Willi van Ooyen
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! In dieser Aktuellen Stunde beschäftigen wir uns damit, dass das Land Hessen 200 Stellen der Steuerverwaltung in den ländlichen Raum verlagert und perspektivisch 400 weitere Stellen in den ländlichen Raum verlagert werden sollen.
Gleichwohl ist es mir deutlich wichtiger, dass gerade die Steuerverwaltung überhaupt mit ausreichend Personal ausgestattet ist, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Aber sei es drum. Das Land Hessen hat viel zu wenig getan, um die Steuerverwaltung ausreichend auszustatten. Die Folgen der verfehlten Personalpolitik in Hessen schiebt die Landesregierung gern auf die demografische Entwicklung. Wie gesagt: Sei es drum. Tatsächlich habe ich wenig dagegen einzuwenden, die Steuerverwaltung in Hessen gut auszustatten und im ländlichen Raum präsent zu machen.
Die Regierungsfraktionen gehen gleich so weit, dass sie dadurch den ländlichen Raum gestärkt sehen. Ich zitiere:
Arbeit in die Heimat und zu den Menschen bringen …
So lautet der etwas blumige Titel dieser Aktuellen Stunde.
Wenn Sie tatsächlich etwas für den ländlichen Raum in Hessen tun würden, dann hätten wir diese Aktuelle Stunde gar nicht nötig. Dann wäre eine gut aufgestellte Steuerver
waltung im ländlichen Raum schon heute eine Selbstverständlichkeit.
In Hessen aber erklären die Regierungsfraktionen die Steuerverwaltung fast zum zentralen Element ihrer Strukturförderung für den ländlichen Raum. Dabei braucht man viel mehr als eine funktionierende Steuerverwaltung im ländlichen Raum.
Was wir in Hessen viel mehr brauchen als diese Debatte um die Steuerverwaltung, ist eine ordentliche Versorgung im ländlichen Raum. Dort fehlen nämlich Ärzte und Fachärzte. Die Kommunen müssen Gebühren, Abgaben und Beiträge erhöhen. Es fehlt an Mitteln für den Erhalt der Infrastruktur und für die Versorgung der Alten und Kranken. Auch die Kinderbetreuung gestaltet sich im ländlichen Raum oftmals schwieriger.
Hier müsste sich die Landesregierung kümmern, anstatt dass wir hier über die Steuerverwaltung im ländlichen Raum reden. Meine Damen und Herren, das ist leider wieder eine der Debatten, in denen Sie über Selbstverständlichkeiten reden, die in Hessen keine sind, nur um nicht darüber reden zu müssen, was in Hessen endlich alles besser laufen müsste.
Wie gesagt, den ländlichen Raum zu stärken, ist richtig. Das aber an der Stärkung der Steuerverwaltung festzumachen, ist Unsinn. Sorgen Sie dafür, dass der ländliche Raum und die Kommunen in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Sorgen Sie dafür, dass auch der ländliche Raum eine moderne Infrastruktur und eine ordentliche Versorgung mit Dienstleistungen sowie kulturellen und öffentlichen Leistungen erhält. Das ist die Aufgabe, über die wir hier diskutieren sollten. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf dem bereits angesprochenen Sondertreffen der europäischen Staatsund Regierungschefs in Rom zum 60. Jubiläum der sogenannten Römischen Verträge von 1957 soll eine Erklärung über die weitere Zukunft der Union nach dem Austritt Großbritanniens verabschiedet werden. Dass die weitere Entwicklungsrichtung des europäischen Verbundes strittig ist, ist evident und bleibt sicherlich das Problem.
Angesichts des anstehenden Austritts Großbritanniens – immerhin der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas mit ca. einem Achtel der Bevölkerung der gegenwärtigen Europäischen Union mit den 28 Mitgliedstaaten – wird sich sowohl das globale Gewicht als auch das interne Gleichgewicht in der Union verändern. Seit dem britischen Referendum sind die politischen und wirtschaftlichen Konflikte und Erscheinungen der Desintegration in der EU nicht geringer geworden.
Das spüren die Menschen, besonders diejenigen, die von der EU durch grenzenlose Reisen, durch einheitliche Wäh
rungen, durch Niederlassungsfreiheit bis hin zur doppelten Staatsbürgerschaft profitiert haben. Diese Besitzstände werden nun sonntags auf der Straße verteidigt. Die Demonstranten wenden sich auch gegen um sich greifenden Nationalismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und neue Mauern und Grenzbefestigungen in vielen Ländern Europas. Das ist erfreulich.
Der Kampf gegen rechte Ideologien und Gewalt kann aber nur gewonnen werden, wenn die EU einen europäischen Neuanfang wagt, wenn klar ist, welches Europa wir meinen. Hierfür braucht es einen klaren Bruch mit der bestehenden Politik, die auf Kapitalfreiheit und Sozialabbau setzt und Demokratie und Freiheitsrechte als nationale Accessoires missachtet.
Wer über Menschenrechte und Demokratie spricht, der darf über Abschottung und Aufrüstung nicht schweigen. Wer wegschaut, der macht mit.
Der Gründungsgedanke einer europäischen Staatengemeinschaft war, dass Europas Länder nie wieder Krieg gegeneinander führen sollten und alle Menschen nach den Werten der Menschlichkeit und der Demokratie in Freiheit, Wohlstand und Frieden leben können.
60 Jahr später hat das Projekt der Europäischen Union seine Strahlkraft verloren. Die herrschende Politik befeuert soziale Spaltungen und wirtschaftliche Ungleichheit. Mich beunruhigt, wie ideenlos und kalt die EU-Regierungen das europäische Projekt steuern.
Statt Europa zum Zentrum der Kreativität, Weltoffenheit und der Freiheit zu machen, herrschen unter den EU-Regierungen Ideenlosigkeit und Frust.
Die Frage nach der Zukunft Europas bewegt nicht nur die politische Klasse, sondern schlägt sich auch in der Bewertung der Bevölkerung nieder. Angesichts der schwierigen politischen Großwetterlage und der Krisen in Europa ist es bemerkenswert, dass die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur EU in Deutschland und europaweit – wenn auch nur leicht, aber immerhin – zunimmt.
Die unübersehbaren Differenzen zwischen den Regierungen in den EU-Staaten verhindern eine Verständigung für eine Antikrisenpolitik, die notwendig wäre. Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Rom kann angesichts dieses Lavierens und der politischen Differenzen im Rat bestenfalls der Auftakt für eine Grundsatzdebatte sein. Die Aussichten auf eine Überwindung der politischen Blockade in der EU sind nicht gut.
Flüchtlinge und Migranten werden hier bei uns angegriffen, und Unterkünfte werden angezündet. Rassistische Hetze auch aus der Mitte der Gesellschaft wird schließlich in Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik umgesetzt.
Wir als LINKE stehen für Solidarität mit Geflüchteten statt der aktuellen Abschreckungs-, Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik. Wir sagen Nein zur Asylrechtsverschärfung und wollen, dass ein anderes Gesetz umgesetzt wird.
Wir als LINKE stehen für Solidarität mit Geflüchteten statt der aktuellen Abschreckungspolitik. Wir sagen: Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen. DIE LINKE kämpft international gemeinsam mit sozialen Be
wegungen gegen die Militarisierung der EU. Wir treten dafür ein, Auslandseinsätze zu beenden und Rüstungsproduktionen und Exporte zu verbieten.
Statt auf einen weiteren Ausbau einer Militärmacht EU setzen wir auf ein friedliches und ziviles Europa. Wir sollten für ein Europa der Liberté, Egalité, Fraternité, den Zielen der Französischen Revolution, gemeinsam auf die Straße gehen, für ein Europa, das größer ist als die EU und keine Region ausgrenzt.
