Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Rock für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein Stück weit eine Fortsetzungsdebatte von gestern. Wir haben gestern über das Thema Demografie diskutiert und uns ausgetauscht und sprechen heute über einen anderen Teil dieser Entwicklung, nämlich die Frage, wie unsere Gesellschaft mit den immer stärkeren Belastungen der Familien umgeht, wie die Gesellschaft damit umgeht, dass sich Familien anders verstehen, wie die Gesellschaft damit umgeht, die höhere Beschäftigungsquote bei den Familien zu akzeptieren und möglich zu machen. Das ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die jeder hier im Munde geführt hat und führt.

Wenn ich meine beiden Vorredner in dieser Debatte gehört habe, drängt sich mir ein bisschen der Eindruck auf, es habe hier ein Bündnis zwischen GRÜNEN und CDU gegeben, in dem sich nicht die positiven Teile beider Fraktionen verbunden hätten. Vielmehr haben wir eine ideologisierte Familienpolitik vorgetragen bekommen. Ansonsten hören wir hier von ideologisierter Öko- und Energiepolitik. Das hat sich in diesem Landtag verbunden, und das ist nicht gut für unser Land.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Gestern habe ich gesagt, dass wenn man einen Nachweis dafür möchte, dass diese Landesregierung eigentlich keine Lust mehr zum Regieren hat,

(Widerspruch des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

dann kann man diesen Bereich der frühkindlichen Bildung herausgreifen. Wo im Koalitionsvertrag sind die Vereinbarungen in diesem Bereich?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wo sind die Investitionen? Ich könnte mich jetzt hierhin stellen und sagen: Herr Bocklet, warum rede ich eigentlich stundenlang auf Sie und die Union ein und versuche, Ihnen deutlich zu machen, dass die Familien nicht die Bittsteller des Staates sind,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

und dass die Familien den Staat nicht ausbeuten, sondern dass die Familien die tragende Säule dieser Gesellschaft sind und nicht die Bittsteller, die bei Ihnen auf Knien um Unterstützung flehen müssen? – Nehmen Sie die Familien endlich einmal ernst.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Jetzt schauen Sie sich einmal an, warum die Einkommensteuer steigt. Schauen Sie sich einmal an, was Familien an Einkommen erwirtschaften und was die Frauen an zusätzlichem Einkommen erwirtschaften, was ansonsten – wenn es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gäbe – gar nicht erwirtschaftet werden könnte. Nur, weil die Kommunen lediglich 12 % der Einkommensteuer haben und der Großteil der Einkommensteuer Land und Bund zufließt, ist das für die Kommunen ein Minusgeschäft. Dieses Hin- und Herschieben von Geld sowie das stetige Reduzieren der Debatte auf Geld werden den Familien und dem, was sie für dieses Land leisten, einfach nicht gerecht. Hören Sie auf damit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Familien überlegen würden, weniger zu arbeiten und mehr zu Hause zu bleiben oder in der Familienphase für drei, vier Jahre ganz rauszugehen. – Aber wie wollen Sie denn im Rhein-Main-Gebiet mit einer solchen Haltung eine Eigentumswohnung oder ein Reihenhaus finanzieren?

(Zurufe von der SPD)

