Ich komme nun zum zweiten Teil des Titels Ihrer Regierungserklärung. Der ist nun wirklich mutig: „Wir geben die passenden Antworten“. Wenn ich einmal vorüberziehen lasse, was wir als SPD-Fraktion an Anfragen im seniorenpolitischen Bereich gestellt haben, dann sieht das so aus: Häufig haben Sie keine Antworten. Oft haben Sie sachlich falsche Antworten. Manchmal passen die Antworten nicht wirklich. Wenn wir z. B. fragen: „Gibt es eine Suizidprävention in Hessen?“, dann bekommen wir die Antwort: „Nein, es gibt keine Suchtprävention.“ Man kann da nur hoffen, dass diese Antwort falsch ist. Sie geben sich keine Mühe.
Im vergangenen Jahr wollte die SPD einen Überblick über die Lage und Arbeitsbedingungen der Seniorenbeiräte in Hessen erlangen. Ihre Antwort strotzte vor Fehlern. Wir haben uns im Ausschuss damit auseinandergesetzt. Es hat etwas mit Respekt zu tun, wenn die Landesregierung Anfragen der Abgeordneten ordentlich beantwortet – auch wenn die Abgeordneten unter 60 Jahre alt sind. Aber es hat auf jeden Fall etwas mit Respekt zu tun gegenüber den vielen ehrenamtlichen Seniorinnen und Senioren, die sich in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl und den Dialog zwischen den Generationen einsetzen.
Zu dem Respekt. Das möchte ich Ihnen einmal ans Herz legen: Wenn die Regierungsfraktionen zur Jahreshauptversammlung des Landesseniorenrats, wo jeder ein Grußwort sprechen darf, jemanden schicken, der sich überhaupt nicht für die Themen interessiert, sondern der sich vor diese gestandenen Seniorenpolitiker aus ganz Hessen hin stellt und sagt: „Meine Damen und Herren, das Wichtigste, was wir tun müssen, ist, den Salafismus zu bekämpfen“, dann frage ich mich: Was soll das?
(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Ich glaube, ich weiß, wer das war!)
Wenn die letzte Aussage dann ist: „Meine Damen und Herren, schicken Sie Ihre Kinder und Enkel in die Kirchen, um zu beten“, dann sage ich mir: So schlimm ist diese Landesregierung auch wieder nicht.
(Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Ist das hier Kabarett, oder ist das hier ernst?)
Sie werfen mir Kabarett vor. Ich finde, man kann ernste Sachen auch manchmal etwas unterhaltend vortragen.
Es würde diesem Hause guttun, wenn wir das alles nicht so verbissen sehen würden. Ich glaube, dass Sie an der Ernsthaftigkeit meiner Vorschläge trotzdem nicht zweifeln werden – das hoffe ich zumindest.
Ich möchte Ihnen aber gerne die Geschichte von dieser verpfuschten Seniorenanfrage weitererzählen: Ein halbes Jahr später erfahren wir, dass die Landesregierung eine Abfrage bei den Kommunen macht, die sich genau aus dieser Anfrage speist – wir hatten ein paar Fragen mehr. Ich habe spaßeshalber eine Tabelle erstellt, die ich allen zeigen kann. Unsere Fragen wurden 1 : 1 übernommen. Da muss man einmal sagen: Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen ist zwar bekannt geworden durch den Spruch: „Opposition ist Mist.“ Aber manchmal kann man auch aus der Opposition heraus doch tatsächlich erreichen, dass die Regierung arbeitet, wenn man nur lange genug bohrt. – Wir sind also gespannt, wenn wir das Ergebnis bekommen.
Zwei Minuten? Dann muss ich ja schon zur Zusammenfassung kommen. Ich hatte meinen Kollegen auch noch ein paar persönliche Geschichten versprochen – die müssen jetzt entfallen.
Meine Damen und Herren, die Aktivitäten der Landesregierung im Seniorenbereich sind nicht falsch. Sie sind aber kleinteilig und wenig nachhaltig. Der Antrag, den wir vorliegen haben, ist nicht der Rede wert. Seniorenpolitik ist keine Nische im Sozialbereich, sondern eine Querschnittsaufgabe über alle Politikfelder und staatlichen Ebenen hinweg.
Seniorenpolitik muss bei jeglichem staatlichen Handeln mitgedacht werden. Die passenden Antworten haben Sie nicht. Sie haben noch nicht einmal die richtigen Fragen. Auch diese sind bei uns abgekupfert. – Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Alex. – Als Nächste hat sich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Erfurth zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Blick aufs Alter bedeutet aus meiner Sicht die bewusste Wahrnehmung der Gesellschaft, wie wir sie in Hessen haben. Er bedeutet auch eine Vorschau, wie sich unter den derzeitigen Parametern die Gesellschaft weiterentwickeln wird. Dazu gehört der bewusste Umgang damit, wie sich eine Gesellschaft verändert, wie sie älter wird. Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass immer mehr Menschen älter werden, zum Glück auch gesund älter werden.