Ich komme zum Ende. – Ich kann mir ein grenzenloses Europa von Wladiwostok bis Lissabon gut vorstellen. Dafür, so meine ich, lohnt es sich zu kämpfen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem die Bundesregierung löblicherweise elf Rüstungslieferungen in die Türkei ablehnte, droht nun Erdogan zusätzlich den Europäern. Er droht damit, nicht weiter in Wahlkampfeinsätzen nach Europa kommen zu wollen. Deshalb, meine ich, ist der Antrag der FDP heute ein wenig überflüssig. Aber gut.
In der Türkei wächst gegenwärtig ein Präsident zum Diktator. Das verschärft eine aggressive Politik, die auf Spaltung, Verfolgung, Einschüchterung, Inhaftierung und Menschenrechtsverletzungen setzt und zugleich außenpolitisch provokativ wie konfrontativ geworden ist.
Als Unterstützer von ISIS und Al-Nusra-Front und gegen die kurdischen Widerstandskämpfer stellt das Regime Erdogan Logistik und Waffen zur Verfügung. Erdogan wird gleichsam als NATO-Partner mit Rüstung und Industrie beschenkt – ein Journalist namens Can Dündar deckte dies auf und wird zum Staatsfeind erklärt.
Im Südosten der Türkei führt er Krieg und bewirkt Massenvertreibungen von einer halben Million Kurden und wird von Rheinmetall mit Panzerfabriken belohnt. Die Rüstungsexporte in die Türkei beliefen sich 2016 auf 92,2 Millionen €. Nicht nur Erdogan und sein Regime begehen autokratische Frevel, die Bundesrepublik ist somit ein aktiver Drahtzieher. – Ich finde, Waffenlieferungen sind kein Beitrag zum Dialog, sondern zum Unfrieden. Deswegen müssen sie gestoppt werden.
Erdogan hetzt gegen Oppositionelle, unabhängige Journalisten und kritische Juristen. Politische Gegner erklärt er zu Terroristen und zu Sympathisanten der Putschisten. Er kriminalisiert sie, versucht sie einzuschüchtern und lässt sie einsperren. Justiz und Presse in der Türkei sind bereits weitgehend gleichgeschaltet.
Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden rund 150 Medien geschlossen und weit über 100 Journalisten verhaftet – nicht zuletzt Deniz Yücel von der Tageszeitung „Die Welt“. Von der deutschen Bundesregierung verlangen wir ein entschiedenes Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit sowie für die Freilassung aller inhaftierten Autoren, Journalisten und auch gewählter Abgeordneter und Bürgermeister.
Meine Damen und Herren, die Repression des ErdoganRegimes richtet sich nicht zuletzt gegen die HDP. Gegen die meisten der 59 HDP-Parlamentsabgeordneten ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Terrorverdachts. Zehn HDPAbgeordnete sind in Untersuchungshaft, unter ihnen die beiden Kovorsitzenden Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas – Letzterer soll zu einer Haftstrafe von 142 Jahren verurteilt werden.
Im Rahmen unserer Delegationsreise besuchte ich Bursa, Hessens Partnerprovinz in der Türkei. Während meiner Zusammenkunft mit der HDP habe ich erfahren, dass von den 400 Mitgliedern unserer Schwesterpartei HDP 60 Mitglieder im Gefängnis sitzen. Mitglieder unserer Schwesterpartei sind dafür belangt worden, dass sie gegen die geplante Verfassungsänderung öffentlich auftreten. Die Anwälte von Inhaftierten werden festgenommen. In diesem Klima der Angst kann von einer freien und fairen Abstimmung über das Verfassungsreferendum keine Rede sein. Dennoch haben die Genossen gestern in zehn Stadtteilen in Bursa für ein Nein demonstriert. – Ich bewundere den Mut der Aktivisten in unserer Partnerstadt.
Meine Damen und Herren, der Versuch der Öffnung gegenüber den ethnischen Minderheiten der Kurden ist längst Geschichte. Im Osten der Türkei tobt ein blutiger Bürgerkrieg, die politische Lösung der Kurdenfrage ist noch immer offen, wie auch die Anerkennung der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und ihres Führers. Die kurdische Stadt Cizre, in der vor Kurzem noch 100.000 Menschen lebten, liegt in Trümmern. Große Teile der Altstadt in Diyarbakir sind zerstört. In mehr als 40 Städten und Bezirken wurden die gewählten kurdischen Bürgermeister abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter aus Ankara ersetzt.
Mit dem Verfassungsreferendum will Erdogan seine Herrschaft ausbauen und zementieren.
Er wird dann die Gewaltenteilung verwehren und sie persönlich verkörpern. Der aktuelle Ausnahmezustand wird dann zum Normalzustand.
Die Position unserer Fraktion in dieser Frage ist eindeutig: Wir sind solidarisch mit den aktiven fortschrittlichen Kämpfern für eine demokratische Türkei. Wir sagen Nein zur Autokratie in der Türkei. Wir fordern die türkische Regierung auf, alle politisch zu Unrecht Inhaftierten freizulassen und rechtsstaatliche Grundsätze wiederherzustellen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir bleiben dabei: Krieg schafft keinen Frieden. Mehr Waffen und mehr Militär verschärfen die weltweiten politischen und humanitären Probleme. Kriege, die mit deutschen Waffen geführt werden, treiben Menschen in die Flucht. Sie verursachen Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung. Auf die Spitze getrieben wird diese Politik durch die Sammelabschiebungen von Asylbewerbern in Bundeswehrkriegsgebiete wie Afghanistan. Der türkische NATO- und Flüchtlingsdealpartner unterdrückt zunehmend jede oppositionelle Regung und führt Krieg im eigenen Land und in Syrien. Der sogenannte Kampf gegen den Terror heizt den Terror nur weiter an. Das neuerliche Säbelrasseln zwischen Russland und der NATO löst keines der Sicherheitsprobleme der Staaten vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Zu Verhandlungen und Interessensausgleichen gibt es keine vernünftige Alternative.
Doch die Bundeswehr wird grundgesetzwidrig in immer mehr Staaten geschickt. Bis 2030 sollen 130 Milliarden € zusätzlich für Rüstung ausgegeben werden. Die in Büchel stationierten Atomwaffen werden modernisiert, anstatt dass wir auf eine atomare Teilhabe verzichten. Gleichzeitig fehlen überall Gelder für Bildung, Soziales und ökologischen Umbau. Die innere Militarisierung schreitet voran. Die Terrorangst wird geschürt, die Bundeswehr übt den Einsatz im Inneren und wirbt Minderjährige für den Kriegsdienst. Das sind die Themen beim diesjährigen Ostermarsch.
Die NATO-Staaten geben jedes Jahr fast 1 Billion € für das Militär aus. Das sind zwei Drittel der weltweiten Militärausgaben. Die Bedingung des neuen US-Präsidenten Trump, alle NATO-Mitgliedstaaten hätten bis Ende des Jahres Zeit, einen Plan auszuarbeiten, um das 2-%-Kriterium zu erfüllen und sich damit die weitere militärische Freundschaft mit den USA zu erkaufen, ist skandalös. Schon die jetzigen Militärausgaben stehen in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohungslage.
Dass die CDU/CSU, allen voran Verteidigungsministerin von der Leyen, dem amerikanischen Kurs blind und gerne folgen wird, daran besteht kein Zweifel. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben zugenommen. Seit 2002 sind für sie 17 Milliarden € budgetiert. Wir exportieren den Krieg und wundern uns im Gegenzug über Flüchtlingsströme. Das ist absurd.
Eine derart hohe Summe könnte man für die Verbesserung des Bildungssystems, der Erziehung und des Gesundheitswesens sicherlich besser einsetzen.
