Protokoll der Sitzung vom 01.06.2017

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist das Ihre eigene Rede oder die Bundestagsrede vom Kollegen?)

Ich zitiere aus der Deklaration dieses Bündnisses. Ich habe vergessen, mir die Erlaubnis des Präsidenten einzuholen. Aber Ihre Erlaubnis, Herr Frömmrich, brauche ich auf keinen Fall.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch, wenn man die Rede vom Kollegen vorliest, schon!)

Auch die Durchsetzung solcher Entscheidungen darf nicht an einer mangelnden Ausstattung der Justiz scheitern.

Hier sind wir als Haushaltsgesetzgeber gefordert, und hier sind wir als hessische Justizpolitik gefordert, dementsprechende Ausstattungen vorzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich zitiere weiter:

Internetdiensteanbietern kommt bei der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte eine wichtige Rolle zu, indem sie diese löschen bzw. sperren. Sie sollten jedoch nicht mit der staatlichen Aufgabe betraut werden, Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Inhalten zu treffen.

Ich zitiere weiter:

Gerade bei solchen Inhalten, bei denen die Rechtswidrigkeit nicht, nicht schnell oder nicht sicher festgestellt werden kann, sollte kein Motto „im Zweifel löschen …“ bestehen, denn ein solches Vorgehen hätte katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit.

So weit diese Deklaration für die Meinungsfreiheit des breiten Bündnisses.

Ich schließe und sage: Wir brauchen nicht den Aufbau einer Zensurinfrastruktur,

(Zuruf von der SPD: Oh!)

wir brauchen nicht die Pflicht, Inhalte zu löschen, ohne die Pflicht, legitime Inhalte zu erhalten. Wir brauchen auch eine Pflicht, legitime Inhalte in unseren Kommunikationsinstrumenten weiter offensiv zu vertreten. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wilken. – Das Wort hat die Justizministerin, Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussionskultur in sozialen Netzwerken ist respektloser und diffamierender denn je.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das haben wir hier übrigens nicht zum ersten Mal diskutiert. Auch wichtig ist: Die Löschung rechtswidriger Beiträge zu erreichen ist kaum möglich. Wir alle nehmen wahr, dass die dauerhafte und schnelle Verbreitung rechtswidriger Inhalte in den sozialen Netzwerken zu untragbaren Zuständen in unserem Rechtsstaat führt. Es ist auch bekannt, dass da Handlungsbedarf besteht – und das seit Längerem.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Darüber besteht also Einigkeit, und das haben eben auch meine Vorredner gesagt. Ich will es trotzdem noch einmal wiederholen.

Das Grundanliegen des Gesetzes – damit will ich beginnen – bleibt richtig: Das Recht gilt auch im Internet und auch – das will ich betonen – für amerikanische Großkonzerne, die sich an deutsches Recht halten müssen, wenn sie hier unternehmerisch tätig werden. Das ist bisher nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es kann nicht sein, dass unsere innovativen deutschen Unternehmen, von denen wir in Hessen übrigens viele im ITBereich haben, ganz besonders im Raum Darmstadt, dadurch ausgebremst werden, dass sie sich an Recht und Gesetz halten müssen, und Facebook und Co. meinen, für sie würden nur die eigenen Regeln gelten. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb muss man sich Gedanken darüber machen, wie man mit diesem Thema umgeht.

Dieses Gesetz hat eine lange Vorgeschichte. Der Bundesjustizminister hat im Jahr 2015 eine Taskforce eingerichtet, zusammengesetzt aus den Betreibern der Netzwerke und Vertretern der Zivilgesellschaft. Ich räume ganz offen ein, dass ich schon damals kritisch war und gesagt habe: Ich habe große Sorge, dass das nicht funktioniert. – Ich war nicht allein. Herr Maas hat damals gesagt: Wir brauchen keine Gesetze. – Er hat sich ausschließlich auf die Freiwilligkeit von Facebook und Co. bezogen. Was ist heute das Ergebnis? – Man kann nur sagen: Seit 2015 ist das grandios gescheitert.

(Manfred Pentz (CDU): So ist es!)

