Protokoll der Sitzung vom 23.03.2017

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Debatte beendet.

(Zuruf: Was ist mit der Zwischenfrage von Herrn Frömmrich? – Gegenruf: Eine Zwischenfrage kann man nur während einer Rede stellen!)

Ich habe es nicht mitbekommen, dass Herr Frömmrich sich gemeldet hat. – Frau Wissler, hätten Sie eine Zwischenfrage zugelassen?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn Herr Frömmrich eine Frage stellen möchte, beantworte ich sie gerne!)

Jetzt geht es nicht dauernd hin und her.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Drucks.19/4661. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Zeichen. – Das ist die Fraktion der CDU, das ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Fraktionen von Freien Demokraten und DIE LINKE. Damit ist der Antrag beschlossen.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, darf ich daran erinnern, dass der Wahlausschuss zur Wahl der richterlichen Mitglieder nun sofort, d. h. unmittelbar im Anschluss an diese Sitzung, im Kabinettszimmer zusammenkommt.

Außerdem möchte ich noch einmal daran erinnern, dass die Informationsveranstaltung über die Baumaßnahme zur Schlosssanierung und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen in ca. zehn Minuten in Raum 115 S beginnt.

Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung von 13:53 bis 15:01 Uhr)

Meine Damen und Herren, bevor wir wieder in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Festnahme des Journalisten Deniz Yücel ist Zeugnis einer besorgniserregenden Entwicklung in der Türkei, Drucks. 19/4720. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 60 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 27 aufgerufen werden. – Das machen wir so.

Weiterhin eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Integration von Flüchtlingen gemeinschaftlich gestalten, Drucks. 19/4721. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird dieser zu Tagesordnungspunkt 61 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 13 aufgerufen werden.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Hessen, Drucks. 19/4722. – Auch hier bejahen wir die Dringlichkeit. Dann wird dieser zu Tagesordnungspunkt 62 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit den Tagesordnungspunkten 27 und 53 aufgerufen werden.

Weiter ist eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Hochschulstandorte in Hessen profitieren von Förderangeboten zur Schaffung von bezahlbarem studentischen Wohnraum, Drucks. 19/4723. – Auch hier bejahen wir die Dringlichkeit. Dann wird dieser zu Tagesordnungspunkt 63 und kann – dem widerspricht niemand – mit Tagesordnungspunkt 14 aufgerufen werden.

Wir kommen dann jetzt zu Tagesordnungspunkt 27:

Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und der FDP betreffend Freilassung des Journalisten Deniz Yücel – Drucks. 19/4663 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 53:

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend keine Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Hessen – Drucks. 19/4700 –

sowie Tagesordnungspunkt 60:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Festnahme des Journalisten Deniz Yücel ist Zeugnis einer besorgniserregenden Entwicklung in der Türkei – Drucks. 19/4720 –

sowie Tagesordnungspunkt 62:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Hessen – Drucks. 19/4722 –

Auch wenn wir jetzt viele Tagesordnungspunkte haben, beträgt die vereinbarte Redezeit fünf Minuten. Als Erstem erteile ich dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Schäfer-Gümbel, das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern in seiner Antrittsrede im Deutschen Bundestag formuliert: „Mut ist der Antrieb der Demokratie“.

Der „Welt“-Journalist Deniz Yücel hat Mut gehabt, indem er kritisch über die Türkei und die Politik des türkischen Präsidenten berichtet hat. Schon da stimmt etwas nicht. Denn es darf nicht sein, dass man Mut braucht, um sein

Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit auszuüben.

(Allgemeiner Beifall)

Viele Bürgerinnen und Bürger Flörsheims und der Bundesrepublik Deutschland haben sich in den letzten Wochen mit Deniz Yücel solidarisiert, gegen seine Festnahme protestiert und Rechtsstaatlichkeit gefordert. Die Stadtverordnetenversammlung seiner Heimatstadt Flörsheim hat sich einstimmig und über alle Parteigrenzen hinweg mit ihm solidarisiert. Diesem Beispiel sollten wir heute folgen – gemeinsam und einstimmig. Darum bitte ich Sie am heutigen Tag.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Die Bundesregierung und viele andere politisch Verantwortliche versuchen im Fall Deniz Yücel eine Lösung zu erreichen und ihn aus dem türkischen Gefängnis zu holen. Auch wir appellieren heute erneut an die türkische Regierung, die Grundsätze des Rechtsstaates zu wahren und Deniz Yücel freizulassen. Wir appellieren an die türkische Regierung, weil es keinen Anlass gibt, daran zu zweifeln, dass in der Türkei die Regierung erheblichen Einfluss auf die Verfahren der Justiz nimmt.

Es gäbe heute viele Gründe, ganz grundsätzlich über die Lage in der Türkei, über die türkisch-deutschen Beziehungen, über den Stand und die Versäumnisse der Integrationspolitik in unserem eigenen Land, über Respekt und Anstand im gegenseitigen Miteinander, über das Referendum in der Türkei und die Wahlkampfauftritte und -ausfälle von AKP-Politikern, über gezielte Provokationen um des eigenen Vorteils willen, über inakzeptable Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin zu reden.