Als Familie haben Sie doch ein Abwägungsbedürfnis. Es läuft nicht nach dem Motto „Ich hätte es gerne so und mache es, wie ich will“, sondern Sie haben einfach Zwänge. In diesen Zwängen ist es unsere Aufgabe, den Familien zu helfen und sie zu unterstützen. Dazu gehört nun einmal, wenn ich mein Kind in eine Betreuungseinrichtung gebe, dass ich davon ausgehen muss, dass es optimal betreut wird, dass die Bildungschancen stimmen, dass mein Kind vernünftig aufgehoben ist. Das ist unsere Aufgabe, und die restliche Debatte ist verfehlt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Lieber Herr Kollege Bocklet, wenn Sie heute mit einer Familie mit durchschnittlichem Einkommen sprechen, die zwei oder drei Kinder hat, die meist nur zwei, drei Jahre auseinanderliegen, dann nehmen Sie einmal den Fall, diese Familie hat ein Kind in der Krippe, ein Kind in der Kindertagesstätte und ein Kind in der Betreuung. In der Krippe zahlt sie 300 €, in der Kita 250 € und in der Tagesbetreuung vielleicht 120 €. Das ist eine immense Summe, die eine Familie aufbringen muss. Natürlich ist das eine immense Belastung. Wir wissen doch, dass durch die Vorgaben der Kommunalaufsicht und die nicht ausgeglichenen Haushalte viele Kommunen, gemessen an den anderen Jahren, diese Gebühren zuletzt völlig überdurchschnittlich angepasst, Geschwisterregelungen gestrichen oder abgeschwächt haben. Darum ist es nicht so leicht, sich hierhin zu stellen und zu behaupten, die Finanzierung eines Kitaplatzes sei kein Problem in Hessen. – Selbstverständlich ist es ein Problem in Hessen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Liebe Kollegen von der SPD, ich weiß, dass bei Ihnen gerne die Systemdebatte geführt wird. Lassen Sie sich einmal nicht dort hineinziehen, sondern überlegen Sie sich objektiv: Was können wir tun, damit die Kinder, die in Hessen in diese Einrichtungen gehen, für die wir als Landesgesetzgeber auch Verantwortung tragen, dort gut aufgehoben sind und gute Bildungschancen haben? Das ist die zentrale Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Da ist es natürlich so, dass wir nicht unendlich viel Geld auf einmal ausgeben können. Darum ist es notwendig, Schwerpunkte zu setzen. Unser Schwerpunkt wäre die Verbesserung der Qualität. Ich komme Ihnen entgegen und sage: Was Sie hier bei den Gebühren angeführt haben, müssen wir natürlich ernst nehmen, im Auge behalten und auch die Fehlentwicklungen bekämpfen. Aber wenn wir Geld in die Hand nehmen und sagen, wir möchten eine stärkere Entwicklung – auch da muss ich Ihnen sagen, Herr Schäfer-Gümbel, aus unserer Sicht gibt es Kindertagesstätten in Hessen, die schon Bildungseinrichtungen sind, aber die meisten sind auf dem Weg dahin, Bildungseinrichtungen zu werden –, dann haben wir die Aufgabe, diesen Kindertagesstätten das zu ermöglichen.

(Beifall bei der FDP)

Da spielt natürlich die finanzielle Ausstattung eine Rolle. Da spielt der Schlüssel der Erzieherinnen eine Rolle. Wenn ich das Stichwort „Bildungs- und Erziehungsplan“ in den Mund nehme, dann weiß ich natürlich auch, dass dort ganz andere Betreuungsschlüssel gefordert sind.

(Norbert Schmitt (SPD): Deswegen wollen wir es ja schrittweise machen!)

Ich muss den Kindertagesstätten eindeutig das Signal geben, dass wir auf dem Weg sind und bei der Qualität jedes Jahr ein Stück weitergehen, dass die pädagogischen Konzepte vor Ort, die guten Weiterentwicklungen vor Ort vorangehen können. Natürlich müssen wir den Kommunen die Angst nehmen, dass das alles auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Sonst werden sich die Bürgermeister in Hessen querstellen und sagen: Das kostet mich ja alles nur Geld. – Darum muss das Land auch in der Lage sein, zu sagen: Wir unterstützen die Kommunen bei den Betriebskosten, und zwar deutlich mehr, als wir das bis jetzt tun.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Darum bin ich auch der Meinung, dass dieser Punkt im SPD-Antrag absolut richtig platziert ist.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Der Schulterschluss zwischen Eltern, Erzieherinnen und Erziehern, den Kommunen und dem Land: Alle vier brauchen wir als positive Akteure, damit die Einrichtungen flächendeckend zu Bildungseinrichtungen werden können. Natürlich kommen noch die freien Träger dazu. Diese Akteure brauchen wir, um voranzuschreiten. Da brauchen wir einen Schulterschluss und nicht das, was hier im Landtag leider gerne gemacht wird, nämlich das Schwarzer-PeterSpiel: Die Kommune mache nicht genug, das Land mache ja alles, der Bund müsste mehr machen.

