Es könnte sein. Wir haben ja ein bisschen versucht – unter korrekter Auslegung der Verfahrensregeln, die wir im Untersuchungsausschuss zu beachten haben –, sie dazu zu bewegen, eine Skizze zu fertigen. Das hat sie leider nicht getan. Deshalb müssen wir jetzt weitersuchen. Hat die Freigängerin aus Baunatal ihre Telefonkarten wirklich zufällig in dem Café Yozgat gekauft? Auch das kann ja sein. Aber es muss nicht sein, es kann auch ganz anders sein. Daher haben wir jetzt noch eine neue Runde zu drehen. Möglicherweise kann der Untersuchungsausschuss im Bereich der Vorbereitung der Tatorte – hier: Vorbereitung des Tatortes in Kassel – weitere Erklärungen an das Licht der Öffentlichkeit bringen.
Dabei sollten aber gerade wir, die Mitglieder des Hessischen Landtags – deshalb haben wir auch darum gebeten, dass die Anträge, die gestern im Laufe des Tages unterwegs waren, geändert werden –, uns an die Gewaltenteilung halten. Mit dem letzten Satz haben wir jetzt zusammen herausgefunden, wie man das am besten formuliert. Denn der Untersuchungsausschuss ist eben kein Strafverfolgungsorgan. Das Strafverfolgungsorgan – Kollege Frömmrich und Kollege Rudolph haben das auch noch einmal deutlich gesagt – ist die Behörde des Generalbundesanwalts.
Sie können sich daran erinnern, dass wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU – das war Anfang November 2011 – der damalige Generalbundesanwalt Range das Verfahren an sich gezogen hat. Seit der Zeit ist diese Behörde Herr des Verfahrens. Entsprechende Ermittlungsarbeiten stehen nicht uns zu, sondern ihm.
Auf der anderen Seite können wir natürlich alles das, was wir schon ermittelt oder als Erkenntnis haben, dem Generalbundesanwalt zur Verfügung stellen. Ich gebe hier zu Protokoll: Ich finde es etwas eigenartig, dass der Generalbundesanwalt mit uns zunächst über die Presse kommuniziert hat.
Das hat auch nichts mit der Gewaltenteilung zu tun, sondern das ist ein sehr unüblicher Weg, um es sehr höflich auszudrücken, damit ich nicht von der Präsidentin getadelt werden muss.
Jetzt haben wir es vor uns. Wir hoffen, dass wir noch eine der ehemaligen Kolleginnen aus dem offenen Vollzug identifizieren können. Aber auch hier wieder der Hinweis, liebe Landtagskolleginnen und -kollegen: Es gibt ein Datenschutzrecht. Manche von uns hatten sich vorgestellt, Schnipp zu machen, und das Justizministerium wird uns – schnapp – den Namen der Dame mitteilen. Das darf das Justizministerium nicht, weil es datenschutzrechtlich daran gehindert ist. Also müssen wir versuchen, andere Wege zu finden. Vielleicht finden wir ja einen. Vielleicht erinnert sich auch die Dame G. wieder daran, wie ihre Kollegin mit Nachnamen heißt.
Wir sind einen Schritt weiter, ohne zu wissen, ob es ein großer oder ein kleiner Schritt ist. Trotzdem werden wir diese Schritte gehen. Kollege Bellino sei Dank, dass er – sicherlich aus dem Off heraus – die Frage gestellt hat: Waren Sie denn schon mal in diesem Café, ja oder nein? – Vielen herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht der Versuchung erliegen, den moderaten Angriffen des Kollegen Rudolph allzu viel Redezeit zu opfern. Ich darf aber zwei Dinge zu Protokoll feststellen:
Zum einen kann man in der Tat unterschiedlicher Auffassung darüber sein, wie man mit Rechtsextremen umgeht, wenn es gilt, sie im Untersuchungsausschuss in öffentlicher oder nicht öffentlicher Sitzung zu befragen. Da haben wir eben eine andere Auffassung als Sie. Wir mussten aber auch schon eine Befragung abbrechen – das gehört zur Wahrheit dazu –, weil die Selbstdarstellung damals sehr unterirdisch war. Wir haben dann sogar Aussagen, die dieser Zeuge gefertigt hat, der Staatsanwaltschaft übergeben müssen.
