Protokoll der Sitzung vom 03.05.2017

Wir überweisen den Gesetzentwurf zur Vorbereitung der zweiten Lesung an den zuständigen Fachausschuss, nämlich an den Sozialausschuss. – Allgemeine Zustimmung.

Ich weise Sie darauf hin, dass jetzt die Veranstaltung zum Thema „60 Jahre Römische Verträge“ im Medienraum im Erdgeschoss beginnt. Sie sind herzlich dazu eingeladen.

Wir unterbrechen die Sitzung nun bis 15 Uhr. Alles Gute. Kommen Sie wieder. Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 13:04 bis 15:01 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend hessische Wirtschaft floriert – Landesregierung sorgt für gute Rahmenbedingungen und eröffnet Zukunftsperspektiven, Drucks. 19/4866. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 57 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 31 aufgerufen werden. – Das ist der Fall.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 und Tagesordnungspunkt 57 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Wirtschaftsund Industriestandort Hessen stärken – Drucks. 19/ 4824 –

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend hessische Wirtschaft floriert – Landesregierung sorgt für gute Rahmenbedingungen und eröffnet Zukunftsperspektiven – Drucks. 19/4866 –

Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten pro Fraktion. Als Erster hat Kollege Rentsch für die FDP-Fraktion das Wort.

(Eine schwarz-gelb gestreifte Ente liegt auf dem Rednerpult. – Heiterkeit und Beifall bei der FDP so- wie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde das niedlich. Man könnte es als ein politisches Zeichen sehen: Schwarz-Gelb hier vorne am Pult. Vielen Dank dafür. In dieser politischen Konstellation habe ich viel Zeit verbracht.

Ich habe selten so viel Applaus am Anfang einer Rede bekommen. Ich merke, dafür muss man seine letzte Rede halten.

(Heiterkeit und Beifall)

Der Ministerpräsident hat gesagt, er bleibe noch fünf Minuten, um zu hören, ob ich etwas Freches sage. Herr Ministerpräsident, die Frechheiten kommen erst im persönlichen Teil am Schluss der Rede. Das werden Sie nicht mehr mitbekommen, aber es wird dokumentiert.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, bevor ich zu dem komme, was ich persönlich noch zu sagen habe: Wir Freie Demokraten haben heute das Thema Industriestandort Hessen auf die Tagesordnung gesetzt, weil das ein Punkt ist, der uns umtreibt.

Ich denke, es sollte Gemeinsamkeit in unserem Hause bestehen, wir alle sollten der Auffassung sein, dass die wirtschaftliche Struktur dieses Landes dafür Sorge trägt, dass Hessen so erfolgreich ist, dass wir im Herzen der Bundesrepublik so viele Tausende gut bezahlter, innovativer Arbeitsplätze bieten können und dass die Menschen gerne hierher kommen.

Wenn wir über die Wirtschaftspolitik diskutieren, muss man ganz einfach sagen: Wir Hessen haben Strukturen, um die uns viele andere beneiden. Das sorgt auf der einen Seite dafür, dass wir seit einer Rekordzahl an Jahren Zahlerland im Länderfinanzausgleich sind, aber eben auch dafür, dass wir in den letzten Jahren gut durch verschiedene Krisen gekommen sind. An dieser Stelle vielleicht parteiübergreifend noch gesagt: Auch viele Vorgängerregierungen, politisch unterschiedlich getragen, haben kluge Entscheidungen getroffen, damit dieses Land heute dort steht, wo es steht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube aber, dass wir mit genauso großer Wichtigkeit darüber diskutieren müssen, was jetzt zu tun ist, damit das so bleibt.

Wer sich die aktuellen Zahlen und Entwicklungen anschaut, der stellt fest: Der Industriestandort Hessen steht an vielen Stellen vor Herausforderungen, über die wir dringend diskutieren müssen. Es ist nicht gottgegeben, dass wir jedes Jahr mehr Steuereinnahmen haben. Es ist nicht gottgegeben, dass wir gut bezahlte Arbeitsplätze haben, sondern im Konkurrenzkampf mit anderen Wirtschaftsstandorten auf der Welt sind wir gefordert, mehr zu tun als viele andere.

Wer sich die Standortschließungen in den letzten Monaten – Coty, Mundipharma, Sanofi, Spezialguss Wetzlar –, die Kurzarbeit bei K+S oder die Übernahme von Opel vor Augen führt, muss sagen: Eine Erfolgsgeschichte wie die, die wir definitiv haben – da stimme ich dem Ministerpräsidenten zu –, muss immer wieder neu erarbeitet und erkämpft

werden. Das, was wir dort erleben, sollte uns zum Nachdenken anregen.