Die Frage ist vielmehr, wie wir uns anstrengen können, gemeinsam etwas zu tun. Da kommt die Landesregierung ins Spiel mit diesem Schwerpunkt, den sie in ihrer Politik setzt. Aber welchen eigentlich? Ich sehe keinen Schwerpunkt – ich sehe nur, dass Sie das wichtige Thema der frühkindlichen Bildung überhaupt nicht auf Ihrer Handlungsagenda haben. Das spielt bei Ihnen keine Rolle.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Das liegt vielleicht daran, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, die großen Themen in Ihrem Land zu erkennen.

(Lachen des Abg. Horst Klee (CDU))

Das kann sein, obwohl wir Ihnen regelmäßig Hinweise geben. Oder es liegt einfach daran – daran glaube ich auch ein Stück weit –, dass Sie das nicht wollen, weil es nicht in Ihr ideologisches Konzept passt. Das ist heute bei Frau Wiesmann wieder deutlich geworden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Ich appelliere noch einmal an Sie: Es geht nicht um Ideologie. Glauben Sie nicht, dass jede Familie, die ihr Kind in die Kinderkrippe bringt, das tut, weil sie es für die beste Idee hält. Es ist ein Abwägungsprozess, den jede Familie für sich – und das ist nicht die Aufgabe von Ihnen oder des Staates an sich – treffen muss.

(Karin Wolff (CDU): Wo ist denn da der Streitpunkt?)

Jede Familie muss für sich den Abwägungsprozess treffen: Wie können wir an dieser Stelle die Herausforderung als Familie bewältigen, die Herausforderung der Erziehung unseres Kindes? – Dann kann es auch sein, dass die Lösung darin besteht, das Kind schon mit null Jahren, also zwischen null und eins in die Kinderkrippe zu geben. Das ist von uns nicht zu bewerten oder zu verurteilen. Oder jemand sagt: Ich möchte dieses Kind betreuen, ich bleibe zu Hause, ich nehme Einschnitte in meinen finanziellen Möglichkeiten in Kauf, weil ich es zu Hause erziehen möchte. – Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, diesen Familien das zu ermöglichen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, darum werden wir diese Debatten noch oft führen, das verspreche ich Ihnen. Das ist eine entscheidende Frage für dieses Land. Das wird auch eine Frage sein, die in der Zukunft dieses Landes eine zentrale Rolle dabei spielt, welche Chancen unsere Kinder haben. Das ist eine Frage, der sich die FDP stellen wird. Ich kann Ihnen versprechen, dass es eine breite Debatte auch für den Wahlkampf werden wird. Dieser Frage können Sie als Landesregierung nicht ausweichen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Staatsminister Grüttner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist es nicht die erste Debatte über die Frage der frühkindlichen Bildung, der Finanzierung der Kindertagesstätten, der Entlastung von Eltern, aber auch der Ermöglichung von Wahlfreiheit. Aber eines ist relativ neu, obwohl es immer wieder dargestellt wird: Wer Familien so darstellt, als würden die Landesregierung oder die sie tragenden Fraktionen sie als Bittsteller ansehen, der weiß in der Tat nicht, wovon er redet, Herr Kollege Rock.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein solch verqueres Familienbild, das von Ihnen an dieser Stelle gezeichnet wird, ist auch nicht Gegenstand der Politik, die diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen auf den Weg bringen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn auf der einen Seite am Schluss Wahlfreiheit zu ermöglichen, aber den Einstieg so zu wählen, indem man sagt: „Wir müssen den Familien die Betreuung ihrer Kinder ermöglichen, damit sie letztlich arbeiten und Einkommen erwirtschaften können und anderes mehr“, widerspricht sich in sich selbst. Das werden wir an dieser Stelle auch gerne immer wieder und immer weiter diskutieren.

Zweiter Punkt. Es ist ein spannender Antrag, den uns die SPD-Landtagsfraktion vorgelegt hat, wirklich spannend. Er kann im Prinzip nur aus einer Laune heraus entstanden sein, ein Wunschkonzert aufzuschreiben und zu präsentieren.

(Günter Rudolph (SPD): Eine Laune?)