Aber es gibt Hoffnung. Von Ende März bis zum 7. Juli laufen auf Basis des UN-Vollversammlungsbeschlusses vom 24.12.2016 in New York Verhandlungen zum völkerrechtlichen Verbot von Atomwaffen. Ein Vertrag zur internationalen Ächtung soll eine für die Menschheit vielleicht überlebensentscheidende Lücke im Völkerrecht schließen. Biologische und chemische Waffen sind verboten. Endlich sollen nukleare militärische Potenziale ebenfalls verboten werden. 113 Staaten beschlossen die Resolution “Towards a Nuclear-Weapon-Free World”. Aber die meisten Atommächte, die NATO-Staaten, darunter Deutschland, stimmten dagegen.
Mit den regionalen Ostermärschen wollen wir deutlich machen, dass der Krieg hier in der Region beginnt. Dass Krieg und Terror auch immer näher zu uns kommen, wird spätestens seit den schrecklichen Terroranschlägen immer deutlicher. Wir demonstrieren für eine andere Politik, die nicht immer Terror mit Krieg beantwortet, woraufhin noch mehr Terror, Krieg und Flucht die Folgen sind. Nein, wir wollen ein Ende dieser Gewaltspirale und fordern deshalb, dass die Fluchtursachen bekämpft werden und nicht die Geflüchteten.
Fairer Handel statt freier Handel im Interesse der internationalen Konzerne. Rüstungsexporte sollen gestoppt werden. Keine Kriegseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, im Irak, in Syrien und in Mali.
Mit der Kampagne „Krieg beginnt hier“ lenkt die Friedensbewegung das Augenmerk dorthin, wo in Deutschland Krieg vorbereitet wird. Das ist beispielsweise das Rüstungsunternehmen Diehl mit seiner Filiale in Frankfurt. Diehl produziert z. B. Munition, sogenannte Streumunition und sogar Drohnen. Diehl Aerospace entwickelt und liefert Ausrüstungen für den Eurofighter und den Militärhubschrauber Tiger und NH90.
Die Kasseler Rüstungsschmiede Krauss-Maffei Wegmann liefert Panzer in alle Welt, besonders gern in Kriegs- und Krisengebiete. Wir wollen eine Umwandlung in zivile Produktion und fordern daher: keine Rüstungsproduktion, sondern Abrüstung und Konversion.
Die Ostermärsche in diesem Jahr werden die Ausgangsund Logistikzentren für die neuen Kriege thematisieren, neben dem US-Headquarter in Wiesbaden, der CIA- und NSA-Zentrale in Frankfurt auch die Bundeswehr-Kriegseinrichtungen.
Hinzu kommt der Fliegerhorst Büchel mit den Atombomben, die ich schon beschrieben habe. Aktuell unterstützen Bundeswehr-Tornados aus Büchel den Krieg in Syrien. Wir sagen Nein zur deutschen Unterstützung der NATOund US-Kriege. Von deutschem Boden sollte Frieden ausgehen.
Statt um Menschenrechte geht es laut dem Weißbuch der Bundeswehr vom vergangenen Jahr um – ich zitiere – „freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung“ und um „die Sicherung von und den Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten“. Die Einsätze dienen also offiziell Wirtschafts- und Machtinteressen im Kapitalismus. Statt Kriegspolitik fordern wir zivile Konfliktbearbeitung, Diplomatie und Gerechtigkeit.
Auch Europa ist weit weg von seinen ursprünglichen Idealen, von Völkerverständigung und Frieden. Europa verdichtet sich zunehmend als Militärbündnis. Es steht für Militarisierung, Aufrüstungsverpflichtung und Rüstungsgeschäfte.
Die europäische Flüchtlingsabwehr Frontex und die NATO führen Krieg gegen Flüchtlinge. Statt Initiativen für ein soziales Europa zu setzen, wird in Brüssel ein neues militärisches EU-Headquarter eröffnet. Schauen wir uns einmal die Karrierecenter und Beratungsbüros der Bundeswehr, die Werbetrucks und Heeresausstellungen wie beim Hessentag, die Infoveranstaltungen in Arbeitsagenturen, in Schulen und bei Berufsmessen an. Überall werden junge Menschen, auch Minderjährige, für den Kriegsdienst rekrutiert. Ein 30 Millionen € teurer Werbezug wirbt „Mach, was wirklich zählt“ und verschweigt, wie viele Menschen getötet, verstümmelt und traumatisiert werden und wozu diese Kriege eigentlich dienen.
Gegen den Tag der Bundeswehr setzen wir unseren Slogan „Krieg ist kein Volksfest“. Dieser Tag soll in diesem Jahr am 10. Juni in Rüsselsheim beim Hessentag und an 14 weiteren Orten stattfinden. Wir wollen keinen Tag der Bundeswehr. Wir brauchen einen Tag für Abrüstung.
Wir wollen, dass die in unserem kapitalistischen System begründeten Ausbeutungsverhältnisse endlich beseitigt werden. Das sind wir auch denen, die bei uns und mit uns leben wollen, mehr als schuldig. Wir erklären uns solidarisch mit den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und auch mit denen, die bei uns in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen leben. Wir wissen, der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen. Das sagte der französische Sozialist und Pazifist Jean Jaurès.
Angesichts der dramatischen Lage mit über 30.000 Toten an den EU-Außengrenzen, mit Hunderttausenden durch Soldaten ermordeten Menschen in den Kriegen seit Anfang der Neunzigerjahre fordern wir:
Waffen nieder und offene Grenzen für Menschen in Not.
Jedermann ist frei, sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er will.
Das steht in Art. 6 der Hessischen Verfassung.
Im Sinne des Grundgesetzes und der Hessischen Verfassung werde ich mich nun stärker außerparlamentarisch für die Ächtung des Krieges einsetzen. Ich hoffe dabei auf zunehmend stärkere parlamentarische Unterstützung. – Ich bedanke mich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP versucht es wieder. Wieder einmal gibt es einen neuen Antrag, um die Steuern zu senken. In den letzten Wochen wollten Sie an die Grundsteuer, deren Erhöhung Sie vielerorts mitzuverantworten haben. Immerhin hat die letzte schwarzgelbe Regierung in Hessen damit begonnen, den Landeshaushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren.
Diesmal machen Sie sich an die Grunderwerbsteuer. Sie wollen sie begrenzen. Was auf den ersten Blick wieder einmal ganz charmant klingt, ist auf den zweiten Blick keine Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt.
In der Tat kann man darüber diskutieren, ob man die Grunderwerbsteuer sozialer ausgestalten sollte, etwa indem man einen progressiven Tarif einführt
oder einen Freibetrag, wie Sie ihn vorschlagen, oder eine Freigrenze, Herr Bellino.
Darüber kann man diskutieren.
Nein, die Grunderwerbsteuer; dafür stehen wir. – Das alles ist gut und schön und durchaus auf Bundesebene diskutierbar. Allein, in Hessen löst man damit kein einziges Wohnungsbauproblem.
Diese Probleme sind gerade bezüglich günstiger Wohnungen dramatisch. Allein im Jahr 2015 ist die Zahl der Sozialwohnungen um 11.000 gesunken.
Die Zahl derjenigen Haushalte, die bei den Wohnungsämtern registriert sind, da sie einen Anspruch haben, aber nicht versorgt werden können, liegt zwischen 44.000 und 46.000. Da sich viele Einkommensschwache nicht registrieren lassen, liegt die Dunkelziffer deutlich höher.
Was den kommunalen sozialen Wohnungsbau angeht, so ist dieser weitgehend komplett eingebrochen. In Gießen ist mindestens im Zeitraum von 2008 bis 2014 keine einzige mit öffentlichen Mitteln gebaute Wohnung entstanden, die, wie gesagt, den Richtlinien entsprechen würde.
Es fehlen uns vor allem Wohnungen für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Genau die wird man in großer Zahl aber nicht dadurch schaffen, dass man einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer einführt. Eigentlich ist es ganz simpel: Weil Wohnung eine Ware ist und die kapitalistische Wohnungsversorgung durch ein systematisches Marktversagen gekennzeichnet ist, müssen Lösungen außerhalb der Markt- und Verwertungslogik gefunden werden.
