Protokoll der Sitzung vom 01.06.2017

(Widerspruch bei der CDU)

Sie sagen, es handele sich um einen Schnellschuss des Bundesjustizministers. Schämen Sie sich nicht? – Dieser Gesetzentwurf ist von CDU und SPD in den Deutschen Bundestag eingebracht worden.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU)

Das ist heuchlerisch, was Sie betreiben. Machen Sie sich nicht in die Büsche, sondern übernehmen Sie Verantwortung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hofmann. Die Formulierung, ob die CDU-Fraktion „noch bei Sinnen“ ist, lasse ich bei diesen Temperaturen durchgehen. Ich wollte es nur angesprochen haben.

(Norbert Schmitt (SPD): Aber fragen kann man doch mal! – Allgemeine Heiterkeit)

Herr Kollege Schmitt, Sie können immer nachfragen, Sie können sich die Antwort auch selbst geben. – Herr Kollege Utter wird jetzt sicherlich die Antwort geben, ob die CDUFraktion noch bei Sinnen ist.

(Allgemeine Heiterkeit)

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass der kirchenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion zu diesem Thema reden darf und damit hoffentlich auch eine neue Dimension der Diskussion auftut.

Vor einer Woche, etwa zu diesem Zeitpunkt, sprachen nicht nur der ehemalige US-Präsident Obama und Angela Merkel in Berlin auf dem Evangelischen Kirchentag, fast gleichzeitig fand im Palais am Funkturm ein Podiumsgespräch zum Thema „Sag die Wahrheit!“ statt. Bei dieser sehr gut besuchten Veranstaltung – die Halle war überfüllt –, die vom ZDF übertragen wurde, ging es um Lügen, Realität und Wahrhaftigkeit in den Medien, insbesondere im Netz und in den sozialen Medien. Das große Interesse über alle Generationen hinweg zeigte die Dringlichkeit des Themas. Wissenschaftler der verschiedensten Fachrichtungen und der Bundesinnenminister Thomas de Maizière diskutierten lebhaft mit dem Publikum.

Dabei wurde sehr deutlich, viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt, in denen das Recht, das unbestritten gilt, derzeit keine Anwendung findet. Dort wird gehetzt, dort wird beleidigt, und dort wird Hass verbreitet, häufig unter dem Deckmantel der Anonymität und daher meist ohne irgendeine Konsequenz für die Täter. Das ist nicht Theorie, das ist leider Realität. Das bedeutet nämlich, dieses Verhalten gefährdet und bedroht schon jetzt die Meinungsfreiheit.

Es ist z. B. auffällig, wie häufig Frauen Opfer von sexualisierten und vulgären Beleidigungen werden, ganz offen mit dem Ziel, sie aus dem Diskurs zu verdrängen. Studien zeigen, dass dies leider sogar schon gelingt. Frauen beteiligen sich immer weniger an Diskussionen im Netz. Insgesamt geht die Beteiligung von Frauen dort zurück, weil sie sich den Beleidigungen nicht aussetzen wollen. Das finde ich in einer demokratischen Gesellschaft unerträglich.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Der jetzige Zustand gefährdet die Meinungsfreiheit, Handeln ist also notwendig.

(Nicola Beer (FDP): Aber nicht so!)

Die Betreiber von sozialen Medien haben ein Privileg. Anders als z. B. Presseverlage haften sie nicht in vollem Umfang für die Inhalte, die über sie verbreitet werden. Das Telemediengesetz verlangt lediglich, dass rechtswidrige Inhalte unmittelbar gelöscht werden, sobald der Betreiber von ihnen Kenntnis erlangt. Unsere ernüchternde Erkenntnis ist aber, dass viele Plattformen dieser Forderung überhaupt nicht nachkommen.

Es ist ein komplizierter Prozess, bis selbst eindeutig rechtswidrige Aussagen entfernt werden. Die Meldeportale sind zu kompliziert, das Verfahren ist undurchsichtig, und häufig gibt es niemanden, der am Ende als Ansprechpartner erreichbar ist. Hier entsteht der fatale Eindruck, dass strafbares Verhalten völlig sanktionslos hingenommen wird. Ich bin der festen Überzeugung: Dieser Zustand muss geändert werden. Unternehmen, die Milliardengewinne machen, müssen Geld investieren, damit das Netz nicht zu einem Eldorado für Fanatiker und Pöbler wird.

Der Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings muss ich als Vertreter der CDU

schon sagen: Es hat ein bisschen lang gedauert, und wir sind noch nicht ganz zufrieden mit dem, was nun zur ersten Lesung vorgelegt wurde.

(Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Das ist sehr moderat!)

