ländlichen Raum nicht nur ein Produzent, nein, sie ist auch etwas, das Dienstleistungen nachfragt und Aufträge vergibt. Und Landwirte reisen in der Regel mit dem von ihnen erwirtschafteten Geld nicht nach Mallorca, um es in der Sonne zu verbraten, sondern investieren es in ihre Betriebe, in ihre Maschinen und ihre Gebäude – das ist Wirtschaftsförderung für den ländlichen Raum hoch drei.
Dazu kommen unbezahlte Leistungen, die von Herrn Lotz angemahnt worden sind, welche die Landwirtschaft schon heute erbringt, nämlich die in dem vorhin hier – vielleicht widerrechtlich – hochgehaltenen Buch zur Energiewende gezeigten Landschaftsbilder. Wer hat diese Landschaft denn gestaltet? – Das waren Land- und Forstwirte. Das ist eine Selbstverständlichkeit für die Landwirtschaft.
Wer pflegt diese Landschaften? – Das sind auch die Landund Forstwirte, die damit ein lebenswertes Umfeld schaffen – darauf komme ich nachher noch einmal zurück –, und sie tun das in weiten Teilen kostenlos für die Allgemeinheit.
Wenn wir über Fördermittel und die Verteilung von Fördergeldern sprechen, sollten wir das in einem Stil tun, bei dem wir nicht sagen, dass es eine gute oder eine schlechte Förderung ist. Nein, wir müssen dem Steuerzahler – dem gegenüber ist die Landwirtschaft ganz offen – deutlich machen, was wir wollen, wohin die Reise gehen kann, und dürfen ihm kein X für ein U vormachen, in welchem wirtschaftlichen Umfeld sich auch die hessische Landwirtschaft befindet.
Frau Schott, ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, dass wir uns in einem weltweiten Agrarmarkt befinden. Das kann man wollen oder nicht wollen, aber das ist nun einmal so. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Damit muss sich auch die hessische Landwirtschaft auseinandersetzen. Dennoch werbe ich an dieser Stelle für faire Preise für landwirtschaftliche Produkte in der gesamten Welt. Das gilt aber auch für die Landwirte in Hessen. Auch das muss man einmal ganz deutlich sagen.
Es ist abstrus, wenn ich den Preis von einem Liter Sprit, von einem Liter Super oder von einem Liter Diesel, mit dem Preis von einem Liter Milch oder anderer Produkte vergleiche. Ich glaube, dass Nahrungsmittel in ihrer Wertstellung innerhalb der Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten ganz klar benachteiligt worden sind. Es sollte immer nur Billigware sein. Es sollte nicht mehr das sein, was es eigentlich einmal war, nämlich Mittel zum Leben, also Lebensmittel. Der Kollege May hatte dies dankenswerterweise angesprochen.
Die Europäische Union ist unter anderem deshalb gegründet worden, um die Menschen in Europa satt zu ma
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)
Das ist dankenswerterweise auch deshalb gelungen, weil Landwirte so gearbeitet haben, wie sie gearbeitet haben. Damals hat ein Landwirt zwischen fünf und zehn Leute ernährt. Heute ernährt ein Landwirt – je nachdem, wie man rechnet – zwischen 130 und 160 Personen. Das ist Tatsache. Diese Ernährung geschieht auf einem qualitativen Niveau, das es noch nie zuvor gegeben hat.
Die Ernährung erfolgt heute zu Preisen – das kann ich mit Blick auf eigene Abrechnungen sagen –, die heute das Niveau von 1954 wieder erreicht haben. In den vergangenen Jahren haben wir dieses Niveau sogar unterschritten. Wenn man über Landwirtschaft redet, muss man auch das berücksichtigen.
Man muss aber auch die gesellschaftliche Diskussion über Verbraucherschutz und über Qualitätssicherheit von Nahrungsmitteln berücksichtigen. Ich warne davor, zu sehr zwischen Biowaren und konventionell hergestellten Waren zu unterscheiden. Ich glaube, die vergangenen Jahre haben bewiesen, dass der Verbraucher den Fokus etwas verschiebt. Er will wissen, woher die Ware kommt. Kommt die Ware aus der Region? Diese Frage wird heute öfter gestellt als die Frage, ob die Ware Bio ist oder konventionell erstellt worden ist.