Für eine linke Politik reicht es nicht aus, am Beispiel von Wohnungsnot, Vernachlässigung und Verdrängung zu beweisen, dass der Kapitalismus in der Wohnungsfrage nichts lösen kann. Gefragt sind Vorschläge, Strategien und Instrumente, die helfen, eine gerechte und soziale Versorgung sicherzustellen.
Im Kern sollte es in der Wohnungspolitik meines Erachtens um folgende Ziele gehen:
Erstens um die Einschränkung der Verwertungsmöglichkeiten, also des Profitmachens im Bereich der Wohnungsversorgung und zugleich die Ausweitung von nicht profitorientierten und gemeinnützigen Wohnungsbeständen.
Zweitens um die vorrangige Orientierung an den Haushalten, die die größten Schwierigkeiten haben, sich unter Marktbedingungen mit angemessenen Wohnungen zu versorgen.
Drittens um die Unterstützung der Versuche zur Selbstorganisation und von Elementen der Selbstverwaltung, die es seitens der Mieterschaft auch jenseits der großen Interessenvertretungen gibt. Alle politischen Entscheidungen sollten sich an dem Anspruch messen lassen, den Druck des Marktes einzuschränken,
die Wohnsituation der Benachteiligten zu verbessern und die Position der Mieterinnen und Mieter zu stärken.
Eine der wenigen Alternativen zur marktkonformen Wohnungspolitik bieten öffentliche Wohnungsunternehmen. Zumindest grundsätzlich kann dieses öffentliche Eigentum nach anderen Maßstäben bewirtschaftet werden, und zwar so, wie wir das eigentlich verlangen. Genau hier brauchen wir politische Initiativen und nicht dort, wo es darum geht, den Menschen einen besseren Zugang zu einem völlig dysfunktionalen Wohnungsmarkt zu verschaffen. Das wird letztlich die Probleme nur weiter verschärfen.
Die Frage, die die FDP hier aufwirft, ist: Wer kann sich das eigene Haus leisten? Dabei lautet die Frage schon längst: Wem gehört die Stadt?
Hier brauchen wir eine andere Politik, die einen Zustand beendet, in dem Wohnung eine schlicht unbezahlbare Ware geworden ist. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mitte Februar stimmte das Europaparlament dem Freihandelsabkommen CETA mehrheitlich zu. Wir hatten den jetzt aufgerufenen Antrag schon vorher eingebracht; er ist verschleppt worden und ins März-Plenum gerutscht. Insofern karten wir ein wenig nach, auch wenn ich gerade gelesen habe, dass Ministerpräsident Kretschmann im Bundesrat seine Zustimmung geben will, was mich natürlich zusätzlich erschreckt.
Mit diesem Beschluss hat die Mehrheit im Europaparlament indirekt dem Startschuss für eine teilweise Umsetzung des Abkommens vor der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente zugestimmt. Wir halten dieses Vorgehen, das dazu führt, dass nun Fakten geschaffen werden können, die selbst bei einem Scheitern von CETA kaum wieder eingeholt werden können, für falsch und äußerst schädlich.
Wir begrüßen daher, dass die grünen und die linken Abgeordneten im Europaparlament gegen CETA gestimmt haben und damit den Protesten vor dem Parlament eine Stimme gaben. Wir sollten diese Verweigerung nutzen, um noch intensiver über CETA in den Mitgliedstaaten zu informieren und die nationalen Parlamente und Länderkammern unter Druck zu setzen.
Dennoch ist der Kampf gegen CETA, wie gesagt, nicht verloren. Es müssen alle 38 nationalen und regionalen Parlamente zustimmen, bevor das Abkommen in Kraft treten kann. Daher werden wir als LINKE gemeinsam mit unseren Bündnispartnern in den Gewerkschaften und den Kirchen sowie mit globalisierungskritischen Organisationen, wie Attac, weiterhin Widerstand im Ratifizierungsprozess leisten. Wir werden dafür kämpfen, dass CETA scheitert. Die Zeichen dafür stehen nach meiner Meinung gut. In den Niederlanden stehen die Zeichen auf Durchführung einer Volksabstimmung, und auch in der belgischen Wallonie gab und gibt es Widerstand gegen das Projekt CETA.
Dieser Widerstand ist berechtigt, ist CETA doch nichts anderes als TTIP durch die Hintertür. Es reicht, einen Blick auf den Vertragspartner Kanada zu werfen, um zu sehen, was auf die Menschen in Europa zukommt.
Schon allein der Blick auf die ILO-Kernarbeitsnormen, von denen in Kanada lediglich sechs von acht gelten, lässt
Schlimmes befürchten. Weder gibt es in Kanada eine Norm über das Mindestalter für eine entlohnte Beschäftigung, noch gibt es eine Norm betreffend das Recht auf Organisation und kollektive Tarifverhandlungen. Das Fehlen der zuletzt genannten Norm wurde von der ultrakonservativen Regierung unter Ministerpräsident Harper zwischen 2006 und 2015 etliche Male gegen streikende Eisenbahner, Postler und Beschäftigte der Fluggesellschaft Air Canada ausgenutzt, um sie zur Arbeit zu zwingen. Das zeigt: Wenn der Hebel zur Durchsetzung in der Praxis fehlt, der kollektive Tarifverhandlungen ermöglicht, sieht es für die theoretisch geltenden Arbeitsrechte sehr, sehr schlecht aus.
Erfahrungen mit Handelsabkommen sind in Kanada schon deutlich länger vorhanden. Bereits seit 1988, spätestens aber seit dem nordamerikanischen Freihandelsvertrag von 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko kennt man dort die verbindlichen privaten Schiedsgerichte, vor denen Investoren, nicht aber Beschäftigte, Gewerkschaften, Städte und Staaten klagen können. In der nordamerikanischen Logik können nur die Rechte der Investoren verbindlich und sanktionsbewehrt geregelt werden. Dieses Vorgehen ist in CETA genau so angelegt. Das Wort „comprehensive“ in CETA – zu Deutsch: umfassend – bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes, als dass der Schutz der Rechte privater Investoren Vorrang vor den Rechten der Arbeitnehmer, Verbraucher, Kleinunternehmer und der Beschäftigten in der Kreativwirtschaft, im Handwerk und in der Landwirtschaft hat. Diese werden keine Vorteile von CETA haben, sondern ausschließlich Nachteile erwarten können.
Wir unterstützen daher auch die mehr als 2.000 Kommunen und Regionen innerhalb der EU, die sich bereits zu TTIP- und CETA-freien Zonen erklärt haben. Darunter sind auch hessische Städte wie Marburg oder Mühltal. Alle diese Kommunen haben deutlich gemacht, dass sie eine unsoziale Handelspolitik ablehnen und soziale Standards verteidigen und schützen. Wir finden, das ist ein großartiger Erfolg.
DIE LINKE wird weiterhin an der Seite derjenigen stehen, die sich gegen eine Politik wehren, die Profitinteressen über das Allgemeinwohl stellt. Wir werden daher innerhalb und außerhalb des Parlaments weiterhin gegen die geplanten Freihandelskommen CETA, TiSA und TTIP protestieren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wieder einmal reden wir über den Kommunalen Schutzschirm, und wieder einmal versuchen die Regierungsfraktionen, den Kommunalen Schutzschirm als großen Erfolg darzustellen.
Dazu muss man erst einmal klarstellen, warum die Landesregierung überhaupt auf die Idee kommen konnte, den Kommunen bei der Entschuldung zu helfen. Es war nun nicht so, dass das aus lauter Mildtätigkeit passiert ist,
sondern weil die Landesregierung gesehen hat, dass die Kommunen dauerhaft und strukturell so unterfinanziert waren, dass sie selbst bei massiven Kürzungen nicht in die Lage kommen werden, solche Schulden überhaupt abzubauen.
