Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat sich Frau Abg. Alex für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Vorsitzender der Senioren-Union, der größten Vereinigung innerhalb der hessischen CDU! Frau Klaff-Isselmann, der Schatzmeisterin der Landesseniorenvertretung Hessen, alles Gute zum Geburtstag. Alles Gute für Sie.
Ich hoffe, Sie haben sich den Titel Ihrer Regierungserklärung schützen lassen. Es könnte sonst irgendein dubioses Versicherungsunternehmen auf die Idee kommen, dies zu übernehmen.
Sie haben heute einen neuen Blick aufs Alter versprochen. Die Presse hat das auch schon gebracht. Wir haben jetzt einen neuen Blick aufs Alter.
Dabei hätten die in der Presse Tätigen nur ins Archiv schauen müssen. Den neuen Blick aufs Alter haben Sie schon im Jahr 2011 versprochen. Das war auf der Mitglie
derversammlung der Landesseniorenvertretung Hessen in Oberursel. Das konnte man in der „Frankfurter Neuen Presse“ lesen. Schon damals waren die Positionen, dass die ältere Generation heterogen ist, dass sie unterschiedliche Ansprüche hat und dass man nicht auf die Defizite, sondern auf die Potenziale dieser Generation schauen sollte, Binsenweisheiten. Niemand will dem widersprechen. Was ist an diesem Blick auf das Alter neu? – Nichts.
Ehrlich gesagt, sind wir bei der Ankündigung davon ausgegangen, dass sich die Landesregierung mit dem Siebten Altenbericht der Bundesregierung auseinandersetzt, sich dabei die Handlungsempfehlungen an die Länder anschaut und sagt, wie sie das in Hessen vielleicht umsetzen könnte. Nichts davon. Somit bewegen wir uns im Offensichtlichen und im Klein-Klein.
Ja, ältere Menschen sind keine homogene Gruppe. Ja, es stimmt, im Hessischen Landtag ist ein Drittel der Abgeordneten Jahrgang 1957 oder früher. Sie werden in diesem Jahr 60 Jahre alt oder sind schon 60 Jahre alt geworden.
Wissen Sie, was das Schöne daran ist? Wenn wir alle gesund bleiben, werden es nächstes Jahr noch mehr sein.
Ja, die Interessenlagen der älteren Personengruppen sind sicherlich etwas anders. Das gilt auch für die Mitglieder des Hessischen Landtags. Ich gehe nicht davon aus, dass die älteren Abgeordneten die „Bäckerblume“, die „Apotheken Umschau“ oder die „Seniorenblätter“ des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration studieren, um zu erfahren, dass die Sommerzeit Grillzeit ist, wie sie fit durch den Frühling kommen oder was es mit den Onlinerentnern auf sich hat.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))
Wären sie allerdings obdachlos, dann würden sie als Jahrgang 1957 bereits seit zehn Jahren als alt gelten und wären am Ende ihrer Lebenserwartung angekommen. Hätten sie eine Erwerbsbiografie mit Lücken durch gesundheitliche Einschränkungen oder durch Familien- und Pflegezeiten, müsste ihnen ihre Zukunft als Rentnerinnen und Rentner Angst machen. Wären sie chronisch krank, könnten sie sich keinen angemessenen und gesunden Wohnraum leisten. Sie könnten sich nicht gesund ernähren. Ihre physischen und psychischen Kräfte würden nicht ausreichen, um sich etwas hinzuzuverdienen. Das würde ihre Lebenserwartung deutlich verringern.
Übrigens haben gerade Frauen, die Familienarbeit geleistet haben, geringe Renten. Sie haben von der Verleihung der Pflegemedaille berichtet. Wir dürfen dabei nie aus dem Blick verlieren, dass das die einzige hessische Auszeichnung ist, bei der die Frauen die Mehrheit der Ausgezeichneten stellen.
