Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle die Beschlussfähigkeit fest und eröffne die 98. Plenarsitzung.
Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Deckung des Lehrkräftebedarfs bleibt vollumfänglich gesichert, Drucks. 19/4559. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 54 und kann zusammen mit Tagesordnungspunkt 18 zu diesem Thema aufgerufen werden. Ich sehe keinen Widerspruch.
Kolleginnen und Kollegen, außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Kooperation von Schulen und Unternehmen transparent und einflussfrei fördern, Drucks. 19/4562. – Auch hier wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird dies Tagesordnungspunkt 55 und kann zusammen mit Tagesordnungspunkt 16 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Auch das ist der Fall.
Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 18. Hierzu wird Tagesordnungspunkt 54 aufgerufen. Dann folgt Tagesordnungspunkt 27. Dazu werden die Tagesordnungspunkte 15 und 22 aufgerufen. Nach der Mittagspause starten wir dann mit Tagesordnungspunkt 20.
Jetzt habe ich noch Geburtstagsglückwünsche zu überbringen. Herr Staatsminister Dr. Thomas Schäfer begeht heute seinen Geburtstag.
(Vizepräsidentin Heike Habermann überreicht ein Weinpräsent. – Zuruf von der CDU: Danke für die Einladung! – Gegenruf von der Ministerbank: Wir haben schon Sekt hier oben! – Allgemeine Heiter- keit)
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Landesregierung reagiert zu spät auf Lehrkräftemangel – nachhaltige Versorgung der Schulen mit Lehrkräften sichern, anstatt sich die Situation als „Allzeithoch“ schönzureden – Drucks. 19/4525 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Deckung des Lehrkräftebedarfs bleibt vollumfänglich gesichert – Drucks. 19/4559 –
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Hessen fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Der Kultusminister hat eine angemessene, rechtzeitige Lehrerbedarfsplanung leider verschlafen.
Meine Damen und Herren, dass Lehrerinnen und Lehrer fehlen, soll ja inzwischen sogar bei der CDU-Basis angekommen sein. Nicht anders kann ich mir erklären, dass schon vor zwei Wochen ein CDU-Mitglied aus Rodenbach – örtlich bekannt – in einem Leserbrief geschrieben hat, Degen hätte Lehrer bleiben sollen. Dann wäre der Lehrermangel in Hessen nicht ganz so schlimm.
Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, dass ich hier stehe. Herr Kultusminister, aber vorab: Ich werde Ihnen den Gefallen so bald nicht tun.
Meine Damen und Herren, ein Blick in die Zeitung genügt. Schülerinnen und Schüler sowie Eltern demonstrieren, um auf den Lehrermangel aufmerksam zu machen. Jüngst in Frankfurt: Lehrkräfte schreiben Brandbriefe, weil sich durch den Personalnotstand die ohnehin angespannte Belastungssituation weiter verschärft, vor allem an Grundschulen. Eltern und Schüler fordern, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich dass an Grundschulen jede Klasse auch einen eigenen Klassenlehrer oder eine eigene Klassenlehrerin hat.
Genauso selbstverständlich sollte es sein, dass diese Stellen auch tatsächlich mit examinierten Grundschullehrerinnen und -lehrern besetzt werden. Auch das ist in Hessen nicht selbstverständlich.
Meine Damen und Herren, ich kann es schon wieder hören: Im Landesschnitt seien es nur 2 % unbesetzte Stellen – so die Landesregierung. Sagen Sie das doch einmal den Schulen, an denen 30 oder 60 Stunden nicht besetzt sind. Denen ist es total egal, wie das im Landesdurchschnitt ist.
An der Frankfurter Eichendorffschule fehlen 90 Wochenstunden, drei Klassen sind ohne Klassenlehrer. Dort müssen Klassen doppelt geleitet werden. Kinder würden immer wieder auf andere Klassen aufgeteilt, oder Lehrer beaufsichtigten zwei Klassen gleichzeitig, berichtete die Elternbeirätin der Eichendorffschule vergangene Woche. Meine Damen und Herren, in Frankfurt werden zum kommenden Schuljahr 90 Stellen an Grundschulen nicht zu besetzen sein – das sagt sogar der Leitende Schulamtsdirektor. Alldem müssen Sie ins Auge sehen.
An Förderschulen ist es nicht besser bestellt. Das hat schon eine Kleine Anfrage von uns im letzten Herbst ergeben. Meine Damen und Herren, 77 Stellen an Förderschulen in Hessen können gar nicht besetzt werden.
