Da können wir uns wieder hier umschauen: Ich bin mit 60 Jahren selbst in dieser Altersgruppe. Wenn ich an meine Zukunft denke – das mag den einen erschrecken, das mag den anderen vielleicht aber auch erfreuen –, dann denke ich keineswegs an Ruhestand,
sondern vielmehr daran, welche spannenden Projekte und Herausforderungen ich beruflich noch anpacken werde. Jeder, der an der Schwelle dieses Alters ist oder es überschritten hat, muss sich selbst fragen, ob es ihm nicht genauso geht. Genau dies sind die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, die wir in unserer Gesellschaft haben, die wir auch akzeptieren müssen und wo wir, wenn es Probleme gibt, Antworten und Lösungen für solche Probleme finden müssen.
Weil viele Menschen so denken, müssen wir ihnen nicht nur ein altersgerechtes, sondern auch ein alternsgerechtes Arbeiten ermöglichen und damit letztendlich auch den Ansprüchen und Bedürfnissen einer älter werdenden Belegschaft Rechnung tragen. Das spielt auch für das Thema Fachkräftesicherung, für welches wir damit gleichzeitig sensibilisieren wollen, eine große Rolle. Wir brauchen ältere Menschen in unserer Arbeitswelt. Menschen, die länger arbeiten, können auch einen Wissenstransfer an die jüngere Generation leisten. Wenn wir dieses Wissen nicht weitergeben, wird unsere Gesellschaft ärmer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb ist es notwendig und wichtig, dass wir dort ansetzen, dass wir genau diese Gesundheit aufrechterhalten können, die letztendlich dazu führt, dass der Wissenstransfer stattfinden kann. Deswegen sind wir dabei, insbesondere die Beschäftigungsfähigkeit der hessischen Bürgerinnen und Bürger durch Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement in den Betrieben zu fördern und sie zu beraten. Dabei setzen wir nicht erst bei den älteren Menschen an, sondern schon sehr viel früher. Bereits den jungen Menschen erklären wir, dass ein gesundes Leben auch eine Chance für ein erfülltes Alter gibt. An dieser Stelle sind die Interdependenzen ganz deutlich zu sehen.
Einen besonderen Fokus legen wir auf das Handwerk; denn dort sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer be
sonderen Belastungen ausgesetzt. Im Rahmen des Projektes „HANDgerecht“ haben das hessische Handwerk und das Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt mit Unterstützung durch das hessische Sozialministerium kürzlich einen Ratgeber erarbeitet, der kleinen Betrieben im Baugewerbe praxisnahe Ansätze aufzeigt, wie sie die physischen Belastungen für ihre Belegschaft so gering wie möglich halten und sich auf die besonderen Bedürfnisse älterer Beschäftigter einstellen können.
Zudem bauen wir die Wissens- und Praxisplattform „Beschäftigungsfähigkeit“ auf, die noch in diesem Jahr freigeschaltet werden soll. Hiermit wollen wir allen kleinen und mittelständischen Unternehmen umfassende und systematische Informationen zur Verfügung stellen, wie sie die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter durch attraktive, sichere und gesunde Arbeitsplätze erhalten können.
Beschäftigungsfähigkeit zu sichern bedeutet damit auch, künftige Altersarmut zu vermeiden; deswegen sage ich das ganz bewusst. Von Altersarmut gefährdet sind vor allem Menschen, die längere Phasen selbstständiger Tätigkeit mit geringem Einkommen, geringfügiger Beschäftigung, von Arbeitslosigkeit oder familienbedingter Erwerbsunterbrechungen in ihren Erwerbsbiografien aufweisen. Wer dagegen in der Lage ist, seinen Beruf lange gesundheitlich fit und vom Wissen her stets auf der Höhe der Zeit auszuüben, hat gute Aussichten, seinen Lebensabend ohne materielle Sorgen gestalten zu können.
Damit komme ich zu den „klassischen“ Rentnerinnen und Rentner, die ihr Berufsleben hinter sich gelassen haben, denen ich allerdings heute auch schon sage: Wir sorgen vor. Allein durch Beschlüsse zur Reform von Betriebsrenten, aber auch durch das von den Kollegen Dr. Schäfer, AlWazir und mir entwickelte Konzept der Deutschland-Rente sehen wir, dass wir in der Frage, wie wir auch gebrochenen Erwerbsbiografien vernünftige Alterseinkünfte sichern können, auf einem guten Weg sind. Das heißt, wir denken heute schon an morgen, und dazu dient auch das Konzept der Deutschland-Rente.