Aber – und das ist mir am heutigen Tag wichtig, auch mit Blick auf andere parlamentarische Initiativen am heutigen Tag zu diesem Tagesordnungspunkt – darum geht es heute nicht. Hier und heute geht es um Deniz Yücel als Mensch, als Journalist und als Mitbürger unseres Landes.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Es geht um die Bedeutung und die Rolle der Presse- und Meinungsfreiheit für die demokratische Gesellschaft. Deniz Yücel – auch das will ich heute betonen – steht deshalb heute auch stellvertretend für rund 150 Journalistinnen und Journalisten, die derzeit inhaftiert sind.

Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur von „Cumhuriyet“, hat mich anlässlich eines persönlichen Gesprächs am Rande der Frankfurter Buchmesse darum gebeten, dass wir, die politischen Entscheidungsträger, die Kontakte und Beziehungen zur Türkei nicht abreißen lassen. Denn dann habe, so seine feste Überzeugung, Präsident Erdogan bereits gewonnen.

Deswegen, weil Can Dündar recht hat, begrüßen wir jede politische Delegation, die derzeit in die Türkei reist. Ich richte die Bitte wirklich inständig an uns alle, darin nicht nachzulassen. Wir dürfen gerade jetzt in dieser Phase nicht nachlassen, den Journalistinnen und Journalisten und den Oppositionspolitikern der Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken angesichts des Drucks, dem sie ausgesetzt sind.

(Allgemeiner Beifall)

Die Istanbuler „Welt“-Korrespondentin Zia Weise hat am 23. Februar 2017 in einem Beitrag unter der Überschrift „Das größte Gefängnis der Welt …“ formuliert:

Selbstzensur oder Haft: Der Fall Yücel zeigt die schwierigen Bedingungen, unter denen Reporter in der Türkei arbeiten. Und die Menschen haben immer mehr Angst, zu reden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern nicht nur über Mut gesprochen. Das vollständige Zitat lautet: „Mut ist der Antrieb der Demokratie, so wie Angst der Antrieb der Diktatur ist.“

Unsere Verantwortung ist es, so lange öffentlich über Deniz Yücel, Can Dündar, Raif Badawi und all die anderen, denen Unrecht widerfährt und droht, zu reden, bis die Angst überwunden ist. Einen Anfang dafür können wir heute mit einer gemeinsamen Abstimmung machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Danke, Herr Schäfer-Gümbel. – Für die LINKEN erteile ich ihrem Fraktionsvorsitzenden Willi van Ooyen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem die Bundesregierung löblicherweise elf Rüstungslieferungen in die Türkei ablehnte, droht nun Erdogan zusätzlich den Europäern. Er droht damit, nicht weiter in Wahlkampfeinsätzen nach Europa kommen zu wollen. Deshalb, meine ich, ist der Antrag der FDP heute ein wenig überflüssig. Aber gut.

In der Türkei wächst gegenwärtig ein Präsident zum Diktator. Das verschärft eine aggressive Politik, die auf Spaltung, Verfolgung, Einschüchterung, Inhaftierung und Menschenrechtsverletzungen setzt und zugleich außenpolitisch provokativ wie konfrontativ geworden ist.

Als Unterstützer von ISIS und Al-Nusra-Front und gegen die kurdischen Widerstandskämpfer stellt das Regime Erdogan Logistik und Waffen zur Verfügung. Erdogan wird gleichsam als NATO-Partner mit Rüstung und Industrie beschenkt – ein Journalist namens Can Dündar deckte dies auf und wird zum Staatsfeind erklärt.

Im Südosten der Türkei führt er Krieg und bewirkt Massenvertreibungen von einer halben Million Kurden und wird von Rheinmetall mit Panzerfabriken belohnt. Die Rüstungsexporte in die Türkei beliefen sich 2016 auf 92,2 Millionen €. Nicht nur Erdogan und sein Regime begehen autokratische Frevel, die Bundesrepublik ist somit ein aktiver Drahtzieher. – Ich finde, Waffenlieferungen sind kein Beitrag zum Dialog, sondern zum Unfrieden. Deswegen müssen sie gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Erdogan hetzt gegen Oppositionelle, unabhängige Journalisten und kritische Juristen. Politische Gegner erklärt er zu Terroristen und zu Sympathisanten der Putschisten. Er kriminalisiert sie, versucht sie einzuschüchtern und lässt sie einsperren. Justiz und Presse in der Türkei sind bereits weitgehend gleichgeschaltet.

Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden rund 150 Medien geschlossen und weit über 100 Journalisten verhaftet – nicht zuletzt Deniz Yücel von der Tageszeitung „Die Welt“. Von der deutschen Bundesregierung verlangen wir ein entschiedenes Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit sowie für die Freilassung aller inhaftierten Autoren, Journalisten und auch gewählter Abgeordneter und Bürgermeister.