Zum anderen sei mir zur Frage der Pressemitteilung der Hinweis gestattet: Als die CDU endlich eine Pressemitteilung versendet hat, hatte die SPD schon drei an diesem Tag versendet. Insofern stand es zu diesem Zeitpunkt 3 : 0, und wir haben 3 : 1 – –
Während der Sitzung haben Sie drei Meldungen versendet. Dann dachten wir: Jetzt müssen wir auch endlich zu Wort kommen. – Aber geschenkt.
Als ich nach stundenlanger und gemeinsamer Befragung der Zeugin Görtz die Frage stellte: „Kennen Sie das Internetcafé in der Holländischen Straße, bzw. waren Sie schon einmal da?“, konnte man nicht unbedingt von einer bejahenden Antwort ausgehen. Sie kam aber, und manch einer war überrascht. Obwohl die Frage nach den Ausführungen der Zeugin – JVA Kassel, Baunatal, Freigang und anderes – auf der Hand lag, war die Antwort zunächst überraschend.
Ich fragte dann bewusst weiter, und wir konnten erfahren, dass die Zeugin vor ihrer Haftentlassung bis zu dreimal in diesem Café gewesen sein will. Sie sagte aus, im Dezember 2005 sicher nicht mehr da gewesen zu sein – und machte diese Erinnerung an der Haftentlassung ihrer Bekannten fest –, dass sie den Tipp, genau dieses Café aufzusuchen – warum und wofür auch immer –, von einer Mitgefangenen bekam und ihr im Café nichts Besonderes auffiel. Ich fragte bewusst unter anderem nach der Nationalität der Kunden und nach der Nationalität der Besitzer. Dass die Zeugin danach das Café nach eigener Aussage nicht mehr aufsuchte, da sie nach der Entlassung ihrer Bekannten privat surfen konnte, und sie weder die Besitzer noch Herrn Temme, noch Benjamin G. kannte oder kenne, das waren die Antworten, die wir durch die Befragung erfuhren.
Diese durchaus überraschende Zeugenaussage ergab sich weder aus den derzeitigen Erkenntnissen aus ca. 2.000 Aktenordnern noch aus den bisherigen Aussagen von ca. 100 Zeugen. Wie glaubwürdig diese Antworten sind, beurteile jeder für sich. Für uns sind sie in jedem Fall ein Ansatz ge
wesen, uns erneut mit der Frage der Opferauswahl des sogenannten NSU auseinanderzusetzen und der Frage – der eine oder andere Vorredner hat darauf schon Bezug genommen –: Warum oder wie wurden die Opfer, die Tatorte ausgewählt?
Es war uns wichtig, diese Aussage schnellstmöglich dem Generalbundesanwalt zur Kenntnis zu geben. Dies war und ist unsere Meinung. Deshalb begrüßen wir auch, dass der Vorsitzende Hartmut Honka die Kenntnisnahme umgehend in die Wege geleitet hat.
Genauso wichtig ist uns, Name und Wohnort der Mitgefangenen Sonja X zu erfahren. Wir wollen unter anderem wissen, wie oft und wann Görtz mit ihr oder alleine in dem Café war, vor allem warum man gerade in dieses Internetcafé fuhr. Wir wollen alles uns Mögliche tun, die Hintergründe, die Tatmotive zu eruieren, und wir wollen jeder Spur nachgehen.
Sollte hier ausgespäht werden, wie es manche vermuten? Galt das Café als ein Tipp für die Anbahnung von Drogengeschäften, wie eine 2005 geschaltete Telefonüberwachung und die dort gewonnenen Erkenntnisse vermuten lassen? Dabei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sich weder die sogenannte TKÜ-Maßnahme noch die Strafverfahren, die daraufhin zu Recht eingeleitet wurden, gegen die Familie Yozgat gerichtet haben. Oder war das Aufsuchen genau dieses Internetcafés Zufall?