Es ist aber durchaus üblich, dass Verbesserungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens möglich sind. Was beispielsweise die Löschverpflichtung angeht, die die sozialen Netzwerke in völliger Eigenregie umsetzen sollen, das scheint für mich noch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.

Erwähnenswert ist es in diesem Zusammenhang, dass es schon in den verschiedensten Bereichen des Medienrechts die Einbeziehung von neutralen und allgemein anerkannten Akteuren gibt. Das könnten wir uns an dieser Stelle auch gut vorstellen.

Für uns als CDU-Fraktion ist besonders wichtig, einen Mechanismus zu finden, der rechtswidrige Inhalte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt, ohne dass dadurch eine zu weitgehende Löschpraxis, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam, die Meinungsfreiheit einschränken wird.

Es wäre sicherlich hilfreich gewesen, wenn man die Länder bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs frühzeitig einbezogen hätte. Aber durch die Beratungen des Bundesrats und durch die Diskussionen im Bundestag kann noch einiges verbessert werden. Das Gesetz ist ein bisschen spät gekommen, und es ist noch nicht ganz optimal. Es geht aber in die richtige Richtung. Die CDU wird daran mitarbeiten, damit etwas Gutes dabei herauskommt.

(Beifall bei der CDU – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Das klingt doch vernünftig!)

Vielen Dank, Kollege Tobias Utter. – Das Wort hat Herr Abg. Dr. Wilken, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wie auch die Presseund Rundfunkfreiheit sind in besonderem Maße geschützt. Das Recht auf Meinungsfreiheit findet seine Grenzen genau dort, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden.

(Lothar Quanz (SPD): Art. 1 Grundgesetz!)

Dieses Recht auf Meinungsfreiheit, aber auch seine Einschränkungen gelten dabei online wie offline. So weit sind wir alle einer Meinung.

(Beifall bei der LINKEN)

Allein dieser Titel des Gesetzentwurfs, den wir heute Morgen hier diskutieren, „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, ist so grottig, dass fünf Minuten heute Morgen gar nicht ausreichen, alle Schwachpunkte und Gefahren aufzuzeigen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ja, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn es um die Meinungsfreiheit geht, geht es keine Nummer kleiner.

(Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dann müssen wir uns das genau anschauen.

Wir wissen nicht, wer alles betroffen ist. Es ist klar, dass die großen Datenkraken betroffen sind. Aber wer noch betroffen ist, ist vollkommen unklar. Es ist unklar, an wen sich das Gesetz richtet. Sind z. B. auch E-Mail-Dienste betroffen? Es ist nur die Rede von zwei Millionen Nutzern. Mehr nicht.

Zweitens. Es ist vollkommen unklar, wie die lange Liste dessen, was alles gelöscht und gesperrt werden muss, entstanden ist, was dabei ist und was nicht dabei ist.

Drittens. Wer zensiert oder löscht? – Selbstverständlich sind auch wir der Auffassung, dass insbesondere diese Datenkraken, die Milliarden an Profit damit machen, Infrastruktur bereitzustellen haben, damit Hass und Häme aus dem Netz verschwinden. Aber die Entscheidungen darüber, was gelöscht wird, müssen Gerichte treffen und nicht private Personen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP – Zuruf von der FDP: Hört, hört!)

Das gilt insbesondere dann, wenn nicht nur bereits im Netz stehende Inhalte gelöscht oder gesperrt werden sollen, sondern wenn durch sogenannte Uploadfilter diese Datenkraken entscheiden, was überhaupt noch hochgeladen werden darf.

Stellen Sie sich das Bild der Kanzlerin mit dem Flüchtling vor, das zu Recht gelöscht wird, wenn es von Faschisten missbraucht wird, um Flüchtlingshetze zu betreiben. Aber was ist denn, wenn genau dieses Bild dafür benutzt wird, um im Netz zu entlarven, wie rechte Gruppen arbeiten und welche Methoden sie einsetzen? Entscheiden, ob das ein strafbarer Inhalt ist oder ein aufklärerischer oder vielleicht auch ein satirischer, können und dürfen nur Gerichte, nicht private Personen.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP – Zurufe der Abg. Norbert Schmitt und Nancy Faeser (SPD))

Es hat sich doch nicht ohne Grund ein solch breites Bündnis von Bitkom bis zu Amadeu Antonio Stiftung – und das ist keineswegs eine klassische Kombination – gebildet,

(Anhaltende Zurufe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

das eine Deklaration der Meinungsfreiheit vertritt und sich ausdrücklich gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sind die Bundestagsreden, die Sie da vorlesen!)

Ich zitiere daraus zum Schluss meiner Rede.

(Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dabei ist es Aufgabe der Justiz, zu entscheiden, was rechtswidrig oder strafbar ist und was nicht.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist das Ihre eigene Rede oder die Bundestagsrede vom Kollegen?)