Protokoll der Sitzung vom 29.08.2017

Wir halten dabei an der hälftigen Aufteilung zwischen Maßnahmen zum Ausbau von Bussen und Bahnen und dem kommunalen Straßenbau fest. Nur so werden die Landesanteile an den großen S-, U- und Stadtbahn-Vorhaben der nächsten Jahre zu stemmen sein. Damit können aber auch Radwege an innerstädtischen Straßen gefördert und bessere Schnittstellen zwischen den Verkehrsmitteln geschaffen werden.

Wenn der beim ersten Dieselgipfel vereinbarte Fonds für besonders belastete Städte vom Bund eingerichtet wird, dann sind wir vorbereitet. Den hessischen Anteil wollen wir nutzen für unser Fachzentrum für nachhaltige urbane Mobilität, das den Kommunen hilft, passende Lösungen zu finden; zur Förderung von Mobilitätsstationen, die Carsharing-Plätze und Bus- oder Bahnhaltestellen kombinieren; zum weiteren Ausbau der Radwege. In unseren Ballungsräumen – davon bin ich fest überzeugt – muss bis 2035 ein Netz von Radschnellwegen entstehen. Denn oft wird vergessen, dass die Elektromobilität in einem Bereich schon

längst den Durchbruch geschafft hat, nämlich bei E-Bikes und Pedelecs; und die Infrastruktur muss darauf reagieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Maßnahmen aus dem Dieselfonds wirken natürlich nicht sofort. Deswegen braucht es auch kurzfristige Maßnahmen. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Die Luft in unseren Innenstädten muss besser werden. Gleichzeitig will die Landesregierung keine generellen Fahrverbote.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier müssen der Bund und die verantwortliche Autoindustrie wirksame Maßnahmen ergreifen. Ich bin sehr sicher, dass allen hier bewusst ist, dass Länder und Kommunen an dieser Stelle nicht alleingelassen werden dürfen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zurück in die Zukunft in Hessen: Im innerstädtischen Lieferverkehr müssen wir die Potenziale von Lastenrädern nutzen, damit nicht immer mehr Transporter die Straßen verstopfen.

Stichwort: Infrastruktur. Echten Ausbaubedarf haben wir vor allem auf der Schiene. Deshalb werden wir unseren Druck auf den Bund und die Bahn hoch halten, die angebahnten Projekte zu realisieren. Daneben geht es auch um Maßnahmen im Schienenknoten Frankfurt, um ihn leistungsfähiger zu machen.

Ich will ausdrücklich sagen: Im Regionalverkehr müssen wir prüfen – über die Regionaltangente West hinaus, wobei man die erst mal hinkriegen muss –, ob ein zentral auf Frankfurt ausgerichtetes Netz noch ausreicht oder ob wir mittelfristig einen Schienenring um Frankfurt brauchen. Ich bin sicher, dass auf Dauer kein Weg daran vorbeiführt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Elke Barth (SPD))

Wir werden die temporäre Seitenstreifenfreigabe und Verkehrstelematik weiter ausbauen und das Baustellenmanagement weiter verbessern, um unsere Straßen so effizient wie möglich zu nutzen. Aber uns muss klar sein, dass wir die Probleme des Straßenverkehrs nicht alleine auf der Straße lösen können. Natürlich gibt es den Handwerker, der mit seinem Material und Werkzeug nicht die S-Bahn nehmen kann. Wir werden auch niemals überall Schienenanschlüsse haben. Deswegen sage ich denen, die sich ein Leben ohne Auto nicht vorstellen wollen oder es aus guten Gründen nicht können: Nur wenn die Verkehrswende Erfolg hat, werden Sie in Zukunft noch Platz auf der Straße haben, um Auto zu fahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Mobilität ist ein Grundbedürfnis moderner Gesellschaften und Voraussetzung sozialer Teilhabe. Bewegungsfreiheit zählt zu den elementaren Freiheitsrechten. Wir wollen diese Mobilität sichern, schnell und klimafreundlich – für alle und auf Dauer. Und deshalb wird Hessen Vorreiter zukunftsfähiger Mobilität. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit ist die Regierungserklärung abgegeben. Die Fraktionen der Opposition haben zwei Minuten mehr Redezeit, also 22 Minuten.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abg. SchäferGümbel für die Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich sehr gefreut, als ich im Juni dieses Jahres gehört habe, dass in der nächsten Parlamentswoche eine Regierungserklärung zur Zukunft der Verkehrs- und Mobilitätspolitik in Hessen ansteht. Dazu ist es dann nicht gekommen, weil regierungsseitig kurzfristig entschieden wurde, eine Regierungserklärung zum Thema Länderfinanzausgleich zu halten. Wir waren uns sicher, dass irgendwann im Laufe des zweiten Halbjahres das Thema kommt.