Es ist übrigens ein Problem, das viele Kommunen weiterhin haben werden. Das Thema Altschulden ist noch lange nicht gelöst.
Zum anderen hat die Landesregierung selbst dafür gesorgt, dass die Kommunen, wie gesagt, chronisch unterfinanziert sind.
Diese Landesregierung war es, die im Angesicht der Schuldenbremse dafür gesorgt hat, dass die Kommunen nicht mit ausreichenden Mitteln ausgestattet wurden. Der Kürzungsdruck in den Kommunen kommt nicht daher, dass die Kommunen Geld für goldene Bordsteinkanten verschleudert haben, sondern dass das Land versucht hat, den eigenen Haushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren.
Der Kommunale Schutzschirm mit seinen verbindlichen Konsolidierungszielen hat dazu geführt, dass in den Kommunen noch entschieden werden durfte, in welcher Reihenfolge die sozialen Grausamkeiten begangen wurden, also ob erst die Kitagebühren steigen oder zuerst die Bibliotheken geschlossen werden.
Meine Damen und Herren, die beiden Kommunen, die Sie hier herausgestellt haben, Herr Reul, sind gerade keine Er
folgsgeschichte. Nehmen Sie etwa Kassel, wo Stadtteilbibliotheken geschlossen und Kitabeiträge erhöht wurden, übrigens sehr deutlich gegen den Willen der Bevölkerung. Gerade in Kassel sieht man übrigens auch, dass die Schuldenbremse für Kommunen – nichts anderes ist der Schutzschirm – gerade nicht generationengerecht ist. Oder wollen Sie ernsthaft behaupten, dass die Streichung von Ausbildungsstellen bei der Stadt als eine Maßnahme der Generationengerechtigkeit zu verkaufen ist?
Hier wurde eine Kommune dazu gedrängt, Einschnitte vorzunehmen, die in Summe kaum etwas zur Konsolidierung beigetragen haben, dafür aber erhebliche Nachteile für die Menschen vor Ort bedeuteten. Denn tatsächlich zeigt sich gerade in Kassel das, was typisch ist für eine unterfinanzierte Kommune: Der weit überwiegende Teil der Ausgaben sind Pflichtaufgaben. Hier kann eine Kommune praktisch nichts sparen. Vielmehr findet die Konsolidierung auf der Einnahmeseite statt. Noch im Jahr 2012 hatte die Stadt Kassel um 119 Millionen € niedrigere Aufwendungen, als sie das für das Jahr 2017 plant.
Gleichzeitig aber plant Kassel 126 Millionen € höhere Erträge für das Jahr 2017. Sprich: Die Ausgaben steigen deutlich, noch deutlicher aber die Einnahmen. Das liegt aber nicht am Kürzungsplan, den die Landesregierung durchgesetzt hat, sondern an der positiven Wirtschaftslage. Selbst Herr Reul hat vorhin von höheren Einnahmen aus der Einkommensteuer und vor allem aus der Gewerbesteuer gesprochen.
Wer also ausgeglichene Kommunalhaushalte will, der braucht vor allem höhere kommunale Einnahmen.
Dazu kommt, dass Sie in Ihrem Antrag auch noch auf das Kommunalinvestitionsprogramm verweisen. Mit Verlaub, erst sorgen Sie dafür, dass die Kommunen nicht mehr in der Lage sind, zu investieren, und dann wollen Sie sich dafür feiern lassen, dass Sie Sonderprogramme auflegen, um den Investitionsstau nicht noch größer werden zu lassen.
Sorgen Sie endlich dafür, dass die Kommunen dauerhaft ordentlich ausgestattet sind, und dafür, dass die Altschulden der Kommunen angepackt werden.
Für uns wäre wichtig, überhaupt einmal zu erfahren, wie groß der Investitionsstau in Hessen ist, um ihn dann endlich dauerhaft auflösen zu können.
Jedes Jahr ein neues Programm aufzulegen, bringt vielleicht viele schöne Ideen für neue Imagefilme; aber es löst das Problem nicht. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Es geht uns gerade darum, dass wir im Grunde genommen die Kontinuität in der Betreuungs- und Eingliederungsarbeit sehen, und die wird natürlich durch ein solches Verfahren weiter behindert. Deshalb ist dieser Zusammenhang offensichtlich. Wenn man das nicht sieht,
dass im Grunde genommen gerade für die Eingliederung die Kontinuität vor Ort ganz wichtig ist, dann ist das natürlich schwer hinnehmbar.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Angesichts der sehr positiven Einnahmeentwicklung war abzusehen, dass sich die Regierungskoalition in dieser Woche ausführlich mit diesem Thema beschäftigen würde. Sie instrumentalisieren beständig und ungebührlich jedwede positive Entwicklung in Hessen, um sich selbst zu loben. Insofern ist dieser Setzpunkt zur schwarzen Null keine Überraschung.
Dass Sie sich mit Ihren Anträgen mittlerweile aber nicht mehr wirklich ernst auseinandersetzen, sieht man schon am ersten Satz Ihres Antrags, den Sie auch noch zitiert haben, Herr Arnold, der da lautet:
Eine generationengerechte und nachhaltige Finanzwirtschaft ist das Fundament jeder Politik.
Das ist eine sehr schöne freudsche Stilblüte, die Sie hier vorgebracht haben. Es kann ja sein, dass Sie die Finanzwirtschaft mit Zockerbuden und Spekulationsgeschäften das Fundament Ihrer Politik nennen. Passen würde das schon. Ich bin aber sicher, dass Sie etwas ganz anderes gemeint haben und in Ihrem Antrag vielleicht Finanzpolitik beschreiben wollten.
Vielleicht sollte die Koalition das nächste Mal die Kollegin Arnoldt bitten, den Antrag Korrektur zu lesen. Ihr fallen solche Kleinigkeiten eigentlich immer auf.
Ich habe die Presseerklärung zur Kenntnis genommen. Möglicherweise hat die Presseabteilung kein Bild von Ihnen und hat deshalb Ihre Presseerklärung anders untertitelt. Das fand ich einen etwas eigenartigen Vorgang.
Kommen wir zum inhaltlichen Teil. Nach einiger Rhetorik wird es am Ende des ersten Absatzes interessant.
Das fällt einem dann auch auf. Einem alten Lehrer fällt das auf.
Sie müssen sich bei der Presseabteilung einmal durchsetzen, Herr Boddenberg.
Sie lassen sich dazu herab, den Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit einem verbal-feuchten Händedruck zu danken, auch wenn Sie mit Ihrem Antrag vielleicht etwas deutlicher werden könnten. Es liest sich aber natürlich nicht so schön und wäre zu offensichtlich, wenn da stehen würde, dass die Beamtinnen und Beamten in Hessen länger arbeiten müssen, dass ihnen die Beihilfe gekürzt wurde
und dass sie von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt wurden. Denn genau das ist es, wofür Sie sich mit einem mageren Satz bedanken.
Davon bezahlt sich im Ballungsraum aber keine Miete leichter. Die Fahrkosten sinken nicht. Die Attraktivität einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst steigt nicht dadurch, dass sich die schwarz-grüne Koalition bei den Beschäftigten bedankt.
Vielleicht wäre es angebracht, anstelle der formellen und unaufrichtigen Danksagung die Forderung der Gewerkschaften in der aktuellen Tarifauseinandersetzung zu erfüllen,
statt mit vollen Kassen, aber ohne eigenes Angebot bei den Verhandlungen aufzuschlagen. Wenn Sie sich dann auch noch selbst dafür loben, dass der eingeführte Konsolidierungsrahmen jetzt greife, weiß man schon deutlich, dass das vor allem darin besteht, bei anderen zu kürzen und die Kommunen möglichst kurzzuhalten.