Wer sich die aktuellen Wirtschaftszahlen ansieht, stellt fest, dass Hessen mit 1,5 Prozentpunkten hinter dem Bund – 1,9 Prozentpunkte – liegt. Das war häufiger so, und zwar deshalb, weil wir in Hessen von einem höheren Niveau ausgehen. Klar ist aber auch: Wenn die Wirtschaft in Bayern um 2,2 Prozentpunkte und in Baden-Württemberg um 2,2 Prozentpunkte wächst, dann sind das unsere direkten Konkurrenten, und wir müssen schon darüber nachdenken, warum die Industrie in anderen Bundesländern stärker wächst als in Hessen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sind die Zahlen, gerade die aus der Chemie- und der Pharmabranche, aus meiner Sicht besorgniserregend. Die Umsätze sind von 2013 bis 2016 signifikant jedes Jahr gesunken – bis jetzt um 2 Milliarden €. Wir haben einen Rückgang um 2.000 Arbeitsplätze. Da werden viele sagen: Das ist doch nicht viel. – Das sind aber hoch bezahlte und hoch qualifizierte Industriearbeitsplätze. Deren Zahl ist von 39.000 auf 37.000 gesunken. Das sind erst die Anfänge. Es besteht zwar noch kein Grund, in Panik zu verfallen, aber es gibt Anlass dazu, genau hinzuschauen, was die Gründe dafür sind.

Der Wirtschaftsminister hat, gemeinsam mit der Regierung, das Ziel formuliert, man wolle unter die Top 5 der innovativsten Industriestandorte Europas kommen. Das ist gut so. Das halte ich für das richtige Ziel.

(Beifall bei der FDP)

Der europäische Innovationsindex ist anspruchsvoll. Er spiegelt, so glaube ich, das wider, was wir sein wollen: ein moderner Wirtschaftsstandort, der sich auch neuen Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung, im Bereich der Infrastruktur usw. stellt. Im Jahre 2014 lagen wir bei diesem Innovationsindex auf Platz 7; im Jahre 2016 stehen wir auf Platz 10. Herr Wirtschaftsminister, wenn man Platz 5 erreichen will, ist es nicht gut, rückwärts zu gehen, sondern man muss vorwärts gehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei Abge- ordneten der SPD)

Deshalb ist die Frage: Woran liegt das? Die IHK stellt in einer Studie des DIW fest, Hessen und die Region RheinMain gehörten längst nicht mehr zu den am stärksten prosperierenden Regionen der Welt und Deutschlands, sondern sie würden von anderen Regionen in Deutschland abgehängt, z. B. von den Regionen München, Hamburg und Nürnberg. In all diesen Regionen sei die Beschäftigungsentwicklung deutlich günstiger als in Hessen. Wenn man sich die Dinge anschaut, die wir in dieser Studie ins Stammbuch geschrieben bekommen: Über alle diese Dinge haben wir hier schon häufiger diskutiert.

Unter uns sollte an vielen Punkten Übereinstimmung bestehen. Wir müssen wettbewerbsfähig bleiben. Dafür brauchen wir moderne Infrastrukturen. Wir wollen Investitionen ins Land holen. Dafür brauchen wir gute Rahmenbedingungen. Wir wollen moderne Arbeitsplätze haben. Dafür brauchen wir eine gute Bildungspolitik. All das mündet zum Schluss darin, dass es Menschen und Unternehmen gibt, die Steuern zahlen, damit das Land überhaupt über die Voraussetzungen dafür verfügt, diese Rahmenbedingungen zu setzen. Deshalb sind aus unserer Sicht eine gute Infrastruktur, digital und traditionell – das sagt auch das

DIW –, eine gute Situation bei den Fachkräften, ein modernes Infrastrukturnetz – das besteht nicht nur, aber eben auch aus Straßen – und eine leistungsfähige Energieversorgung extrem wichtig.