Viele ältere Menschen üben mit viel Freude und Engagement ein Ehrenamt aus. Unser Ziel muss es doch sein, noch mehr Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen. Das ist ein wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft; denn er baut Brücken und verbindet Jung und Alt. Diese Menschen müssen wir ansprechen – und das haben wir getan: Freiwilligenagenturen, generationenübergreifende Initiativen und Hilfsangebote, all das haben wir entwickelt. Von gemeinsamen Theaterprojekten, bei denen Jung und Alt gemeinsam auf der Bühne stehen, über Reparatur-Cafés und praktische Nachbarschaftshilfen – überall engagieren sich Seniorinnen und Senioren, sei es auch bei der Hausaufgabenhilfe; oder sie erleichtern Schulabgängern oder Auszubildenden mit Bewerbungstrainings den Einstieg ins Berufsleben.
Bei der Individualisierung oder auch Zersplitterung von Familienlandschaften, allein aus örtlicher Sichtweise heraus, ist auch das Thema von „Leih-Omas“ und „LeihOpas“ ein wesentlicher Bestandteil für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Spannend ist, dass Untersuchungen ergeben haben, dass die Bindung insbesondere von „Leih
Opas“ zu ihren „Leih-Enkeln“ genauso tief und genauso herzlich ist wie zu den leiblichen Enkeln. Damit entsteht ein Miteinander der Generationen, von dem wir alle profitieren.
Meine Damen und Herren, deshalb ist es uns wichtig, diese Angebote generationenübergreifend zu gestalten. Der Erfahrungsschatz der älteren Menschen muss schlicht und einfach weitergegeben werden. Das ist beispielsweise die Hilfestellung für die junge Familie durch Ältere beim Einkauf, bei der Betreuung, bei vielem anderen mehr. Dieses generationenübergreifende Miteinander ist uns wichtig.
Das wird aber auch institutionell unterstützt. Über 130 Familienzentren mit speziell familienbezogenen Angeboten werden von uns gefördert, und 39 Mehrgenerationenhäuser haben wir hier in Hessen als Anlaufstellen. Denn in einer Welt, die sich längst von der Großfamilie und Gemeinschaft hin zur Individualisierung entwickelt hat, ist es mir ein wichtiges Anliegen, auch der Einsamkeit von Seniorinnen und Senioren entgegenzuwirken und sie generationenübergreifend einzubinden.
Wenn die eigenen Kinder weit weg wohnen oder der Ehepartner bereits verstorben ist, wollen wir Möglichkeiten der Begegnung und der gegenseitigen Hilfe schaffen.
Ältere Menschen berichten mir bei Veranstaltungen immer wieder, dass das Thema „Wie lebe ich im Alter?“ eine sehr große Rolle für sie spielt. Immer früher geht diese Generation in die Planungen für ein möglichst selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Alter.
Ich habe eingangs gesagt, dass wir 70 70-jährige Hessen zu einem Film eingeladen haben. Dieser Film hieß: „Wir sind die Neuen“. Anschließend haben wir mit ihnen diskutiert über generationenübergreifendes Wohnen, neue Wohnformen, neue Wohngemeinschaften. Ich lade jeden ein, ein praktisches Beispiel in Wiesbaden zu besuchen. Ich vermittle gerne den Kontakt dazu.
Auf jeden Fall hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass unterschiedliche Formen des gemeinschaftlichen Wohnens einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, den Seniorinnen und Senioren auch im Alter ein eigenständiges und sozial eingebundenes Leben zu ermöglichen.
Hier haben wir mit unserer Seniorenpolitischen Initiative angesetzt. Damit haben wir bereits 2012 begonnen, neue Handlungskonzepte und Impulse zu entwickeln: mit der Überarbeitung der Broschüre „Wohnen in Hessen – gemeinschaftlich und generationenübergreifend“, der Frage, wie wir mit Wohnungsbaugesellschaften ins Gespräch kommen können, nicht nur altersgerecht, sondern auch barrierefrei zu bauen, und letztlich mit dem Wettbewerb „Aktion Generation – lokale Familien stärken“.