Was dem Land einen ausgeglichenen Haushalt beschert, sind vor allem höhere Steuereinnahmen. Diese und insbesondere die höheren Einnahmen bei der Erbschaftsteuer sind nicht aufgrund herausragender Kompetenz der Landesregierung zustande gekommen, sondern diese beruhen auf der Tatsache, dass Hessen allein bei der Erbschaftsteuer 2016 460 Millionen € höhere Einnahmen hatte als noch im Jahr 2015.
Wohlgemerkt: bei der Erbschaftsteuer. Ich hoffe, dass die Landesregierung damit nichts zu tun hat, dass einige besonders wohlhabende Menschen in Hessen verstorben sind.
Im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer tragen Sie aber sehr wohl Verantwortung, wenn es darum geht, dass Milliardenvermögen auch in den nächsten Jahren teilweise steuerfrei vererbt oder verschenkt werden. Hierbei haben Sie sich im Bundesrat auf eine verfassungswidrige Neuregelung eingelassen, die auf Jahre hinaus reiche Erben vor einer angemessenen Besteuerung bewahrt. Dabei wäre genau das notwendig, um Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in den Kitaausbau oder in Krankenhäuser zu erhöhen.
Von fehlenden Investitionen schreiben Sie in Ihrem Antrag natürlich nichts. Wenn Sie von einer generationengerechten und nachhaltigen Finanzpolitik reden, dann meinen Sie damit vor allem unterlassene Investitionen und eine verrottende Infrastruktur, die Sie den nachfolgenden Generationen hinterlassen wollen.
Das ist eine aktuelle Rede. Das bezieht sich auf die Reinvestitionspolitik in Hessen.
Allein 200 Millionen € weniger für Investitionen hat diese Landesregierung im letzten Jahr ausgegeben.
Es wurden also die ohnehin schon viel zu niedrig geplanten Investitionsausgaben im Haushaltsvollzug deutlich unterschritten. Gleichzeitig wurde ein dreistelliger Millionenbetrag in die Rücklagen gesteckt. Das ist die Schuldenbremse in Reinform.
Insofern haben die Anträge von FDP und SPD für einen Nachtragshaushalt sicher ihren Sinn. Schließlich gehört es zur demokratischen Kultur, im Parlament darüber zu entscheiden, was mit diesen Geldern passiert. Es sollte sich nicht einfach bei den Rücklagen bedient werden.
In einer historischen Niedrigzinsphase Investitionen zu unterlassen, Rücklagen zu bilden und dann auch noch zu behaupten, das sei eine generationengerechte Finanzpolitik, das kann nicht wahr sein.
In Ihrem Antrag fällt auch auf, dass Sie zwar einen Teil der Rücklagen erwähnen, die Sie nach den gesetzlichen Bestimmunen bilden müssen, einen anderen Teil erwähnen Sie aber nicht, nämlich 380 Millionen €, die Sie in den Rücklagen in den Ministerien verstecken. Insofern wäre es angemessen, dem Haushaltsgesetzgeber deutlich zu machen, wofür die Landesregierung dieses Geld tatsächlich verwenden will, um nicht sozusagen eine Kriegskasse für die nächsten Wahlen zu bilden.
Ob Sie vorhaben, Wohnungen zu bauen, Straßen zu sanieren, Kitas gebührenfrei zu machen und Krankenhäuser zu sanieren, davon hört man kein Wort. Stattdessen hört man von Ihnen immer nur die hohle Phrase der Generationengerechtigkeit.
Was aber soll daran gerecht sein, wenn Sie heute die Investitionen unterlassen, die zukünftig den Menschen ein gutes Leben ermöglichen? Diese Art der Politik gefährdet und beeinträchtigt gleichzeitig massiv unsere Gegenwart und kann somit auch die Zukunft künftiger Generationen grundlegend verbauen, indem ihr heute Leistungen der öffentlichen Hand vorenthalten werden, die sie dringend brauchen. Wo bleibt die Logik?
Wenn man in vielen Orten in Hessen die jeweiligen Schulen sucht, braucht man oft nur das heruntergekommenste Gebäude zu suchen oder nach Containern Ausschau zu halten.
Aber die Landesregierung feiert die schwarze Null. Darüber, dass die öffentlichen Kassen und insbesondere viele Kommunen dauerhaft strukturell unterfinanziert sind,
täuscht die aktuelle Entwicklung der Einnahmen nur teilweise hinweg. Deshalb ist es an der Zeit, endlich aufzuhören, verdrehte Gerechtigkeitsbegriffe in die Welt zu setzen. Stattdessen sollten Sie sich endlich für ein gerechtes Steuersystem einsetzen.
Hier müsste die Landesregierung ansetzen. Das wäre dann aber auch eine Landesregierung, die ihr Fundament sicherlich nicht in der Finanzwirtschaft sieht, sondern in einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben die Presseerklärung dazu heute Morgen schon gelesen. Während einige die Vermögensteuer ganz ausschließen und einige noch davon reden, große Vermögen höher zu besteuern, während andere die Vermögensteuer als Kampfbegriff oder gar als verfassungswidrig bezeichnen, wie ich es der heutigen Presseerklärung entnommen habe, und ablehnen, ist für uns klar: Wer mehr soziale Gerechtigkeit und die gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich nicht größer machen will, der muss sich für die Vermögensteuer einsetzen.
Es ergibt sich eigentlich schon aus der Hessischen Verfassung, dass wir unserer Einnahmeverantwortung nachkommen müssen und die in Art. 47 der Hessischen Verfassung vorgeschriebene progressive Besteuerung von Vermögen als Gesetzgeber umsetzen müssen. Etwas zugespitzt kann man sogar sagen, dass die Forderung nach der Vermögensteuer und ihre aktive Umsetzung letztlich aktiver Verfassungsschutz sind. Nicht nur die Hessische Verfassung erwähnt die Besteuerung von Vermögen, sondern auch das Grundgesetz sieht die Vermögensteuer explizit vor und weist sie den Ländern zu.
Wir haben ein Bundesgesetz, das mittlerweile für verfassungswidrig erklärt worden ist. Aus formalen Gründen dürfen die Länder diese Steuer nicht mehr erheben. Insofern ist es nun an der Zeit, die Debatte über die Vermögensteuer wieder deutlich aus den Ländern herauszuführen. Es ist zwar schön, dass das Land Hessen im Jahr 2016 einen Überschuss erwirtschaftet hat. Das haben wir heute Morgen besprochen. Es besteht jedoch nach wie vor enormer Bedarf an Investitionen und öffentlichen Leistungen.
Sei es, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, Schulen und Krankenhäuser zu sanieren oder um den Kitaausbau zu fördern. Jahrelange Unterfinanzierung der Kommunen, eine ungenügende Personalausstattung im öffentlichen Dienst und Wohnungsmangel stellen die hessische Haushaltspolitik vor große Herausforderungen. Gleichzeitig besteht ein hoher Investitionsbedarf in vielen Bereichen, z. B. im öffentlichen Personennahverkehr, bei der Energiewende, beim Ausbau der Kinderbetreuung oder beim Erhalt und Ausbau öffentlicher Infrastruktur.
Eine einseitig auf die Ausgaben fokussierte Sparpolitik kann nicht einmal kurzeitig als Wohltat wirken. Investitionen in die notwendigen Strukturveränderungen haben auf lange Sicht ein nachhaltiges und dynamisches Entwicklungspotenzial. Um die Handlungsfähigkeit des Landeshaushalts aber dauerhaft sichern zu können, muss er in seiner ganzen Komplexität betrachtet werden. Dazu gehören eben auch die Einnahmen und hier speziell die Steuereinnahmen des Landes.
Die Vermögensteuer als Landessteuer ist ein hervorragendes Mittel, um die notwendigen zusätzlichen Ausgaben zu finanzieren und gleichzeitig genau die Menschen an den
Kosten zu beteiligen, die mehr für das Gemeinwohl leisten können als andere.