Eines darf man bei aller Heterogenität der Gruppe der älteren Menschen nicht vergessen. Alt werden ist individuell unterschiedlich immer eine Zeit des Verlustes. Es ist ein Verlust an physischer Kraft. Es gibt den Verlust von Ange
hörigen und Freunden sowie von sozialen Kontakten, von Selbstständigkeit und Mobilität. Alte Menschen sind auch in vielfältiger Form Diskriminierungen ausgesetzt. Sie gehen alle unterschiedlich damit um. Aber sie sind da.
Schauen Sie sich einmal die Werbung an. Schauen Sie sich Werbung an? Schauen Sie vielleicht im ZDF Werbung? Da geht es nur noch um Schmerzmittel und darum, sich fit zu halten. Da ist das Idealbild die fitte Oma, die Voltaren nimmt, damit sie über den Spielplatz toben und abends noch Tango tanzen kann. Diesem Bild haben die Menschen zu entsprechen.
Es gibt den Opa, der mit irgendwelchen Mitteln seinen Ehrgeiz daransetzt, seinen Enkel im Kindergartenalter beim Memory zu besiegen. Wie man weiß, ist das normalerweise unmöglich.
Warum ist das so? – Wir dürfen uns von diesen Bildern des aktiven, des sportlichen und des überall interessierten ehrenamtlichen Rentners nicht verleiten lassen. Wenn er es kann, ist es gut. Aber diejenigen, die es nicht können, sind genauso viel wert.
Aus der Heterogenität der älteren Menschen haben Sie Ihre Schlüsse gezogen. Sie haben Ihre Schlüsse gezogen und gesagt: Wir müssen für jeden ein bisschen anbieten.
Meine Damen und Herren, das reicht nicht aus. Wir können keinen Laden aufmachen, wenn wir eine Gesellschaft gestalten wollen. Wenn wir eine Gesellschaft des langen Lebens wirklich wollen, dann müssen wir schauen, wie eine solche Gesellschaft aussehen soll und wie eine solche Gesellschaft geplant werden kann. Sie können Seniorenpolitik dann nicht als einen kleinen Teil der Aufgaben des Sozialministeriums sehen. Sie können sie nicht als eine Gruppe Menschen sehen, für die man auch etwas tun muss. Denn immerhin sind das alles Wähler. Da sie immer mehr werden, werden es auch immer mehr Wähler sein. Deswegen wollen Sie einmal schauen und sagen: Wir bieten dies, dies und dies.
Ich möchte nicht die Projekte, die Sie gemacht haben, herunterreden. Wir haben sie im Einzelnen gar nicht so beobachten können, als dass uns das zustehen würde. Wenn Sie die Zukunft einer Gesellschaft des langen Lebens gestalten wollen, dann dürfen Sie die Politik für die älteren Generationen nicht in Form von Projekten und Modellprojekten machen, sondern dann müssen Sie das als Querschnittsaufgabe über alle Politikfelder und alle staatlichen Ebenen hinweg begreifen.
Sie haben zu Recht auf die Vereinsamung vieler älterer Menschen hingewiesen. Das haben Sie auf die Individualisierung der Gesellschaft zurückgeführt. Das spielt sicherlich eine Rolle. Aber es gibt handfestere Gründe.
Wer soziale Kontakte haben möchte, muss mobil sein. Er muss Orte aufsuchen können und braucht einen verlässlichen, bezahlbaren und gut erreichbaren Personennahverkehr.
Das erreicht man nicht mit Projekten. Die Förderung des ÖPNV, insbesondere im ländlichen Raum, ist eine seniorenpolitische Maßnahme, die künftig immer bedeutender wird. Auch materiell abgesicherte Menschen, von denen
Sie gerne reden, kommen schnell an ihre Grenzen, wenn sie alle Wege mit dem Taxi zurücklegen müssen.
Sie sprechen über Wohnraum. Es gibt eine Beratungsstelle in ganz Hessen, in Kassel. Der VdK hat Sie dringend gebeten, wenigstens noch in Frankfurt eine Wohnraumberatung zu machen. – Sie weigern sich. Wir fragen: Wie viele Angebote an betreutem Wohnen in Hessen gibt es denn? – Sie wissen es nicht. Sie wissen aber hoffentlich alle, dass betreutes Wohnen und Servicewohnen keine geschützten Begriffe sind und dass sich jeder so nennen darf. Sie wissen aber auch, dass eine freiwillige Zertifizierung möglich ist. Wir fragen Sie: Wie viele Wohnungen sind in Hessen zertifiziert? – Sie wissen es nicht. Wir kommen langsam in die Nähe der Fragestellung: „Wir geben die passenden Antworten“.