Das ist bitter genug für jedes Opfer, das im Internet in der Zwischenzeit diffamiert und verleumdet worden ist und keine Hilfe erfahren konnte, weil die Freiwilligkeit nicht funktioniert hat.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben viel Zeit verloren. Im November 2016 hat die Justizministerkonferenz beschlossen, Herr Maas möge nun Lösungsvorschläge vorlegen. Das ist nun auch schon eine Weile her. In der Zwischenzeit ist auf der Justizministerkonferenz – darüber habe ich hier im Plenum oft geredet – endlich beschlossen worden, dass wir eine digitale Agenda für das Recht brauchen. Es hat mich zwei Jahre gekostet, um eine Mehrheit dafür mit anderen Ländern zu finden. Jetzt gibt es die Arbeitsgruppen, die eingerichtet worden sind, und zwar im Bereich des Strafrechts und des Zivilrechts. Das hat Herr Maas auch zwei Jahre lang nicht so ernst genommen, dass er am Anfang da mitgemacht hätte.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Alle 16 Länder, Frau Kollegin, auch die SPD-geführten Justizministerien, an der Spitze unter anderem Herr Kutschaty, haben mit mir dafür gesorgt, dass die Arbeitsgruppen bestehen konnten.

Bei einem solchen Vorhaben hätte man auf die Idee kommen können, die Länder im Vorhinein intensiv einzubeziehen, was nicht passiert ist. Wir haben im März 2017 den Entwurf bekommen – mit einer Frist zur Stellungnahme

bis 30. März. Während der Entwurf uns zur Stellungnahme vorlag, hat Herr Maas selbst seinen ersten eigenen schlechten Entwurf geändert,

(Michael Boddenberg (CDU): Ja!)

ihn uns noch nicht einmal zur Stellungnahme zugesandt und am Ende dafür gesorgt, dass die Frist zur Änderung des neuen Entwurfs für die Länder drei Tage betrug, um Stellung zu einem so komplizierten Gesetz zu nehmen.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ja wie in Hessen! Da gibt es auch so kurze Fristen! – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich habe in diesem Bereich schon viel erlebt, aber nicht so ein Verfahren. Das kann man auch in der Debatte des Deutschen Bundestages nachlesen. Das betrifft auch die beteiligten Koalitionsfraktionen. Da gibt es auch viel Kritik in der SPD.

Ich will an dieser Stelle hinzufügen, dass dieser Gesetzentwurf so viele Mängel hat, dass sogar Herr Maas selbst im Moment an einem neuen Änderungsantrag arbeitet, den die Länder aber noch nicht kennen.

37 Änderungsanträge morgen im Bundesratsplenum sind jedenfalls ein Wort. Sie sind von allen Ländern eingereicht worden, da das, was dort vorgeschlagen worden ist – so gut es gemeint ist –, in der Praxis nicht umsetzbar ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

Es ist zu unkonkret, nicht spezifisch genug, und ich war noch nie so einig mit Herrn Wilken, was die Kritik anging.

(Zurufe der Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) und Günter Rudolph (SPD) – Heiterkeit der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das habe ich nicht verstanden, tut mir leid.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Jedenfalls hat der Gesetzentwurf so viele Unklarheiten, dass am Ende eine Umsetzung wirklich schwierig ist. Deshalb will ich ein paar Dinge noch einmal nennen: Natürlich muss der Schutz der Meinungsfreiheit, der von besonderer Bedeutung ist, ein diskriminierungsfreier Zugang zu sozialen Netzwerken, gewährleistet bleiben.

Der Kollege Utter hat das sehr ausdrücklich noch einmal vorgeführt. Aber gleichzeitig muss einer vorsorglichen Löschung von rechtmäßigen Inhalten wirksam entgegengetreten werden, und es kommt auch darauf an, dass man jemanden erreicht. Es muss eine Clearingstelle geben. Es muss auffällig sein, es muss aber auch schnell gehen. Deshalb gibt es einen hohen handwerklichen Überarbeitungsbedarf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Gruppe zum digitalen Neustart hat 400 Seiten vorgelegt, die in zwei Wochen auf der Justizministerkonferenz veröffentlicht werden, und Hessen war das Bundesland, das eine eigene Arbeitsgruppe über die Persönlichkeitsrechte mit begleitet hat. Diese Erkenntnisse, die aus dieser Arbeitsgruppe, woran sich übrigens alle Länder beteiligt haben, zustande gekommen sind, müssen jetzt einfließen in all das, was in dem Gesetzentwurf von Herrn Maas nicht vorliegt.

Frau Ministerin, Sie denken bitte an die Redezeit?

Ich komme zum Schluss. – Deswegen wird es morgen darauf ankommen, bei den 37 Anträgen die Interessen Hessen so zu vertreten, dass wir einen Weg sehen, dieses Gesetz doch noch einigermaßen auf den Weg zu bringen. Es muss schnell kommen; denn eine gesetzliche Regelung sind wir den Opfern schuldig, die es im Internet bereits gegeben hat, die diffamiert und verunglimpft worden sind. Deshalb muss es eine schnelle Regelung geben, aber nicht wie vorgelegt. Daran werden wir intensiv mitarbeiten.