Dann kommen wir zur gesellschaftspolitischen Frage: Warum ist der Apfel aus Neuseeland, auf dem „Bio“ draufsteht, was aber niemand nachvollziehen kann, wertvoller als der Apfel aus dem Taunus, der vor der Haustür wächst und von dem jeder weiß, wo er herkommt? Diese Frage müssen sich der Markt und auch die Gesellschaft insgesamt stellen. Horst Klee kennt das und kann aus eigener Erfahrung berichten.
(Horst Klee (CDU): Der Apfel aus dem Taunus kann nicht mit dem Apfel aus Neuseeland konkurrieren, weil er viel später kommt!)
Wenn wir über Selbstversorgungsgrade reden, dann muss man doch die Frage stellen, ob wir zu jeder Zeit jedes Lebensmittel brauchen. Brauchen wir Erdbeeren zu Weihnachten? Ich will das niemandem verbieten, aber diese Frage muss man sich einmal stellen.
In Hessen haben wir einen Selbstversorgungsgrad von 54 % bei Milch, von 50 % bei Rindfleisch, von 20 % bis 30 % bei Schweinefleisch und – man höre und staune – von 20 % bei Eiern. Daran erkennen wir, dass wir auf Warenströme aus anderen Bereichen angewiesen sind.
Wenn wir wollen, dass die hessische Landwirtschaft in diesem Konzert mitspielt, dann müssen wir auch die Potenziale für die hessischen Bauern nutzbar machen. Ich will zwei gravierende Punkte nennen.
Da der erste Punkt, nämlich der Flächenverbrauch, bereits angesprochen worden ist, will ich dazu nichts weiter sagen. Das kann ich nur bekräftigen. 40 % der Flächen sind aber mit Auflagen versehen. Diese unterliegen Naturschutz-, Wasserschutz- oder sonstigen Auflagen, sodass Landwirte nicht so wirtschaften können, wie sie wollen. Dabei sind sie an Vorgaben gebunden, Herr Kollege Lotz.
Herr Kollege, ich habe das mit dem Ende Ihrer Redezeit ernst gemeint. Sie haben Ihre Redezeit schon zwei Minuten überzogen. Ich müsste Ihnen eigentlich das Wort entziehen. Wie halten wir es? Sprechen Sie noch einen Satz, oder hören wir auf?
Ich möchte mich dafür bedanken, dass wir so offen, ehrlich, aber auch fachlich und sachlich miteinander diskutieren. Das werden wir in der nächsten Sitzung des Umweltausschusses fortsetzen. Gegebenenfalls werden wir dann wieder im Parlament vorstellig werden, wenn wir daraus weitere Forderungen ableiten. – Ich bedanke mich, dass ich überziehen durfte.
(Beifall bei der FDP und der CDU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kürzer ging es einfach nicht!)
Lieber Herr Kollege Heidel, herzlichen Dank für diese sehr kurze Wendung zum Ende hin. – Frau Kollegin Wissler, wünschen Sie das Wort?
(Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, das ist ein anderer Punkt! Ich rede zu vielem, aber nicht zu allem!)
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir die Entwicklung in der Landwirtschaft betrachten, so muss man auf mehrere Dinge hinweisen. Zunächst einmal hat sich die Landwirtschaft heute vielfältigen Herausfor
Schauen Sie sich einmal den Bereich der Ernährungssicherheit sowie all das an, was mit der Energiewende verbunden ist. Schauen Sie sich einmal die Bereiche Klimaschutz und Umweltschutz an. Dies sind Dinge, die die Landwirtschaft in besonderer Weise herausfordern.
Es ist vollkommen richtig, die Agrarpolitik ist in den vergangenen 50 Jahren immer weiterentwickelt worden und muss auch weiterentwickelt werden. Sie muss deshalb weiterentwickelt werden, weil wir heute eine Welt haben, die anders aussieht, als sie noch vor einigen Jahren ausgesehen hat. Die Weltbevölkerung von heute 7 Milliarden Menschen wird in wenigen Jahren auf 9 Milliarden Menschen ansteigen. Das ist eine sehr große Herausforderung, die die Landwirtschaft insgesamt zu bewältigen hat.