Was wir in Hessen brauchen, ist ein geförderter Wohnungsbau, nicht eine Förderung von Projekten und Ideen. Wir brauchen eine starke materielle Förderung von Wohnungsbau, der auch die Bedarfe alter Menschen nach einem barrierefreien Wohnraum und einem guten Umfeld abdeckt. Nicht jeder möchte in eines Ihrer 39 Mehrgenerationenhäuser einziehen oder kann es sich leisten.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Projekte und Modellprojekte zurückkommen. Ich glaube, dass jedes einzelne davon seinen Sinn hat und dass einzelne Menschen davon profitieren und profitiert haben, wenngleich die Angebote, wie wir aus einer Anfrage zu Modellprojekten wissen, oft einen stark defizitären Ansatz haben, z. B. was Demenz, Pflege usw. betrifft. Ich glaube sogar, dass die Projekte, die Sie in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Miteinander in Hessen“ für Senioren durchgeführt haben, sinnvoll sind. Allerdings glaube ich auch, dass es dort ein sehr schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis gibt.
Aber Modellprojekte und Projekte ohne Bestätigung reichen nicht aus. Das sagen wir Ihnen hier aber nicht nur als SPD. Das ist auch ein Ergebnis des Siebten Altenberichts, den Sie sich ja nun weigern zur Kenntnis zu nehmen. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Daseinsvorsorge für die ältere Generation vor Ort in den Kommunen. Er benennt klar Aufgaben, die Bund und Länder dabei haben, die Kommunen zu unterstützen, um die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben der älteren Generation zu schaffen.
Da gilt es unter anderem – wie ich schon gesagt habe –, einen Wohnungsbau und einen ÖPNV zu fördern. Da gilt es aber vor allem, die Kommunen mit Beratung und allen nötigen Mitteln auszustatten, damit die Daseinsvorsorge wirklich gelingt. Davon ist in der Regierungserklärung nicht zu hören. Es gilt, Seniorenpolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen, und es gilt, die Kommunen von dem Sparzwang zu befreien, damit sie eine gute Daseinsvorsorge vor Ort anbieten können.
Andere Bundesländer haben sich aufgemacht, alle staatlichen Einrichtungen und Einrichtungen des Landes gesetzlich darauf zu verpflichten, die Teilhabe an gesellschaftlichem Leben und Mitwirkungsrechte der älteren Generation zu stärken. So hat Thüringen schon 2012 ein Seniorenmitwirkungsgesetz beschlossen. Das waren nicht die bösen Rot-Rot-Grünen in Thüringen, sondern die schwarz-rote Koalition mit Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, CDU. Bei den Mitwirkungsrechten der älteren Generation bleibt Ihre Rede im Vagen: Wir wollen zwar mit den Leuten reden, und irgendwie dürfen sie auch etwas dazu sagen. Aber Sie werden nicht konkret. Ein Wort hat mir besonders gefehlt, wenn es um den Umgang mit der älteren Generation geht: Respekt.
Ich komme nun zum zweiten Teil des Titels Ihrer Regierungserklärung. Der ist nun wirklich mutig: „Wir geben die passenden Antworten“. Wenn ich einmal vorüberziehen lasse, was wir als SPD-Fraktion an Anfragen im seniorenpolitischen Bereich gestellt haben, dann sieht das so aus: Häufig haben Sie keine Antworten. Oft haben Sie sachlich falsche Antworten. Manchmal passen die Antworten nicht wirklich. Wenn wir z. B. fragen: „Gibt es eine Suizidprävention in Hessen?“, dann bekommen wir die Antwort: „Nein, es gibt keine Suchtprävention.“ Man kann da nur hoffen, dass diese Antwort falsch ist. Sie geben sich keine Mühe.