Ich bin sehr froh darüber, dass die GRÜNEN hierzu bereits einen Beschluss auf ihrer letzten Bundesdelegiertenkonferenz gefasst haben, in dem es heißt – ich zitiere –:
Und wir wollen der starken Vermögensungleichheit und damit einer sozialen Spaltung mit einer verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögensteuer für Superreiche entgegenwirken.
Jürgen Trittin schrieb in einem Gastbeitrag für die „FAZ“:
Wenn die Gewinne aus schnell wachsenden Vermögen nicht mehr investiert werden, wir aber mehr investieren müssen, spricht alles für eine Vermögensteuer. Die trifft nach den Vorschlägen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nicht einmal 1 % der Bevölkerung. Sie ist eine Superreichensteuer. Werden die daraus resultierenden 9 bis 18 Milliarden € in Infrastruktur, Bildung und Klima investiert, dann ist das gut für Mittelstand und Mittelschicht. Sie bekommen mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr Aufträge, mehr Arbeit.
Es mag sein, dass der Kanzlerkandidat der SPD die Vermögensteuer für einen Kampfbegriff hält. Im Kern ist sie aber ein wesentliches und wirksames Steuerungsinstrument, um für eine Umverteilung von Vermögen zu sorgen und gleichzeitig für wichtige Aufgaben des Staates aufkommen zu können.
Deshalb ist es an der Zeit, dass die Länder endlich die Initiative ergreifen und gemeinsam für die Wiedereinführung der Vermögensteuer sorgen. Wer soziale Gerechtigkeit will, der kommt um die Vermögensteuer nicht herum. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch von den Vorrednerinnen und Vorrednern ist es schon gesagt worden: Europa steckt in einer existenziellen Krise. Die Wirtschaftskreisläufe sind seit Jahren gestört. Ganz Südeuropa leidet an Verarmung und an hoher Arbeitslosigkeit. Die Europäische Zentralbank reiht eine Notfallmaßnahme an die andere. In der Flüchtlingspolitik wurden die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten nur durch eine inhumane Abschottungsstrategie überbrückt. Zuletzt hat der geplante Ausstieg Großbritanniens die EU erneut schwer erschüttert.
Die Reaktion in Hessen auf den Brexit wandelt sich allmählich in Schadenfreude. Man glaubt, dass wir im harten Kampf für Frankfurt Beute machen können, wie etwa vor 100 Jahren, als es damals hieß: „Jeder Tritt ein Brit“. So kommt es mir ein bisschen vor.
Der Brexit sollte aber für uns eher Anlass sein, die falsche Europapolitik endlich zu beenden. Europa muss neu begründet werden. Es gilt, gemeinsam mit anderen politischen und gesellschaftlichen Organisationen eine neue internationale soziale Plattform für ein zukunftsfähiges Europa zu entwickeln.
Stattdessen erstarken vielerorts in Europa Kräfte, die eine nationalistische Politik durchsetzen wollen. Es besteht die Gefahr, dass Europa zurückfällt in Nationalismus und Chauvinismus. Das Brexit-Votum und die Wahl Donald Trumps nutzen die Verantwortlichen in der EU, um die Militarisierung der EU heftig voranzutreiben. Ziel ist eine europäische Verteidigungsunion. Mit dem EU-Rüstungsfonds soll der EU-Haushalt auch für Militärisches genutzt werden. Rüstungsindustrien werden noch stärker durch die
EU gefördert. Die EU baut ihre Militäreinsätze erheblich aus. Das muss verhindert werden.
Die Welt braucht weniger Nationalstaaten und mehr internationale Kooperation. Allerdings haben weder EU noch Euro in ihrer jetzigen Form eine Zukunft. Beide müssen radikal umgebaut werden. Seit die Wechselkurse als Korrekturfaktor weggefallen sind, braucht gerade die Währungsunion neue Instrumente des Ausgleichs.
Erstens muss dazu die staatliche Ausgabenpolitik viel stärker an den Erfordernissen des gesamten Euroraums ausgerichtet werden. Um die schwächelnde Wirtschaft zu stimulieren, muss die Austeritätspolitik durch ein europäisches Investitionsprogramm abgelöst werden.
Die zweite Reformsäule muss bei den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten ansetzen.
Herr Boddenberg, bisher tragen wirtschaftlich schwache Staaten die Lasten der von Deutschland verordneten Austeritätspolitik praktisch allein.
Das hat soziale Härten zur Folge. Zukünftig müssen auch Staaten mit hohen Überschüssen im Außenhandel – beispielsweise wir – verpflichtet werden, auf eine ausgeglichene Leistungsbilanz hinzuarbeiten.
Drittens müssen Beschäftigung, Lohn- und Einkommenspolitik sowie soziale Sicherung in der Europäischen Union einen größeren Stellenwert erhalten.
Es wäre ein Leichtes, mithilfe von klar definierten Indikatoren die Entwicklungen zu beobachten und korrigierende Maßnahmen einzuleiten.
Zudem kommt die Union nicht umhin, legale Zugangswege und Aufenthaltsrechte für Flüchtlinge zu schaffen. Sie muss Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Beseitigung von Fluchtursachen mobilisieren.
Jede einzelne dieser Maßnahmen wäre schon ein kleiner Erfolg. In ihrer Gesamtheit zeigen sie einen Weg auf – –
Herr Boddenberg, wir sind in Hessen sehr klar positioniert, das wissen Sie ganz genau.
Wenn wir jetzt das Soziale nicht endlich in den Vordergrund stellen, werden sich immer mehr Menschen abwenden.
Wenn weiterhin Politik vor allem für Großkonzerne und große Vermögen gemacht wird, wird das Vertrauen in die Institutionen weiter sinken. Die EU sollte mit Mindestlöhnen, armutsfesten Mindesteinkommen und massiven Inves
titionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur mit gutem Beispiel vorangehen.
Statt auf wirtschaftliche Vorteile für Hessen auf Kosten der europäischen Nachbarländer zu schielen und kleinliche Interessen Hessens zu bedienen, geht es um grundlegende Fragen der europäischen Politik. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 28. Januar 1972, also vor 45 Jahren, gebar die Runde der Ministerpräsidenten der Länder unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt auf Vorschlag der Innenministerkonferenz den Radikalenerlass, die Berufsverbote. Die Initiative zu dieser Demokratievernichtungsentscheidung, von der Willy Brandt später als einem schweren Fehler seiner Regierung sprach, ging von den sozialdemokratischen Bundesländern Bremen und Hamburg aus. Kommunisten, Sozialisten, Linke im Allgemeinen, Radikale des Wortes und/ oder der Tat sollten aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Der Radikalenerlass traf Postboten wie Eisenbahner, Zöllner, Sekretärinnen und Beamte im Bundesdienst ebenso wie Beamte in Ländern und Beschäftigte in den Kommunen.
Der von Teilen der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, propagierte Marsch durch die Institutionen sollte, so die Herrschenden, in der Anpassung der Marschierenden und nicht in der Umgestaltung der Institutionen enden. Das lässt sich sicherlich an vielen exemplarischen Beispielen deutlich machen. Die Revolution integrierte einerseits
ihre Kinder, zog andererseits für die Anpassungsverweigerer Grenzen. Das Eindringen von Antikapitalisten, Spontanen wie Studierten, Organisierten wie Freien in den Staatsapparat mit der Verweigerung, sich anzupassen, und stattdessen mit der Absicht, den Staat zu verändern, wurde zum Schreckensbild Nummer eins. Der Kampf gegen Radikale wurde zur zentralen Staatsaufgabe.