Ich will einen fünften Punkt hinzufügen, den das DIW nicht nennt, der aber lange Zeit Überzeugung einiger Fraktionen hier im Hause war: Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, die 1999 in der Regierung unter Roland Koch und Ruth Wagner in der „House of“Idee auf den Weg gebracht worden ist. Wissenschaft und Wirtschaft auf einer gemeinsamen Plattform zusammenarbeiten zu lassen, das ist eine Grundlage für Innovation in diesem Lande, die es in keinem anderen Land der Bundesrepublik gibt. Ich kann nur dazu raten, das fortzusetzen, weil das die optimale Grundlage ist.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man sich fragt, was wir machen müssen, dann muss man feststellen: Herr Minister, wir werden nicht darum herumkommen, mehr in die Infrastruktur zu investieren. Bei 185 Millionen € an Abschreibungen – so der Geschäftsbericht der Landesregierung – reicht es eben nicht, wenn man deutlich weniger investiert, weil man dann noch nicht einmal den Status quo sichert. Auf diese Weise verschlechtert sich der Zustand unserer Straßen jedes Jahr.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Al-Wazir wird an der Stelle sagen: Na ja, auch ihr habt nicht viel investiert. – Ich hätte gern – ich gebe offen zu, darum beneide ich Sie ein Stück weit – so viel Geld gehabt wie die amtierende Landesregierung. Sie könnten pro Jahr mehr für den Straßenbau ausgegeben. Das würden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande danken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Eine zentrale Rolle spielen eben die großen Projekte, wie die A 44, die A 49 und der öffentlich stark diskutierte Riederwaldtunnel. Es geht aber auch um den Frankfurter Flughafen als Jobmotor. Alle diese Punkte muss man vorantreiben. Man sollte ihre Umsetzung nicht behindern. Sie sind für dieses tolle Land in der Mitte der Bundesrepublik dringend erforderlich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Genauso wichtig ist es, die digitale Infrastruktur voranzutreiben. Ich glaube, 2003, als ich in dieses Parlament kam, hatte ich es, wenn ich telefonieren wollte, mit genauso vielen Funklöchern zu tun wie jetzt. Da hat sich nicht viel geändert. Aber daneben brauchen wir – da hat Kollege Schäfer-Gümbel recht – eine andere Verwaltung, eine, die modern und digital ist. Wir haben dazu ein, wie ich finde, sehr kluges Papier erstellt.

Genauso müssen wir die Menschen auf eine neue Arbeitswelt vorbereiten. Die Arbeitswelt Industrie 4.0 ist etwas völlig anderes als das, worüber wir in den letzten Jahrzehnten diskutiert haben. Die Aussage „Können Sie eine Programmiersprache? Wenn nein, gehören Sie zu den Analphabeten der modernen Generation“ ist leider wahr. Die Frage, wie wir die Menschen auf die Arbeitswelt Industrie 4.0 vorbereiten, werden wir nur mit einer guten Bildungspolitik beantworten können. Deshalb ist diese der Schlüssel.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Der nächste Punkt ist klar – das will ich nicht ausführen; denn die Marke ist bekannt –: Wir sind für eine kluge Energieversorgung, die nicht nur auf hoch subventionierte Bereiche, z. B. auf die Windkraft, setzt, sondern bei der eine Struktur entwickelt wird, zu der auch moderne Kraftwerke gehören. Ich weiß, dass das hier sehr umstritten ist. Aber, Herr Kollege, ich glaube, es ist falsch, zu sagen: „Wir verabschieden uns jetzt noch schneller von der Kohle, als es vereinbart war“; denn irgendwelche Menschen in diesem Land müssen das bezahlen.

(Beifall bei der FDP)

Im Hinblick auf die Tatsache, dass wir nicht nur eine sichere, sondern auch eine bezahlbare Energieversorgung brauchen, ist das EEG an seine Grenze gestoßen. Für die erneuerbaren Energien sollte aus meiner Sicht jetzt eine Struktur geschaffen werden, bei der sie nicht mehr von Subventionen abhängig sind. Es wäre dringend erforderlich, hierfür einen ordentlichen Markt zu schaffen, der diese Bezeichnung tatsächlich auch verdient.

(Beifall bei der FDP)

Nächster Punkt. Ich glaube, wenn es einem so gut geht, muss man aufpassen, dass man die Situation nicht dadurch verschlechtert, dass man jetzt Fehler macht, deren Auswirkungen man erst in vier, fünf oder sechs Jahren richtig spürt.

Ich sage das sehr offen in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN: Ich will nicht bestreiten, dass wir bei der Frage, was wir für richtig oder für falsch halten, unterschiedliche Marken haben. Die Klimaschutzpolitik ist Ihre Marke; da haben Sie sicherlich auch große Verdienste. Aber auch hier kann ich nur raten, mit gesundem Menschenverstand voranzugehen. Man sollte aufpassen, dass man mit einem Klimaschutz-Aktionsplan nicht dazu beiträgt, dass die Investitionen in diesem Land weiter zurückgehen.