Der letztjährige Preisträger war die Stadt Melsungen mit ganz spannenden Entwicklungen innerhalb der Stadt. Sie sagen: Wir wollen nicht seniorenfreundlich sein, sondern wir wollen generationenfreundlich sein. Genau das ist der Ansatz, den die Landesregierung unterstützt. Nicht zielgruppenspezifisch, sondern generationenübergreifend wollen wir an dieser Stelle handeln.
Wir informieren die hessischen Seniorinnen und Senioren vierteljährlich mit unseren „Seniorenblättern“ über die unterschiedlichsten Themen, die die ältere Generation bewegen, seien es Fragen um die richtige Ernährung, Hilfen und Tricks im Umgang mit dem Internet oder etwa die Liebe im Alter. Wir liefern viel Service. So haben wir im letzten Jahr einen eigenen Flyer zum Umgang mit dem Internet beigelegt; denn gerade die ältere Generation nutzt dieses Medium zunehmend.
Die Bedürfnisse der älteren Menschen werden natürlich auch in unserem aktuellen Projekt „Hessen hat Familiensinn“ analysiert und diskutiert. Wir haben uns mit diesem Projekt zum Ziel gesetzt, die hessische Familienpolitik weiterzuentwickeln und mithilfe konkreter Maßnahmen die Lebensrealität und den Alltag der Familien in Hessen zu verbessern. Dabei spielen die Seniorinnen und Senioren, die ältere Generation, eine entscheidende Rolle.
Wir überprüfen uns auch selbst. An dieser Stelle kann es sein, dass manche Maßnahme vielleicht nicht effektiv genug ist und wir Ansätze bekommen, wie wir effektiver werden können. Aber es sind die Familien, die letztlich die Experten für ihre Lebensrealität sind und am besten wissen, was ihnen guttut und was ihnen fehlt. Genau diesen Erfahrungsaustausch pflegen wir mit „Hessen hat Familiensinn“.
Natürlich gehört es, wenn wir an ältere Generationen denken, mit dazu, auch an diejenigen zu denken, die der Pflege bedürfen oder die eine gesundheitliche Versorgung brauchen. Und weil das selbstbestimmte Wohnen das entscheidendste Thema für ältere Menschen ist, müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, dass dieses selbstbestimmte Wohnen so lange wie möglich im eigenen häuslichen Rahmen ermöglicht werden kann.
Dazu bedarf es einer gut ausgebauten Pflegestruktur mit Blick auf ambulante Pflege. Es bedarf einer guten ehrenamtlichen Vernetzung mit der Kommune, in der die Seniorinnen und Senioren leben, damit Hilfsdienste entsprechend organisiert werden können. Wir brauchen auch eine gute wohnortnahe gesundheitliche Versorgung für Seniorinnen und Senioren.
Dies haben wir alles mit dem Pakt zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung über die Pflegestützpunkte bis hin zu der Frage der ärztlichen Versorgung. Insofern sind wir in Hessen sehr gut aufgestellt und brauchen uns an dieser Stelle vor nichts zu verstecken.
An der Stelle sei auch gesagt: Ja, wir müssen dann auch diejenigen mit ins Auge fassen, die möglicherweise zu pflegende Angehörige betreuen. Mit der Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege haben wir einen ganz wesentlichen Schritt getan. Gemeinsam mit der AOK Hessen, der berufundfamilie gGmbH und dem Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft haben wir die Initiative „Beruf und Pflege vereinbaren – die hessische Initiative“ ins Leben gerufen. Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen soll sie dazu beitragen, Beruf und Pflege für ihre Beschäftigten besser vereinbar zu gestalten.
So haben wir diese Charta entwickelt. Sie ist bundesweit einmalig und ein echtes Erfolgsmodell. Gestartet sind wir
mit elf Unternehmen. Zweieinhalb Jahre später haben wir jetzt 134 Unternehmen und Organisationen mit über 400.000 Beschäftigen, die dieser Charta beigetreten sind. Das ist eine echte Erfolgsgeschichte.