Dass am heutigen Tag, an dem Tag, an dem traditionell zu Beginn des Schuljahres eine Regierungserklärung zur Bildungspolitik und damit eine bildungspolitische Grundsatzdebatte anstehen, stattdessen eine verkehrspolitische Debatte stattfindet, hat uns ein wenig überrascht,

(Michael Boddenberg (CDU): Was?)

mit Blick auf die aktuellen Debatten in der Schullandschaft in Hessen wiederum nicht. Ich bin der Fraktion der FDP deswegen außerordentlich dankbar, dass es möglich sein wird, morgen auch über Bildungspolitik zu reden,

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. René Rock, Jür- gen Lenders (FDP) und Michael Boddenberg (CDU) – Michael Boddenberg (CDU): Wir haben das so besprochen!)

weil die Bildungsfrage natürlich eine ist, die am Anfang des Schuljahres in dieses Parlament gehört.

(Michael Boddenberg (CDU): Auch wir sind der FDP sehr dankbar, Herr Kollege!)

So können wir uns heute darüber freuen, eine Regierungserklärung zur Zukunft der Mobilitäts- und Verkehrspolitik in Hessen entgegenzunehmen.

Ich will offen sagen, dass viele der Szenarien eines möglichen Verkehrs- und Mobilitätskonzepts für das Jahr 2035 – ich werde später noch ein paar Bemerkungen dazu machen, wie dieses aussehen könnte, welche Rolle das autonome Fahren möglicherweise spielt, welche Rolle die Emissionsfreiheit von Fahrzeugen in Innenstädten spielt, wie Vernetzung und Digitalisierung auf die Verkehrs- und Mobilitätspolitik der Zukunft einwirken – aus unserer Sicht grosso modo Konsens sind. Angesichts dessen, was derzeit in der Fachwelt diskutiert wird, gibt es da keine sonderlich großen Überraschungen. Insofern besteht, glaube ich, in der sehr weit gehenden Zielbeschreibung nicht viel Dissens.

Wenn wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten über bezahlbare Mobilität statt Schlaglöcher, Staus und überfüllte Busse und Bahnen reden, reden wir darüber allerdings in dem Bewusstsein, dass wir seit 140 Jahren immer dazu beigetragen haben, dass neue Technologien den Lebensalltag leichter machen und die Lebensqualität verbessern. Deswegen spreche ich – wie auch manche von Ih

nen – häufig mit Beschäftigten, mit Pendlerinnen und Pendlern, mit Familien über deren Einschätzungen zur aktuellen Lage in der Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Ich glaube, dass dieser Blick in der aktuellen Debatte unterzugehen droht. Herr Minister, deshalb eher rhetorisch an Sie die Frage: Was, glauben Sie, sagen eigentlich die Pendlerinnen und Pendler in diesen Tagen zur Verkehrspolitik in Hessen?

Ich gebe Ihnen einen Tipp und lese die Staumeldungen von „planet radio“ – ohne die Staus aufgrund von Unfällen oder defekten Fahrzeugen – von heute Morgen, 8:30 bis 8:45 Uhr, vor: A 3, Würzburg – Frankfurt, zwischen Rasthof Weiskirchen und dem Offenbacher Kreuz: stockender Verkehr; A 3, Köln – Frankfurt, zwischen dem Wiesbadener Kreuz und Kelsterbach: 7 km Stau; A 4, Kirchheim – Eisenach, zwischen Bad Hersfeld und dem Kirchheimer Dreieck: 2 km Stau.

