Protokoll der Sitzung vom 23.03.2017

Wir haben eine klare Botschaft an die Menschen, die in der Türkei leben: Wir kritisieren eure Regierung, aber wir wollen weiter ein partnerschaftliches und freundschaftliches Verhältnis mit der Türkei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Turgut Yüksel (SPD))

Und wir haben eine klare Botschaft an die Türkischstämmigen in unserem Land: Ihr seid willkommen, ihr gehört zu unserem Land.

Wir wissen, dass die überwiegende Mehrzahl friedlich in unserem Land lebt, die Werte unserer Demokratie teilt und verteidigt. Gemeinsam mit diesen Menschen wollen wir unsere vielfältige, unsere bunte und unsere weltoffene Gesellschaft hier in Deutschland und in Hessen gestalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der FDP)

Wir haben auch eine klare Bitte an die türkischstämmigen Menschen in unserem Land, die bei dem Referendum ab

stimmen können: Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit, die wir alle hier in Deutschland und in Hessen so schätzen. Stimmt bei dem Referendum mit Nein. Das ist unsere herzliche Bitte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN)

Danke, Herr Wagner. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Bellino das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich konkret auf Herrn Yücel zu sprechen komme, einige einleitende Worte zur aktuellen Situation und zum Verhältnis zur Türkei, wie sie der eine oder andere Vorredner gefunden hat.

Unser Landtagspräsident hat in seiner Ansprache am Dienstag schon entsprechende Worte gefunden und Wertungen vorgenommen; der Ministerpräsident zuvor und danach auch und noch deutlicher. Dies war auch notwendig und richtig.

Erstens. Das Verhältnis Deutschlands mit der türkischen Regierung ist auf einem Tiefpunkt angekommen, und hoffentlich – so makaber sich dies vielleicht anhört – ist das wirklich ein Tiefpunkt, denn dann ginge es zumindest wieder aufwärts.

Zweitens. Bedauerlicherweise schaffen es Vertreter der türkischen Regierung derzeit fast täglich, das von ihnen erreichte niedrige Niveau noch weiter zu unterbieten und Beweise für ein unausgewogenes Demokratieverständnis zu liefern.

Wenn es auch mitunter schwerfällt: Meine Fraktion wird sich am Wettbewerb der Provokationen und an der von türkischen Verantwortungsträgern gewollten Eskalation nicht beteiligen. Das ist nicht unser Interesse, das dient nicht unserem Land, und vor allem wäre es zu verallgemeinernd.

Drittens. Was türkische Politiker aktuell von sich geben, hat wohl wenig mit der Türkei und mit den bei uns lebenden Türken zu tun.

Viertens. Deshalb wollen wir bestehende Brücken nicht abreißen, sondern wir wollen im Gespräch mit der türkischen Gesellschaft und den Menschen in der Türkei bleiben.

Die Freundschaft unserer Nationen, die vielfältigen Verflechtungen unserer Länder, die vielen persönlichen und familiären Verbindungen, aber auch das deutsche und das hessische Interesse sind uns auch in schwierigen Zeiten Ansporn, Raum für Gespräche und eine bessere, sachliche Zukunft zu lassen.

Auch deshalb waren wir in der letzten Woche mit einer Delegation in unserer Partnerregion Bursa und in Istanbul. Es waren schwierige Gespräche in schwieriger Zeit, aber es war uns wichtig, miteinander statt übereinander zu sprechen, um damit in dieser schwierigen Zeit eben nicht sprachlos zu werden.

Deshalb in aller Deutlichkeit: Die Beleidigungen, Drohungen und Provokationen von Erdogan und seinen Regie

rungsmitgliedern sind völlig inakzeptabel, und ich persönlich finde sie abstoßend.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Insbesondere Vergleiche unserer Republik mit dem Nationalsozialismus und der jüngste Vorwurf, wir wollten – Zitat – die Gaskammern wieder aufbauen, sind so unterirdisch, so niveaulos und offensichtlich so dumm und falsch, dass sie sich selbst entlarven.

Wenn man uns droht nach dem Motto, bald sei kein Europäer auf der Straße mehr sicher, fragt man sich, in welchem Zustand sich dieser Mann befindet.

Wer die EU als grausam und faschistisch bezeichnet, Gaskammern und Sammellager ins Gespräch bringt, behauptet, wir würden Nazi-Methoden anwenden, hat zumindest seinen Realitätssinn verloren.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer Journalisten willkürlich verhaftet, weil sie ihre Arbeit machen, wer ein Referendum mit den bekannten Inhalten anstrebt, zeigt diktatorische Züge. Mich trifft es daher gerade in dieser Diskussion sehr, wenn dann die LINKEN in ihrem ersten Wortbeitrag darauf hinweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland Mitdrahtzieher solcher Menschen sei.