Mit dem Beitritt zu dieser Charta setzen Arbeitgeber ein Signal dafür, dass sie sich in ihrem Betrieb für Maßnahmen einsetzen, die die pflegenden Beschäftigten bei der Vereinbarkeit unterstützen. Familienteilzeit- und andere flexible Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit von Telearbeit, die Ausbildung und Bereitstellung von Pflege-Guides, das Angebot von Seminaren, Schulungen und Fachvorträgen, Beratungs- und Vermittlungsleistungen oder die Bildung interner und externer Netzwerke sind nur einige Beispiele der vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen. Wir setzen ein starkes Signal gegen Brüche in der Erwerbsbiografie aufgrund von Pflege.
Wir unterstützen die Ausbildung von ehrenamtlichen Pflegebegleitern. Das sind bürgerschaftlich engagierte Menschen, die ein offenes Ohr für pflegende Angehörige haben und ihnen auf diesem Wege Entlastung aufzeigen, immer mit dem Blick darauf, der älteren Generation so lange wie möglich ein Wohnen und Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.
Wir haben einen speziellen Bereich der Hilfestellungen für demenziell Erkrankte. Ein Modellprojekt, das wir auf den Weg gebracht haben, soll bestehende Versorgungslücken schließen und neuartige, am konkreten Bedarf ausgerichtete Angebote innerhalb eines Versorgungsnetzes vorhalten. Die Vernetzung ist hier ein wichtiges Thema.
In einzelnen Regionen wollen wir speziell die Möglichkeiten einer wirksamen Vernetzung aller für die Pflegebedürftigen erforderlichen Hilfen zur Verbesserung ihrer Versorgungssituation erproben. Seit 2015 erhielten insgesamt acht Landesmodellprojekte Fördermittel in einer Größenordnung von weit über 300.000 €.
Meine Damen und Herren, es gibt auch Situationen, in denen die Pflege zu Hause nicht mehr gewährleistet werden kann. Dann sind wir es diesen Mitbürgerinnen und Mitbürgern schuldig, dass die stationäre Pflege einen vernünftigen und qualitativ hochwertigen Standard hat.
Mit unserem Hessischen Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen haben wir genau dies erreicht. Wir stellen auch sicher, dass die pflegebedürftigen Menschen in ihrer kulturellen und religiösen Selbstbestimmung unterstützt werden und ihr Recht auf eine gewaltfreie Pflege und Intimsphäre gewahrt wird. Die Novellierung des Gesetzes zu Beginn des Jahres hat es deutlich gezeigt. Die Auswertung hat verdeutlicht, dass wir an dieser Stelle auf einem ausgesprochen guten Weg sind.
Meine Damen und Herren, ich habe gerade schon die Wichtigkeit der medizinischen Versorgung angesprochen. Eben weil viele Seniorinnen und Senioren länger zu Hause leben bleiben wollen und auch können, ist mir die wohnortnahe medizinische Versorgung dieser Menschen ein großes Anliegen. Auch dies ermöglichen wir mit unterschiedlichen Modellprojekten, die dann in die Regelversorgung übergehen. An dieser Stelle will ich sehr deutlich sagen: In Zukunft wird auch die Telemedizin einen ganz wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt: Wir brauchen einen neuen Zugang zu unserer älteren Generation. – Ich habe nur einen groben Überblick darüber geben können, wie vielfältig und wie wenig homogen die Gruppe der heutigen Seniorinnen und Senioren ist und dass das auch für die jeweilige Bedarfslage gilt. Das hat direkte Auswirkungen auf die Antworten, die wir darauf geben und die wir weiterhin geben wollen. Für alle diese verschiedenen Senioren haben wir Angebote und bieten ihnen vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten.
Laut der aktuellen „Generali Altersstudie“ ist die große Mehrheit der Seniorinnen und Senioren so zufrieden und so aktiv wie nie zuvor. Das soll auch in Zukunft so bleiben.
Wir werden uns als Hessische Landesregierung deshalb auch weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, dass wir uns um die vielfältigen Bedürfnisse dieser großen und heterogenen Gruppe zuverlässig kümmern. Denn eine zeitgemäße Politik muss alle von 60 bis über 100 Jahre in ihren unterschiedlichen Bedürfnissen erreichen. Das ist unser Anspruch, das ist mein Anspruch. Darauf können sich die Menschen in Hessen verlassen.