(Heiterkeit bei der SPD – Janine Wissler (DIE LIN- KE): So viel Redezeit haben Sie nicht, um alles vorzulesen! – Dirk Landau (CDU): Das ist albern!)

Zu dem Teil, der albern ist, komme ich noch.

A 5, Kassel – Frankfurt, zwischen Friedberg und dem Nordwestkreuz Frankfurt: 6 km Stau; A 60, Mainz – Rüsselsheim, zwischen Hechtsheim-West und Bischofsheim: 8 km Stau.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Je lauter Sie werden, umso länger dauert es. Die Liste ist eben lang. Ich habe sie nicht gemacht. Die wurde vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesendet.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles die Schuld Ihrer Bundesregierung!)

A 66, Wiesbaden – Frankfurt, zwischen Wiesbaden-Frauenstein und dem Wiesbadener Kreuz: stockender Verkehr; A 66, Wiesbaden – Frankfurt, zwischen Frankfurt-Zeilsheim und dem Nordwestkreuz Frankfurt: 5 km Stau; A 66, Frankfurt – Wiesbaden, zwischen der Anschlussstelle Mainzer Straße und Wiesbaden-Biebrich: 2 km Stau.

Außerdem lagen Staumeldungen von der A 67, der A 643, der A 661 und der A 671 vor.

(Wortmeldung des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu einer Zwischenfrage)

Nein, Sie können gern anschließend reden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie lassen nicht einmal eine Zwischenfrage zu?)

Nein, nicht einmal eine Zwischenfrage.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rednervortrag, Herr Kollege!)

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Strecke von Lich nach Wiesbaden dauerte heute Morgen – Abfahrt 7:20 Uhr – 40 Minuten länger als gestern Abend auf dem Rückweg vom parlamentarischen Abend hier im Landtag.

Was ich damit sagen will: Die Wirklichkeit im Jahr 2035, über die der Minister gesprochen hat, trifft im Jahre 2017 auf der Straße auf eine Wirklichkeit – über den Schienenverkehr habe ich noch gar nicht geredet –, die nicht nur dazu führt, dass am Ende dieser Woche – die Verkehrslage wird morgen und übermorgen nicht anders sein, am Freitag vielleicht ein bisschen schlimmer als heute und gestern – kilometerweite Staus auf unseren Straßen entstanden sein werden, sondern auch dazu, dass die davon betroffenen Menschen im Durchschnitt 20 Stunden ihrer Lebenszeit dadurch verloren haben werden, dass sie in einem überlasteten Verkehrssystem gesteckt haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen ist es richtig, dass die Landesregierung eine Regierungserklärung zu diesem Thema gegeben hat. Deshalb ist es richtig, über die Frage zu reden, was man tun will, um diese Zustände zu überwinden. Darüber herrscht Konsens.

Worüber ich heute gerne ein bisschen mehr gehört hätte – ich habe an einer Stelle ja ganz demonstrativ und heftig applaudiert –, ist die Frage, wie es zu diesem Zustand gekommen ist und wie wir die Politik, auch die des Landes, dazu nutzen, auf dem Weg zur Mobilitäts- und Verkehrswende Beiträge zu leisten, um diesen Zustand zu überwinden.

Das, was ich bisher gehört habe, erinnert mich ein bisschen an die Debatten über die Regierungserklärung von Roland Koch über das Projekt „Staufreies Hessen“ aus dem Jahre 2005. Das ist bekanntermaßen mein Lieblingsprojekt. Ich freue mich jeden Tag darüber. Das Projekt heißt jetzt ein bisschen anders, aber im Kern gilt immer noch die Kritik, die der damalige Fraktionsvorsitzende Al-Wazir pointiert und scharf an dem Marketingteil des Projekts „Staufreies Hessen“ geübt hat.

(Günter Rudolph (SPD): Das konnte er!)