Für uns aber steht fest: Durchsichtige Verschwörungstheorien, voreilige Schlussfolgerungen oder gar Vorverurteilungen gab und gibt es für uns nicht – auch nicht in diesem Fall.
Zurück zu unserer konkreten Befragung. Wir können und müssen alle Aspekte erfragen, die zu einer möglichen Aufklärung beitragen oder Ermittlungen anstoßen können. Wenn sich dann hinreichende Anhaltspunkte ergeben, ein Strafverfahren einzuleiten – darauf hat der Kollege Hahn eben hingewiesen –, sollten wir dies den Staatsanwaltschaften bzw. in diesem Fall dem Generalbundesanwalt überlassen. Auch wenn diese angestoßenen Ermittlungen für die Aufklärungsarbeit wichtig sein können, heißt dies nicht automatisch, dass sie uns bei dem konkreten Auftrag, nämlich das Verhalten der Sicherheitsbehörden zu überprüfen, tatsächlich weiterbringen.
Lassen Sie mich zum Schluss aber auch sagen: Wir hatten – besonders zu Beginn der Ausschussarbeit – häufig Streit. Meistens ging es um formale Punkte, teilweise auch heute noch. In der sachlichen Arbeit befassten wir uns aber, mitunter aus verschiedenen Blickwinkeln beobachtend, intensiv und seriös mit der selbst gestellten Aufgabenstellung. Daher möchte ich auch an dieser Stelle den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Geschäftsstelle und den Landesbehörden für ihre Unterstützung danken.
Konkret: Der Untersuchungsausschuss leistet mit seinen etwa 2.000 beigezogenen Akten und über 100 Zeugenaussagen die akribischste Aufklärungsarbeit, die es in Hessen je gab. Auch kein anderer Untersuchungsausschuss in Deutschland hat sich so detailliert mit dem Mord des sogenannten NSU beschäftigt wie wir – und dies, obwohl es in anderen Bundesländern und in der Republik sowieso mehr
Taten zu untersuchen gab als Gott sei Dank oder glücklicherweise bei uns. Dadurch wurden öffentlich diskutierte Sachverhalte seriös bearbeitet. Dies führte auch dazu, dass Verschwörungstheorien der Nährboden entzogen werden konnte.
Wir sind bisher jedem Ansatz, jedem Vorwurf und jeder Vermutung nachgegangen und werden das auch in diesem Fall tun. Dies ist meines Erachtens bedeutsamer als mancher formale Streit. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In seiner letzten Ausschusssitzung hat der NSU-Untersuchungsausschuss eine weitere wichtige Erkenntnis gewonnen: Die Neonazistin Corryna Görtz war in den Monaten vor dem NSU-Mord an Halit Yozgat mehrfach in dessen Internetcafé, welches dann zum Tatort wurde. Dass ausgerechnet diese Frau mehrfach am Tatort war, wirft viele Fragen auf. Es ist nämlich eine bis heute völlig ungeklärte Frage, wie der NSU seine Opfer und Tatorte auswählte. Klar ist, das Internetcafé beim NSU-Mord in Kassel wurde ausgespäht; denn beim NSU wurden Skizzen und Stadtpläne mit Zielen gefunden. Aber ausgespäht von wem und warum?
Auch beim NSU-Ausschuss des Bundestages gingen alle Parteien davon aus, dass der NSU Helfer vor Ort hatte. Frau Görtz ist im thüringischen Bad Frankenhausen geboren und aufgewachsen – dem Ort, an dem Uwe Mundlos seinen Wehrdienst ableistete, als sie dort wohnte. Sie war Teil der rechtsradikalen und militanten Szene. Sie wurde 1994 in einer polizeilichen Bildermappe rechtsextremer Gewalttäter als einzige Frau neben Beate Zschäpe aufgeführt. Von Thüringen ging sie nach Detmold, wo sie im Schulungszentrum der Nationalistischen Front von Meinolf Schönborn lebte. Schönborn war dadurch bekannt, dass er in den Neunzigerjahren „paramilitärische nationale Einsatzkommandos“ aufbauen wollte. Von Nordrhein-Westfalen führte ihr Weg nach Kassel, wo sie sich in der FAP engagierte, die ebenfalls, wie die Nationalistische Front, als Naziorganisation zu Recht verboten wurde. Ihr Freundeskreis liest sich wie das „Who's who“ der rechtsterroristischen Szene der späten Neunziger- oder 2000er-Jahre. Regelmäßig war sie bei dem niedersächsischen Neonazi Thorsten Heise zu Gast. Neonazi Kay Diesner, der 1997 mit einer Pumpgun einen Anschlag auf einen linken Buchhändler verübte und auf der Flucht einen Polizisten erschoss, kannte sie auch persönlich.