Deshalb ist es Aufgabe der Landesregierung, sich auf diese verändernden Rahmenbedingungen einzustellen.
Frau Kollegin Alex, Sie haben angemahnt, dies müsse eine Querschnittsaufgabe in der Politik sein. Das stimmt. Genau so behandeln wir das auch. Genau so sehen wir das auch. Genau so geht die Landesregierung das Thema an.
Da ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Sie haben es vielleicht nicht so erkennen können, aber genau so ist es. Es gibt viele Bausteine, die aufeinander aufbauen und einen gemeinsamen Faden bilden, um die alternde Gesellschaft einzubinden und passgenaue Antworten zu finden. Genau das tun wir.
Sie haben es angesprochen. Ja, die Pflege wird überwiegend von den Heldinnen des Alltags erbracht. Die überwiegende Zahl der Menschen wird zu Hause gepflegt. Überwiegend wird die Pflege von Frauen erbracht. Genau so ist es. Diese Beschreibung trifft zu. Das kann man auch nicht wegdrücken.
Genau deshalb, um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf besser zu gewährleisten, gibt es die Charta zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Genau das ist die Antwort darauf, um zu versuchen, Frauen stärker einzubinden und sie zu entlasten und um für Männer und Frauen – manchmal pflegen ja auch Männer – die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf besser zu gestalten. Das ist das Ziel, das wir gemeinsam ansteuern wollen.
Meine Damen und Herren, der Sozialminister hat sehr unterschiedliche Lebenslagen, aus meiner Sicht zutreffend, beschrieben. Da sind die Menschen wie er und ich, die sich längst noch nicht im Rentenalter angekommen fühlen und die auch nach neuen Herausforderungen suchen, sei es im Beruf oder im Ehrenamt. Es gibt aber auch die Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen, die die Kollegin Alex mehr im Blick hatte. Es gibt sie beide. Wir müssen beide im Blick behalten. All diese Menschen brauchen passende Angebote. Die Koalition in Hessen arbeitet daran, diese zu entwickeln und umzusetzen.
Dabei haben wir schon einiges erreicht. Minister Grüttner hat dies umfassend beschrieben. Ich will das nicht alles wiederholen.
Meine Damen und Herren, heute ist der 30. Mai. Der 30. Mai ist der Deutsche Diversity-Tag, der Tag, an dem in ganz Deutschland und natürlich auch in Hessen zahlreiche Aktionen in Unternehmen und Institutionen stattfinden, um den Gedanken von Vielfalt aufzugreifen und stärker ins Bewusstsein zu rücken. So gibt es in vielen Unternehmen – heute auch in Hessen – die feierliche Unterzeichnung der Charta der Vielfalt.
Wenn Sie Lust haben, können Sie einmal auf der Homepage der Charta der Vielfalt nachschauen. Es ist eine beeindruckende Zahl von Unternehmen, die heute in einem feierlichen Rahmen diesen Tag begehen und diese Charta unterzeichnen wollen.
So werden z. B. in Kassel zusammen mit dem Bildungswerk der nordhessischen Wirtschaft nachahmenswerte Beispiele einer gelungenen Integration vorgestellt. Auch das
Meine Damen und Herren, wir haben in Hessen viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, mit ganz verschiedenen Religionszugehörigkeiten, mit unterschiedlichen geschlechtlichen Prägungen, verschiedener sozialer und kultureller Herkunft und verschiedenen Bildungsstandards. Das ist kein einzelnes Thema, sondern das ist ein Thema von Bedeutung. Es muss genau geschaut werden, was die Menschen in ihrem Bereich brauchen und wie man sie am besten unterstützen und begleiten kann.
Meine Damen und Herren, erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erreichen heute Menschen mit Behinderungen ganz normal das Rentenalter. Dies sind Menschen, die in Werkstätten gearbeitet haben und jetzt das Rentenalter erreicht haben. Das ist eine neue Erfahrung, wie diese Gruppe von Menschen weiter begleitet und betreut wird.
Meine Damen und Herren, wir haben außerdem erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Gruppe von Menschen, die ihre gleichgeschlechtliche Liebe offen leben können und offen leben und die nun Unterstützungssysteme im Alter brauchen, vielleicht aber auch auf dauernde Pflege angewiesen sind.
Daneben gibt es verstärkt aber auch Menschen, die als Gastarbeiter zu uns nach Deutschland gekommen sind oder die andere Gründe hatten, hier bei uns zu leben, und die entgegen der ursprünglichen Annahme nicht in das Land ihrer Geburt zurück wollen oder auch nicht zurück können. Auch diese Menschen werden älter. Auch sie sind auf Unterstützungsleistungen und auf das gesellschaftliche Tragen angewiesen.