Ich gebe ja zu: So langsam verstehe ich auch die Stellenkürzungspolitik im vergangenen Jahr. Ich erinnere einmal daran: 140 Stellen an Grundschulen wurden im letzten Jahr gestrichen. Jetzt verstehe ich langsam erst, was der Hintergrund dafür war. Sonst hätten wir heute 140 Stellen mehr an Grundschulen, die nicht besetzt werden können.
Schon heute halten sich viele Schulen nur über Wasser, weil sie Studierende oder andere fachfremde Lehrkräfte auf Zeitverträgen befristet einstellen, um die Unterrichtsversorgung überhaupt sicherstellen zu können. Auch hier gibt es Fakten: An Förderschulen waren es 84 % im vergangenen Jahr, d. h. nur 84 % der Lehrkräfte an den Schulen in der inklusiven Beschulung haben ein zweites Staatsexamen. Meine Damen und Herren, das kann nicht sein.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) und Gabriele Faulhaber (DIE LINKE))
Ich kann Eltern gut verstehen, die sich deswegen Sorgen um ihre Kinder machen. Meine Damen und Herren, gerade an Grund- und Förderschulen ist es doch so wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler eine Bindung zu ihrer Lehrkraft aufbauen können und dass da auch einmal zwei Jahre lang Kontinuität in der Klassenleitung ist. Es kann nicht funktionieren, wenn Sie solche Stellen immer wieder nur mit Befristungen besetzen.
Jetzt verrate ich einmal, was mich wirklich sauer macht. Meine Damen und Herren, das Ganze kommt nicht von heute auf morgen. Wir haben es schon 2015 mit der Antwort auf eine Große Anfrage schwarz auf weiß von der Landesregierung: Lehrkräfte fehlen an beruflichen Schulen und an Förderschulen. Schon damals – 2015 – wurden erhöhte Bedarfe für das Lehramt an Grundschulen prognostiziert. Die Landesregierung wusste das seit 2015.
In Ihrem Antrag liest man wieder einmal von fantastischen Zahlen. Hier ist von 25.000 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern die Rede. Jawohl, das ist eine sehr große Leistung, die unsere Lehrerinnen und Lehrer erbracht haben. Wie viele dieser 25.000 sind aber an Förderschulen? Sehr wenige von ihnen werden damit zu tun haben, dass 77 Stellen nicht besetzt werden können.
Wie viele dieser Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sind an Grundschulen? Einige. Ja. Aber nicht 25.000. Ich finde es unredlich, hier mit solchen Zahlen zu argumentieren. Das hat zwar ein bisschen etwas damit zu tun, aber Sie können keineswegs behaupten, dass die Flüchtlinge für den Lehrermangel in Hessen verantwortlich sind.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU))
Die Geburtenraten kennt man sechs Jahre im Voraus, Herr Schwarz. Das sollte man eigentlich auch wissen.
Man könnte auch wissen, Herr Schwarz, dass in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die Beamtenarbeitszeit reduzieren wollen. Das finden wir gut. Das wissen aber auch Sie seit drei Jahren. Man hätte seit drei Jahren wissen können, dass Neueinstellungen nötig sind.
Auch andere Bundesländer sind schwarz oder grün geführt. Ich habe mich gestern einmal umgehört. Nordrhein-Westfalen hat schon längst die Studienkapazitäten an den Universitäten erhöht. Rheinland-Pfalz bildet seit Jahren über Bedarf aus, und alle Planstellen an Grundschulen konnten bisher besetzt werden. Bayern hat längst ein Quereinsteigerprogramm für Gymnasiallehrkräfte zur Umschulung zu Förderschullehrkräften ins Leben gerufen.
Und was hat Hessen gemacht? – Das ist die richtige Frage. Hessen hingegen hat lediglich die Anträge der SPD zur Steigerung der Aus- und vor allem der Weiterbildungskapazitäten abgelehnt. Das hat Hessen gemacht.
Wir haben mehr als einmal auf das Problem hingewiesen. Wir haben ein Konzept geliefert. Der Kollege Wagner fragt ja immer gern nach unseren Konzepten. Wenn wir sie liefern, werden sie aber abgelehnt, und zwar ohne dass ein eigenes Konzept vorgelegt wird.
Schwarz und Grün führen nun wieder an, sie würden so viele Stellen schaffen. Ich nehme einmal das Beispiel Inklusion. Ich bin den GRÜNEN sehr dankbar, dass sie in der Koalition durchgesetzt haben, dass neue Stellen für die inklusive Beschulung geschaffen werden. Was halten Sie aber davon, dass, während Sie neue Stellen durchsetzen, Ihr Koalitionspartner längst weiß, dass keine einzige dieser Stellen wird besetzt werden können, weil überhaupt nichts in die Aus- und Weiterbildung gesteckt wird?