Während ihrer Haftzeit hatte sie Briefkontakt mit Martin Wiese, der wegen eines geplanten Anschlags auf das Jüdische Zentrum in München und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Haft saß. Sie hatte Kontakt ins rechtsradikale Netzwerk Blood & Honour, und schließlich war sie auch bekannt mit Thomas Richter und Michael See, also den Top-Spitzeln des Verfassungsschutzes unter
den Tarnnamen „VM Corelli“ und „VM Tarif“. Die Akten dieser beiden V-Männer des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren unter den Akten, die direkt nach der Selbstenttarnung des NSU vom Verfassungsschutz geschreddert wurden.
Dass diese Frau mit diesem Hintergrund als mögliche Mittäterin oder Mitwisserin des NSU infrage kommt, war den LINKEN bewusst, sodass wir durch zahlreiche Beweisanträge – mit Unterstützung der SPD – alle verfügbaren Akten dieser Frau Görtz angefordert haben. Wir waren das gemeinsam, die SPD und wir.
Doch die Akten von Frau Görtz wurden angeblich bereits im Jahr 2009 beim hessischen Verfassungsschutz vernichtet. Das ist absolut nicht nachvollziehbar, meine Damen und Herren.
Akten dürfen im Landesamt für Verfassungsschutz vernichtet werden, wenn entweder die Person zu Unrecht überhaupt erfasst wurde, also gar kein Rechtsextremist ist, oder seit zehn Jahren oder mehr nicht mehr rechtsextrem aktiv war. Beides aber war bei Frau Görtz definitiv nicht der Fall. Auch in dem Jahr, in dem ihre Akten angeblich vernichtet wurden, taucht sie in polizeilichen Akten als Ansprechpartnerin bei massiv gewalttätigen Ausschreitungen während eines Nazikonzerts auf. Wieso also wurden diese Akten dann geschreddert, frage ich – fragen wir doch den hessischen Verfassungsschutz, meine Damen und Herren.
Das ist der hessische Aktenvernichtungsskandal. Ich fordere deshalb von der Landesregierung, dass sie endlich eine stichhaltige Erklärung zur Vernichtung der Akten von Frau Görtz im Jahr 2009 abgibt. – Herr Minister, dazu möchte ich heute etwas hören.
Ein weiterer spannender Aspekt ist zudem, dass Frau Görtz während ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss nicht sagen wollte, ob sie für einen Geheimdienst gearbeitet oder Informationen geliefert hat. Sie hat sich dazu mehrmals auf ein nicht bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Diese Sache stinkt zum Himmel, und meine Fraktion wird weiter für schonungslose Aufklärung im NSU-Komplex kämpfen.
Vielleicht fragen sich einige Zuschauer auf der Besuchertribüne, warum wir dann nicht auch als Antragsteller mit den anderen Fraktionen im vorliegenden gemeinsamen Antrag stehen: Leider wird es uns verwehrt, als Antragsteller in dieser Frage mit aufzutreten, weil laut Herrn Bellino die CDU niemals einen Antrag gemeinsam mit den LINKEN beschließen werde.
Sie nicken. – Diese demokratiefeindliche Einstellung der CDU-Fraktion ist beschämend. Dass sich die anderen Fraktionen auf dieses Spiel einlassen, ist zumindest bei diesem Thema extrem daneben.