So leid es mir tut, die einst aufstrebende Türkei ist auf einer abschüssigen Bahn. Ich wünsche sehr, dass die Bürger der Türkei diesen Prozess zu stoppen wissen. Ein Höhepunkt dieser besorgniserregenden Entwicklungen ist die Inhaftierung des Flörsheimer Journalisten Deniz Yücel. Er steht damit exemplarisch für viele Journalisten, die wegen ihrer Berichterstattung verhaftet wurden, und er steht für viele Menschen verschiedenster Nationalität, die seit dem gescheiterten Putschversuch in türkischen Gefängnissen auf ein ordentliches, auf ein rechtsstaatliches Verfahren warten.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich finde es daher positiv, dass wir als Landtag uns mit dieser Thematik befassen und zum anderen die Forderung formulieren, dass die angeordnete Untersuchungshaft unverhältnismäßig hart ist und dass Herr Yücel freigelassen werden muss.

Er war als Journalist einer deutschen Zeitung in der Türkei tätig und hat sein verbrieftes Recht auf freie Berichterstattung wahrgenommen. Nach den Anschuldigungen hat er sich den türkischen Behörden aus freien Stücken gestellt. Wir erwarten, dass die türkische Justiz in der Behandlung des Falles den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft berücksichtigt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bellino, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich halte es deshalb auch für richtig, dass sich die Bundesregierung auf allen Ebenen für eine baldige Freilassung einsetzt. Wir haben dies bei unserer Delegationsreise auch getan.

Letzter Satz, Herr Präsident. – Es muss gewährleistet sein, dass allen in der Türkei Beschuldigten und Angeklagten, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und ihrer politischen Überzeugung, ein zügiges, faires und rechtsstaatliches Verfahren offensteht. Das erwarten wir nicht nur von jemandem, der irgendwann einmal der EU beitreten will, sondern auch von unserem NATO-Partner. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Turgut Yüksel (SPD))

Danke, Herr Bellino. – Als Nächste spricht die fraktionslose Abg. Öztürk.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will daran erinnern: Für mich ist der Haupttagesordnungspunkt am heutigen Tag die Debatte um die Freilassung von Deniz Yücel. Ich möchte meine Rede mit dem beginnen, wie er es beschrieben hat, was gerade mit ihm passiert:

… das Alleinsein ist schon fast eine Art Folter. … Die Zelle ist vier mal vier Meter groß. Durch das Fenster sehe ich nur eine sechs Meter hohe Mauer. Den Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer. … Weder meine eigene Situation noch die dieses Landes, das ich trotz allem liebe, werden so bleiben, wie sie sind.

So beschreibt Deniz Yücel Anfang dieses Monats seine Haft. Solange er in dieser Situation ist und trotzdem voller Hoffnung ist, dass sich etwas ändert, finde ich es richtig, dass heute ein Antrag von SPD, DIE LINKE und FDP gestellt worden ist – ich hoffe, mit Zustimmung des ganzen Hauses –, der die Freilassung von Deniz Yücel fordert.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP so- wie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN)

Denn Deniz Yücel ist ein Journalist, und Deniz Yücel hat nichts Schlimmes getan, außer seinem Beruf nachzugehen, kritische Fragen zu stellen über die Situation des Südostens, über die Stadt Cizre. Er hat nichts Schlimmes getan, außer kritische Fragen zu stellen, was die suspekten Energiegeschäfte des Schwiegersohns des Präsidenten Erdogan betrifft, und er hat in vielen anderen, sehr unbequemen Situationen die richtigen Fragen gestellt. Von daher ist es unverhältnismäßig, dass Deniz Yücel aufgrund dieser Berichterstattung heute im Gefängnis sitzt und als Krimineller oder Terroranhänger bezichtigt wird. Von daher fordere ich erneut die sofortige Freilassung von Deniz Yücel.

(Allgemeiner Beifall)

Wie Deniz Yücel sitzen 150 weitere Journalistinnen und Journalisten ein. In der aktuellen Situation, wo es einen angeblich demokratischen Prozess zum Referendum in der Türkei gibt, wären genau solche Journalisten wichtig, die

darüber aufklären, welche Konsequenzen diese Verfassungsänderung hat und welche nicht. Leider sitzen diese kritischen Journalisten im Gefängnis, und alle die, die in der aktuellen Situation in der Türkei gegen eine Verfassungsänderung werben wollen, werden gleichermaßen wie Deniz Yücel des Terrors bezichtigt. Sie werden bezichtigt, kriminellen Gruppierungen anzugehören, und werden mundtot gemacht.

Von daher ist es wichtig, dass wir auch von Deutschland aus ganz klar für ein Nein zur Verfassungsänderung in der Türkei werben, dass wir die in Deutschland lebenden Staatsbürger türkischer Nation dazu auffordern, kritisch über diese Verfassungsänderung nachzudenken, und ihnen sagen, dass sie, wenn sie mit einem Nein ihrem demokratischen Recht nachkommen, keine Kriminellen, sondern Demokraten und Bürger dieses Landes sind.

(Allgemeiner Beifall)

Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Öztürk.

Ich komme zum Ende. – Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. – Dass Deniz Yücel mutig ist, haben wir heute gesehen. Ich wünsche nun diesem Haus so viel Mut, dem Antrag von SPD, LINKEN und FDP zuzustimmen und damit das Signal zu senden, dass wir Deniz Yücels Freiheit möchten. – In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Danke, Frau Öztürk. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Puttrich das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Über die Türkei kann man in der Tat lange debattieren. Von der Situation, wie sie sich darstellt, sind wir alle mehr als betroffen.