Sie erkennen, auch im Alter gibt es einen Querschnitt, und zwar aufgrund einer bunten Gesellschaft, wie sie auch von Herrn Grüttner beschrieben worden ist. Auch hier gilt die Aufforderung, genau hinzuschauen und die Antworten ins Kalkül zu ziehen.
Dabei möchte ich zwei Bereiche ganz besonders beleuchten. Da sind zum einen die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund und zum anderen die Gruppe der Menschen, die offen gleichgeschlechtlich leben. Beides verlangt nach kultursensibler Pflege, wenn diese Menschen auf Unterstützungssysteme oder Pflege angewiesen sind. Insofern stellen sich neue Herausforderungen an Pflegeeinrichtungen und an das Pflegepersonal, aber auch an die in Deutschland lebende Bevölkerung. Auch da braucht es Akzeptanz dafür, dass sich die Situation in den Pflegeeinrichtungen verändert.
Wir haben den Anteil der Schülerinnen und Schüler in der Altenpflegeausbildung ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Hessen kontinuierlich steigern können. Machten im Jahr 2012 die Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft noch einen Anteil von 16,2 % aus, so ist der Anteil nicht deutscher Schülerinnen und Schüler im vergangenen Ausbildungsjahrgang auf 20 % gestiegen. Das ist meiner Ansicht nach ein gutes Signal, auch wenn dies in erster Linie dazu gedacht war, dem Fachkräftemangel in der Pflege
Sie stellen eine wichtige Ressource für den Pflegebereich dar. Das ist eine Tatsache, die nicht zu leugnen ist. Es ist gut, richtig und wichtig, auf diesen Teil der Bevölkerung aktiv zuzugehen und dafür zu sorgen, dass auch hier eine aktive Einbindung erfolgen kann und erfolgt.
Dazu ist es wichtig, dass die deutsche Sprache gut beherrscht wird. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass die Landesregierung auch an dieser Stelle gehandelt hat und für den Ausbildungsjahrgang 2016/2017 Sprachkurse für Menschen anbietet, die in der Pflege arbeiten, und diese auch mitfinanziert. Es ist der richtige Weg, Menschen aus anderen Herkunftsländern, die dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, einzubinden und sie würdevoll und angemessen zu pflegen und zu versorgen, wenn es denn so weit kommen sollte.
Wir dürfen nicht vergessen, dass sich auch bei Familien mit Migrationshintergrund Familienstrukturen auflösen. Insofern sind diese Familien nicht anders als deutsche Familien, wo die traditionellen Familienstrukturen schon sehr viel weiter aufgelöst sind. Das ist der Beginn einer Entwicklung, die wir begleiten müssen und die wir auch begleiten.
Gleiches gilt für Schwule und Lesben. Solange die Menschen sich fit fühlen und Verantwortung für sich selbst übernehmen können, erscheint die Welt in Ordnung. In der Pflege gilt es aber, die besondere Situation dieser Menschen aufzugreifen und dafür zu sensibilisieren. Möglicherweise haben die zu Pflegenden eine lange Leidensgeschichte hinter sich, die durch ihre sexuelle Identität hervorgerufen wurde, die jetzt beachtet wird und als neue Herausforderung auf das Pflegepersonal zukommt.
Mit diesen beiden Beispielen möchte ich deutlich machen, wie wichtig es ist, kultursensibel zu pflegen, und dass es gut und richtig ist, Altenpflege auch an kulturellen Gesichtspunkten festzumachen – so, wie wir es in unserem Antrag beschrieben haben.
Herr Minister Grüttner hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Menschen in allen Lebenslagen zu unterstützen und auch das Erfahrungswissen älterer Menschen einzubinden. Das will ich ausdrücklich unterstreichen. Ich will hinzufügen: Das gilt ausdrücklich auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Ich denke, in allen Lebensbereichen – gerade auch im Ehrenamt – brauchen wir mehr Menschen mit interkulturellen Erfahrungen, sei es im öffentlichen Dienst, sei es bei der Polizei, sei es bei der Feuerwehr oder auch im Sportverein. Es ist gut, dass der Anteil der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit Migrationshintergrund zunimmt und dass im Innenministerium aktiv um diese Bevölkerungsgruppe geworben wird. Es ist gut, dass die Feuerwehren versuchen, auch nicht deutsche Bevölkerungsteile für die Feuerwehr zu begeistern, und auch hier auf Nachwuchssuche sind. Es ist gut, dass es in den Sportvereinen Initiativen gibt, auf Flüchtlinge zuzugehen. Das ist ja ein Teil des Aktionsplans. Frau Alex, hier setzen sich viele Puzzleteile zusammen, weil wir einen Plan haben und ein Bild, wo wir hin wollen, nämlich interkulturell und gemeinsam in Deutschland, in Hessen zu leben. Das ist gut und richtig so.