Besonders im Visier der Berufsverbieter in Hessen waren Lehrerinnen und Lehrer, Beschäftigte an Hochschulen im Allgemeinen und die Justiz im Speziellen. Was 1968 begann, die Befreiung der Republik vom Mief der Reaktion, sollte 1972 gewendet werden. Am Samstag, dem 28. Januar, jährt sich dieser Radikalenerlass zum 45. Mal. Es scheint lange her zu sein, doch es ist noch nicht vorbei.
Wer die Medien aufmerksam verfolgt, den lässt der Hauch des Kalten Krieges bis heute frösteln. Noch vor wenigen Jahren wurde ein Lehrer aus Heidelberg auch in Hessen wegen seiner Mitgliedschaft in einer antifaschistischen Initiative mit einem Berufsverbot belegt. Noch im Dezember durfte die Universität München zunächst einen jungen Wissenschaftler nicht als Doktorand einstellen. Der Verfassungsschutz wurde eingeschaltet.
Infolge des Radikalenerlasses kam es zu mehr als 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerberinnen und Bewerbern sowie 265 Entlassungen. 3,5 Millionen Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in Form einer Regelanfrage vom Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit geprüft. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie nicht die nötige Gewähr dafür böten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Dabei wurde ignoriert, dass sie ihren Amtseid nicht auf die Marktwirtschaft, eine bestimmte Politik oder Regierung ableisten, sondern auf die Verfassung. Diese lässt ein weites Spektrum verschiedener Meinungen zu.
Nehmen Sie nur die Hessische Verfassung, in der sozialistische Vorstellungen ein wesentliches Fundament bilden.
Keinem der Betroffenen konnte vor Gericht jemals eine konkrete Verfehlung nachgewiesen werden. Trotzdem haben sich die Behörden bei keinem von ihnen jemals entschuldigt, und niemand ist offiziell rehabilitiert worden. Noch schlimmer: Der Radikalenerlass hat weit über den Kreis der Betroffenen hinaus Angst und Duckmäusertum geschürt.
Politische Arbeit wurde kriminalisiert, und die Auswirkungen sind bis heute spürbar. Viele der Betroffenen haben sich über Jahre hinweg gegen das ihnen drohende oder über sie verhängte Berufsverbot gewehrt. Sie haben mit ihrem Einsatz für die Grundrechte, für Meinungs- und Organisationsfreiheit viel für die Demokratie getan.
Ich bin dankbar für ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen. Die Geschichte der Berufsverbote ist, wie gesagt, bis heute nicht aufgearbeitet. Deshalb hat unter anderem die hessische GEW damit begonnen, sich kritisch mit den Berufsverboten und den Unvereinbarkeitsbeschlüssen in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen.
In einem aktuellen Beschluss bittet die GEW Hessen die in den Siebzigerjahren ausgeschlossenen Mitglieder um Entschuldigung und erklärt die Ausschlüsse für nichtig. In den
letzten Wochen hat sich in Hessen darüber hinaus ein Bündnis „Berufsverbote Hessen“ gegründet, in dem die GEW, ver.di, die IG Metall, die Vereinigung der Verfolgten das Naziregimes und weitere Organisationen und Betroffene zusammenarbeiten. Zu den Zielen gehören vor allem die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen sowie die Herausgabe und Löschung der über sie im Verfassungsschutz gespeicherten Daten.
Deshalb ist der Kampf gegen Berufsverbote ein Eintreten für demokratische Verfahren und Inhalte insgesamt und ein Thema, dessen Diskussion eine breite Öffentlichkeit verdient.
Besonders bitter ist es, daran zu erinnern, dass zu den ersten Berufsverbotsopfern Kinder von Widerstandskämpfern gegen den Faschismus gehörten. Die Töchter von Widerstandskämpfern wie Doris Fisch, Anne Kahn und Silvia Gingold, die Tochter des jüdischen Widerstandskämpfers in der französischen Resistance, Peter Gingold, wurden in Hessen mit Berufsverboten belegt.
Am 12. Januar in diesem Jahr fand beim Wiesbadener Verwaltungsgericht der Prozess von Silvia Gingold gegen das Land Hessen statt. Silvia Gingold hatte beantragt, dass sie – sie ist inzwischen Rentnerin – nicht weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet werde und die gesammelten Akten gelöscht werden.
In den Akten wird ihr der Vorwurf gemacht, dass sie in Veranstaltungen aus der Biografie ihres Vaters – wie gesagt: des Antifaschisten Peter Gingold – vorgelesen habe, Reden zum Ostermarsch gehalten habe und sich an dem Schwur von Buchenwald orientiere. Der Schwur lautet:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
So weit der Schwur von Buchenwald.
Der Vorwurf des Verfassungsschutzes in den Akten lautet, dass sich Silvia Gingold nicht mit der Vernichtung des Faschismus begnügen würde, sondern auch dessen Wurzel vernichtet werden solle, als Ablehnung der kapitalistischen, freiheitlich demokratischen Grundordnung interpretiert.
Folglich handelt es sich dabei nicht mehr um die Konformität mit dem Grundgesetz. Der Verfassungsschutzbehörde geht es nicht um Rechtsgrundlagen und Normensysteme, sondern um Treue zum Staat und damit zu den Machtverhältnissen.
Die vom Verfassungsgericht verordnete Einzelfallprüfung in diesen Fällen endete in der Regelanfrage beim Verfassungsschutz, und bei dem Recht, angehört zu werden, blieb es. Dieses vermeintliche Recht als Schutz vor Willkür wurde allerdings zum Instrument der Willkür, zur Einrichtung der Inquisition.
Deutschland hat die französische und die englische Sprache bereichert: „Berufsverbot“ und „Radikalenerlass“ waren nicht übersetzbar. In keinem anderen europäischen Land, in keiner anderen europäischen Sprache gilt „radikal“ als Vorwurf oder Schimpfwort. Im Grunde verbindet man mit dem Begriff „radikal“ Mut und Klarheit. Radikal denken und radikal handeln, wie es Marx sich selbst und anderen abforderte, heißt, alles von der Wurzel her zu denken und entsprechend zu handeln.
Nach über 45 Jahren ist keine staatliche Entschuldigung an die Opfer der Berufsverbote erfolgt – weder an die Bespitzelten, an die Eingeschüchterten und Erschrockenen noch an die, deren berufliche Entwicklungswege verbaut wurden; ganz zu schweigen von denjenigen, die aus Angst um ihre beruflichen Möglichkeiten auf ihre freie Meinungsäußerung und freie Entfaltung verzichtet haben.
Es soll verdrängt werden, dass über die Republik Wellen der Einschüchterung und der Verfolgung hinwegrollten. Nach dem KPD-Verbot gab es Tausende Kommunistenprozesse und eine „Säuberung“ des öffentlichen Dienstes. Nach der 68er-Revolution kam die reaktionäre Wende mit den Berufsverboten, und nach der deutschen Einheit wurde der Elitenwechsel Ost zur Staatsräson.
Stets sollte der Staatsapparat veränderungsfrei gehalten werden. Stets aber gab es auch Solidarität mit den Betroffenen, neuen Widerstand und einen neuen Anlauf zur Veränderung – bis heute.
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg schafften die Berufsverbote 1992 endlich ab und trugen zur Wiederherstellung von Recht entschieden bei.
Ja, ich komme zum Schluss. – Das Bündnis „Berufsverbote Hessen“ hat mit einer Ausstellung, die bereits im November im Frankfurter Gewerkschaftshaus gezeigt wurde, ein Zeichen für die Rehabilitierung der Betroffenen gesetzt. Diese Ausstellung wird in allen hessischen Gewerkschaftshäusern und in den Universitäten, aber auch im Marburger Rathaus in den nächsten Wochen zu sehen sein.
Deshalb – so meinen wir – sollte mit der historischen Aufarbeitung jetzt endlich begonnen werden. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich herzlich bei der Kollegin Alex dafür bedanken, dass sie beim Thema Landesstiftung „Miteinan